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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Altjahrsabend / Silvester, 31.12.2015

Predigt zu Römer 8:31b-38, verfasst von Ulrich Kappes



31 b Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?
32 Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?
33 Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht.
34 Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt.
35 Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Schwert?
36 wie geschrieben steht (Psalm 44,23) „Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe.“
37 Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat.
38 Denn  ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.    

Zuspruch aus der Tiefe: Habe Mut und fasse Vertrauen

Unser Predigttext wurde von einem namhaften Theologen des 20. Jahrhunderts, dem Tübinger Professor Ernst Käsemann, mit den Worten kommentiert: „Diese Verse bilden „die Summe paulinischer Theologie“.I1I Versuchen wir, sie uns zu Eigen zu machen.

Die Vorgehensweise, die ich dazu wähle, hält sich an eine Lebensregel des Künstlers Armin Müller-Stahl. Er fragt: ‚Wie geht der Mensch? Wie schreitet er? Die Antwort ist einfach, ja, banal.  Er muss einen Fuß zurücksetzen und einen nach vorn. Nur im Zusammenspiel des Schrittes zurück und des Schrittes nach vorn gehen wir vorwärts. Stehen die Füße nebeneinander, können gehen wir nicht.’I2I
Wir lassen jetzt unsere Gedanken einen Schritt in die Welt des Paulus zurück gehen, wollen hier Standsicherheit suchen und uns, versehen mit diesem Wissen, dann nach vorn wenden.

Wie beschreibt Paulus sein Leben? Es ist bedroht und diese Bedrohung wird einmal mit sieben, dann mit zehn Worten beschrieben.
„Wer will uns scheiden von der Liebe Christi?“ Und dann kommen, wie gesagt, sieben einzelne Worte: „Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert?“
Hier spricht ein Paulus, der vor einem Martyrium steht oder auf sich zukommen sieht.I3I Was ist mein gegenwärtiges Leben? Es ist Verfolgung, Hunger, Ungeschütztheit, Gefahr und zuletzt das Schwert.
Die Christinnen und Christen Roms werden zugestimmt haben. Ja, das ist auch unser Leben. Das ist aber nur die eine Seite. Das wichtigste aber ist das andere: „Wer will uns scheiden von der Liebe Christi?“ Es ist eine rhetorische Frage. Jede und jeder der Briefempfänger weiß die Antwort.

Wir sind immer noch bei dem Schritt zurück.
In einem zweiten Gedankengang wird diese Gewissheit, von Christus geliebt zu sein, noch einmal beschrieben. Das Szenarium ist nicht mehr das Martyrium.
„Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“

Denken wir uns eine Halle, um die herum zehn Säulen gestellt sind. Der Bewohner der Halle ist von diesen umlaufenden Säulen umgeben. Hallen dieser Art, Hallen mit einem Säulenkranz, gab es in der Antike zuhauf. Die Säulen stehen für die zehn Worte, die Paulus gebraucht, um das Leben der Christen zu schildern. Sie repräsentieren reale, dämonische Mächte. Um nur einige zu erläutern:
„Engel“, die Menschen von Gott scheiden, sind hier von Gott abgefallene Engel.I4I
„Hohes und Tiefes“ waren nach antikem Weltverständnis Mächte, die beim Zenitstand der Sonne ihre stärkste Ausprägung hatten und das Leben maßen und begrenzen.I5I
Die „Mächte“, „Gewalten“ und der „Tod“  wurden als personifizierte Wesen verstanden, die das Leben lenkten und bestimmten.
Paulus sieht an dieser (und anderen Stellen seiner Briefe) unser Leben eingezwängt und regiert von Mächten, die uns so und nicht anders leben lassen und der Mensch kann nichts dagegen machen.
Was ist der Ausweg aus dem Gefängnis der Säulenhalle?  Das einzige, was die Säulen zum Einsturz bringt, nicht real, aber wahrgenommen, sind die Worte: „Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat.“ Gehen wir nun den Schritt nach vorn in unsere Zeit.

Wir werden diese Weltanschauung von einem dämonischen Zirkel, in den wir hineingestellt sind, nicht teilen. Die damit verbundene Frage allerdings, wie weit auch wir fremd bestimmt und fremd gesteuert sind, ist uns bekannt, bisweilen schmerzhaft bekannt.

