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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reminiszere, 04.03.2007

Predigt zu Matthäus 15:21-28, verfasst von Inger Hjuler Bergeon

Es ist Fastenzeit. Da geht es um Versuchung. Es ist die Zeit des Kirchenjahres, in der es darum geht, geprüft, versucht, verändert zu werden. Am vergangenen Sonntag war die Versuchung Jesu in der Wüste der Predigttext. Und den heutigen Text können wir in Wirklichkeit auch eine Versuchung nennen, der Jesus ausgesetzt wird.

             Als Jesus in der Wüste versucht und geprüft wurde, geschah es mit Hilfe von den drei Fragen, wie er seine göttliche Kraft anwenden wolle, ob er sie benutzen wolle, um sich Macht und Ehre in der Welt zu erwerben oder sich zu Gott selbst zu machen. Ob er nein dazu sagen könne. Und es waren drei wirklich gute und verlockende Angebote. Und es gelang ihm, NEIN zu sagen.

             Heute wird er mit einer völlig anderen Frage auf die Probe gestellt, nämlich, wozu er JA zu sagen wagt. Und heute erliegt er der Versuchung. Heute hören wir eine Erzählung von der menschlichen Seite Jesu, inwieweit er versucht ist, keine Lust zu haben, und man kann fast sagen, Gott müsse einschreiten und ihn aufrütteln, und dazu benutze Gott die Frau.

             Es kommt eine Frau, eine nicht-jüdische Frau, schreiend zu ihm. "Herr, erbarme dich meiner, meine Tochter ist krank." Und Jesus, unser eigener Herr, der sonst doch immer so gut und aufmerksam ist und alle guten empathischen Eigenschaften besitzt - d.h. in dem Bild, das wir uns von ihm machen - Jesus antwortet ihr mit keinem Wort. Mit keinem einzigen Wort. Das macht den Jüngern Mut, noch einen Schritt weiter zu gehen: "Schick sie nicht weg, sie schreit uns nach."

             Wir hören nicht, dass er sie direkt fortschickt, aber wir hören, dass er sich klar und unzweideutig als einen betrachtet, der gesandt ist, also eine Aufgabe hat, aber NUR innerhalb der Grenzen Israels und nur für das jüdische Volk. Aber das veranlasst die Frau nicht aufzugeben. Sie wirft sich auf die Erde, und noch einmal nennt sie ihn Herr. "Herr, hilf mir!" Nicht mehr. Kein einziger Schmuck ist in ihrer Bitte. Nur dies nackte: "hilf mir!". Und zum zweiten Mal weist er sie zurück und bedient sich einer Redewendung, etwas kryptisch, etwas verblümt, um sie abzuweisen, und wie wir selbst wissen, ist es ja auch schwer, nein zu sagen. Das zeigt sich oftmals darin, dass wir unser Nein in Watte und verblümte Redeweise einpacken.

             Jesus packt sein Nein in einen anscheinend plausiblen und hübschen Satz - aber er ist eine klare Ablehnung. Und das Wort "Hunde", wenn auch "kleine Hunde", von anderen Völkern zu gebrauchen, - in der arabischen Welt ist das also keine Ehrenbezeigung. Ein Hund genannt zu werden ist eine Beschimpfung. Die Begriffe in verschwommene Wendungen einzupacken, sodass sein eigenes Volk "Kinder" und die Fremden "Hunde" heißen - ja, das macht die Ablehnung bestimmt nicht weniger schroff.

             Aber die Frau geht direkt auf seine Redensart ein, sprengt sie von innen her, setzt ihn schachmatt, schlägt ihn mit seinen eigenen Waffen, gibt ihm seine elegante Ablehnung zurück wie einen Bumerang, er seine Auffassung zerschlägt. Denn Hunde fressen, was die anderen nicht haben wollen. Und erst jetzt, beim dritten Versuch, als sie zum dritten Mal auf ihn eindringt, als sie ihn zum dritten Mal Herr nennt, da ist er in seiner Auffassung von sich selbst erschüttert. Ein Volltreffer! Jetzt sieht er, dass er gesandt ist, und zwar nicht nur zu seinen eigenen Landsleuten, sondern zu allen. Zu denen, die er selbst Fremde nennt, zu denen, von denen er in seiner ganzen Kindheit in der Synagoge gehört hat, man solle sich ihrer annehmen: "denke an die Fremden, die Waisen und Witwen, denn ihr wart selbst einmal Fremde." Diese Ethik und diese Moral anderen Gegenüber ist ihm, seit er ein kleiner jüdischser Junge war und in der Synagogenschule saß, aus dem Gesetz und den Propheten immer wieder vorgelesen worden.

