Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reminiscere, 21.02.2016

Predigt zu Römer 5:1-5, verfasst von Klaus Bäumlin

„Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“

 

Liebe Gemeinde,

wie um alles in der Welt kommt Paulus dazu, zu behaupten, wir rühmten uns der Bedrängnis? Und dann erst noch die Begründung: Bedrängnis bringe Geduld. Da kann man doch nur den Kopf schütteln. Nein, lieber Paulus, das stimmt doch nicht. Ich weiss aus eigener Erfahrung von manchen Menschen, dass es sich gerade anders verhält: Wenn man bedrängt wird, wird man ungeduldig.

Bedrängnisse – das bedeutet doch: manches entbehren, in manchem zu kurz kommen, Pläne und Wünsche begraben. Krankheiten und andere Schicksalsschläge machen einem das Leben schwer; es fehlt die Kraft, sich zu wehren gegen Kränkungen, die einem zugefügt werden, sich zu wehren gegen eigene Zweifel und Ängste, die einen niederdrücken. Und nun sollen solche Bedrängnisse lehren, geduldig zu sein! Sie machen einen doch im Gegenteil unruhig und ungeduldig. Sie machen uns unzufrieden, lassen uns klagen und jammern. Und weil wir es ja doch nicht ändern können, resignieren wir. Resignation aber ist das Gegenteil von Hoffnung.

So ist es schon seltsam, dass Paulus schreibt, Bedrängnis bringe Geduld, Geduld Bewährung, Bewährung aber Hoffnung. Wie kommt er dazu, so zu denken und zu schreiben? Er sagt es, weil er um das grosse Ja weiss, das Gott zu uns sagt: „Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herren Jesus Christus. Durch ihn haben wir Zugang im Glauben zu dieser Gnade.“ Paulus sieht auf Jesus Christus. Was sieht er dort? Er sieht, was es heisst, wenn Gott zu einem Menschen Ja sagt, der in äusserster Bedrängnis ist, der von allen verlassen ist und keinen Grund hat zur Hoffnung, der, bevor er am Kreuz gestorben ist, nur noch schreien konnte: „Warum, mein Gott, hast du mich verlassen?“. Doch Gott hat ihn nicht verlassen. In der tiefsten Tiefe, der äussersten Bedrängnis ist er zu ihm gestanden und hat sich zu ihm bekannt, hat sein den Tod überwindendes Ja zu ihm gesprochen.

Weil Jesus für uns gestorben und vom Tod auferstanden ist, ist der Horizont über unserer Welt und unserem Leben hell und weit geworden. Eine verschlossene Türe und ein Fenster haben sich geöffnet. Und nun scheint das Licht auf unser Leben. „Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird“, nennt Paulus dieses Licht. Von der Zukunft her scheint es, aber es stellt unser Leben im Heute in ein neues Licht. Menschen durchbrechen den Teufelskreis der Schuld und entdecken, dass Vergebung möglich ist, Misstrauen sich auflöst. Leute, die niederdrückende Last zu tragen habe, spüren eine Kraft, die ihnen hilft, die Last zu tragen, und dazu manchmal noch die Last anderer mitzutragen. Statt aufzubegehren oder zu resignieren, lernen sie Geduld und Ausdauer und werden dabei stark. Sie entbehren manches, sie kommen oft zu kurz, sie wissen, was es heisst, Pläne und Wünsche aufzugeben; sie wissen, dass jeder Abschied immer schon eine kleines Sterben ist und dass Schmerzen, Not und Leid zum Leben gehören, dass auch der Tod zum Leben gehört.

Doch sie sehen über diesem Leben den weiten Horizont; sie sehen die Türe, den Zugang zur Gnade offen. Sie sehen es noch nicht mir den äusseren Augen, aber mit dem Schauen des Glaubens. Sie spüren etwas vom Frieden Gottes in ihrem Leben. Davon bin ich Zeuge geworden. Ich erzähle ein Beispiel. Ich habe eine junge Familie besucht. Der Mann war an Aids erkrankt. Jahre zuvor hat er sich mit verunreinigten Spritzen das Virus geholt. Er lernte eine Frau kennen und lieben. Sie haben geheiratet, obschon die Frau wusste, dass ihr Mann HIV-positiv ist. Sie bekamen ein Kind, ein gesundes Kind. Früher als erwartet erkrankte der junge Mann. Er ist so schwach, dass er sich nur noch im Rollstuhl bewegen kann. Beide wissen, dass er nicht mehr lange zu leben hat. Aber er ist ganz ruhig und friedlich und freut sich an dem kleinen, munteren Kind. Die Frau hat ihre Berufsarbeit aufgegeben, um ihren Mann pflegen zu können. Sie hat sich vorgenommen, ihn zu Hause zu pflegen bis zu seinem Tod. Im Zimmer, wo ich der Familie begegnet bin, lag ein stiller Glanz von Friede und Glück: Zwei Menschen, die in grosser Bedrängnis sind. Sie gaben mir eine Anschauung, was es heisst, „dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“. Davon habe ich etwas gespürt. Kein Aufbegehren, keine Resignation, keine Verbitterung und Verhärtung. Die grossen Worte des Paulus waren auf einmal keine Theorie, ich sah ihre Wahrheit und Wirklichkeit im Gesicht dieser beiden jungen Menschen.

Die Frau holte dann aus einer Schublade ein Gedicht hervor, und wir haben es miteinander gelesen. Es sollte einmal auf der Todesanzeige zu lesen sein. Es ist ein Gedicht von Erich Fried:

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst                              
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Liebe Gemeinde, „durch den Glauben sind wir gerecht gesprochen und haben Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus, durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade“, hat Paulus geschrieben. Auf den Glauben kommt es an. Er ist der Schlüssel zur Gnade und zur Hoffnung. Er öffnet uns die Augen des Herzens, so dass wir den Himmel über uns sehen, wenn wir in grosser Bedrängnis sind. Aber wie finden wir zum Glauben? Sind es nicht gerade die Bedrängnisse, die in uns den Glauben zuschütten? Wir müssen ihn nicht aufbringen, müssen nicht krampfhaft zu glauben versuchen. Er kommt zu uns als ein Geschenk. Genau deshalb halten wir miteinander Gottesdienst, beten miteinander, singen die schönen Kirchenlieder, predigen und hören das Evangelium: damit der Glaube zu uns kommt, damit Gott ihn uns, Ihnen, liebe Gemeinde, und mir, von neuem schenkt, der Glaube, der die Türe zur Gnade aufschliesst, die Hoffnung in uns aufweckt und die Liebe Gottes in unsere Herzen ausgiesst durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.

Ist er uns denn wirklich gegeben, der Heilige Geist? Denken Sie doch bloss nicht, liebe Gemeinde, dass wir vergeblich darum bitten!
Amen.

 



Pfarrer Klaus Bäumlin
Bern
E-Mail: klaus.baeumlin@bluewin.ch

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