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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Estomihi, 07.02.2016

„Der hohe Anspruch der Liebe“
Predigt zu 1. Korinther 13:1-13, verfasst von Thomas Bautz

 

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete, wäre aber lieblos, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, wäre aber lieblos, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe oder mich rühmte, meinen Leib zu opfern, zeigte aber keine Liebe, so würde es mir nichts nützen; NT Graece, 28. Aufl. wählt mit den zuverlässigsten Textzeugen „sich rühmen“; cf. Zeller: KEK 5 (2010), 407.

Wer liebt, ist langmütig und freundlich, wer liebt eifert nicht, wer liebt, treibt keinen Mutwillen, wer liebt, bläht sich nicht auf, er verhält sich nicht ungehörig, er sucht nicht das Seine, er lässt sich nicht erbittern, er rechnet das Böse nicht zu, er freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, er freut sich aber an der Wahrheit; wer liebt, erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, duldet alles.

Die Liebe hört niemals auf, wo doch prophetisches Reden und Sprachen und Erkenntnis aufhören werden. Denn fragmentarisch ist unser Wissen, und unser prophetisches Reden ist fragmentarisch. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so ist die Zeit der Fragmente vorbei.

Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. Wir sehen jetzt wie durch einen Spiegel ein dunkles, rätselhaftes Bild; irgendwann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich nur Fragmente; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.
Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

Liebe Gemeinde!
Normalerweise haben wir den berühmten Text von 1 Kor 13, komplett oder teilweise häufig Grundlage für Predigten anlässlich kirchlicher Trauungen, gemäß der Bibelübersetzung nach Martin Luther (revidierte Fassung, 1984) oder nach der Einheitsübersetzung im Gedächtnis.
Demnach redet Paulus sehr fundamental und höchst anspruchsvoll von der Liebe. Obwohl er sich bemüht zu konkretisieren, was er damit meint, bleibt das Wort „Liebe“ in seinem Brief an die Korinther in diesem Kapitel recht abstrakt. Gerade wo er die Eigenschaften der Liebe beschreibt, wenn er sagt, worin sie sich auszeichnet, was sie unverwechselbar werden lässt, gerade diesen Ansprüchen könnte man ausweichen und sie bestenfalls als hohe, aber kaum erreichbare Maßstäbe sehen. Liebe wäre dann mit dem christlichen „Gott“ gleichzusetzen:

Gott ist langmütig und freundlich; er eifert nicht und treibt nicht Mutwillen, bläht sich nicht auf (…). Er sucht nicht das Seine. Er lässt sich nicht erbittern und rechnet das Böse nicht zu; er  freut sich nicht über Ungerechtigkeit, sondern erfreut sich der Wahrheit. Gott erträgt alles; er glaubt alles, hofft alles, duldet alles.

Viele Ausleger sehen in der Agape (Liebe) aufgrund ihrer Eigenschaften oder Wirkungen eine (eschatologische) Macht Gottes; (cf. Söding: Liebesgebot, 131), also eine göttliche Kraft, die sich nur als solche selbst erfüllt, für Menschen aber erst am Ende oder zuletzt (Eschaton) vollkommen erfahrbar wird. Dennoch bleibt die göttliche Liebe ein wichtiger, verbindlicher Maßstab: ein Ziel, woraufhin jeder Christ hinarbeiten sollte; wer es verfehlt, „lebt in Sünde“.

Aus dem JohEv geht hervor, dass Liebe (Agape) innerhalb der Gemeinschaft, die dem Rabbi Jesus nachfolgt, auch ein untrügliches Zeichen für Außenstehende ist (Joh 13,34-35):
„Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihr einander lieben (agapan) sollt. Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe (Agape) untereinander habt.“

Die All-Aussagen, die Paulus formuliert, finde ich allerdings bedenklich: sie überfrachten das christliche Gottesbild, wie auch das hochwertigste Verständnis von „Liebe“: alles ertragen, alles glauben, alles hoffen, alles dulden - damit sind Menschen und Götter überfordert; die Realisierung solcher Wünsche wäre im Übrigen auch gar nicht erstrebenswert.

