Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Judika, 13.03.2016

Predigt zu Lukas 1:46-55 (dän. Perikopenordn.), verfasst von Marianne Frank Larsen

 

Die großen Worte im Lobgesang der Maria kommen aus einer ganz kleinen Bewegung. Wie ein kleiner Fisch, der mit dem Schwanz wedelt. So erlebt es Kristin, als sie im sechsten Monat schwanger ist. In dem Romans Sigrid Undsets hat sie beunruhigend lange gewartet, ohne anderes zu merken als Schwere. Kein Leben. Die Geschichte von Kristin Lavranstochter spielt sich im Mittelalter ab. Da gibt es kein Scanning, das einen beruhigen kann, nur die Ungewissheit, die mit der Zeit zu Angst wird. Warum bewegt sich das Kind nicht? Ist es gelähmt, oder hat es keine Arme und Beine?

   Die Fragen halten Kristin nachts wach, zusammen mit den furchtbarsten Visionen, die sie nicht verlassen wollen. Ist das überhaupt ein lebendiges Kind? Deshalb wird sie auch stumm und überwältigt, als die Bewegung endlich kommt. Sie ist draußen in den Bergen an einem Wintertag mit ihrem Mann; plötzlich sieht er, wie sie stehen bleibt und ganz still steht, und als er sie fragt, was los ist, antwortet sie nicht. Ihr Blick ist fern; sie steht, als höre sie etwas. Dann merkt sie es wieder. Tief in ihrem Schoß fühlt es sich an wie ein kleiner Fisch, der mit dem Schwanz wedelt. Erst kann sie sich nicht dazu überwinden, ihrem Mann etwas zu sagen, denn sie haben sich den ganzen Tag gestritten. Aber dann sagt er es selbst: War es das Kind, das sich bewegt hat? Und endlich legt sie allen Zorn beiseite und umarmt ihn. Ja, es war das Kind, das sich bewegt hat. Kristin trägt ein lebendes Kind.

   Unsere Situation ist eine andere. Wir können das Kind auf Bildern sehen, lange bevor wir es merken können; wir wissen, dass es lebt und die kleinen feinen Arme und Beine hat, die es haben soll. Und doch ist die ganz kleine Bewegung noch immer eine große und erfreuliche Überraschung, die wir so um Woche 20 erleben. Trotzdem wissen wir genau, warum Kristin stehen bleibt und fern im Blick ist, als höre sie etwas. Denn eines sind die Bilder. Etwas anderes ist es, wenn man Leben spürt. Es ist ein schöner Ausdruck – und ein großes Privilegium, wenn man das Glück hat, buchstäblich an seinem eigenen Körper oder in seinem eigenen Körper zu spüren, dass das ein ganz neues und lebendiges Kind ist, das sein eigenes Leben und seine eigenen Glieder hat. Wir wissen auch, warum Kristin sich schließlich dazu überwindet, ihren Mann in die Arme zu nehmen. Sie tut das, weil da etwas Größeres und Wichtigeres ist als ihr eigener Zorn. Das ist die ganz kleine Bewegung tief in ihrem Schoß. Das neue Leben, das sie trägt. Nun weiß sie das, und die Gewissheit darüber bedeutet, dass sie von ihrer Freude überwältigt wird.

Das ist die Freude, die Maria im Evangelium dieses Sonntags überwältigt. Maria merkt zwar nicht selbst Leben, denn es sind noch neun Monate bis Weihnachten, wo sie ihr Kind gebären wird. Ihre Tante Elisabeth ist es, die Leben merkt. Sie spürt Leben in einem Körper, der längst zu alt geworden ist für das, was er zuvor nie vermocht hat. Fünf Monate zuvor hat der Engel Gabriel ihrem Mann angekündigt, dass die beiden alten kinderlosen Leute verjüngt werden und Eltern werden würden. Sie sollen das Kind Johannes nennen; wir nennen ihn Johannes den Täufer, und er soll die Menschen darauf vorbereiten, den Sohn des Himmels zu empfangen. Seit dem Besuch des Engels hat sich Elisabeth isoliert mit ihren Gedanken und der fremden Schwere in ihrem Körper. Aber heute, als Maria eintritt, merkt Elisabeth zum ersten Mal Leben. Ihre Haut ist runzelig, ihre Muskeln sind schwach, ihr Körper abgezehrt. Und doch weiß sie in diesem Augenblick, dass das Unmögliche Wirklichkeit geworden ist. Sie glaubte, das Leben sei vorbei. Aber es soll erst jetzt beginnen. Sie trägt ein neues und lebendiges Kind.
 
Das Kind springt in ihrem Leib, erzählt Lukas, und der Heilige Geist flüstert Elisabeth ins Ohr warum: Es springt vor Freude, weil Maria den Sohn des Himmels in sich trägt. So nimmt der kleine Johannes schon im Mutterleibe die Aufgabe wahr, für die er bestimmt ist: die Menschen darauf vorzubereiten, den Sohn Marias zu empfangen. Mit seinem Freudensprung bahnt er den Weg und gibt Raum für den nächsten kleinen Jungen – sowohl in den Worten Elisabeths als auch im Herzen Marias. Denn vielleicht steht Elisabeth auch einen Augenblick still, fern im Blick, als höre sie etwas, aber dann überwältigt sie die Freude, und sie nennt Maria gesegnet, weil sie die gesegnete Frucht in sich trägt, die das Kind in ihr selbst vor Freude springen ließ, und sie verspricht Maria, dass das, was  Gott zu ihr gesagt hat, in Erfüllung gehen wird. Das sind die Worte, die Maria vor Freude überwältigt sein lässt. Denn nun erhält sie auch Gewissheit über das, was sie nicht spüren kann und noch kaum glauben kann – dass sie ein Kind erwartet, und dass das Kind, das sie erwartet, Gottes Sohn ist. Elisabeth gibt ihr die Bestätigung, die ihr der Engel versprach. Ja, in Wirklichkeit ist es ja das Kind im Schoße von Elisabeth, das sie darin bestätigt, dass das Unmögliche wirklich geworden ist.