             Und jetzt, wegen dieser schreienden Frau, dieser Frau in Not, dieser Fremden, die nicht aufgibt, weil sie ein Kind hat, das krank ist, - und aus Liebe kann sie nicht einfach untätig sein - diese Frau ist es, die Jesus zur Umkehr bringt. Er ist versucht, sie einfach nur zu übersehen, er hat keine Lust, auch noch die Fremden in seine Perspektive einzuschließen, aber er lernt dazu. Und das tut er genau an dieser Stelle. Wegen einer fremden Frau, einer Nichtjüdin, die sie eine Heidin nannten.

             Wir mögen es nicht, wenn man etwas Hässliches über Jesus Christus sagt, und wir wollen es nicht hören. Und deshalb kann man fast versucht sein, leicht darüber hinwegzugehen, dass er sie zweimal ablehnt, um dann schnell zum Schluss überzugehen und vom Glauben der Frau zu reden, den er groß nennt, und davon, dass er ihr Kind heilt. Es ist nicht angenehm zu hören, dass eine Frau in Not schreit und sich auf die Erde wirft und ihn zweimal um Hilfe bittet und dass er sie zurückweist. Das von Jesus Christus zu hören gefällt uns nicht. Und es fällt einem schwer, seine Ablehnung ganz ernst zu nehmen. Tut er es vielleicht nur so zum Schein, um die Spannung zu erhöhen und um sowohl die Jünger als auch die Frau und uns zu belehren? Diese Frage könnte man sich ja wohl stellen.

             Aber ich entscheide mich dafür, die Situation als eine wirkliche Prüfung zu betrachten, eine wirkliche Versuchung, bei der er tatsächlich in Schwierigkeiten gerät. Und ich möchte eine andere Erzählung danebenstellen, in der wir uns von vornherein einige Vorstellungen über das Gute und das Nicht-Gute gemacht haben, eine Erzählung, die der Geschichte hier Saft und Kraft gibt.

             In der Erzählung vom barmherzigen Samariter treten zwei Menschen auf, die wir nicht leiden mögen, und ein dritter, den wir gut leiden können, d.h. also in der religiösen Überlieferung. Die beiden ersten, den Leviten und den Priester, die auf dem Weg in den Tempel sind und deshalb nicht stehen bleiben, mögen wir nicht. Man denke: ihre religiösen Pflichten halten sie davon ab, einem notleidenden Mann zu helfen, der am Straßenrand liegt... Sie sehen ihn, gehen aber vorbei. Dann kommt der Dritte, ein Samariter, jemand, den man zu einer Tasse Kaffee nicht einladen würde, und der bleibt stehen. Auch er SIEHT, aber er bleibt stehen, macht Halt und hilft.

             Heute weist Jesus zweimal diese schreiende Frau, deren Kind krank ist, zurück. Zweimal hört und sieht er, aber ist abweisend - und zwar mit religiösen Argumenten. Er verläuft sich in die Argumentation, in der es um seine Sendung geht und darum, was er vor Gott tun muss. Man ahnt, finde ich, die Parallele zu den beiden Tempelpriestern und dem Samariter. Erst beim dritten Mal, als sie ihm auf den Leib rückt, innerhalb seiner eigenen Worte und Formulierungen, da bleibt er stehen. Und wird bekehrt.

             Seht, das war das Eine, was ich heute darüber sagen wollte, dass Jesus versucht wird. Versucht, keine Lust zu haben, aber er endet damit, dass er ja sagt. Er hilft. Sieht sich plötzlich selbst in einem neuen Licht. Nicht verlockender, nur verpflichtender. Nämlich als zu allen Völkern gesandt, und nicht nur zu seinen eigenen Landsleuten.

             Das Zweite, worüber ich etwas sagen will, ist, wie diese Frau auch zu einer Hauptperson wird, wenn Versuchung von uns handelt. Wenn wir geprüft werden. Wenn wir versucht sind, keine Lust zu haben, aufzugeben, alles sich selbst zu überlassen, zu resignieren.

             Diese schreiende Frau, die sich weinend auf die Erde wirft, erinnert mich daran, wenn wir schreiende Frauen sehen, die ihre Not direkt in die Kamera weinen. Wenn sie Bombenangriffe auf ihre Dörfer zeigen, mit ihren Kindern in Gefahr, wenn sie rufen, schreien, weinen. Und ihr Weinen und Heulen ist fast so schamlos, dass man sich am liebsten Augen und Ohren zuhalten möchte. Diese Frauen, überall in der Welt, wenn sie eine Kamera sehen, dann wenden sie sich an die Filmleute, als wollten sie sagen: "Da, seht doch hin. Und wenn ihr seht, dann tut doch etwas! Seht doch! Und wenn ihr seht, dann geht nicht vorbei!"

