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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach Weihnachten, 03.01.2016

Predigt zu Lukas 2:41-52, verfasst von Paul Kluge

Liebe Geschwister,

es gibt einige Geschichten im neuen Testament, die nur das Lukas-Evangelium erzählt. Woher Lukas die Geschichten hat, wissen wir nicht. Drüber können wir nur Vermutungen anstellen. Das hat mich nun zu einer anderen Geschichte angeregt, zu einer Geschichte von Lukas, der an seinem Evangelium für Theophilus schreibt, und der Frau des Lukas:

Lukas hat Post bekommen. Ein Bote hat einen Brief gebracht, und die Frau des Lukas hat ihn angenommen. Statt des erwarteten Trinkgeldes hat sie dem Boten ein paar Feigen aus dem eigenen Garten in die Hand gedrückt. „Sehr gesund“, hat sie dazu bemerkt und an dem verdutzten Gesicht des Boten ihren Spaß gehabt.

Dann bringt sie den Brief zu Lukas. „Theophilus hat geschrieben. Er wird wohl wissen wollen, wann du sein Buch endlich fertig hast.“ – „Bald“, knurrt Lukas und „leg ihn da auf den Tisch.“ – „Theophilus oder den Brief?“ fragt seine Frau und grinst. Ob er den Brief nicht öffnen wolle, will sie dann wissen. Später, wenn er Zeit habe, antwortet Lukas noch und beugt sich demonstrativ über seine Unterlagen. Mit der Bemerkung, dass es bald Essen gäbe, geht seine Frau wieder.

Drei Tage später kommt sie wieder in sein Arbeitszimmer, ausgehfertig angezogen, Lukas sitzt in seinen ältesten Klamotten und schreibt; innerlich seufzt er, als er seine Frau bemerkt. „Lukas!“ beginnt sie vorwurfsvoll, „es ist Sonntag, und wir wollen zum Gottesdienst. Wir müssen los!“ – „Geh schon mal vor, ich komm dann nach“, versucht Lukas sie zu beschwichtigen. Doch seine Frau besteht darauf, dass sie zusammen gehen. Sonst, das kennt sie, wird Lukas zu Hause bleiben und später behaupten, er hätte den Gottesdienst vergessen.

„Ich hol dir was Ordentliches zum Anziehen“, bietet sie an, „und du solltest dir wenigstens Gesicht und Hände frisch machen. - Und den Brief von Theophilus hast du ja noch immer nicht geöffnet!“ Damit verschwindet sie aus dem Zimmer.

Lukas seufzt nun hörbar, geht aber, sich wenigstens pro forma zu waschen. Dann zieht er die Kleider an, die seine Frau ihm hingelegt hat. Kalt und ungemütlich findet er die frische Kleidung, und die Toga ist ihm etwas zu elegant.

„Fertig“, ruft er schließlich; gemeinsam ziehen sie los. „Nun renn mal nicht so“, bremst seine Frau ihn, „wir haben Zeit genug.“ Lukas sieht sie fragend an und hört, dass seine Frau mehr Zeit fürs Waschen und Umziehen eingeplant hatte. Er nimmt ihre Hand und drückt sie. „Ohne dich käme ich wohl immer zu spät“, meint er dankbar. – „Du kämst nicht zu spät, du kämst überhaupt nicht“, lacht seine Frau, und Lukas lacht auch.

Im Versammlungsraum der Gemeinde sind schon etliche Leute, andere kommen nach und nach dazu. Nach dem Gottesdienst bleiben die meisten zum gemeinsamen Essen; Lukas würde sich lieber an seine Arbeit setzen als an den Esstisch. Als sich dann noch ein etwa zwölfjähriger Bengel neben ihn setzt, strapaziert das seine Geduld zusätzlich. Doch seine Frau mag dies gemeinsame Essen, und ihr zu Liebe nimmt auch Lukas gelegentlich teil.

