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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 24.01.2016

Alles um des Evangeliums willen - Ich jage dem Ziel noch nach
Predigt zu 1. Korinther 9:24-27, verfasst von Christoph Rehbein

 

Liebe Gemeinde,
von Martin Luther ist man das ja gewohnt. Dass er dem Volk aufs Maul schaut – will sagen: die gleiche Sprache spricht wie unsereiner. Das Sakrament der Ehe hat er sehr treffend ein weltlich Ding genannt. Unter einem fröhlichen Furz können sich fast alle etwas Konkretes vorstellen. Und nicht umsonst ist seine geniale Bibelübersetzung in die deutsche Volkssprache bei vielen Lesenden die Nummer 1.

Beim Apostel Paulus dagegen überrascht das! Dass der größte theologische Denker des Urchristentums sich so ein Beispiel sucht: Aus dem weltlichen Bereich des Sports. In Korinth haben das bestimmt alle verstanden, die seinen Brief an die Gemeinde lasen. Griechenland war damals sportlich führend am Mittelmeer. Gewiss: Der Ort Marathon liegt näher an Athen. Die Olympischen Spiele finden auch an einer anderen Ecke des Landes statt. Aber immerhin: Ganz nah bei Korinth gab es alle 2 Jahre die – weniger bekannten – Isthmischen Spiele. Sicher auch mit Langstreckenlauf und Faustkampf. Na klar wissen sie das, die Menschen in Korinth: Dass die, die in der Kampfbahn laufen, alle laufen. Aber nur einer empfängt den Siegerpreis! Den grünen Kranz, den stephanos. Nach dem alle Stefans und Stefanies benannt sind, weil ihre Eltern einen positiven Namen wollten. Alle verstehen, wovon Paulus hier spricht.
Nur die werden sich gewundert haben in der christlichen Gemeinde Korinth, die aus dem Judentum kamen. Denn sportliche Wettkämpfe waren typisch griechisch, aus jüdischer Sicht also heidnisch.

200 Jahre zuvor war die große Zeit der Makkabäer in Jerusalem. Das waren diejenigen Juden, die sich den griechischen Fremdherrschern entgegenstellten. Die unter der Führung des Judas Makkabäus den alten Tempelkult wieder einführten. Das Chanukkahfest erinnert daran. Im 2. Makkabäerbrief wird ein gewisser Jason scharf kritisiert. Er war ein leitender Priester, der sich den Griechen anpasste. Ich lese aus dem 4. Kapitel (EÜ) ein paar Sätze vor:
Absichtlich ließ er unterhalb der Burg eine Sportschule errichten. Die Söhne der besten Familien brachte er dazu, den griechischen Hut aufzusetzen. So kam das Griechentum in Mode; man fiel ab zu der fremden Art.... Schließlich kümmerten sich die Priester nicht mehr um den Dienst am Altar, der Tempel galt in ihren Augen nichts und für Opfer hatten sie kaum mehr Zeit. Dafür gingen sie eilig auf den Sportplatz, sobald die Aufforderung zum Diskuswerfen erging. So nahmen sie an dem Spiel teil, das vom Gesetz verboten war.

Liebe Gemeinde, in der südlichen Türkei, in Tarsus, hat Paulus als junger Mann beim Rabbi Gamaliel studiert. Da war das vielleicht etwas anders als in Jerusalem. Tarsus liegt etwa in der Mitte zwischen Judäa und Griechenland. Das passt zu Paulus. Der war ein Vermittler der Kulturen. Einer, der alles dem einen Ziel unterordnet. Das er direkt vor unserem heutigen Abschnitt mit diesen Worten beschreibt:

„Den Juden bin ich ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne....Denen, die ohne Gesetz sind, bin ich wie einer ohne Gesetz geworden – obwohl ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott, sondern bin in dem Gesetz Christi -, damit ich die, die ohne Gesetz sind, gewinne....Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle weise einige rette. Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an ihm teilzuhaben.“

Also mit unseren Worten gesagt: Ich, Paulus, passe mich nicht irgendeinem Zeitgeist an. Mir geht es um das Evangelium. Dass Ihr es begreift und annehmt. Jesus Christus ist die Hauptsache. Der Sport daneben nicht mehr als die schönste Nebensache der Welt. Aber ich bediene mich seiner als Vergleich, damit Ihr mich auch versteht. Dort, in der modernen Hafenstadt Korinth.
So wie wir heute, vor allem die Sportlichen unter uns, Paulus verstehen. Wenn er sagt: Ich traktiere meinen Körper und mache ihn mir gefügig. So übersetzt die Zürcher Bibel den letzten Vers unseres Textes.

