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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reminiscere, 21.02.2016

Predigt zu Römer 5:1-5, verfasst von Ulrich Wiesjahn

Liebe Gemeinde!

 

Vielleicht kommt es Ihnen seltsam vor, dass ich manchmal irgendwie ratlos vor bestimmten Wörtern stehe. Und so ist es mir auch mit dem Wort „Frieden“ ergangen. Wenn ich mich mit meinen Sinnen darauf konzentriere, dann ist es bloß ein Klang aus zwei Vokalen und ein paar Konsonanten dabei: ein langes I und ein stumpfes E: Frieden. Was soll das sein?

Doch gleichzeitig weckt dieser Doppelklang in mir ja viel mehr, nämlich ein Gefühl, einen Wunsch, ein Versprechen, eine Sehnsucht, ein Paradies. Ich komme kaum zu Ende mit der Aufzählung wunderbarer Verhältnisse über dieses bloße Wortgebilde hinaus.

Ja, so ist es mit der Sprache und mit der Realität: es ist etwas Unwirkliches, Gewünschtes und Erhofftes und es ist, wenn es gelingt, etwas Handfestes, Robustes und Wunderbares. Es ist die Wirklichkeit. Und dazwischen liegt Arbeit, Kraft und Willen. Das ist bei uns Menschen so, aber auch bei Gott.

Das Wort „Frieden“ war in meiner Generation zeitweise ein Kampfbegriff im Bereich der „Friedensbewegung“, während die klein geschriebenen Wörter wie „friedlich“, „friedevoll“ oder „friedfertig“ eher als gemütlich galten, obwohl sie vermutlich viel wichtiger waren. Es ist immer gut, die riesigen Allgemeinbegriffe auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Denn dann erst beginnt einem das Herz zu klopfen, das sich ja nach Frieden sehnt.

Und nun schreibt Paulus mir und dir: „Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus.“ Und da meint er vermutlich, dass ohne den einen, den Frieden mit Gott, kein anderer Frieden sein kann. Das höre man in einer Zeit, in der man stolz auf die Pax romana, den römischen, den politischen Frieden war. Und gleich nun dazu die Frage an mich selbst: Würde ich denn auch sagen können: zuerst Frieden mit Gott und dann erst unter den Menschen? Ehrlich gesagt, uns allen gilt vermutlich der menschliche Friede eher als Glaubensersatz. Frieden mit Gott zu haben, ist uns, ist mir, wahrscheinlich zu exotisch, zu abgelegen, zu abstrakt. Dann aber, liebe Gemeinde, verstehen wir Paulus nicht. Dann verstehen wir weder das Christentum noch uns selbst. Denn wenn wir nicht mit Gott im Reinen sind, mit Gott ganz in unserer Nähe, dann werden alle folgenden Bemühungen irgendwie schief. Wenn die Mitte, die Nabe fehlt, dann eiert das ganze Rad.

Wenn wir die Worte des seltsamen Apostels verstehen wollen, dann hieße das: Schau zuerst in deinem eigenen Herzen nach! Bist du selbst friedlos, dann wird auch alles andere nichts. Selbst die politische und soziale Dimension ist bei Gott immer nur eine abgeleitete. Wer Krieg und Frieden verstehen will, muss nicht ins Lexikon oder ins Geschichtsbuch blicken, sondern ins eigene Herz. Wenn das unterbleibt, dann bleiben eben nur politologische, soziologische, historische und auch psychologische Analysen vage und nichtssagend zurück. Der Hass der Diktatoren und der Minderwertigkeitskomplex der Massen, zu denen wir vermutlich gehören, scheinen bloß verständlich zu sein und werden umgehend ziemlich unverständlich. Warum? Weil niemand weiß, wer er ist.

Gleichviel, Paulus spricht vom Frieden mit Gott und glaubt, dass das der Frieden überhaupt ist. Das zu begreifen ist mehr wert als die Frage nach einem wirtschaftlichen Mehrwert. Und was ist der Mehrwert des Glaubens an einen Frieden mit Gott? Paulus zählt auf: die Geduld, die Bewährung, die Hoffnung, den Bestand, der nicht zuschanden geht. Dabei weiß ich, dass das Leben flüchtig, sterblich, herbstlich-welkend ist. Doch die Bewahrung des Hinfälligen wäre für mich ein Glück. Darum geht es.

Ich muss mir von Zeit zu Zeit erneut klarmachen, dass nicht alles, was wichtig ist, auch erklärbar ist. Erklärungen sind ja immer sekundärer Art wie im Journalismus oder in der Pädagogik oder akademischen Wissenschaft. Primär ist nur das Dasein, das immer nur durch mich selbst und durch Gott ergriffen und begriffen wird. Dabei muss ich lernen, dass ich weder Gott noch mich selbst erklären kann. Und ich muss es ja auch nicht, ich muss es nur zu lieben versuchen, anzunehmen versuchen. Ich bin da, Gott ist da und Paulus ist mit seinen Gedanken und Erlebnissen da. Und diese alle treffen nun hier im Gottesdienst zusammen, begegnen sich und verstehen sich hoffentlich. Und Paulus schreibt ein paar Sätze weiter: “Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist.“ Das kann kein Mensch erklären, obwohl es die Theologie verrückterweise dauernd versucht. Niemand kann die Liebe erklären und genauso wenig den Tod – doch beide kann man erleben und erleiden. Das ist seltsam, aber interessant: Wir nehmen teil am göttlichen Wesen.

Man müsste sich also mit Gott einigen, wenn man Frieden haben will. Doch dann bekäme man es mit der Liebe zu tun, dieser völlig unbegriffenen, ja fast aggressiven Macht. Paulus sagt: „Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen.“ Da müsste ich also einmal nachsehen, was in mir los ist. Kluge Referate könnten dann später folgen.

Und nun zum Schluss noch einmal: Ist die Liebe Gottes in mein Herz ausgegossen? Finde ich in meinem Herzen Gott selbst? Habe ich Frieden mit Gott und mit mir selbst? Mich hat immer verblüfft und bewegt, wie der Gründer der Bruderschaft in Taizé, Frère Roger, dieses in seinen Gebeten so seltsam beschworen und geweckt hat. Das war und ist mir ein ganz neuer religiöser Ton – und ist doch zugleich der Ton der ursprünglichen Christenheit. Hören Sie nur dieses Gebet:

 

Lebendiger Gott,

durch die geheimnisvolle Gegenwart Christi

bewohnt uns heute,

morgen und immer

dein Geist.

Und auf einmal können wir begreifen,

dass wir geradewegs

auf die Wirklichkeit des Reiches Gottes zugehen,

sobald das Vertrauen des Herzens

aller Dinge Anfang ist.

 

Jesus wohnt in unseren Herzen und bewegt sie. Wir müssen nur bei uns selber nachsuchen, was von Gott zu finden ist und was von Jesus zu finden ist, der auferstanden ist von den Toten, auferstanden als einer von uns. Wir sind seitdem Mitarbeiter Gottes, wir sind Träger des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. Und wir sind Träger des Friedens. Wir. Ich. Du.

A m e n.

(Man könnte Römer 5,1-5 zum Schluss noch einmal vorlesen)

 

 



Ulrich Wiesjahn
Goslar
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