Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 24.01.2016

Predigt zu Matthäus 25:14-30 (dän. Perikopenordn.), verfasst von Peter Fischer Møller

 

Ein Chauffeur schläft am Steuer ein. Er erwacht erst, als sein Auto über eine Böschung fährt. Im letzten Augenblick kann er sich aus dem Auto werfen. Das Auto fährt in den tiefen Graben, aber der Mann greift nach einem Busch und hängt nun dort in einer ziemlich exponierten Position. Er ruft zum Himmel: „Hallo, ist da oben jemand?“ Und eine Stimme antwortet ihm: Ja, mein Sohn, ich bin hier. Ich habe gesehen, was passiert ist. Ich vergesse dich nicht. Auch wenn du herunterfällst, bin ich für dich da. Lass nun nur los und lass dich fallen, du bist in meinen Händen.“ Der Mann denkt einen Augenblick nach, blickt nach oben und sagt: „Hallo, sind da oben andere!“

So verleiht der südafrikanische Erzbischof und Nobelpreisträger Desmond Tutu mit seinem charakteristischen Humor dem Anliegen Bilder, um das es in dem Gleichnis Jesu von den anvertrauten Talenten geht: Wie schwer es uns fällt, uns selbst und was unser ist loszulassen, und dass wir selbst die leitenden Herren unseres Lebens sein wollen. Für viele von uns nach Geborgenheit hungernden Wohlfahrtsdänen des Jahres 2016 wirkt das Gleichnis von den anvertrauten Talenten, so glaube ich, zunächst ungewöhnlich hart und ungerecht. Es beginnt mit seinem Gutsherren, der seine Leute verschieden behandelt. Und es endet damit, dass der Gutsherr wie ein umgekehrter Robin Hood denen, die am wenigsten haben, alles wegnimmt uns es denen gibt, die viel haben. Und dabei wird der vorsichtig nach Sicherheit strebende Diener noch richtig ausgeschimpft und in die Finsternis geworfen. Was in aller Welt soll das bedeuten?

Lasst uns ein wenig näher auf die Geschichte eingehen. Wir treffen drei Knechte – wir sollten sie vielleicht eher Sklaven nennen, denn es waren keine freien Leute, die selbst über ihr Leben bestimmen konnten. Sie waren Eigentum ihres Herren und seiner Autorität unterworfen. Den dreien wird nun vom Gutsherrn eine Geldsumme übertragen. Es ist zu beachten, dass das Wort „Talent“ ursprünglich nichts mit besonderen Gaben zu tun hatte, sondern nur die Bezeichnung für eine sehr große Geldsumme war. Erst nachher – eben als Nachwirkung dieser Geschichte – begann man das Wort „Talent“ im übertragenen Sinne für unsere unterschiedlichen Fähigkeiten zu gebrauchen. Nun gut, aber die drei Sklaven erhalten also jeder eine große Geldsumme, der erste erhält eine Million, der zweite eine halbe Million, der dritte zweihunderttausend. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass sie das Geld nicht als Geschenk erhalten, sondern als eine Summe, die sie verwalten sollen. Sie sollen nun nach dem Entschluss ihres Herrn versuchen, dieses Geld gut anzulegen. Ab das erhaltene Geld und der mögliche Gewinn aus dieser Summe – wie auch ein mögliches Risiko – gehört weiterhin dem Herrn. Denn alles, was ein Sklave erwirtschaftet, erwirtschaftet er für seinen Herrn. Die Pointe ist, dass die zwei sich ein Herz genommen haben und mit dem Geld gearbeitet haben. Sie gebrauchen das, was ihnen anvertraut ist. Sie machen sich frisch an die Arbeit.

Aber der dritte, dem ein Talent anvertraut war, fand es offenbar ungerecht, dass der Herr in dieser Weise ernten konnte, wo er nicht gesät hatte, und sammelt, wo er nicht ausgestreut hatte, und deshalb verbarg er das Talent in der Erde. Nach den damaligen Gesetzen war es so: Wenn jemandem etwas anvertraut wurde, und er es aufbewahrte und vergrub, dann konnte man ihn nicht belangen und eine Entschädigung fordern, denn er hatte das anvertraute Geld sicher aufbewahrt. So versucht also der Sklave, sich der Macht seines Herrn zu entziehen, so versucht er sich aus der Sache herauszuhalten. Er entzieht sich der Verantwortung. Er will kein Risiko eingehen.

Und nun kommt der Herr also zurück und zieht die Diener zur Rechenschaft, und das Talent wird dem letzten genommen und dem ersten gegeben, und wir werden mit der harten Moral konfrontiert: „Wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden.“

Was will Jesus uns wohl mit diesem Gleichnis sagen?

Es besteht ja kaum ein Zweifel daran, wie der Evangelist Matthäus es verstanden hat und was er seinen Zuhörern damit sagen wollte. Für ihn ging es um den Tag des Gerichts, darum dass Jesus nach seinem Tode und seiner Auferstehung den Jüngern und den ersten Christen beauftragt hatte, das weiterzugeben, was Jesus gesagt und getan hatte, und ihr Leben danach zu gestalten. Und auch wenn das schwer war, auch wenn die Christen Verfolgungen ausgesetzt waren, so sollten sie mutig daran festhalten; denn wenn Jesus auf den Wolken des Himmels wiederkommt und dieser Welt ein Ende bereitete und die Tore des Himmelreichs öffnete – und das würde sicher nicht mehr lange dauern – dann würde abgerechnet. Und die, die am Glauben festgehalten hatten, würden ihren Lohn erhalten. Für auf Sicherheit fixierte Wohlfahrtsdänen im Jahr 2016 mag es schwer sein, in den Gedanken des Matthäus über Treue und Gericht und Belohnung und Strafe ein Evangelium zu finden. Zugleich aber müssen wir richtig dankbar sein, dass es Menschen gab, die sich wie die beiden ersten Knechte im Gleichnis verhielten, dass es Menschen gab, die den Mut hatten, die Geschichte von Jesus weiterzuerzählen, dass da Leute waren, die damit kämpften, sie zu verstehen und in ihrem Alltag zu gebrauchen. Dass da Menschen waren, die trotz Widerstand und Verfolgung den Mut behielten. Denn sonst würden wir heute nicht hier sitzen, dann könnten wir uns nicht über dieses provozierende Gleichnis wundern.

