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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag nach Epiphanias, 17.01.2016

Durch uns strahlt die Liebe Gottes in die Welt
Predigt zu 2. Korinther 4:6-10, verfasst von Nora Steen

Liebe Gemeinde,

der Hilfsbuchhalter Bernard Soares lebt in der Baixa (Anm.: Stadtviertel in Lissabon) und führt ein ärmliches, ereignisloses Leben, das sich zwischen dem Kontor und seinem möblierten Zimmer abspielt. Von außen betrachtet ein durchschnittlicher Mann, der durch nichts auffällt. Innen ein Mensch mit einer schier unerschöpflichen Vorstellungskraft. Was von außen nach nichts aussieht, ist von innen betrachtet umso größer. Er lebt für das Schreiben und das Schreiben hält ihn am Leben. „Ich mache es mir an meinem Schreibtisch bequem wie an einem Bollwerk gegen das Leben“, schreibt er an einer Stelle und so ist es auch. Seine innere Welt ist zugleich sein Schutz vor dem Außen, in dem für ihn nichts Verheißungsvolles zu finden ist.

Fernando Pessoa hat mit seinem „Buch der Unruhe“, einer Art Tagebuch eben dieses Hilfsbuchhalters Soares, ein faszinierendes Werk geschaffen. Ich liebe es, nach der Lektüre in dieser Welt zu versinken, durch die kleinen Gassen der Lissaboner Altstadt zu gehen und mich von dieser Melancholie, der saudades (portugiesisch: Sehnsucht, Melancholie), mitreißen zu lassen und wäre fast versucht, es ihm gleich zu tun. Im Innen versinken, damit das Außen nicht mehr so unbarmherzig über mich bestimmen kann. Mein Inneres so hermetisch abriegeln, dass es nicht beschmutzt werden kann von dem ganzen Dreck, den unsere Wirklichkeit Tag für Tag an die Tore meiner Seele spült.

Doch dann gibt es Texte, die diese Sehnsucht nach einer völligen Trennung von Körper und Geist, dem äußeren und dem inneren Leben, so sehr gegen den Strich bürsten, dass ich dabei aufgehalten werde. Texte, wie den heutigen Predigttext aus dem 2. Buch des Paulus an die Korinther im 4. Kapitel.

 

6 Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.

7 Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns. 8 Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. 9 Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um. 10 Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde.

 

Eines wird sofort deutlich: Paulus denkt anders als der Hilfsbuchhalter Soares. Sein Ziel ist es nicht, sich des äußeren Lebens so weit als möglich zu entledigen, um möglichst viel Innerlichkeit erfahren zu können. Im Gegenteil: Unser Körper, unser reales Leben, ist das Medium, durch das Gottes Herrlichkeit in unserer Welt sichtbar, spürbar und hörbar wird. Leib und Seele gehören zusammen. Dies ist der entscheidende Unterschied jüdisch-christlicher Philosophie zur griechischen: Was wir nach außen hin zeigen, ist nicht egal, weil es immer ein Abglanz des Inneren ist. Was wir sind, sind wir nur ganzheitlich. Paulus weiß: Innen und außen gehören zusammen. Es genügt nicht, für sich privat einen innigen Glauben an Gott zu leben. Es genügt auch nicht, kluge Reden zu schwingen, die nicht auf einem Leben gegründet sind, das dem Inhalt dieser Reden entspricht. Wir selbst sind das Gefäß für die unverbrüchliche Liebe Gottes, die durch uns in alles Dunkel unserer Welt hinein strahlt. So weit, so gut.

Aber was, wenn wir heute diesem paulinischen Anspruch an die Nachfolge nicht mehr gerecht werden? Was, wenn die Kritiker doch Recht haben? Wenn bei uns das Innen und das Außen schon weit auseinandergefallen ist? Wenn wir Christen nach außen den Eindruck vermitteln unsere Kraft wäre versiegt, das Feuer unserer Leidenschaft für Jesus Christus wäre erloschen? Es gibt viele, die das behaupten. Und nicht zu Unrecht. Wir Christen leben doch ziemlich angepasst und so lebt es sich, zugegeben, auch ganz angenehm. Wer sagt, was andere von ihm hören wollen, hat es leichter und wird akzeptiert und: gehört. Auch, wenn das nicht immer mit den inneren Überzeugungen übereinstimmt.

