Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag im Advent, 16.12.2007

Predigt zu Offenbarung 3:1-6, verfasst von Andreas Schwarz

1 Und dem Engel der Gemeinde in "Sardes" schreibe: Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne: Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot. 2 Werde wach und stärke das andre, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott. 3 So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und tue Buße! Wenn du aber nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde. 4 Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind's wert. 5 Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. 6 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

 

Liebe Gemeinde,

nun ist es bereits 23 Jahre, dass wir den Titel des berühmten Buches von George Orwell eingeholt haben: 1984. Als das Buch im Jahr 1949 erschien, war es eine unvorstellbar grausame Idee, dass die Bürger durch den Staat grenzenlos überwacht würden. Es gab keine einzige Möglichkeit mehr, sich dem zu entziehen, in eine persönliche, private Welt zu flüchten, die nicht überwacht wurde. Alles wurde überwacht, beobachtet, gesehen. Der Satz war grausame Wirklichkeit ‚Big brother is watching you' - der Große Bruder beobachtet dich.

Der Roman wirkt genau dadurch so beklemmend, dass man sich vor dieser Idee fürchtet, überwacht, durchleuchtet, immer beobachtet zu werden.

Und die größte Sorge dabei ist: was geschieht damit? Was macht der, der alles von mir weiß, mit seinem Wissen? Ich bin ihm ausgeliefert, es gibt keine Ausreden, kein Versteck. Alles, was ein Anderer weiß, kann gegen mich verwendet werden.

 

Es hat den Eindruck, als habe unsere Wirklichkeit die Idee des Romans längst eingeholt. Immer wieder gibt es neue Vorschläge, wie die Menschen in unserem Land noch besser überwacht werden können. Natürlich mit dem Ziel, kriminelle Figuren frühzeitig ausfindig zu machen. Da sind die Fingerabdrücke auf dem Pass noch ein kleineres Übel. Was ist mit den Aufnahmen der unzähligen Überwachungskameras in Behörden, Banken, Geschäften und an Autobahnbrücken? In welche Hände und vor welche Augen kommt das? Und was machen die damit?

Wer mit dem Computer im Internet surft, wird registriert und beobachtet; wer mit dem handy telefoniert, kann jederzeit geortet werden und seine Gespräche werden gespeichert. Jede Ausleihe eines Buches in einer Bücherei wird gespeichert und ist einsehbar. Wundern Sie sich nicht auch manchmal, warum sie Werbepost bekommen, die namentlich an Sie adressiert ist, aber Sie haben da noch nie eingekauft?

Keine Frage: big brother is watching you.

Wir werden registriert und beobachtet, Daten werden gespeichert und sind immer wieder verwendbar.

Die Volkszählung im römischen Reiche zur Zeit der Geburt Jesu war dagegen harmlos.

Freiheit ist etwas Anderes.

Aber es scheint, als gebe es Freiheit nur auf Kosten von Sicherheit. Und umgekehrt: Sicherheit gibt es nur auf Kosten von Freiheit.

 

Sind wir in diesem Fahrwasser, wenn der Seher Johannes als ein Wort Jesu an die Gemeinde in Sardes schreibt: ‚ich kenne deine Werke'?

Ich durchschaue dich. Ich sehe hinter deine Fassade, ich entlarve dich, ich nehme deine Maske von deinem Gesicht. Ich sehe dich, wie du wirklich bist - offen, aufgedeckt, eben: apokalyptisch.

Wer könnte schon von sich behaupten, ihm mache das nichts aus, er habe nichts, aber auch gar nichts zu verbergen? Wer also geht schon ohne Maske durch das Leben, wer achtet nicht darauf, wie er wirkt, welchen Anschein er erweckt, welches Ansehen er bei anderen Menschen hat? Wer ist schon so frei, immer zu sagen und zu tun, was er will?

Psychologische Untersuchungen haben ergeben, dass Menschen sich anders verhalten, wenn sie wissen, sie werden beobachtet. Das geht so weit, dass sogar ein Bild von einem Augenpaar neben der Kaffeemaschine im Büro ausreicht, damit die Zahl derer, die ihren Kaffee bezahlen, deutlich steigt.