Am Welthorizont taucht eine Gruppe von Menschen auf, die mit Terror eine neue Welt schaffen will. Eine Million Menschen hat vor ihr die Flucht ergriffen und sucht in der Fremde „Asyl“, das ist „Schutz vor der Tötung“. – „Wer oder was lenkt und bestimmt unser Leben?
Warum trifft es uns? Warum muss hier in Syrien, im Irak, in Afghanistan … eine Schule, dort ein Bahnhofsgelände, ein Supermarkt von diesen Leuten zerstört werden?“

In Paris fragten Franzosen:  „Warum traf es gerade diese jungen 130 Menschen am 13. November in der  Konzerthalle Bataclan?“ Wir zucken mit den Schultern, aber die Frage bleibt.
Mancher unter uns mag an diesem 31. Dezember seine Gedanken zurück gehen lassen in das vergangene Jahr. Vielleicht erfasst ihn dabei Traurigkeit. Ein Freund ist plötzlich schwer  erkrankt. Warum ist dieser mein Freund erkrankt? Ein lieber Mensch ist gestorben? Warum, warum?  

Unser Leben ist wie ein Boot auf einem Fluss. Wie vieles ist an diesem Boot rätselhaft! Warum sitze ich in diesem und keinem anderen Boot?  Warum geriet ich hier und da in heftiges Schlingern, kam gerade so durch? Warum sind manche gekentert und nicht mehr da? Steuere ich oder werde ich getrieben?

Und mitten hinein in diese Gedanken mit dem unüberhörbar resignierten Grundton bricht sich der Predigttext seine Bahn: „Wer will uns scheiden von der Liebe Christi?“ Und dann so klar, so unangefochten, so ungebrochen, dass es einem den Atem verschlägt: „Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat.“

Für das Wort „überwinden“ steht im Griechischen  „hüpernikaan“. – Hyper steht für „über“ und in dem Wort nikaan steckt das bekannte Wort: „Nike“ und das heißt Sieg. Luther übersetzt genial: „in dem allen überwinden wir weit“, d.h. weit die Anfechtungen hinter uns lassend, nicht bloß irgendwie und gerade so, sondern überlegen.
Wir überwinden „durch den, der uns geliebt hat.“ – Wieso hat gerade mich Christus geliebt? Die Antwort steht am Anfang des Predigttextes: Weil er sich für mich hingegeben hat. Er hat sich für Billionen von Menschen hingegeben, unter denen ich einer bin. Deshalb bin ich geliebt.

Im 1. Johannesbrief ist davon die Rede, dass unser Glaube der Sieg ist, der die Welt überwunden hat. Paulus führt uns seinerseits ganz nah an Christus heran. Wir überwinden hier und jetzt, weil wir den neben uns wissen, der uns im Kreuz geliebt hat.
Wie Paulus sein Leben als einen Kampf gegen dämonische Mächte sah und auf Christus vertraute, ruft er uns auf, gegen Mächte, die uns knechten, zu kämpfen und sie zu besiegen. Es ist ein Zuspruch aus der Tiefe des Apostellebens: Habe Mut und fasse Vertrauen. An der Seite des Christus kannst du überwinden, was dich überwinden will.

Das ist nichts Heroisches, kein „Freude-schöner-Götterfunken-Gruß“ zum Jahreswechsel. Man kann diesen Vers nur stammeln und buchstabieren: „Ich überwinde weit in dem, der mich geliebt hat.“ Oft genug wird das Ziel nicht erreicht. Das ändert nichts daran,  mit allen Fasern unseres Wesens von neuem zu beginnen.

Seit unabsehbarer Zeit ist dieser Abschnitt aus dem Römerbrief im 8. Kapitel die Epistellesung am Silvestertag. Sie wird es nach der neuen Predigtordnung auch bleiben.
Hören wir aus dem Munde des amerikanischen Präsidenten das bekannte „Yes, we can“ und sagt unsere Bundeskanzlerin „Wir schaffen es“, so legt uns unsere Kirche nahe, im neuen Jahr daran zu glauben und das festzuhalten, dass wir an der Seite des Herrn Überwinder werden sollen.
 




Pfr. em. Ulrich Kappes
14943 Luckenwalde
E-Mail: ulrich.kappes@gmx.de

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