Wie ihm denn die Predigt gefallen habe, wendet der Bengel sich an Lukas, und ob es keine anderen Themen gäbe als was Paulus geschrieben habe. Das sei doch alles so theoretisch, dass die meisten Leute das kaum verstünden.

„Und du verstehst das?“ fragt Lukas leicht belustigt; der Junge antwortet mit schlichtem „Ja“, und das verblüfft Lukas geradezu. Bevor er den Jungen nach seinem Namen fragen kann, fährt der fort: Er habe gehört, Lukas schreibe an einer Biographie Jesu. Ob es denn genügend zuverlässige Quellen gäbe, will der Junge wissen, oder ob Lukas auf das angewiesen sei, was die Leute über Jesus erzählen.

Lukas findet den Jungen jetzt richtig sympathisch und berichtet, es lägen ihm zwei Schriften vor, eine mit Geschichten über Jesus, als deren Autor ein gewisser Markus gelte, und eine anonyme Sammlung von Sprüchen Jesu. „Außerdem bin ich nach Jerusalem gereist“, ergänzt Lukas, „war auch in Galiläa, am See Genezareth, in Nazareth und in Kapernaum, wo Jesus wohl gewohnt hat. Leute, die ihn noch gekannt haben, gibt es natür-lich nicht mehr, doch es kursieren noch viele Geschichten über ihn. Die habe ich alle auf-geschrieben.“ – „Das wird dann ja ein richtig dicker Wälzer“, meint der Junge, Daumen und Zeigefinger spreizend, und ob er den auch mal lesen dürfe, wenn der fertig sei.

„Insgesamt ist das Material eher spärlich“, erklärt Lukas, „und einige Geschichten sind wohl dazu gedichtet, manche sogar aus alten Sagen auf Jesus übertragen. Auch etliche Sprüche stammen von früher.“ – „Und woran erkennt man das?“ fragt der Junge. „Nun“, antwortet Lukas, „einiges kenne ich aus der Literatur, und bei anderen überlege ich: Passt das zu Jesus oder passt es nicht.“ – „Was nicht passt, lasst ihr einfach weg“, stellt der Junge fest, „und was passt, übernehmt ihr also. Wenn nun eine Geschichte oder ein Spruch so gut erfunden sind, dass sie passen – was macht ihr dann?“

Lukas muss lachen, das Gespräch macht ihm zunehmend Spaß. „Die behalte ich natürlich. Denn nicht darauf kommt es an, ob etwa eine Geschichte wirklich passiert ist, sondern ob sie Jesus treffend charakterisiert, ob sie uns sagt, wie er war und was er wollte. Und ob sie uns hilft, in unserem Leben klar zu kommen.“  

Der Junge denkt einen Augenblick nach, Stirn und Nase in Falten, dann sieht er Lukas ins Gesicht: „Habt ihr auch schon eine Geschichte über Jesus erfunden?“ Lukas fühlt sich ein wenig in die Enge getrieben, weiß nicht recht, was und wie er antworten soll. Die Markus-Vorlage hat er hie und da verändert, auch schon aus einzelnen Sprüchen Jesu ganze Geschichten gemacht.

Zum Glück kommt in diesem Moment seine Frau und fragt, ob er gehen wolle oder ob sie sich noch ein wenig mit ihren Freundinnen unterhalten könne. „Unterhaltet euch nur weiter“, hört sie zu ihrer Verwunderung, und wundert sich auch, dass Lukas sich wieder diesem Kind zuwendet.

„Pass mal auf“, hört sie im Weggehen ihn sagen, „als Jesus vielleicht in deinem Alter ist“ –„Ich bin zwölf“, sagt der Junge schnell dazwischen – „Als Jesus also zwölf ist, zieht er wie jedes Jahr mit seinen Eltern und vielen anderen Leuten aus Nazareth zum Passahfest nach Jerusalem. Fromme Leute machen das so. Nach den Feiertagen bricht die Karawane wieder nach Nazareth auf, Jesus aber ist unerlaubt noch einmal zum Tempel gelaufen.