             Es ist diese Not, an die ich denke, wenn ich von unserer Frau heute höre. Eine weinende, bittende Frau, die nicht aufgeben will, denn ihr Kind, das ihr geschenkt ist und das sie beschützen soll, ist in Not.

             Die Frau, die Jesus anruft, hat keine flotten Formulierungen: dass er Gott selbst ist, dass er Christus ist, dass er der neue Messias ist. Wir wissen nicht, wieviel wir hier in dem Wort 'Herr' sehen sollen. Vielleicht nur eine höfliche Wendung; vielleicht schon ein beginnendes Bekenntnis: Herr - da sie es ja wiederholgt sagt. Darüber müssen wir ein andermal nachdenken, wie viel Bekenntnis sich hier verbirgt.

             Das Spannende ist doch: so wenig da auch sein mag, so ist es doch mehr als genug. Und genau dies bewirkt etwas in uns.

             Sie kommt mit einem Notschrei, und es ist dieser Notschrei, der immer wieder an die Tür klopft. Und schließlich hört er, was sie will.

             Sie ist ein Bild dafür, dass das undogmatische Gebet, das Gebet, in dem nicht alle richtigen Worte vorkommen, auch genügt, ja mehr als das. Der Schrei aus der Tiefe, wo wir nichts anderes sagen können als: "hilf mir!", ist genug.

             Dass ihr Glaube groß genannt wird, hat seinen Grund also nicht in ihrer Überzeugung und in der Tatsache, dass sie einen rechten Glauben hat, sondern es hat seinen Grund darin, dass sie nicht aufgibt.

             Sie ist lästig. Sie macht Ärger, sie stört. Und das heißt dann großer Glaube. So wird sie zum Beispiel. Wir sollen lästig sein, Ärger machen und stören, wenn es um das Leben anderer Menschen geht. Wir dürfen nicht aufgeben, wir dürfen uns nicht zurückweisen lassen. Und auch wenn wir vielleicht manchmal keine anderen Worte für Gott haben als "hilf uns", so ist das auch genug.

             Denn uns liegt doch jener Vorbehalt nahe: "Worum können wir Gott bitten? Und was nützt das? Worin sollen wir nicht Gott mit hineinziehen? Und selbst wenn ich bete, hat das eine Wirkung? Denn viele Menschen beten ja auch, aus der Tiefe, und hilft das etwa...?"

             So haben wir viele Vorbehalte. Und keinen davon können wir so einfach wegzaubern, indem wir sagen: "so dürfen wir nicht denken". Denn so denken wir doch! Und wir können nur mit dem Vertrauen beten, das in der bloßen Hinwendung liegt, und zugleich mit den Vorbehalten, die ein Teil von uns selbst sind.

             Was bewirkt, dass wir auf dem Beten beharren, mit dem Vertrauen, das wir nun einmal haben, und mit den Vorbehalten, die wir nun einmal haben, ist die Tatsache, dass das Gebet ein Dialog, ein Gespräch zwischen zweien ist. Zwischen uns und Gott. Und wenn wir das Gespräch aufhören lassen, ja, dann wird es seltsam still in dem Verhältnis. Was soll Gott antworten, wenn wir nicht fragen? Und was sollen wir antworten, wenn wir Gottes Fragen nicht entdecken und nicht auf sie hören? Wie etwa in einer Ehe, wenn das Gespräch verschwunden ist, - wie merkwürdig still wird es da nicht. Und das ist nicht besonders angenehm. Und Entsprechendes könnten wir tatsächlich auch über unser Gebet und über das Verhältnis zwischen Gott und uns sagen. Wir sollen ausharren. Anklopfen. Vielleicht mit wenigen, fast armseligen Worten, wie denen der Frau. Ihre Worte waren nicht viele, aber sie wusste, worauf sie hinauswollte: die Rettung eines anderen Menschen. Und mit diesem Kind vor Augen ließ sie sich von Jesus nicht zurückweisen. Von ihm, der geglaubt hatte, sich mit seiner bilderreichen Redeweise aus der Affäre gezogen zu haben - aber er hat dazu gelernt!

            Und wir haben dazugelernt. Man denke: er wollte auch die Fremden. Auch uns. Gott wollte auch uns, mit seinem Sohn. Gott will auch uns.

Pastorin Inger Hjuler Bergeon
Finsens Allé 25
DK-5230 Odense
E-Mail: ihb@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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