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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Karfreitag, 25.03.2016

Predigt zu 2. Korinther 5:14-21, verfasst von Bernd Giehl

Liebe Gemeinde!

Da saß ich nun und kaute an meinem Bleistift. Noch 25 Minuten für die Lösung der Aufgabe. Die Aufgabe hieß: Schreibe ein Sündenbekenntnis für den Karfreitag.

Offensichtlich hatte die Referentin gewusst, was sie uns da aufbürdete. Ein Stöhnen ging durch die Reihen der etwa dreißig versammelten Pfarrerinnen und Pfarrer. Alles gestandene Leute, alles Autoren der „Werkstatt für Liturgie und Predigt“, die sich getroffen hatten um über die „Werkstatt“ zu diskutieren, Ideen auszutauschen und noch etwas zu Predigt und Liturgie zu lernen. Noch zwanzig Minuten.

Eine praktische Übung, mehr nicht. Eine Übung, wie man sie aus der Schule her kennt, von Fortbildungen und eigenen Erwachsenenbildungsveranstaltungen. Ein Sündenbekenntnis. Spricht man jeden Sonntag. Meist vorformuliert. Muss das nicht Wort für Wort unterschreiben können. Kriegte man notfalls auch selbst hin. Aber ein Sündenbekenntnis für den Karfreitag? Der hängt doch schon am Kreuz. Der trägt doch schon schwer genug. Muss ich dem wirklich noch mehr Sünden aufbürden? Noch fünfzehn Minuten.

Nein, es geht nicht. Mit dem Karfreitag geht es mir schon seit vielen Jahren nicht mehr gut. „Jesus – das Opfer für meine Sünden“, damit habe ich schon so lange meine Schwierigkeiten. Wie überhaupt damit, dass es in der Kirche immer nach Schuld riecht. Soll ich all meine Zweifel jetzt bündeln und sagen: Mea culpa, meine Schuld, meine große Schuld? Vergib mir, dass ich wagen konnte, an dir und deinem Heilswerk zu zweifeln. Das hieße, die Heuchelei auf die Spitze zu treiben.

Wenn ich wenigstens ein leeres Blatt abgeben könnte. Aber es ist ja gar nicht die Referentin, die das lesen soll. Es sind die Nachbarn, mit denen ich eine Gruppe bilden soll und das preisgeben, was ich geschrieben habe. Der Schweiß bricht mir aus.

Dann fange ich an. Ich werde kein Sündenbekenntnis schreiben. Nicht zum Karfreitag. Stattdessen schildere ich meine Widerstände. Das Gefühl, kleingemacht zu werden. Nicht für mich selbst stehen zu können. Noch zehn Minuten. Dann werde ich vorlesen müssen.

 

 

Nein, es geht mir nicht gut mit meinen Widerständen bei diesem Thema. Irgendwie ist dieser Tag immer noch mit einem gewaltigen Tabu beladen. In meiner Kindheit gab es keinen Karfreitag, an dem wir nicht „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld“ gesungen hätten. Und selbst wenn es viele Millionen anderer Menschen gibt und gegeben hat, die für Tod Jesu genauso verantwortlich gemacht werden konnten; es war auch meine Schuld, die er da getragen hatte. Das hat mich immer niedergedrückt und es drückt mich noch heute nieder.

Aber dann schaue ich noch einmal genauer hin. In diesem Text steht ja gar nichts von Opfer. Da steht etwas von Versöhnung. „Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi statt … und so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott.“

Versöhnung“. Das klingt gut. Das klingt danach, dass beide daran Anteil haben. Dass beide vorher Feinde waren und nun die Waffen niederlegen. Den Kampf beenden. Den alten Groll begraben.

Aber wenn ich dann genauer hinsehe, dann ist es doch wieder das alte Modell. Gott ist zornig über die Sünde der Menschen. Doch dann lässt er seinen Zorn fahren, weil sein Sohn um der Menschen willen gestorben ist.

Nun gut. So oder so ähnlich haben die biblischen Autoren über das Kreuz Jesu gedacht. So ist es gepredigt worden über fast zwei Jahrtausende. Vielleicht glauben es immer noch viele Menschen in dieser Weise.

Fast bin ich an dem Punkt, wo ich aufgeben will. Lasst es einen anderen machen. Ich kann‘s

nicht. Lasst es einen machen, der wirklich daran glaubt, dass Jesus sein Leben Gott zum Opfer bringen musste, damit der sich mit den Menschen versöhnte. Gibt ja wahrscheinlich noch genug, die das so predigen können. Aber dann denke ich: Ich kann’s ja noch einmal anders versuchen. So nämlich, dass ich das Wort „Versöhnung“ ernst nehme. Und dabei Gott etwas kleiner mache. