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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Palmarum, 20.03.2016

Predigt zu Philipper 2:5-11, verfasst von Klaus Bäumlin

O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen und unerforschlich seine Wege! Denn wer hat den Sinn des Herrn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen? Wer hat ihm etwas geliehen, und es müsste ihm von Gott zurückgegeben werden? Denn aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist alles. Ihm sei Ehre in Ewigkeit, Amen.“

(Röm 11,33ff).

 

Liebe Gemeinde! Augustinus, der grosse Theologe, hat das Meer vor Augen gesagt: „Ich sehe die Tiefe, aber ich kann ihm nicht auf den Grund kommen.“ So geht es uns, wenn wir die Passion, das Leiden und Sterben Jesu Christi und seine Auferweckung von den Toten betrachten. Unser Gottesdienst und meine Predigt werden dem Geheimnis nicht auf den Grund kommen. Aber dass unser Leben und die ganze Welt in diesem Geheimnis geborgen sind, dass Gottes unergründliche Wege uns zum Frieden und zum Leben führen – dass uns das aufgeht, dass wir die Tiefe von Gottes Erbarmen erahnen und darüber staunen und dankbar werden, dazu sind wir jetzt beieinander: Im Namen Gottes des Vaters, im Namen Jesu Christi, in der Verheissung des Heiligen Geistes.

 

Seid so gesinnt, wie es eurem Stand in Christus Jesus entspricht:

Er, der doch von göttlichem Wesen war, hielt nicht wie an einer Beute daran fest, Gott gleich zu sein, sondern gab es preis und nahm auf sich das Dasein eines Sklaven, wurde den Menschen ähnlich, in seiner Erscheinung wie ein Mensch. Er erniedrigte sich und wurde gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Deshalb hat Gott ihn auch über alles erhöht und ihm den Namen verliehen, der über allen Namen ist, damit im Namen Jesu sich beuge jedes Knie, all derer, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.“ (Phil 2,5-11)

 

Liebe Gemeinde! Was ich Ihnen vorgelesen habe, ist vielleicht das älteste Kirchenlied, das uns überliefert ist. Dieses Lied, das einem Psalm des Alten Testaments nachgebildet ist, haben die ersten christlichen Gemeinden etwa ums Jahr 50 in ihren Gottesdiensten gesprochen, gebetet, vielleicht gesungen. In ihren Gottesdiensten, am ersten Tag der Woche, dem Tag, an dem sie die Auferstehung Jesu Christi feierten, haben sie sich versammelt im Haus eines Gemeindeglieds in irgendeiner Stadt des römischen Reichs, in Jerusalem und in Antiochia, in Korinth und Philippi, wahrscheinlich am Abend, denn der Sonntag war damals noch kein öffentlich anerkannter Feiertag. Eine Handvoll Menschen, Juden und Griechen, Freie und Sklaven, Männer und Frauen. Im Verlauf ihres Zusammenseins, das sie am Familientisch zusammen feierten, vielleicht auch draussen am Fluss, wenn sie durch die Taufe ein neues Gemeindeglied in ihre Gemeinschaft aufnahmen, haben sie diesen Christuspsalm angestimmt. Der Apostel Paulus hat ihn in seinem Brief an die Gemeinde in Philippi aufgenommen, etwa so, wie wenn ich in einem Rundbrief oder im Gemeindeblatt ein Lied aus dem Kirchengesangbuch zitiere und davon ausgehen kann, dass es den Lesern und Leserinnen vertraut ist. So war auch der Gemeinde in Philippi das von Paulus zitierte Lied vertraut, und sie haben sich wohl gefreut, es in seinem Brief lesen zu können.

Das Lied enthält nun seinerseits bereits ein Zitat: „Jesus Christus ist der Herr.“ Das ist das allerälteste Glaubensbekenntnis der Christenheit. Es hat sich den ersten Christen aufgedrängt, weil ihnen Jesus, der Verspottete und wie ein Verbrecher Verurteilte und am Kreuz Hingerichtete, begegnet ist als der von den Toten Auferweckte. Er ist der Herr. „Herr“ bedeutet hier freilich etwas anderes, als wenn wir uns mit Herr Meyer oder Herr Kunz anreden. „Herr“, griechisch Kyrios, ist ein Hoheitstitel. Im Alten Testament wird Gott „Herr“ genannt. „Herr ist Jesus Christus“ meint nichts anderes als: Ihm, dem Auferstandenen, gehört die ganze Schöpfung. Ihm gehört alle Macht im Himmel und auf Erden. Auf ihn kommt es an.