Die Gottesvorstellungen im Alten Testament zeigen, dass der Gott Israels keineswegs gewillt ist, alles zu ertragen oder zu dulden: soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeit, politische Fehlentscheidungen, paktierender Opportunismus seitens mancher Könige des Nordreichs wie des Südreichs, Götzendienst u.v.a. werden allemal durch Propheten in göttlicher Vollmacht angeprangert. Auch im Neuen Testament, wenn auch zurückhaltend, schimmert etwas von der keineswegs grenzenlosen Toleranz durch, wenn der Bußprediger und letzte Prophet Johannes der Täufer mit Vehemenz zur Umkehr aufruft; wenn Jesus von Nazareth mit Schriftgelehrten und Pharisäern trefflich streitet und sie nicht nur mit Worten, sondern auch mit handfesten Aktionen wie z.B. der Austreibung von Händlern aus dem Tempel in Jerusalem provoziert.

Liebe Gemeinde! Ich wähle zunächst eine lebenspraktische Annäherung an die paulinische Reflexion über die Liebe (Agape), um hernach zu versuchen, ihre geistliche, theoretische Tiefe nachzuempfinden. Die vollkommene Liebe gehört für Paulus zu den „letzten“ Dingen, die zwar bereits wirken, aber noch nicht zur Vollendung gelangt sind (cf. Schrage, EKK VII/3, 278); so spricht man in den Evangelien von der Herrschaft Gottes, vom Reich der Himmel.

Unser soziales Gefüge wie das Leben in den Gemeinden würde zusammenbrechen, wenn wir diesen Briefabschnitt des Paulus über „die Liebe“ gleichsam zur Charta für unser Handeln machten. Wir können es uns nicht erlauben, alles zu dulden. Natürlich ist Duldsamkeit eine Tugend, ähnlich wie Toleranz. Es ist angebracht, wenn wir mit gewissen Schwächen anderer großzügig, nachsichtig umgehen. Wenn wir nicht gerade sehr hart und unbarmherzig mit uns selbst umgehen, sind wir auch froh, wenn man uns schont und nicht über uns herfällt, sobald wir einen Fehler begehen. Aber alles zu tolerieren, was in der Gemeinde oder anderswo falsch läuft, wäre töricht und würde von Übertätern gleich welcher Art als Schwäche ausgelegt.

Erst recht können wir keinesfalls alles ertragen, was an Belastungen, Anschuldigungen oder unverschuldetem Leid auf uns zukommt. Natürlich können wir nicht jedem Unrecht, jeder Verletzung, die uns widerfahren, entgegentreten, insbesondere wenn sie anonym geschehen. In solchen Fällen bleibt uns tatsächlich nur das Ertragen; immerhin können wir uns in Familie und im Freundeskreis Luft machen, explodieren, uns beschweren - das ist wichtig, ansonsten werden wir Opfer psychosomatischer Gesetzmäßigkeiten, handeln uns schlimmstenfalls sogar eine Krebserkrankung ein!

Es gibt aber Situationen wie auch Konstellationen in Gruppen und einzelne Personen, die im Grunde nicht tragbar sind. Entweder werden die gärenden Konflikte gar nicht ausgesprochen, oder ein einzelner Mensch wird vor ein Tribunal geladen, z.B. ein Pfarrer vor ein Gremium von fünf Presbytern und zwei Kollegen; ihm wird aus nahezu lächerlichen Gründen nahe gelegt zu gehen. Ein Küster erhält eine Abmahnung, obwohl er sich nichts hat zu Schulden kommen lassen. Die Leiterin eines Seniorenpflegeheims wird entlassen, obwohl sie mit Herz und Verstand in ihrem Dienst aufgeht. Ein kirchlicher Mitarbeiter wird vom Presbyterium auf die Straße gesetzt, weil sie ihn angeblich nicht mehr bezahlen können; der verheiratete Mann ist über fünfzig Jahr alt und hat noch einen schulpflichtigen Sohn. Er hat sich als ehemaliger Rechtsanwaltsgehilfe und gelernter Schreiner sozial sehr für die Gemeinde eingesetzt.