Abends, als ein Nachtlager errichtet wird, vermissen seine Eltern ihren Ältesten und suchen ihn bei den anderen. Finden ihn aber nicht, auch hat ihn keiner gesehen. Am nächsten Morgen – dass sie vor Sorge kaum schlafen, wirst du dir denken können - laufen sie nach Jerusalem zurück und beginnen, ihr Kind zu suchen - such du mal jemanden in einer Großstadt! Jedenfalls und um es kurz zu machen: Nach drei Tagen entdecken sie ihn. Ahnst du, wo?“ – „Im Tempel natürlich“, antwortet der Junge. „Richtig“, bestätigt Lukas, „Da sitzt dieser Knabe und diskutiert ernsthaft mit Schriftgelehrten, obwohl er noch kein Bar Mizwa gefeiert hat.“

„Bar was?“ will der Junge von Lukas wissen. „Bar Mizwa“, wiederholt Lukas und erklärt, dass jüdische Jungen mit 13, Mädchen mit zwölf Jahren religionsmündig werden und dann auch in Glau-bensfragen mitreden dürfen. Vorher erhalten sie entsprechenden Unterricht, und der Tag wird groß gefeiert.

Dann fährt Lukas fort: „Da sitzt also dieser Knabe und verblüfft die Schriftgelehrten mit seinen Fragen und mit seinen Antworten.

Seine Mutter schimpft mit ihm, macht ihm heftige Vorwurfe, was er ihr angetan hätte. Von seinem wortkargen Vater bekommt er kräftig ein paar hinter die Ohren. Aus beidem erkennt er die Sorge seiner Eltern und wie erleichtert sie sind. Gleichzeitig ist er wütend, und trotzig sagt er: „Was habt ihr denn? Dies ist das Haus unseres Vaters im Himmel Hier gehöre ich hin.“

Seine Eltern verstehen ihn nicht und fordern, dass er mitkäme, und zwar sofort. „Eltern!“ denkt er, geht aber gehorsam, wenn auch unwillig mit ihnen. - Nun, wie gefällt dir die Geschichte?“

„Ich unterhalte mich auch gern mit klugen Leuten“, antwortet der Junge selbstbewusst, und Lukas schmunzelt, „ich kann mir das gut von Jesus vorstellen, dass er jede Gelegenheit in Jerusalem genutzt hat. In Nazareth hatte er solchen Chancen wohl nicht, oder?“

„Bestimmt nicht, Nazareth ist eine verschlafene Kleinstadt, ich war ja da“, bestätigt Lukas und sieht seine Frau sich nähern. „Kommst du jetzt?“ befiehlt sie mehr als dass sie fragt, „wir kriegen nachher Besuch, und ich muss noch einiges vorbereiten.“ Lukas zuckt entschuldigend die Schultern zu dem Jungen hin und erhebt sich. „Eine Frage noch“, ruft der Junge, „ist die Geschichte nun passiert oder erfunden?“ – „Sie ist wahr“, antwortet Lukas.

Zu Hause angekommen, meint seine Frau, er solle nun endlich den Brief von Theophilus öffnen, sonst würde sie das machen. Die Drohung hilft, denn Lukas teilt seine Post äußerst ungern mit anderen, nicht einmal mit seiner Frau. Statt der erwarteten Vorhaltungen wegen ständig verschobener Termine liest Lukas die höflich formulierte Bitte, ob er vielleicht auch ein paar Geschichten über die Kindheit Jesu berichten könne, die Enkelkinder des Theophilus fragten ständig danach. „Ich muss jetzt arbeiten“, ruft Lukas in die Küche, setzt sich hin und schreibt auf, was er dem Jungen erzählt hat. Amen



Landespfarrer Paul Kluge
Leer
E-Mail: paul-kluge@t-online.de

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