Hier sitzen wir nun mit diesem Gleichnis. Enthält es eine Botschaft für uns? Man könnte das neue Lied im dänischen Gesangbuch heranziehen, bzw. singen: „Denke, Leben kostet Leben“1. Ein modernes Lied, das zum Ausdruck bringt, dass das Leben nicht unser Eigentum ist, sondern ein anvertrautes Gut.

Es kann nützlich sein, dass wir daran erinnert werden, denn wir sind stark auf uns selbst und unsere Sicherheit fixiert, auf das, was wir selbst an Wünschen, Plänen und Möglichkeiten haben. Wir sehen das Leben so leicht als unser eigenes Projekt. Hier stellt uns das Gleichnis auf einen anderen Platz. Es weist uns zurecht. Auf den Platz des Knechts. Die drei Knechte „hatten“ ja ihre Talente eben in der Weise, dass sie alles, was sie erwirtschafteten, für ihren Herrn erwirtschafteten. Sie „hatten“ eben gerade nichts. „Wer da hat“, das ist also einer, der menschlich gesehen eben nichts hat, der weiß, dass er und alles, was er „hat“, seinem Herrn gehört. Während der dritte Knecht ein Bild für uns ist, wenn wir die leitenden Herrn unseres eigenen Lebens sein wollen, wo wir sagen: „Wir und was unser ist“, und mehr an eigene Rechte als an Rücksicht auf andere denken.

Hier nimmt das Gleichnis uns beim Wickel und sagt, dass die Talente, die wir nun erhalten haben, nicht unser Eigentum sind, sondern Gott gehören. Wir sind als Menschen trotz der Unterschiede, auf die wir sonst so viel Wert legen, vor Gott als seine Knechte völlig gleich gestellt.

Und wir haben mit dem Dasein, das uns von ihm zuteilwurde, auch eine Aufgabe erhalten, die wir zu verantworten haben: Wir sollen unser Leben so verwalten, dass es sich verzinst, dass es zum Nutzen und zur Freude für andere wird. Und das ist wirklich eine Verantwortung, die uns damit auferlegt ist. Denn wie die Knechte in dem Gleichnis nicht genau zu wissen bekamen, wo sie investieren und wie sie ihre Talente gebrauchen sollten, so haben auch wir keine fertige Gebrauchsanweisung für das Leben erhalten, das uns anvertraut ist. Nur diese eine Anweisung haben wir bekommen: „Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte und den Nächsten wie dich selbst“. Wir haben jeden Tag ein Stück des Lebens und des Glücks unserer Mitmenschen in unserer Hand. Nicht als unser Recht oder Eigentum, sondern als unsere Verantwortung. Und wenn wir dieser Verantwortung nicht gerecht werden, dann verfinstern wir das Leben für die anderen und uns selbst, dann enden wir da, wo Heulen und Zähneklappern herrscht.

Eine nützliche und vielleicht notwendige Ermahnung. Aber wo bleibt da das Evangelium? Ist da eine frohe Botschaft im Gleichnis von den anvertrauten Talenten zu finden?

Durchaus! Nicht im Gleichnis selbst, sondern in dem, der es erzählt hat, ihn könnten wir den vierten Knecht nennen. Er war mit seinen Talenten bestimmt nicht vorsichtig. Er investierte alles, was in ihm war, in andere Menschen – vor allem in die, die den meisten nicht viel wert waren. Aus menschlicher Perspektive gesehen hat er schließlich alles verspielt. So sah es aus, als Jesus schließlich als Verbrecher verurteilt wurde und allein am Kreuz starb. Aber der Tod hat ihn und seine provozierenden Geschichten nicht besiegt. Er ist der vierte Knecht, den Gott über alles gestellt hat. Durch ihn hören wir noch immer die Botschaft von Gottes grenzüberschreitender, provozierender und befreiender Liebe zu seiner Welt und seinen Menschen, also zu dir und mir. Er ist das Evangelium des Tages.

Wir neigen leicht dazu, an das Gleichnis von den anvertrauten Talenten als eine Art Rechenschaftsbericht zu verstehen, eine Geschichte, die davon handelt, was wir aus unserem gemacht haben. Mit seinem Leben kehrt Jesus die Perspektive um, so dass wir auf das sehen, was das Leben aus uns gemacht hat.

Ich begann mit Desmond Tutu, und schließe mit ihm. „In unserer afrikanischen Sprache sagen wir, das ‚eine Person durch andere Personen eine Peron ist‘. Ich würde nicht wissen, wie ich überhaupt Mensch sein sollte, wenn ich es nicht von anderen Menschen gelernt hätte. Wir haben ein feinfühliges Netzwerk geschaffen von Gemeinschaft und Abhängigkeit. Wir sind dazu geschaffen, einander zu ergänzen. Alles geht furchtbar schief, wenn wir das vergessen“. Amen.



Bischof Peter Fischer Møller
DK 4000 Roskilde
E-Mail: pfm(at)km.dk

Bemerkung:
1. Tænk, at livet koster livet”, Dän. Gesangbuch Nr. 14


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