Die Begründungen in den mir bekannten Fällen entbehren jeder sachlichen, rechtlichen Grundlage. Meist handelt es sich um Animositäten, Misstrauen, Argwohn, Neid und Macht. Solches Verhalten ist unerträglich, grassiert aber in Kirchengemeinden; es schadet dem Ansehen, wo Außenstehende die Chance haben, durch die Kirchenfenster zu schauen oder die intern praktizierte Agape (Liebe) wahrzunehmen. In den genannten und vergleichbaren Fällen von Liebe zu reden, wäre wohl mehr als unangemessen und zynisch. Man redet oder predigt großspurig-fromm über Nächsten- und sogar über Feindesliebe, vermag es aber oftmals kaum, Liebe gegenüber den eigenen „Glaubensgenossen“ walten zu lassen.

Ein solches Verhalten darf man mit Fug und Recht als Heuchelei benennen; sie ist dem Rabbi Jesus, wie er in den Evangelien begegnet, verhasst. In Kirchengemeinden und freilich auch in anderen Institutionen, wo es um hierarchische Strukturen, um Rangordnungen im Rahmen von Dienstleistungen geht, herrschen merklich oder unterschwellig häufig Konkurrenzdenken, Buhlen um Anerkennung, Kompetenzgerangel und Machtgehabe. Ich habe oft den Eindruck, dass man nach außen sehr bemüht ist, schon aus Prestigegründen, vielleicht sogar im Sinne des Evangeliums, „um viele Menschen zu gewinnen“. Aber die Gemeinschaft nach innen darf deshalb nicht vernachlässigt werden oder gar darunter leiden (Gal 6,9-10):

„Lasst uns aber Gutes tun und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten, wenn wir nicht nachlassen. Darum, solange wir noch Zeit haben, lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.“

Wer liebt, glaubt alles - wieder ein Superlativ, der unrealistisch ist. Ich sage es einmal anders: „Wer liebt, ist gutgläubig“. Ich war das als Kind, Jugendlicher und teilweise noch als junger Mann, und ich bin damit gründlich auf die Nase gefallen. Für mich ist Gutgläubigkeit ähnlich wie Vertrauensseligkeit. Man kann Menschen manipulieren, indem man ihnen mit subtilen Mitteln Vertrauen einflößt. Verschiedene Institutionen, Gruppen oder Personen suggerieren, dass sie vertrauenswürdig sind. Wer vertrauensselig oder gutgläubig genug ist, wird über kurz oder lang ein Opfer seiner eigenen Bereitschaft, allzu unkritisch Vertrauen zu investieren.

Heutzutage wird es geradezu wieder gefährlich, alles zu glauben oder jedem zu vertrauen: Man denke nicht nur an den lautstark agierenden, politischen Rechtsdruck, der sich einen Platz im Parlament verschaffen will; der lärmend auf den Straßen verschiedener deutscher Städte auftritt; ich denke auch an eine anonyme, zahlenmäßig nicht zu unterschätzende Zahl unzufriedener Bürger unterschiedlicher sozialer Herkunft und Bildung, die sich vermutlich bereitwillig einem rechten, nationalistischen Flügel in der Politik anschlösse. Sie wären auch dazu bereit, ganz eindeutig eine Frontstellung gegenüber Flüchtlingen, wenn nicht überhaupt gegenüber Asylanten einzunehmen.

Wenn Hetzkampagnen und einseitige Informationen mit entsprechenden Übertreibungen erst einmal weiter um sich greifen, werden viele Menschen geneigt sein, alles zu glauben, was die Nationalisten ihnen versprechen und vorgaukeln: Es geht ihnen um die Volksgemeinschaft - ein gängiges Schlagwort der Nationalsozialisten! -, um Deutschland, um das Wohl des Volkes! Wer das glaubt, wird nicht „selig“, sondern wird (wiederholt) ins eigene Verderben rennen.

Noch engagieren sich vielerorts Menschen auf hilfreiche und erfinderische Weise für die Notleidenden, für Familien, die ihr Land verlassen mussten, weil es ihnen keine Heimat mehr bietet, sondern zu einer Bedrohung geworden ist. Etliche Hilfsmaßnahmen sind zwar noch nicht optimal organisiert, ganz unterschiedliche Gruppen und Institutionen helfen; es herrscht weitgehend noch „Chaos“, wie mir z.B. das Diakonische Werk Köln kürzlich mitteilt. Aber für die Flüchtlinge ist es enorm wichtig, dass sie spüren, nicht nur Störfaktor zu sein, sondern dass man ihre schwierige Lage akzeptiert und sie als Menschen annimmt.