Wir haben uns eingerichtet in einem Christsein, das kaum auf Widerstände trifft, häufig aber auf unverhohlene Skepsis. Hier in Portugal noch viel stärker als in Deutschland. Es wird sehr genau beobachtet, was wir als Kirche machen, ob wir überzeugend sind. Doch reicht das? Reicht es, toleriert zu sein, weil wir uns so wenig anfechtbar wie möglich machen?

Paulus denkt anders. Schon in seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth schrieb er ausführlich von der „Torheit des Kreuzes“. Er weiß ganz genau, dass das, wofür eine christliche Gemeinde existiert, mit den Augen der Welt betrachtet ziemlich lächerlich ist. Da geht es um einen Gott, der die Menschen so sehr liebt, dass er dafür seinen eigenen Sohn ans Kreuz schlagen lässt. Was soll das für ein Gott sein, der sich selbst so sehr in die tiefsten Niederungen menschlicher Abgründe hineinbegibt und damit sein Gottsein – von außen betrachtet – aufs Spiel setzt? Die Sprache der Vernunft kann dafür nur ein paar abfällige Bemerkungen für einen solchen Gott über haben und zur Tagesordnung übergehen.

Wenn wir das aber ernst nehmen, was Paulus da sagt; wenn wir das ernst nehmen, dann müssen wir zuallererst mit uns selbst ins Gericht gehen. Uns fragen, wie es denn bei uns ganz persönlich und in unseren Gemeinden aussieht. Ob denn das Innen und das Außen zusammen passen. Ob wir denn auch wirklich das leben, was wir predigen. Ob denn dieser Gott, der bis in die dunkelsten Ecken unserer Existenz Ja zu uns sagt, wirklich der Grund unseres Lebens und Handelns ist. Wenn er das nämlich ist, dann steht uns zuallererst eins an: Demütig sind. Zu dem stehen, was wir sind oder eben nicht sind. Fehlerhaft. Begrenzt in unserem Wollen und begrenzt in unserem Können.

 

Zugegeben, die Lebenshaltung des Hilfsbuchhalters Soares ist verführerisch. Sie hält mich in angenehmer Distanz zu den unangenehmen, den dreckigen Seiten des Lebens. Sie erlaubt mir, mich herauszuhalten und mir nicht die Hände schmutzig zu machen.

So verführerisch das allerdings auch sein mag, dieser Weg entspricht nicht dem, was Paulus unter Christsein in dieser Welt versteht. So sehr er auch weiß, dass wir einerseits nicht von dieser Welt sind, so sieht er auch ganz deutlich, dass dem, der die Welt so sehr liebt, dass er für sie seinen eigenen Sohn gegeben hat, eine solche Haltung niemals entspricht.

Was also tun? Als ersten Schritt vielleicht dies: Anerkennen, dass es realistisch gesehen nur eine sehr kleine Schnittmenge zwischen Innen und Außen gibt. Weil es zu viele Versuchungen gibt, doch mehr darstellen zu wollen, als wir wirklich sind. Weil ein friedvolles Miteinander ohne die abertausenden kleinen Alltagslügen kaum vorstellbar ist. Weil: wir Menschen sind.

Als zweiten Schritt aber sollten wir hinter den – freilich hohen – Anspruch nicht zurück: Wir selbst sind jene irdischen Gefäße, in denen die Kraft Gottes wohnt und aus denen heraus sie in die Welt strahlt. Dies kann bedeuten, dass wir anecken und nicht immer das sagen, was andere hören wollen. Dies kann bedeuten, dass wir unbequem sind, weil wir uns einmischen und mit unserer Meinung nicht hinter dem Berg halten. Aber genau das ist es, so ist mein Eindruck, was sich Menschen heute von der Kirche wünschen: Klare Positionen und vor allem: Eine Übereinstimmung von Reden und Handeln, Innen und Außen. Je weiter beides auseinander fällt, desto mehr Glaubwürdigkeit büßen wir ein.

Es ist nämlich niemand anders als wir, die wir heute hier zum gemeinsamen Gottesdienst zusammengekommen sind, an denen die Wahrheit der Botschaft Jesu Christi gemessen wird. Es ist unser Leben, es ist unser Leiden an der Welt, es ist unser Sterben, an dem unser Glaube sichtbar wird. Wir können das, was wir glauben, nicht von unserem realen Leben loslösen. Das unterscheidet uns von denen, die sich vor der Wirklichkeit abschotten wollen, um ihre Seele rein zu halten. Das macht uns zu Menschen, durch die die Liebe Gottes in unsere Welt strahlt.

Amen

 



Pfarrerin Nora Steen
48 1070-064 Lisboa (Lissabon)
E-Mail: pastorin.steen@gmail.com

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