Man muss sich einmal vorstellen: Als Paulus den Brief an die Philipper schrieb, sass er wegen seines Zeugnisses von Christus als dem Herrn im Gefängnis. Die Christengemeinden waren winzige Minderheiten in ihrer Umwelt, oft angefeindet und bald auch verfolgt, gerade weil sie Christus als den einzigen bekannten, der es verdient, „Herr“ genannt zu werden und damit in Konflikt gerieten mit anderen, die sich als Herren aufspielten und Herrschaft über Menschen ausübten, in Konflikt kamen vor allem mit dem Herrschaftsanspruch des römischen Kaisers.

Eine unerhörte Kühnheit also, wenn sie, das kleine Häuflein Christen, behaupten und bekennen, dass der, den sie Herr nennen, nicht nur ihr Herr ist, sondern, jetzt noch verborgen, der Herr über alles, dessen Name einmal alle anrufen, vor dem alle sich beugen werden, die himmlischen Mächte, die Engel, die Menschen auf dem ganzen Erdkreis, ja selbst die unter der Erde, das unermessliche Heer der Verstorbenen aller Zeiten; alle werden lobpreisend bekennen: „Jesus Christus ist der Herr!“ Also kein aufgezwungenes Bekenntnis, keine inszenierte Akklamation, wie man sie kennt aus diktatorischen Regimes. Wie ein tiefes Aufatmen ist dieses Bekenntnis, ein Lied der Freiheit, angestimmt von Befreiten: Wir, und mit uns die ganze Schöpfung gehören nicht mehr den Herren und Mächten dieser Welt, nicht mehr sie werden unser Leben, unser Denken und Tun beherrschen. Ja, selbst der Tod, dieser „Herr aller Herren“ (Kurt Marti), hat sein Herrenrecht verspielt, und damit ist auch aller Angst und Furcht der Grund entzogen.

Wer aber ist dieser Herr, dieser Kyrios, dass sein Name über allen Namen ist? Was ist das für eine Herrschaft, dass die Lebenden und die Toten sich ihr lobpreisend beugen? Um das deutlich zu machen, erzählt das Lied den Weg Jesu Christi, und dies in strenger Konzentration auf die Hauptlinie. Der Weg Jesu hat nicht erst an Weihnachten begonnen, als das Kind von einer jüdischen Mutter geboren wurde und in einer Krippe zu finden war. Der Weg Jesu Christi hat vor aller Ewigkeit begonnen. Sein Anfang, sein Ursprung ist bei Gott. Von Gottes Wesen war er, gleich wie Gott in allem, vor aller Schöpfung schon bei Gott, man könnte sagen: als Gottes Schöpferwort, als Gottes Liebe, in der alles Leben seinen Ursprung hat.

Aber er, der gleich war wie Gott, hat sich an seiner göttlichen Ehre und Macht nicht festgeklammert wie einer, der sich eine Position erkämpft hat und sie nun krampfhaft verteidigt. Jesus hat seine Stellung nicht verteidigt, weil er sie nie erringen und erkämpfen musste. Sie stand ihm von Anfang an zu. „Er, der doch von göttlichem Wesen war, hielt nicht wie an einer Beute daran fest, Gott gleich zu sein, sondern gab es preis und nahm auf sich das Dasein eines Sklaven, wurde den Menschen ähnlich, in seiner Erscheinung wie ein Mensch. Er erniedrigte sich und wurde gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.“ Jesus geht den Weg von Gott zu den Menschen, ja, er ist der Weg Gottes zu den Menschen. Sein Weg ist die Geschichte von Gottes Solidarität mit uns Menschen.

