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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Epiphanias, 10.01.2016

Predigt zu Römer 12:1-2, verfasst von Hans-Otto Gade

 

Misericordias Domini

Liebe Gemeinde,
die Barmherzigkeit Gottes wohnt in der St. Petri-Kirche zu Buxtehude! Sie sind verwundert und glauben mir nicht? Ich kann das beweisen! Blicken wir mal ein paar Jahrhunderte zurück: Im Mittelalter dauerten die Messen an Sonn- und Feiertagen schon mal locker drei Stunden. Die Priester wechselten einander bei der Liturgie ab und verschwanden zur Vorbereitung auf den nächsten Teil in der Sakristei. Die armen Chorherren jedoch standen während der Messe fast die ganzen langen drei Stunden im Chorgestühl.
Dazu waren die Sitze hochgeklappt und die Chorherren konnten zumindest ihre Arme auf die Armlehnen stützen. Das war aber nicht die einzige Erleichterung für diese heiligen Männer: Unter dem Sitz war eine halbmondförmige Vorwölbung befestigt, die bei hochgeklappter Chorherrenruh wie ein kleiner Sitz wirkte. Auf diesem Vorsprung konnten die Chorherren die Verlängerung ihres Rückgrates abstützen und so besser die Messe über“stehen“.  Diese hilfreiche Vorwölbung hat einen Namen: „Misericordias Domini“ – Barmherzigkeit des Herren, Barmherzigkeit Gottes.
In St. Petri-Buxtehude ist diese „Misericordias Domini“ – Barmherzigkeit Gottes – noch heute zu sehen und in manchen langen Osternachtsgottesdiensten war uns diese mittelalterliche Erfindung eine hilfreiche Stütze. Im wahrsten Sinne des Wortes.

In vielen anderen Kirchen können Sie diese „Misericordias Domini“ auch bewundern und sagen: In dieser Kirche wohnt die Barmherzigkeit Gottes. Wohnt sie dort? Wohnt die Barmherzigkeit Gottes in der Kirche nur als hölzerner Hilfssitz am Chorgestühl? Oder ist in den vielen Kirchen auch auf andere Weise etwas zu spüren von der Barmherzigkeit Gottes? Ist in unseren Kirche etwas zu spüren von den ganz selbstverständlichen Folgen dieser Barmherzigkeit Gottes uns gegenüber? Ist in unseren Kirchen etwas zu spüren von der hingebenden Liebe Gottes zu uns?
Oder sind unsere Gottesdienste nur der Vollzug eines Ritus‘, der nun mal für jeden Sonntagvormittag so vorgeschrieben ist?

Der Apostel Paulus schreibt an die Christengemeinde in Rom:

1 Ich ermahne euch nun, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst.

Gottes Barmherzigkeit – das ist die Basis und das ist die Autorität für die Mahnungen und Weisungen des Apostels Paulus. Es ist die Aufgabe des Christen, sein Leben ganz praktisch Gott zur Verfügung zu stellen. Das ist der Inhalt dieser Mahnungen im 12. Kapitel des Römerbriefs. Nur eine solche Hingabe, ein solches Opfer ist die einzig angemessene Antwort auf die Misericordias Domini, auf die Barmherzigkeit Gottes.

Das bedeutet nun nicht, dass sonntägliche Gottesdienste nach einer feststehenden Liturgie im Gegensatz zu den Mahnungen des Paulus stünden. Das bedeutet nicht, dass unser Sonntagsgottesdienst ein „unvernünftiger Gottesdienst“ sei. Unser Normalgottesdienst wird erst dann „unvernünftig“, wenn diesem Gottesdienst nichts folgt. Wenn er einfach so stehen bliebe ohne Auswirkungen auf das Leben in der Gemeinde. Auswirkungen auf das Leben in der Gemeinde darum geht es hier. Nicht um weltumfassende und weltverbessernde Strategien.

…. dass ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist

In dem Lied „Sonne der Gerechtigkeit“ heißt es in der zweiten Strophe: Weck die tote Christenheit aus dem Schlaf der Sicherheit. Vor Jahren habe ich dieses Lied gern gesungen, vor allem als feuriger Student. Aber jetzt? Diese zweite Strophe singe ich nicht mehr mit, denn die Christenheit ist nicht tot! Das zeigt jede Gemeinde mit dem wie sie betet, singt, Gottesdiente feiert, füreinander da ist, miteinander spricht über den Weg der Gemeinde in die Zukunft und aufmerksam tätig offen ist für die Sorgen und Nöte des Nächsten in Fern und Nah.

Die Gemeinde Jesu Christi war und ist also lebendig, und Paulus mahnt uns, lebendig zu bleiben, lebendige Glieder der Heimatgemeinde und der einen großen Gemeinde Jesu Christi auf Erden zu bleiben.

Und wir sind – der zweiten Mahnung des Paulus entsprechend – heilig. Nicht weil wir wie Heilige lebten, nicht weil wir als Christen immer besser seien als „normale“ Menschen. Wir sind heilig, weil Jesus Christus uns geheiligt hat durch sein Kreuz und seine Auferstehung. Wir sind heilig, weil wir, wie es im Glaubensbekenntnis heißt, zur „Gemeinschaft der Heiligen“ gehören. Durch unsere Taufe, die wir im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes empfangen haben.