Die sicher nicht einfache Frage der Integration dürfte allen Seiten Anstrengungen abverlangen; die Arbeit beginnt bei der Motivation: Nehmen wir mit allen möglichen Konsequenzen diese geplagten Menschen auf, oder wollen wir sie nicht - aus welchen Gründen auch immer. Ich kann es nachvollziehen, wenn jemand aus nüchternem Kalkül sagt: Wir übernehmen uns; wir schaffen das nicht; wir sind überfordert. Das finde ich okay. Politisches Denken und Handeln sollte ein Ohr haben für die Bedenken der Bürger. Halbherzigkeit wäre verantwortungslos.

Inakzeptabel, egoistisch, unmenschlich finde ich es aber, wenn man als Deutscher das eigene Land wie eine „Insel der Glückseligkeit“ betrachtet und von allen Fremdeinwirkungen und „Störungen“ freihalten will: „Störe unsere Kreise nicht!“ Im Großen und Ganzen haben wir uns z.B. längst an unsere ehemaligen türkischen Gastarbeiter gewöhnt, deren Kinder und Kindeskinder inzwischen als Deutsche aufwachsen, hier zur Schule gehen und studieren, einen Beruf erlernen, mit uns kommunizieren. In der Regel stört es auch nicht, dass sie in vielen Städten Moscheen errichtet haben, um ihren muslimischen Glauben zu pflegen.

Doch leider gibt es in der Gesellschaft immer wieder Kräfte, die nur Konflikte sehen und anprangern, wo z.B. die Integration weniger geglückt ist. Nationalistische und rechtsextreme Einflüsse stützen sich natürlich am liebsten auf massive Probleme, die inzwischen von diesem selbsternannten „Islamischen Staat“ ausgehen. Rasch werden harmlose, arabisch sprechende Menschen als potentielle Terroristen verdächtigt. Ich hoffe, wir werden in Deutschland keine Phobie züchten, wie es in den USA seit dem Anschlag vom 11. Sept. 2001 der Fall ist.

Wie bewahren wir uns vor einer „Liebe, die alles glaubt“? Ich denke, dass Liebe - ob wir sie so hoch ansiedeln, wie wir es bei Paulus beobachten, oder ob wir sie menschlich ansehen - keinesfalls zu trennen ist vom nüchternen Verstand, kritischem Denken und Sachkompetenz. Die Agape, über die Paulus nachdenkt, erweitert seinen Horizont, führt ihn zu einer geradezu universalen Betrachtung. Sein Briefabschnitt über die Liebe ist eingebettet in einen Kontext, der für viele von uns heutigen nicht leicht ist nachzuvollziehen. Paulus entfaltet eine Lehre über die sog. Charismen oder Gnadengaben, und zwar aus aktuellem Anlass: In Korinth war ein Streit über den Stellenwert verschiedener Charismen entbrannt. Der Apostel betonte, dass ein Kriterium ausschlaggebend sei: welche Gabe auch immer, ob Prophetie; unartikuliertes Reden in Ekstase zum Lobe Gottes; die Gabe der Heilung; die Gabe der Unterscheidung der Geister - alle Charismen sollten zur Erbauung der Gemeinde dienen und nicht Zwietracht säen.

In diesem Zusammenhang zeigt Paulus einen noch vortrefflicheren Weg auf, der über alle Charismen hinausweist: Es ist die Dimension der Liebe (Agape). Paulus führt uns dabei auf einem steilen, schmalen Pfad in die Gebirgshöhen göttlicher, majestätischer Attribute, ohne allerdings die Sphäre menschlicher Niederungen ganz aus dem Auge zu verlieren. Für ihn sind alle Charismen bruchstückhaft; sie werden durch das Vollkommene, nämlich durch die Liebe (Agape) abgelöst, nicht etwa nur ergänzt (cf. Zeller, 415).