Vielleicht können wir diese Geschichte annäherungsweise verstehen, wenn wir uns an die andere Geschichte erinnern, an unsere Geschichte, die Menschengeschichte von Adam und Eva. Sie wollen sein wie Gott, Sie wollen Grenzen überschreiten, wollen höher hinaus, wollen mehr Macht, wollen selber bestimmen über Gut und Böse. Und so geraten sie in Konkurrenz zueinander, klammern sich fest am einmal Erreichten, müssen es sichern und verteidigen. Und so tötet Kain seinen Bruder Abel bis zum heutigen Tag. Und so bringen sie sich mitsamt der ganzen Erde unter die Herrschaft des Todes.

Der Weg Jesu ist der Weg von Gottes Solidarität mit Adam und Eva: mit diesen Menschen, mit uns. Deshalb führt ihn sein Weg in die Tiefe, dorthin, wo Adam und Eva in ihrer Verlorenheit sind. Deshalb wird er, der gleich wie Gott war, den Menschen gleich, ein Mensch wie wir – und doch ein anderer, ein neuer Mensch. Er war ein Mensch von Fleisch und Blut. Und doch war in ihm Gott unter uns, in aller Verborgenheit der Himmel, die befreiende Herrschaft Gottes mitten unter uns Menschen. Das Menschsein Jesu war nicht Tarnung, nicht Verkleidung, die er, wenn’s drauf ankam, hätte ablegen können, um sein göttliches Wesen machtvoll zu demonstrieren. Er war auch darin ein Mensch wie wir, dass er den letzten, tiefsten und dunkelsten Weg ging, den Menschen gehen müssen, den Weg in den Tod. So weit geht Gottes Solidarität mit den Verlorenen, dass Jesus mit ihnen auch diesen letzten Weg geht. Mehr noch, abgründiger: nicht den Weg eines natürlichen, friedlichen Sterbens, sondern den Weg ans Kreuz. Ein Verachteter, Verstossener, ein Verurteilter ist er geworden, der schliesslich wie ein gottverlassener Verbrecher hingerichtet wird – solidarisch mit denen, die kaputt gehen unter der Last und dem Fluch der Schuld. Nicht nur seine Gottesgestalt hat er verlassen, nicht nur sein Leben hingegeben, auch seine Ehre, seinen guten Namen gibt er preis. Zum letzten aller Menschen erniedrigt er sich. Zu denen gehört er, die rein nichts mehr zu melden, zu erwarten, zu hoffen haben. Das ist Gottes Weg zu den Menschen, so tief geht Gottes Solidarität. So bleibt er den Menschen in Treue verbunden, dass er den Letzten, den Hoffnungslosesten von ihnen verbunden bleibt. Da ist das abgründige Geheimnis der Passion Jesu.

Das Christuslied des Philipperbriefs wird am Palmsonntag gelesen. Ebenso könnte es am Ostersonntag gelesen werden. Denn es singt davon, dass Gott den zum Tod am Kreuz Erniedrigten zur höchsten Höhe erhoben, vom Tod ins Leben auferweckt hat. Gott bleibt Jesus auch im Tod in Treue verbunden. Und wo Gott seine Treue investiert, da hat die Macht des Todes ausgespielt. Das ist das Geheimnis der Auferstehung.

Der Tod Jesu am Kreuz ist die Wende auf dem Weg Gottes zu uns Menschen. Es ist die Umkehr zum Leben. Denn genau so, wie der Weg Jesu in die Erniedrigung und in den Tod Gottes Weg mit uns ist, so ist auch die Auferweckung Jesu Gottes Weg mit uns. „Ich lebe, und ihr sollt auch leben“ hat Jesus gesagt (Joh 14,19). So wie Christus in seiner tiefsten Erniedrigung, in seinem Menschsein nie aufgehört hat, Gottes Gegenwart zu repräsentieren, so hört auch der Auferstandene und Erhöhte nicht auf, die Menschen zu repräsentieren. Sein Menschsein ist keine Episode. Es ist der Weg Gottes zu uns. Aber es ist auch der Weg des Menschen zu Gott. Der Auferstandene und von Gott Erhöhte trägt einen Menschennamen: Jesus von Nazaret. Er bleibt mit den Menschen verbunden.

