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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Epiphanias, 10.01.2016

Licht der Barmherzigkeit
Predigt zu Römer 12:1-3, verfasst von Eberhard Busch

Es lohnt sich, das Kapitel 12 des Römerbriefs im Ganzen zu lesen. Es wird in den Sätzen, die unserem Predigttext folgen, ungeheuer praktisch. Ich sage: ungeheuer, weil da derart steile Ermahnungen ausgesprochen werden, dass Christen und speziell Theologen sich beeilt haben, die Aussagen abzumildern und für uns erträglich machen. Und dies so lange, bis die Sätze von uns nicht mehr verlangen als das, was wir ohnehin gewöhnlich für richtig halten. Aber man höre sich wenigstens einmal an, was uns da gesagt wird! „In der Ehrerbietung schätze einer den anderen höher als sich selbst! Pflegt die Gastfreundschaft! Richtet euren Sinn nicht auf die hohen Dinge, sondern lasst euch zu den geringen Dingen hinziehen! Wenn dein Feind hungert, so speise ihn; wenn er dürstet, so tränke ihn! Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse durch das Gute!“

Das sind in der Tat steile Sätze über das uns Gebotene. Und offenbar wird uns zugetraut, dass wir das auch tun. Wir sind hier eingeladen und ermahnt, nicht nur christlich zu glauben, sondern auch christlich zu leben. Denn sonst ist es mit unserem Christentum wie ein schwacher Windhauch, der kaum auch nur ein Blättlein an den Bäumen bewegt, geschweige ein Windrad kreisen lässt. Doch wie kommen wir jemals dazu, tätig etwas in Bewegung zu setzen und so zu leben? Davon redet unser Predigttext, der am Anfang des Kapitels 12 im Römerbrief steht. Wir sehen hier gleichsam den Nagel an der Wand, an dem alles Weitere hängt.

Dieser Anfang stellt das Ganze unter den Blickwinkel der Barmherzigkeit Gottes. Alle folgenden Ermahnungen sind in diesem Licht zu verstehen und zu befolgen. In diesem Licht sind sie kein finsteres Gesetz, das uns bei Nichterfüllung Strafe androht, und sind auch keine bloße Forderung, bei der man selbst zusehen muss, wie man sie erfüllen kann. Der Apostel weist uns vielmehr hin auf das Erbarmen Gottes. Erbarmen, Barmherzigkeit heißt hier anderes als ein gelegentliches Gefühl, das dann bald durch andere Gefühle abgelöst wird. Erbarmen – das ist in einem Wort das Leben Gottes, in dem ihm unser Leid zutiefst zu Herzen geht, so dass es ihn dauernd umtreibt, so dass es ihn hintreibt an unsere Seite, so dass er sich ganz und gar hingibt zum Beistand der Betrübten und zum Aufrichten der Leidenden.

Unter Berufung auf diese seine Barmherzigkeit ermahnt der Apostel euch, ihr lieben Christen: Sie trägt und sie ermutigt euch. Von da aus denkt und orientiert euch! Mehr noch: Von da aus bekommt ihr die nötige Kraft und den Willen, so dass ihr gar nicht anders könnt, als jeweils so zu verfahren, dass ihr ihm in enger Bindung an ihn nachfolgt in seinem Geist. Ihr könnt euch dabei nicht noch eine Rückzugsmöglichkeit offen halten. Lebt ihr ganz und gar von Gottes Güte, so gehört ihr ganz und gar diesem gütigen Gott. Dann gehört ihr ihm nicht nur seelisch, sondern auch mit eurem Leib, wie Paulus ausdrücklich betont, also mit eurer ganzen Person. In solcher Bindung an ihn tut ihr gern, was ihm wohlgefällt.

Paulus redet dabei die Christen als Geschwister an. Denn das Bekenntnis dazu verbindet sie miteinander und treibt sie an, miteinander zu handeln, nicht gegeneinander und nicht jeder je für sich, sondern in Verbundenheit und Verständigung mit anderen. Nicht jeder hat das Gleiche zu tun, aber sie haben bei aller Vielfalt nicht in Konkurrenz handeln, sondern so, dass ihre Tätigkeiten sich ergänzen und gleichsam Hand in Hand ineinander greifen. Und wenn sie bei Trost sind, werden sie auf Gottes Zuwendung zu uns allesamt so antworten, dass sie nun ihrerseits sich diesem Barmherzigen anvertrauen und sich mit ihm verbinden. Ja, sie werden sich jetzt regelrecht aufopfern in seinem Dienst, in der Spur dessen, der sich für sie und nicht nur für sie, sondern für immer weitere aufgeopfert hat. Seine Hingabe haben sie nicht zu wiederholen, aber sie haben sich durch sie bestimmen zu lassen.

In seiner Bindung an den barmherzigen Gott ist ein solcher Dienst ganz vernünftig, ein „vernünftiger Gottesdienst“, wie Paulus sagt. Es hat immer wieder Christen gegeben, die dieses Vernünftige getan und sich dafür geradezu aufgeopfert haben. Sie haben es nämlich begriffen: Der Glaube schaltet den Verstand nicht ab. Er schaltet ihn an. Er leitet dazu an, selbständig zu denken und zu handeln. Er macht frei davon, seine Fahne nach dem Wind zu hängen und sich anzupassen an das, was jeweils in Mode ist. Er hilft, im Gedränge nicht den Kopf zu verlieren, sondern den Kopf oben zu behalten. Aber sind es nicht immer nur einige Christen gewesen, die auf dieser Spur gelebt, gedacht und gehandelt haben? Und die anderen Christen? Sind sie „unvernünftig“ gewesen? Haben sie denn das überhört, was ihnen hier gesagt ist? Sind sie bloß „getaufte Heiden“, wie das ein berühmter Theologe einmal formuliert hat?