Welche Antwort hätten Sie auf die Frage, die mir neulich gestellt wurde? Von einem Mann, dessen Partnerin seit einiger Zeit ihren Körper traktiert. Sie will am 10. April den Hannover-Marathon laufen. Und ihr Partner ist nicht begeistert. Weil sie diesem Ziel alles unterordnet, sogar ihren Beruf und in letzter Zeit auch die Ehe. „Kein Tropfen Alkohol mehr, nur noch Bio-Essen!“ So stöhnt der Mann und fragt: „Uns geht es doch gut. Warum quält sie sich so?“

Meine spontane Antwort war die: Vielleicht weil es uns so gut geht. Darum suchen manche die Entbehrung. Und bezwingen ihren Leib und zähmen ihn. In ihren besten Jahren brauchen viele Leute – oft sind es auch Männer – eine neue Herausforderung. Das Haus ist gebaut, die Kinder werden flügge – was kommt nun noch? Ich brabbelte da so vor mich hin und merkte: Der Mann hatte mehr Hilfe von mir erwartet. Eigentlich sucht er ein neues Ziel für sich selbst, und der Sport ist nicht sein Ding.
Ich komme darauf noch zurück.
Letztlich war der Sport auch nicht das Ding des Paulus. Aus anderen Briefen von ihm wissen wir, dass er an einer schweren Krankheit litt. Er muss seinen Leib bezwingen, um sein hartes Apostel-Amt überhaupt durchzuhalten. Die vielen Reisen, die hohen Erwartungen an ihn. Etwas anderes trieb ihn an als ein möglicher Sieg beim Marathonlauf.

Ein grüner Siegerkranz beim Sport – der verwelkt! Mit einem Adventskranz dagegen verhält es sich anders. Genau wie mit dem Kranz bei einer Beerdigung. Meistens sind die aus Tannen- oder Fichtennadeln. Denn die halten länger! Und kommen so dem näher, was Paulus mit dem unvergänglichen Kranz beschreibt. Das ist der Kranz, den Christus für uns gewann, nachdem Gott ihn von den Toten auferweckte. Ein paar Kapitel weiter im Korintherbrief widmet sich der Apostel genau diesem Thema. Und stellt die lebenswichtige letzte Frage an den Tod: Wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel? (1. Kor. 15,55)
Um seine Antwort gleich darauf selbst zu geben: Gott sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unseren Herrn Jesus Christus. (V. 57)
Und der ist für Paulus ganz lebendig, der bestimmt sein Leben: Jesus Christus gibt ihm das Ziel. Seit er dem Auferstandenen vor Damaskus begegnete. In einer dramatischen Vision, die in der Bibel gleich 3x erzählt wird. Daraus wird sein Evangelium, seine Gute Nachricht für alle Welt.
Wir haben in der Lesung aus seinem allerersten Brief (1. Thessalonicher 4,1-8) gehört, wie er das Evangelium mit Inhalt füllt. Wie er das meint, dass er in dem Gesetz Christi ist.
Auf dem Weg Richtung Himmel ist ihm keine Hürde zu hoch. Er streckt seinen schwachen Leib seinem Schöpfer entgegen. Und fordert auch in seinen Gemeinden die Disziplin, die er selber übt: Die Unzucht meiden, also die Weitschweifigkeit in Beziehungen. Wenn überhaupt eine Partnerschaft, dann in Treue. Den Handelspartner als Bruder ansehen und ihn nicht betrügen. Lauter Konkretisierungen der Nächstenliebe.
Ich komme zurück auf den Mann mit der Marathon-Frau und auf seine Frage. Ich glaube, ich werde noch mal mit ihm sprechen. Er könnte doch seinen Ehrgeiz in unserer Gemeinde stillen. Im Ehrenamt, in der Diakonie zum Beispiel, bei praktischen Hilfen für Heimatlose und Flüchtlinge. Da brauchen wir gerade auch Männer. Ebenso im handwerklichen Bereich, im Gemeindegarten und im Fahrdienst! Mir würde so vieles einfallen. Vielleicht gelingt es mir, ihm das klarzumachen: Dieses Engagement wäre nicht minderwertig im Vergleich mit dem Leistungssport. Immerhin geht es um den unvergänglichen Kranz als Ziel. Wir Christenmenschen sind unterwegs Richtung Reich Gottes. Wie sagt Paulus: Ihr sollt leben, um Gott zu gefallen, was ihr ja auch tut – dass ihr darin immer vollkommener werdet. (1. Thess. 4,1b)
Zum Schluss also noch einmal tief durchatmen. Denn das ist schon eine Zumutung, oder? Immer vollkommener werden?