Die alten Maler haben diese Wahrheit zum Ausdruck gebracht, indem sie den auferstandenen und erhöhten Christus mit den Wundmalen der Kreuzigung an Händen und Füssen dargestellt haben. Dieser Erniedrigte und im Tod Verlorene ist der Gerettete und Erhöhte, dieser und kein anderer! Die Osterikonen der Ostkirche zeigen Christus, wie er das Totenreich betritt, hinabsteigt zu den Toten und Adam und Eva bei der Hand nimmt als seinen Bruder und seine Schwester, um sie mitzunehmen auf seinem Weg zu Gott. Könnte ich eine Ikone malen, ich würde malen, wie Christus auch den Abel, den Erschlagenen, und Kain, den verfluchten Gewalttäter, bei der Hand nimmt als seine verlorenen Brüder, noch mit ihnen solidarisch wird, den Fluch der Schuld löst und die Verlorenen heimholt in die Versöhnung und ins Leben.

Vielleicht, liebe Gemeinde, kommen Bilder, Musik und Lieder dem Geheimnis von Passion und Ostern näher als Worte. Ich habe nicht die Stimme eines Engels, um den Namen über allen Namen zu preisen, nur die Stimme eines Menschen, der nach Worten ringt. Die Anschaulichkeit fehlt, um das Geheimnis von Passion und Ostern zu beschreiben, weil es alle Erfahrung, alles Vorstellungsvermögen übersteigt. Und doch kommt ja alles darauf an, dass wir von diesem Geheimnis her leben, es den niederdrückenden Erfahrungen menschlicher Macht und Ohnmacht, den Erfahrungen von Elend, Not, Verlassenheit und Verlorenheit, von Schuld und Tod entgegenhalten. Alles kommt darauf an, dass wir dem Geheimnis der Passion und der Auferstehung Jesu Christi vertrauen und es den Todesmächten entgegenglauben.

Das Lied der Christengemeinden von damals ist uns überliefert, damit wir es der bedrückenden und angstmachenden Realität der Welt entgegenhalten, entgegensingen. Paulus hat den Christuspsalm in seinem Philipperbrief eingeleitet mit den Worten: „Seid so gesinnt, wie es eurem Zugehören zu Christus Jesus entspricht“. Der Christuspsalm will nicht nur gesungen, der Christusname nicht nur mit Worten und Liedern gepriesen werden. Es geht um den Lobpreis mit unserem ganzen Leben. Wir dürfen uns mitnehmen lassen auf den Weg, den Gott in Christus zu den Menschen geht: auf den Weg, der hinausführt aus Selbstbehauptung und Gewalt, hinausführt aus allem krampfhaften Festhalten, hinausführt aus der Angst, die Selbstbehauptung, Konkurrenz und Gewalt überhaupt erst erzeugt. Es ist der Weg, der aus dem Tod ins Leben führt. Adam und Eva kommen ins Licht, und auch ihre verlorenen Söhne Kain und Abel. Amen.

 

 

Damit sich der Christuspsalm von Phil 2 auch für uns singen lässt, habe ich versucht, ihn möglichst textgetreu in drei Strophen zu fassen. Das Lied lässt sich nach der Melodie „Jesu, deine Passion“ von Melchior Vulpius singen:

 

Jesus Christus, der da war                                                        

gleich wie Gott in allem,                                            

hat an seiner Gottesart                                              

sich nicht festgehalten:                                              

arm hat er sich selbst gemacht,                               

um als Knecht zu dienen.                                           

Uns, den Menschen war er gleich,                          

ist als Mensch erschienen.           

 

Selbst erniedrigt hat er sich,        

ist gehorsam worden,                  

nahm den bittern Tod auf sich,   

ja, den Tod am Kreuze.

Darum hat ihn Gott erhöht

zu der höchsten Höhe,

hat den Namen ihm geschenkt

über alle Namen.

 

Jesu Namen beten an

alle hoch im Himmel,            

alle die auf Erden sind,

alle auch im Tode.

Jede Zunge rühme ihn,

jeder Mund bekenne:

Jesus Christus ist der Herr! –

Gott zur Ehr, dem Vater.

 

 

 

 

 



Pfarrer i.R. Klaus Bäumlin
Bern
E-Mail: klaus.baeumlin@bluewin.ch

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