Das Wunder ist ja nicht allein die Empfängnis im Körper der Elisabeth. Das ist die Empfängnis im Körper von Maria auch. Maria ist zu jung. Oder sie ist jedenfalls so jung, dass sie noch nicht mit einem Mann zusammen war. Die eine ist alt und unfruchtbar. Die andere ist jung und unberührt. In beiden leeren Mutterleiben hat Gott Leben geschaffen, unerwartet, wundervoll, unmöglich für Menschen, aber für ihn ist offenbar nichts unmöglich. Elisabeths Kind hat einen Mann zum Vater, einen alten Mann, der durch Gottes Gnade wieder jung wurde; das hat Maria nicht. Nehmen wir den Engel beim Wort, ist Gott der Vater. Aber beide Frauen haben gemeinsam, dass in beider Schoß, wo kein Leben war, neues Leben beginnt. Elisabeth ist nicht mehr unfruchtbar, Marias nicht mehr unberührt, im Gegenteil, sie ist tief berührt, in Leib und Seele, so berührt, dass sie sich nicht damit begnügen kann zu reden. Sie muss singen, um ihre Freude in Worte zu fassen. So wie es uns geht, wenn gewöhnliche Worte entweder zu flach oder zu sentimental erscheinen, wenn das, was geschieht, so wunderbar ist, dass gewöhnliche Worte nicht ausreichen. Da ist es gut, die Worte der Dichter gebrauchen zu können, wie wir das immer in der Kirche tun.

Maria erwähnt ihr Kind mit keinem Wort in dem Lied, das sie singt. Und doch handelt das ganze Lied von ihm. Alle Worte in ihm sammeln sich über das Kind, das Weihnachten geboren wird, und sie schaffen Raum für ihn in unserem Leben, während wir hören. Maria gebraucht alte Worte aus den Liedern der Bibel, die erzählen, wie Gott die Mächtigen vom Thron stürzt und die die Kleinen erhöht, und damit meint sie das Kind. Das soll er tun, wenn er in die Welt kommt: Völlige Umkehr zwischen dem, was klein ist und groß ist. Und sie dankt für die großen Dinge, die Gott für sie getan hat, und wieder meint sie das Kind, das soll der tun, wenn er in die Welt kommt: Großes für kleine Menschen. Und sie singt von der Barmherzigkeit Gottes – und wieder meint sie damit das Kind, denn mit ihm kommt er in die Welt: die Barmherzigkeit von Gott. Er ist Gottes Sohn. Der kommt vom Himmel, um die Kleinen zu erhöhen und große Dinge für uns zu tun und die Barmherzigkeit Gottes zu zeigen. Aber er ist auch Marias Sohn. Er kommt aus ihrem Mutterschoß mit einem Körper wie der unserer kleinen Kinder, genauso fein und vollendet - und so verletzlich und verwundbar. In dem Körper rückt er uns ganz auf den Leib mit der Barmherzigkeit Gottes und seinen großen Taten. Kein Wunder, dass Maria singt. Sie und wir sind nie mehr wo immer in unserem Leben uns selbst überlassen.

Die Begegnung zwischen Maria und Elisabeth ist ein beliebtes Motiv in der Kunst. Auf vielen schönen Bildern kann man die alte Frau sehen, die die junge Frau empfängt. Man nennt es den Besuch – im Unterschied zur Verkündigung der Maria. Elisabeth, brauch gekleidet, mit dem weißen Kopftuch einer verheirateten Frau, verrunzelt, gebeugt und rundlich, streckt die Hand aus und umarmt Maria, die jung und glatt und rank ist, gekleidet in ein Gewand so blau wie der Himmel und ein Kleid so rot wie die Liebe. Zwei Frauen, die ihren Jungen in sich tragen – und dasselbe Geheimnis im Herzen. Das erzählen sie uns heute. Das Geheimnis, dass Gott Leben schafft, wo kein Leben ist. In den Körpern der Frauen, so dass sie fern im Blick werden, als hörten sie etwas, das sehr groß ist, auch wenn es ganz klein ist – am Beginn des Lebens. Aber auch, wenn alles vorbei ist. Denn das Kind, das Maria Weihnachten zur Welt bringt, wird sterben, wie wir sterben, an Ostern. Er wird wie wir in einem Grabe liegen. Aber in dem Grabe, das wie das unsrige ist und wo kein Leben ist, schafft Gott Leben und sendet sein Kind lebendig in die Sonne des Ostermorgen. So wird selbst das Grab zu einem Mutterschoß, wo neues Leben beginnt, unerwartet und wunderbar. In seinem Grabe – und unserem Grab. Amen.



Pastorin Marianne Frank Larsen
DK 8000 Aarhus C
E-Mail: mfl(at)km.dk

Bemerkung:
Judika ist in Dänemark der Sonntag "Mariä Verkündigung"


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