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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Epiphanias, 06.01.2016

Das habe ich nicht erwartet
Predigt zu Matthäus 2:1-11, verfasst von Uwe Vetter

Liturgische Lesungen

 

Adventsgeschichte Micha 5

Und du, Bethlehem Ephratha, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll Mir kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. … (3) Er wird auftreten und weiden in der Kraft des HERRN und in der Macht des Namens des HERRN, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden, so weit die Welt ist. (4) Und er wird der Friede sein.

 

Heiligabendweihnachtsgeschichte Lukas 2

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. (2) Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit, da Cyrenius Landpfleger in Syrien war. (3) Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. (4) Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa … in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war… mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. (6) Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. (7) Und sie gebahr ihren ersten Sohn, und wickelte ihn in Windeln, und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

Epiphaniasweihnachtsgeschichte Matthäus 2

Da Jesus geboren war zu Bethlehem im jüdischen Lande zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise vom Morgenland nach Jerusalem und sprachen: (2) „Wo ist der neugeborene König der Juden ? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihm zu huldigen.“ … König Herodes (8) wies sie nach Bethlehem und sprach: “Ziehet hin und forschet fleißig nach dem Kindlein; und wenn ihr´s findet, so sagt mir´s wieder, dass ich auch komme und ihm huldige.“ (9) Als sie nun den König gehört hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, ging vor ihnen hin, …. (10) Da sie den Stern sahen, wurden sie hoch erfreut (11) und gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und verneigten sich und huldigten ihm und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe.  

 

1

Die Weisen kamen einen weiten Weg, auch Joseph machte sich auf… warum machen Menschen sich auf? ° Die einen müssen einfach nur mal raus, dem Alltag entkommen, genervt und gestresst von der Enge der Stadt[1]. ° Die andern wandern in Kerkelings Spuren den Jakobsweg, ob nun als geistliches Exerzitium oder einfach in der Hoffnung, auf wochenlangen Wanderungen wen zu treffen, der ganz nett ist. ° Manche sind „auf dem Weg zu sich selbst“.

Obwohl niemand sicher sein kann, ob das wirklich ein Weg mit einem lohnenden Ziel ist. „Seltsam, dass so viele Menschen heute auf dem Weg zu sich selbst sind[2],… „obwohl das der (Weg) … mit dem unattraktivsten Ziel … ist“. Man kommt bei sich an, „tja, und dann? Dann ist man endlich bei sich selbst angekommen und“ sagt sich peinlich berührt: Wie sieht´s denn hier aus !! „Wieso stehen bei sich selbst so viele ungelöste Probleme herum …? Woran liegt es, dass bei sich selbst immer nur so eine Art Notbeleuchtung glimmt – hat es damit zu tun, dass schon so viele Sicherungen durchgebrannt sind ? Wie kann es sein, dass man bei sich selbst weniger erfährt als in einer herkömmlichen Maischberger-Sendung? Weshalb kann man bei sich selbst so wenig Anregungen für sich selbst bekommen?“[3] Wer nur auf der Suche nach sich selbst ist, auch dem gilt die sarkastische Bemerkung von Paul Watzlawik: Vor dem Ankommen wird gewarnt![4]

° Manche rappeln sich auf und betreten das neue Jahr mit einem Schrankkoffer voller guter Vorsätze, Termine, Aufgaben, Zielvorgaben, die im alten Jahr gefasst und vereinbart wurden.

Nicht alle Menschen machen sich freiwillig auf. Manche gehen, weil sie müssen. Wie Joseph. Wissen Sie, warum Joseph sich aufgemacht hat? Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. … Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa … in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war…

   Ich weiß, wir sind alle brave Steuerzahler; und deshalb stellen wir uns auch Joseph als braven (deutschen) Steuerzahler vor, der sich Schicksal ergeben an seine Steuererklärung macht und die Formblätter „Allgemeine Angaben“ und „Einkünfte aus selbständiger Arbeit“ und „Kinder“ persönlich beim zuständigen Finanzamt Bethlehem abgibt. Der jüdische Publizist Pinchas Lapide hat einen anderen Joseph ins Gespräch gebracht. Joseph kommt aus Galiläa, der Unruheprovinz im Norden. Dort gab es immer wieder Aufstände : ´Römer, verzieht euch!` stand an den Hauswänden. ´Besatzung - nicht von meinem Geld!` Jeder messianische Aufstand begann mit einem Steuerboykott. Doch der Kaiser lässt durchgreifen: Ein Gebot ging von dem Kaiser Augustus aus, dass alle Welt geschätzt würde. Jeder, ob Säugling oder Greis, soll jetzt namentlich in Steuerlisten erfasst werden. Das wars. Die Aufständischen nehmen Frau und Kind und machen sich davon. Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa und sucht Zuflucht bei seiner Sippe; er setzte sich ab in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war… Vielleicht waren viele andre mit Joseph auf der Flucht. Und das LaGeSo von Bethlehem wurde mit dem Ansturm der Ankömmlinge nicht auf Anhieb fertig. Als Maria ihr Kind gebahr, legte sie es in eine Futterkrippe, denn es war kein Raum in der Herberge. Wenn Wirklichkeit auf Ordentlichkeit stößt, krachts. So war das, so ist das.