Wir sind keineswegs frei davon, dass Beobachtung und Überwachung unser Verhalten beeinflusst.

‚Ich kenne deine Werke!' sagt der, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne. Der also vollkommen ist, der alle Weisheit und Macht besitzt, der Herr ist über die ganze Schöpfung und eben auch über den Menschen, der den Menschen geschaffen hat und ihn kennt und ihn durchschaut, der der Herr ist in seiner Kirche und seinen Gemeinden. Der sagt: ‚Ich kenne deine Werke!' und belässt es nicht bei der Verkündigung seines Wissens. Er sagt, was er weiß, er hält mit seinem Wissen nicht hinterm Berg.

Damit wäre schon einmal ein Unterschied zur staatlichen und beängstigenden Rundum-Überwachung markiert: Jesus Christus sagt, was er sieht und er sagt auch, was das bedeutet, was er weiß.

‚Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot'.

Viel grausamer kann eine Analyse nicht sein. Denn dahinter verbirgt sich mehr als, dass einer weiß, was ich unbedingt verbergen wollte. So, als fühlte ich mich jetzt ertappt, wenn er mir das sagt.

Das entlarvt die Gemeinde in einer so unangenehmen Weise, weil sie sich selber so nicht gesehen hat. Nicht nur die Leute denken, sie sei lebendig, sie selber denkt es wohl auch. Es ist doch alles in Ordnung, es ist wunderbar. Bei uns lebt es, wir feiern fröhliche Gottesdienste, Menschen aller Generationen kommen und feiern mit; unsere Gemeindebriefe und Gottesdienstblätter sind voll von Hinweisen auf Veranstaltungen für jung und alt, musikalische und biblische, unterhaltsame und Gemeinschafts-Fördernde. Hier lebt es doch von Sonntag bis Sonntag und das jede Woche wieder aufs Neue.

Wer meint, die Lebendigkeit einer christlichen Gemeinde zeige sich in der Anzahl der Gottesdienstbesucher oder in der Menge der Veranstaltungen und Projekte, der gerät hier in das Licht der Analyse des Herrn der Kirche. Es entlarvt die, die sich selbst beruhigen - es ist doch alles in Ordnung Ab er entlarvt auch die, die mit ihrer Gemeinde nicht zufrieden sind und neidisch auf andere Gemeinschaften schielen, wo scheinbar mehr los ist: da kommen 150 Kinder zur Jungschar, da sind 100 Jugendliche zu Jugendgruppen zusammen, da zahlen 100 Gemeindeglieder ihren Pfarrer und bauen eine neue Kirche und wunderschöne Gemeinderäume.

Sowohl die einen wie die anderen geraten in die schonungslose Analyse des Herrn. Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot.

Der Ruf und das Ansehen sind etwas Anderes als das Leben. Der Schein gibt keine Auskunft über das Leben. Was du von außen sehen kannst, ist noch lange kein Hinweis auf Leben. Und darum sind Begriffe wie einladende Gemeinde,  lebendige Gemeinde oder missionarische Gemeinde mehr als skeptisch zu betrachten.

Was aber geschieht nun mit der Analyse Jesu? Wenn es doch - Gott sei Dank - so ist, dass er sagt, was er sieht.  Zwei Dinge erfahren wir - und es sind hilfreiche Dinge.

Das erste ist: Werde wach und stärke das andre, das sterben will.

Da kommen für die Gemeinde die Menschen in den Blick, die von Aktivitäten nicht erreicht, sondern womöglich abgeschreckt werden, die sich nichts zutrauen, die sichtbar gar nichts beitragen können zu dem, was gemeinhin aktive oder lebendige Gemeinde genannt wird. Die womöglich als Passive abgetan werden, als Karteileichen oder Taufscheinchristen. Menschen, die von ihrem Glauben wenig Aufhebens machen.