Der Beweis, ob sie solche vernünftigen, mündigen Christen sind, ist, dass sie sich „nicht der Welt gleich stellen“. Die Welt – das sind die weitum herrschenden Mächte, sind auch die Ideen, denen die Meisten anhängen oder die die Reklamen- und die Medienwelt uns als up-to-date einflüstert, als etwas, was „in“ ist. Jene mündigen Christen lehnen das nicht einfach ab. Aber sie behalten den Kopf oben. Sie richten sich nicht nach der „Welt“, weil sie sich zuerst und immer wieder zuerst auf Gott hin ausrichten. Sie nehmen den Satz des Petrus ernst: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg. 3,29). Sich nicht nach der Welt richten, das heißt aber nicht: sich abkapseln in einen frommen Innenraum und nicht mehr hören auf das, was Andere in der Welt an Wahrheit erkannt haben. Keinesfalls fromme Sturheit und Unbelehrbarkeit und Eigenbrötelei ist da angebracht. Sondern darauf kommt es an: wachen Auges zu sehen, wo wir heute herausgefordert sind, entsprechend dem Wort Gottes zu reden und zu handeln. Da müssen wir eventuell gegen den Strom schwimmen und dabei in Kauf nehmen, eben doch als stur und unbelehrbar und eigenbrötlerisch beschimpft zu werden. Dabei kann immerhin vorkommen, was Jesus in seiner gesegneten Freiheit gesagt hat: „Die Kinder der Welt sind klüger als Kinder des Lichts“ (Lk. 16,8).

Sich nicht nach der Welt richten, das kann unter Umständen eben auch heißen, sich nicht nach grundverkehrten Anweisungen einer Kirchen-Leitung richten. Das war der Fall bei dem jungen Helmut Hesse, der während der Zeit des Zweiten Weltkriegs öffentlich erklärte: Es müsse sogar die angeblich „Bekennende Kirche“ von ihrem „Irrweg umkehren und nicht mehr ihr Handeln bestimmen lassen durch menschliche Berechnungen der Gefahr (in die sie sich damit bringt), sondern durch den Glauben an Gottes Wort.“ Denn „als Christen können wir es nicht mehr länger ertragen, dass die Kirche in Deutschland zu den Judenverfolgungen schweigt. Sie darf nicht länger versuchen, vor dem gegen Israel gerichteten Angriff sich selbst in Sicherheit zu bringen. Sie muss vielmehr bezeugen, dass mit Israel sie und ihr Herr Jesus Christus selbst bekämpft wird. Dem Staat gegenüber hat die Kirche die heilsgeschichtliche Bedeutung Israels zu bezeugen und [hat gegen] jeden Versuch, das Judentum zu vernichten, Widerstand zu leisten.“ Kaum ein Christ hat damals das so offen gesagt. Wegen dieser treffenden Worte wurde Helmut Hesse verhaftet und in das KZ Dachau gebracht, aus dem er nicht mehr lebend zurückkam.

Wir stehen in unserer Zeit nicht in der selben Situation wie dieser junge Kandidat der Theologie. Aber er ist uns ein Vorbild, wie wir in unserer anderen Zeit doch auch entschlossen, aufrecht und hingebungsvoll den barmherzigen Gott in Wort und Tat zu bekennen haben. Es versteht sich nicht von selbst, was wir heute zu sagen und zu tun haben. Wir haben auf alle Fälle dabei auf die Mahnung des Apostels Paulus zu hören: „Richtet euch nicht nach Welt, sondern – jetzt kommt das alles Entscheidende - ihr habt zu prüfen, was der Wille Gottes ist.“

Nicht aus irgendeinem Oppositionsgeist, nicht aus einem Verliebtsein in ein Querulantentum habt ihren euren eigenen Weg zu gehen, vielleicht zuweilen einen anderen, als ihn die Meisten gehen. Sondern wir haben strikt zu fragen: Was will Gott jetzt von uns, von mir, in meiner Situation, in meinem Beruf, und dies in der Bereitschaft, ihm zu folgen. Da ist es nicht genug zu sagen: Dies und das war immer schon richtig oder die allermeisten denken nun einmal so. Vielmehr wird es in der Regel so sein, dass uns jeweils ein je Besonderes geboten ist, vielleicht nicht alle zehn Gebote miteinander, sondern alle zugespitzt auf ein einziges, jetzt ist dieses und jetzt jenes brandaktuell. Jetzt „ihr sollt nicht andere Götter haben neben eurem Gott“ und jetzt „du sollst nicht töten“ oder „du sollst nicht stehlen“.

Dass wir jeweils das Richtige erkennen, mag im Einzelnen nicht ganz einfach sein. Und was wir dann als das Gebotene erkennen, mag uns vielleicht auch einiges, ja vieles kosten. Aber wiederum ist es auch ganz einfach zu begreifen: „Dies ist der Wille Gottes“, eben des barmherzigen, gütigen Gottes, der all seine Menschen liebt und leben lassen will. Vor ihm haben wir uns im Grunde zu verantworten. Er kann es uns schenken, dass uns dabei eine Gemeinschaft von Brüder und Schwestern zur Seite steht. Und wenn wir so handeln, so kommt es überhaupt nicht darauf an zu sagen, dass wir das im Auftrag Gottes tun. Aber es kommt alles darauf an, dass wir es tun. Dabei wird Gott uns beistehen.



Prof. Dr. Dr. Eberhard Busch
Göttingen
E-Mail: eberhard.busch@theologie.uni-goettingen.de

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