2

Aber dann lässt uns die Weihnachtsgeschichte auch wieder Spielraum. Sie lässt uns Zeit, das Bild zu erfassen. Was hatte Joseph dabei, als er sich aufmachte ? Seine Frau hatte er dabei. Die Kunst malte noch einen Esel dazu, der die hochschwangere Maria trug. Was noch ? Wer flieht, nimmt nur das Nötigste mit. Doch wer seine Heimat verlassen muss, reist niemals unbeschwert. Flüchtlinge lassen alles zurück, und tragen doch eine schwere Last. Der Künstler Daniele Franzella hat es sichtbar gemacht: Der Esel, mit dem Joseph und Maria nach Bethlehem zogen, der Esel ist hochbepackt. Aber nicht mit der werdenden Mutter, wie auf traditionellen Darstellungen. Franzella hat den Esel mit Traumata beladen. Mit Dingen, die einen bis in die Träume verfolgen. Man sieht Kriegsgerät. Ein Kanonenrohr. Eine Tambourtrommel. Ein Gewehr. Einen Helm. Menschen lassen Elend hinter sich und haben es doch ständig dabei. Sie machen sich auf, und es lastet auf ihnen, als gebe es kein Entkommen.

Das ist wahr, aber es ist nicht die ganze Wahrheit! widerspricht die Weihnachtsgeschichte. - Doch, so ist es wohl! Wir schleppen das letzte Jahr mit ins neue Jahr hinein, und was schwer war, scheint immer ein wenig schwerer zu wiegen als das Gute, was wir erlebten. Wir sind Geiseln der Vergangenheit, Diener dessen, was war und das neue Jahr im Planungsgriff hat. Das Neue ist nur die Folge des Alten, beharrt die Erfahrung. – Das ist nicht die ganze Wahrheit! widerspricht die Weihnachtsgeschichte. Es wartet etwas Erlösendes auf die Packesel! sagt sie. Bleibt nicht bei euch selbst. Schaut nach Bethlehem! Kommt nach Betlehem, dort wartet etwas auf euch. Dort wartet auf euch, was ihr nicht erwarten werdet.    

3

Waren Sie mal in Bethlehem? Nicht gerade ein Ort, wo der ICE hält. Gut, die Geburtskirche ist ein Pilgermagnet. Und wer fromm gestimmt ist, lässt sich von Touristenführern das Feld zeigen, „auf dem die Hirten bei ihren Herden gewacht haben“. Bethlehem verdient sein Brot mit christlicher Weihnachtsfolklore. Zu biblischer Zeit war es ein unscheinbarer Marktflecken am Rande der judäischen Wüste. Beth-Léchem, Haus-des-Brotes, Brothausen, eine Raststätte mit Karawanenzubehör und Herberge für Durchreisende, die kleine unter den Städten in Juda. Mann, wer kommt schon aus Bethlehem. - Könnte man meinen, hätte der Ort nicht einen prominenten Sohn: David, König David stammt aus Bethlehem. Das ist der, dem Gott feierlich die Treue auf ewig geschworen hat. Dieser himmlische Treueschwur wirft seitdem ein verheißungsvolles Licht auf diesen Winkel. Bethlehem, hieß es unter den Weisen, ist noch mal für eine Überraschung gut. Irgendetwas wird mal aus dem Hause Davids kommen, das hält man nicht für möglich. Und du, Bethlehem Ephratha, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll Mir kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. … (3) Er wird das Volk weiden in der Kraft des HERRN und in der Macht des Namens des HERRN, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden, so weit die Welt ist. (4) Und er wird der Friede sein. Bethlehem rockt, sagt die Weihnachtsgeschichte. Nun, einige lockt das. °Joseph und Maria machen sich auf; die °Hirten gehen nachschauen, vom Engel-auf-dem-Felde geweckt.[5] °Weise aus dem Morgenland lassen sich von einem Stern nach Bethlehem lotsen. Bleib nicht ganz bei dir, komm nach Bethlehem, sagt die Weihnachtsgeschichte. Da ist was, das du nicht erwartest. Da ist wer, der auf dich wartet.

