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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag im Advent, 16.12.2007

Predigt zu Offenbarung 3:1-6, verfasst von Georg Freuling

Der Predigttext für diesen Gottesdienst am 3. Advent ist ein Brief. Der richtet sich an eine frühe christliche Gemeinde. Und er hat es in sich, dieser Brief. Aber hören Sie selbst den Predigttext Offb 3,1-6:

(Predigttext)


Liebe Gemeinde, stellen Sie sich mal vor, dieser Brief wäre an uns gerichtet. Stellen Sie sich mal vor, ich würde Ihnen diesen Brief heute morgen im Gottesdienst als Schreiben an unsere Gemeinde vorlesen:
„Ihr nennt euch Christen, aber welchen Platz hat Gott in Eurem Leben? Woran erkennt man das noch? Eure Werke sind unvollkommen. Und wenn Ihr nicht bald etwas ändert, dann werdet Ihr böse überrascht, wenn Christus kommt!"
Stellen Sie sich vor, ich würde Ihnen heute morgen so die Leviten lesen. Was würde dieser Brief auslösen? Jede gute Stimmung wäre erst mal dahin. Ich stelle mir vor, das gäbe lange Gesichter, Irritation und Betroffenheit. Einige würden dann vielleicht beschwichtigen: „Nun übertreiben Sie aber. Eigentlich sind wir doch eine lebendige Gemeinde..." Andere wären vielleicht verärgert: „Was nehmen Sie sich hier heraus? Wer gibt Ihnen das Recht, hier alles schlecht zu reden?"

So stelle ich sie mir vor, die Reaktionen einer Gemeinde, die so einen Brief bekommt. Und vielleicht war es ja damals so, als die Gemeinde in Sardes diesen Brief bekam: Sardes liegt in Kleinasien, in der heutigen Türkei. Es ist eine Stadt, die damals schon bessere Tage gesehen hat. Und es gibt eine kleine christliche Gemeinde. Die Christen damals leben in einer schwierigen Zeit: Sie erleben den Druck des römischen Staates, ihren Glauben können sie nur im Verborgenen leben. An diese Gemeinde richtet sich der Brief.
Sein Absender ist der Seher Johannes. Als Christ haben die Römer ihn auf die Insel Patmos verbannt. Und dort begegnet Johannes dem auferstandenen Christus: eine Vision. Johannes schreibt auf, was er hört und sieht, er schreibt es an die sieben Gemeinden - darunter die in Sardes.
Dort wurde der Brief offiziell verlesen. Am Sonntag, im Gottesdienst, vor der ganzen Gemeinde. Stellen Sie sich das mal vor! Was hat der Brief dort wohl ausgelöst? Wahrscheinlich hat das einigen Staub aufgewirbelt. Wie haben die Christen in Sardes wohl reagiert? Einige waren betroffen, andere verärgert...

All das ist schon lange her, und Sardes ist weit weg. Geht uns dieser Brief etwas an? Wir sind nicht direkt angesprochen, und trotzdem geht der Brief auch an unsere Adresse. An sieben Gemeinde schreibt Johannes; sieben dieser Briefe, sieben Sendschreiben gibt es. Mit dieser Zahl sagt Johannes: Gemeint sind alle Christinnen und Christen zu jeder Zeit. Was er schreibt, das schreibt er an alle Gemeinden, an die ganze Kirche. Das ist sein Anspruch. Aber was gibt ihm das Recht dazu, uns so die Leviten zu lesen? Was nimmt er sich da heraus? Der Einwand zieht nicht, denn Johannes schreibt ja nicht in eigener Sache. Er gibt nur weiter, was er selbst empfangen hat. „Das sagt der, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne." So lautet die Überschrift des Briefes. In der Bilderwelt des Johannes bedeutet das: hier spricht niemand anders als der auferstandene Christus, der Herr der Kirche persönlich!