Wache Augen bekommen für solche Menschen und sie stärken, weil sie uns eine Hilfe sein können für die schlichte Freude, dass es überhaupt so etwas wie einen Gottesdienst gibt und dass sie immer wieder dazu eingeladen sind. Sie sind es wert, heißt es. Denn wenn ein Gottesdienst beginnt im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, dann freuen sie sich daran, dass sie dabei an ihre Taufe auf den Namen des dreieinigen Gottes erinnert werden. Sie leben nicht aus dem, was sie machen oder vorzeigen können, sondern aus dem, was sie durch ihre Taufe in den Tod Christi hinein geworden sind. Sie sind adventliche Menschen und warten darauf, dass die Lahmen gehen und die Blinden sehen und die Toten auferstehen und dass den Armen das Evangelium verkündigt wird.

Die Analyse Jesu führt zu einem wachen und barmherzigen Blick auf unseren Nächsten, auf scheinbar unbedeutende und scheinbare schwache und scheinbar unwichtige Menschen, die aber zu einem Hinweis werden können, worauf es im Glauben ankommt: von Jesus Christus alles und von sich selbst nichts zu erwarten.

Die Analyse Jesu wird so nicht zu einem Schreckgespenst der Verdächtigung, der Verfolgung und Strafe, sondern sie führt in eine Ermutigung zum liebevollen Leben.

Und das Zweite: So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und tue Buße!

Die Überwachung und Analyse Jesu wirbt darum, dass Gemeinde nicht vergisst, sondern sich daran erinnert, woher sie kommt, wovon sie lebt und zu wem sie gehört. Er ruft zu sich. Damit Menschen nicht ihren Ideen und Konzepten, ihren Aktivitäten vertrauen, sondern ihm.

Am Ende sind es nicht die Auszeichnungen und Orden, die Belobigungen und umgesetzten Ideen, sondern das schlichte weiße Taufgewand, das wir uns nicht einmal selbst genäht haben, sondern das für uns am Kreuz erworben wurde. Womit wir uns immer schmücken möchten, entscheidend ist, dass wir darunter ein weißes Kleid haben, das wir seit unserer Taufe tragen.

Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln.

Nicht, dass es in der Kirche nicht bunt zugehen sollte mit den unterschiedlichsten Möglichkeiten, Gemeinschaft zu erleben und zu erfahren und auszutauschen. Aber das Ziel ist diese Einladung, sich an dem Namen genügen zu lassen, mit dem du von deiner Taufe her schon aufgeschrieben bist im Buch des Lebens. Es braucht keine Kunstnamen mehr wie ‚überzeugter Christ', ‚gläubiger Christ', ‚lebendiger Christ', praktizierender Christ, ‚erweckter Christ' und wie solche Namen sonst noch heißen mögen.

Am Abendmahlstisch, den der auferstandene, himmlische Herr seiner Gemeinde ein für allemal gedeckt hat, reicht es aus, dass du im Buch des Lebens bereits aufgeschrieben bist und dass dich der Herr bei deinem Namen gerufen hat und dass er sich zu diesem Namen vor seinem himmlischen Vater und den Engeln bekennen wird.

Big brother is watching you - wohin führt es, dass der Herr uns kennt und durchschaut? Eben nicht in die Angst oder die panische Aktivität, sondern in die Erinnerung, an den Nächsten und ins Hören.

Die Adventszeit ist eine neue Einladung, auf die Worte der Schrift zu hören. Dem Volk wird der Heiland angekündigt, die Menschen werden vorbereitet, ihm zu begegnen, ihn zu empfangen. Es geht auf die Freude der Christnacht zu, dass der zu uns kommt, der uns den Zugang zum Vater öffnet, der uns das Herz aufmacht für die Menschen an unserer Seite, die Schwachen, die Kranken, die Entmutigen und Sterbenden besonders, der uns die Gewissheit schenkt, dass er sich zu uns bekennt - er hats ja bei der Taufe längst getan.

So lässt es sich leben und glauben, ohne Angst, aber mit ganz viel Hoffnung und Freude. Amen.



Pfarrer Andreas Schwarz
Pforzheim
Evangelisch-Lutherische Kirche in Baden
E-Mail: p.andreas.schwarz@gmail.com

(zurück zum Seitenanfang)