4

Die Geschichte kennen Sie: mit jedem, der hingeht, passiert etwas Bewegendes, Belebendes, etwas, das ihm das Herz leichter macht. °Joseph träumt keine Alpträume, er träumt rettende Auswege. °Maria und ihr Kind wohnen sicher. °Die Hirten schwärmen aus und schwärmen von einer Sensation: Ein Retter, auch für kleine Leute wie sie! °Die Weisen kommen, sehen, verneigen sich und machen hocherfreut – weil selber reich beschenkt - Geschenke. Ob der alte Simeon oder die einsame Hanna, da ist keiner in der Weihnachtsgeschichte, der nicht sein Päckchen zu tragen hätte. Doch alle reagieren wie ein Packesel, dem man gerade den Packsattel vom Rücken genommen hat. Sie recken, strecken und schubbeln sich und dehnen sich wie erlöst und drehen wie von der Leine gelassen eine kleine Runde durch die Welt.

   Seit jenen Tagen in Bethlehem heißt es unter Christen: In Bethlehem ist der Erlöser geboren. Kleiner, als erwartet, und größer als man denkt. Gott erlöst das neue Jahr vom alten. Gott macht Raum für Neues. Wer Gott begegnet, ist nicht Geisel seiner Vorgeschichten. Wer Gott trifft, ist nicht mehr nur der Packesel seiner Traumata, Kränkungen und Verletzungen. Geht nach Bethlehem. Dort wartet etwas, das alle Erwartungen übertrifft.

*

Deshalb trifft sich heute, an Epiphanias, um Sieben, die halbe Weltchristenheit gleichsam in Bethlehem. Wir kommen an, wie ein Franzella-Esel, das alte Jahr auf dem Buckel. Die einen mit einem turmhohen Stapel von guten Vorhaben, Selbstoptimierungsprojekten und Fremderwartungen, Verantwortungen, Zusagen und wir-schaffen-alles-Versprechen; stolpern rein mit wankenden Knien wie der Franzella-Esel. Andre kommen an mit einem Rucksack voller Alpträume, von Krieg oder Chaos oder Armut gemacht. Hochbeladen und verschnürt wie die Packesel schaffen wir es bis in den Bethlehemgottesdienst am 6.Januar. Hier bitten wir Gott: Nimm uns das ab. Für eine Stunde. Und dann erzähl uns Deine Geschichte von der Erlösung; dass man auch was zurücklassen kann; dass wir nicht Gefangene unserer Geschichte sind; dass es Neuanfänge gibt; und Auswege für den, der sich verrannt hat; Leben aus dem Nichts; Auferstehung der Halbtoten. Wir sind hier und bitten Gott: Erzähl uns nochmal Deine Geschichte. Erzähl sie uns so, dass wir sie selber spüren, und staunen, und sagen: Wasn´t expecting that.[6] Das hatte ich nicht erwartet.

Amén.

 

Ü Weihnachtsgeschichteerzähllied eg.52:1-6 Wisst ihr noch wie es geschehen ?

 

[1] „Lass uns gehen“, Aussteiger-Hymne 2014/15 der Gruppe ´Revolverheld`: „Hallo hallo / bist du auch so gelangweilt, / genervt und gestresst / von der Enge der Stadt ? / Bist du nicht auch längst schon müde / der Straßen, der Menschen, der massen / hast du das nicht satt ? … Lass uns hier raus…lass uns geheh, lass uns gehen, lass uns gehen“.

[2] frotzelt der Autor des „Streiflicht“ in der Süddeutschen zum Heiligabend 2015.

[3] Streiflicht, Süddeutsche Zeitung 24./25./26.12.2015, Seite 1.

[4] Paul Watzlawik, „Vor Ankommen wird gewarnt“ in. Anleitung zum Unglücklichsein.

[5] Die Ortsangabe des Engels unterstreicht deutlich den symbolischen Ort: „Euch ist heute der Heiland geboren…in der Stadt Davids“ LukasEvg2:11; und die Hirten wiederholen den Ortsnamen, als sollte dem Leser der Weihnachtsgeschichte der Name in den Ohren klingeln: „Lasst uns nun gehen nach Bethlehem“.

[6] Der aktuelle Song von Jamie Lawson



Pfarrer Uwe Vetter
Düsseldorf
E-Mail: uwe.vetter@evdus.de

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