Wir haben die Superlative, die Paulus mit der Liebe (Agape) verbindet, vernommen, und ich habe anhand von Negativbeispielen aufgezeigt, dass diesen hohen Ansprüchen häufig nicht entsprochen wird. Wo Liebe als Qualitätsmerkmal abstrakt bleibt und als Vollkommenes angestrebt wird, werden Menschen, die danach leben sollen und wollen, vielleicht immer „kleiner“, sehen eher ihre Defizite, fühlen sich nicht wirklich ermutigt, den Weg der Liebe zu beschreiten, sie zu praktizieren. Sie bleibt ein fernes Ziel, eine unmögliche Möglichkeit, eine ethische Forderung, die man im Grunde nicht erfüllen kann.

Andererseits ist es doch für unser Sozialverhalten, für das Leben in der Gemeinschaft, in der Gemeinde besser, wenn wir danach streben, uns positiv zu verändern, wenn wir die Liebe als segensreiche Erfüllung unter uns wie auch uns selbst gegenüber zu entfalten, zu verwirklichen suchen, - allemal erstrebenswerter, als wenn wir uns für mehr oder weniger vollendet hielten. Selbst Paulus gibt zu einer anderen Gelegenheit klar zu erkennen, dass er noch nicht ans Ziel gekommen ist, aber er ist zuversichtlich, dass er es erreichen wird, indem er ihm nachjagt.

Mir fällt auf, dass Paulus eingangs seines anspruchsvollen Kapitels nicht nur die Charismen der Sprachen (mit Menschen- und Engelszungen sprechen), der Prophetie und der Erkenntnis in ihrem Wert gegenüber der Liebe relativiert, sondern Glaube und Besitzverzicht zugunsten der Armen ebenso. Bei Jesus von Nazareth hingegen hat ein Glaube, der soz. Berge versetzt, eine fundamentale Bedeutung für die Nachfolge Jesu; dies gilt auch für den Besitzverzicht, und Reichtum gilt bekanntermaßen eher als Hindernis für die Teilhabe am Reich Gottes.

Man muss hier keinen Widerspruch zwischen der Ethik des Nazareners und der Ethik des Paulus sehen; sehr wahrscheinlich geht es beiden um die Motivation des Handelns: Wenn unser Tun oder Lassen durch Liebe motiviert ist, sind wir auf dem richtigen Weg. Sobald sich aber unedle, unehrenhafte, egozentrische, unlautere Motive melden, ist Vorsicht geboten, und wir sollten uns selbstkritisch prüfen. Oftmals bedarf es erst eines Anstoßes von außen, wenn uns jemand - im günstigsten Falle - rücksichtsvoll, vielleicht liebevoll ins Gespräch nimmt.

Am Ende weist Paulus auf die Zusammengehörigkeit von Glaube, Hoffnung und Liebe hin (cf. Söding, 143-145); in der Liebe (Agape) wird das geistlich und lebenspraktisch wirksam, was im Glauben und in der Hoffnung angelegt ist. Keine Größe aus dieser Trias (Dreiheit) kommt ohne die andere aus. Doch während Glaube und Hoffnung noch eher eine theoretische Seite eignet, drängt Liebe im Sinne des Apostels nach Lebenspraxis. Wer liebt, sucht nicht (nur) das Seine, sondern ist hilfsbereit, großzügig, aufopfernd, barmherzig, zuverlässig u.v.a. So zu lieben, ist sicher auch ein Wagnis. Man darf weder Lohn, noch Dank, noch Lob erwarten, und doch kann uns Anerkennung und Dankbarkeit zuteilwerden. Dann ist gemeinsame Freude die beste „Belohnung“.
Amen.

 



Pfarrer Thomas Bautz
53119 Bonn
E-Mail: thomas.bautz@ekir.de

Bemerkung:
(Nach Möglichkeit mag der Text zunächst nach einer der gängigen Übersetzungen gelesen werden, in denen „die Liebe“ substantivisch, abstrakt, personifizierend dargestellt wird. Ich habe mich für folgende Übertragung: GN 1982 und eigene Paraphrasierungen entschieden:)


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