Liebe Gemeinde, wir haben einen ganz erstaunlichen Verbündeten, wenn das unser Antrieb und unser Ziel wird. Der heißt Gottfried Wilhelm Leibniz – hier in unserer Stadt hat er 40 von seinen 70 Lebensjahren verbracht. Er verstarb vor 300 Jahren und war einer der letzten Universalgelehrten. Mathematiker, Erfinder und Philosoph. Daneben auch ein Theologe, der für die Einheit der Kirche kämpfte. Das kommt uns heute sehr modern vor. Mir gefällt auch sein Gedanke aus dem Buch Theodicee. Dieses Fachwort hat Leibniz geprägt. Übersetzt aus dem Griechischen verbirgt sich dahinter die Anklage: Wie kann Gott gerecht sein, wenn doch die Menschen so schlecht sind? Wo ist Gott, wenn Böses geschieht, wenn der Mensch sich offensichtlich nicht bessert? Genau diese klassische Frage stellte die preußische Königin Sophie Charlotte dem alten Philosophen. Und der gab ihr folgende Antwort: Es hat von Gott her seinen Sinn, dass wir nicht in einer vollkommenen Welt leben. Der Sinn unseres Lebens ist, dass wir uns vervollkommnen. Wie hätten wir Gelegenheit dazu, wenn die Welt schon so geschaffen wäre, dass jeder nur moralisch vollkommen handeln könnte?
Vervollkommnung  als Prozess und Fortschritt – nicht schon Vollkommenheit als feststehendes Resultat. Mir leuchtet die Leibniz-Logik ein. Dass wir, von Gott her gedacht, schon in der besten aller möglichen Welten (GWL) leben. Nicht umsonst ist ja auf der Linie von Leibniz das Wort Optimismus wichtig geworden. Gegen jede Resignation: Wir können und wir sollen unsere Welt noch verbessern, ja vervollkommnen.

Schrecken Paulus und Leibniz uns jetzt ab?
Nobody is perfect – das erfahren wir jeden Tag. Am eigenen Leib. Allein ein unvergängliches Ziel vor Augen zu haben, nach dem wir uns ausstrecken – dafür lohnt es sich zu leben!

Ich schließe mit einem klugen Wort des Apostels. Der genau weiß, dass er an diesem Ziel noch nicht ist. Philipper 3, die Verse 13, 14 und 12:
Ich vergesse, was dahinten ist und strecke mich aus nach dem, was da vorne ist, und jage nach dem vorgestreckten Ziel, dem Siegespreis der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus. Nicht dass ich’s schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei;
ich jage ihm aber nach, ob ich’s wohl ergreifen könnte, weil ich von Christus Jesus ergriffen bin.
Amen.



Pastor der Evangelisch-Reformierte Gemeinde Hannover, Christoph Rehbein
30169 Hannover
E-Mail: christoph.rehbein@reformiert.de

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