Und wir leben der dritten Mahnung des Paulus entsprechend Gott wohlgefällig. Weil wir uns einsetzen in unserer Gemeinde, weil wir mit unseren Stimmen, mit unseren Herzen, mit unseren Händen Gottesdienste feiern, das Gemeindeleben fördern, Gottes Wort weiter tragen und als freundliche Diakone Gottes den Menschen begegnen, die unsere Hilfe notwendig brauchen.

Und damit hören wir auf den zweiten Satz des Apostels Paulus. Er schreibt nach der Rückbesinnung auf die Barmherzigkeit Gottes und die Mahnung zum „vernünftigen Gottesdienst“ weiter:
2. Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.

Stellt euch nicht dieser Welt gleich … diese Mahnung ist im Jahre 55/56 zunächst einmal an die Christen in Rom gerichtet. Und für diese ca. 4 - 5000 Römischen Christen zur Zeit dieses Paulusbriefes war „die Welt“ ausschließlich die Stadt Rom mit ihren damals über eine Million Einwohnern und einem zu der Zeit noch sehr beliebten neuen Kaiser namens Imperator Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus Pontifex Maximus – kurz Nero.

Die Welt: Das war die Stadt Rom mit ihren unendlich reichen „Oberen 200.000“ und deren Zehntausenden von Sklaven, mit ihren Gladiatorenkämpfen und Tierhetzen, mit ihren mörderischen Pferderennen, mit ihren verarmten Kleinhandwerkern und Händlern, mit ihren Bettlergilden und Ganoven. Die Welt: das war der tägliche Kampf um den Denar, der zum Leben notwendig war, das war der zum Überleben erforderliche Ellbogen, der mir und meiner Familie einen kleinen Vorteil verschafft. Und die Welt in Rom, das waren die unendlich vielen Altäre, an denen eine unübersehbare Zahl von Göttern und Untergöttern angebetet wurden, damit das Leben von Missgeschick und Unglückfall verschont bliebe.

Stellt euch nicht dieser Welt gleich…
Die Christen in Rom haben sich nicht „dieser Welt“ gleichgestellt. Und deswegen haben sie sehr eng und abgeschlossen in ihrer Christengemeinde gelebt, deswegen sind sie sehr misstrauisch beäugt worden, deswegen standen sie außerhalb der Gesellschaft, deswegen sind ca. 200 von ihnen später Opfer eines wahnsinnigen Nero geworden.

Das gute Miteinander in der Gemeinde war den Christen damals wichtig: Sie haben miteinander geteilt, was  jeder hatte, und sie haben miteinander das manchmal unerträgliche Leben und Leiden getragen. Und vor allem: Sie haben miteinander den einen Herrn Jesus Christus angebet und keinen der vielen Götter in Rom.

Stellt euch nicht dieser Welt gleich …
Das bedeutet für uns heute: Macht nicht alles mit was der Zeitgeist so fordert. Prüft, …. was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.
Dafür gibt es keine allgemeinen Handlungsanweisungen, sondern muss von Fall zu Fall entschieden werden. In der Gemeinde Jesu Christi und als Gemeinde, als christliche Gemeinschaft! Deswegen sind ja unsere Sonntagsgottesdienste so wichtig, weil da nicht nur der Dreieinige Gott angebetet wird, sondern auch Hinweise gegeben werden können für das was Gott von uns erwartet.

Mir fallen mehrere Beispiele ein, wo wir Christen Gottes Willen tun können, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene. Ein einziges Beispiel möchte ich nennen:

In dieser Zeit, in der gerade mal wieder der Winter ausgebrochen ist, denke ich vor allem an die vielen  Menschen ohne Wohnung, die von unserer Welt, von unserer Gesellschaft schlichtweg vergessen werden:
In Deutschland „leben“ 380.000 Menschen auf der Straße. 380.000 Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen keine Wohnung haben. „Die Welt“ um uns herum hat diese Menschen völlig vergessen. Es ist an uns Christen, uns nicht der Welt gleichzustellen, sondern einzutreten für das menschenwürdige Lebensrecht dieser Menschen.
Wer im Internet stöbert wird sehr schnell Möglichkeiten zur Hilfe finden.   Und es stünde einer Gemeinde gut an, als Christengemeinde an dieser Stelle aktiv zu werden. Nach Gottes Willen!

Denn wir müssen uns fragen: wohnt die  Barmherzigkeit Gottes wirklich in unserer Kirche? Oder ist sie doch nur Teil eines Möbelstücks?

Gott war und ist mit uns barmherzig durch Jesus Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen. Und der Heilige Geist schenkt uns immer wieder offene Herzen, offene Sinne und offene Hände, damit wir von dieser Barmherzlichkeit unser eigenes gottgegebenes Leben voller Vertrauen gestalten.
Amen



Pastor i. R. Hans-Otto Gade
21614 Buxtehude
E-Mail: hans-otto.gade@ewetel.net

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