Dieser Brief ist nicht an uns adressiert, und dennoch sind wir mit angesprochen. Und dieser Brief will provozieren, zum Nachdenken bringen...  Er hat es in sich.
„Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot." Das ist ja das denkbar schlechteste Zeugnis, das man einer Gemeinde ausstellen kann. Was bedeutet das, wenn eine Gemeinde gesagt bekommt „Du bist tot?" Eine Gemeinde ist tot, wenn nichts mehr läuft, wenn da nichts mehr los ist, und niemand mehr die Kraft aufbringt, etwas zu bewegen. So werden es die meisten verstehen im Gegensatz zur lebendigen Gemeinde, in der was los ist: gut besuchte Gottesdienste und Leben im Gemeindehaus während der Woche.
Wenn ich das so verstehe, dann lese ich die Lebendigkeit einer Gemeinde an ihren Veranstaltungen ab. Es könnte sein, dass ich damit auf der falschen Spur bin. „Du hast den Namen, dass du lebst," heißt es da. Die Gemeinde in Sardes steht also durchaus im Ruf, eine lebendige Gemeinde zu sein. An Aktivität fehlt es nicht. Aber was ist dann gemeint? Was fehlt?
Die Christinnen und Christen in Sardes haben den Kontakt zum Lebendigen verloren, sie haben keine Beziehung mehr zu Gott. Deshalb bleibt ihr Engagement frommer Leerlauf. Hinter dem Aktionismus herrscht gähnende Leere. Sie haben sich von Gott verabschiedet, der Lebendige hat keinen Platz mehr in ihrer Mitte...

Was für das Leben einer Gemeinde gilt, gilt nicht weniger für den Einzelnen: Ich kann den Draht zu Gott verlieren, wenn ich mich innerlich von ihm verabschiede. Wenn Gott mir gleichgültig wird, bleibt mein Glaube ohne Folgen, dann fehlt ihm die Kraft: Ich kreise in meinem Denken und Handeln um mich selbst, bleibe blind für Gottes Gegenwart. Gott hat dann keinen Platz mehr in meinem Leben.

„Du bist für mich gestorben!" Wenn das jemand sagt, bedeutet das aus und vorbei, Funkstille, das endgültige Scheitern einer Beziehung. „Du hast den Namen, dass du lebt, und bist tot." Da werden die Christen in Sardes als Menschen angesprochen, die sich von Christus verabschiedet haben. In ihrem Leben hat der lebendige Gott keinen Platz mehr.
Dennoch heißt es nicht einfach aus und vorbei: Gott lässt es nicht zu, dass Funkstille eintritt. Dieser Brief ist ein leidenschaftlicher Appell: „Lasst uns neu anfangen!" Es ist ein energischer Weckruf: „Wacht endlich auf!" Christus verabschiedet sich nicht einfach von den Seinen. Im Gegenteil - er spricht Menschen an, die sich von ihm verabschiedet haben. Er sucht sie, um sie neu für sich zu gewinnen.

Dieser Brief hat es in sich. Er provoziert. Aber er provoziert mich heilsam, indem er mich zum Nachdenken bringt. Da stehe ich vor der Frage: Welchen Platz hat Gott in deinem Leben? Herrscht Funkstille? Dann wird es Zeit. Dann will ich neu nach Gott fragen. Dann will ich mit ihm reden, ihm sagen, was mich bedrückt. Und dann erfahre ich: Ich bin nicht allein; seine gute Nähe trägt mich. Dann erfahre ich Hilfe für mein Leben, so unvollkommen es auch sein mag.
Wenn ich Gottes Nähe suche, dann bedeutet das aber auch: Ich erkenne mich selbst, erkenne, was nicht gut ist in meinem Leben. Dann möchte ich etwas ändern, aufräumen. Dann werde ich etwas ändern, weil Gott mir die Kraft dazu gibt. Und dann erlebe ich auch keine bösen Überraschungen mit Gott. Dann kann mich sein Kommen, seine Gegenwart in meinem Leben nur positiv überraschen. Es ist wie in einer kleinen Geschichte, die ich an das Ende meiner Predigt stellen möchte:

Ein Mensch bekommt einen Brief: „Ich komme bald. Gott." Der Mensch bekommt einen gehörigen Schrecken: Gott kommt zu Besuch. Aber wie sieht sein Haus aus? Chaos vom Keller bis zum Dachboden. So kann er Gott doch unmöglich empfangen. „Ich muss erst aufräumen," denkt er. „Aber alleine schaffe ich das nicht." Er ruft Freunde und Bekannte an, klingelt bei den Nachbarn. Keiner hat Zeit. Da fängt er alleine an. Räumt auf, wischt Staub. Irgendwann merkt er - da ist doch noch jemand gekommen, um ihn zu helfen. Die beiden stellen Sperrmüll auf die Straße. „Das schaffen wir nie," sagt er zum andern und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Dann wird es Abend. Und die beiden haben es geschafft. Das Haus glänzt, der Tisch ist gedeckt. Die beiden sitzen zusammen. „So, jetzt kann Gott kommen," sagt der Mensch zu dem, der ihm die ganze Zeit geholfen hat. Der antwortet: „Aber - ich bin doch schon da!"

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn. Amen.



Dr. Georg Freuling

E-Mail: georg.freuling@web.de

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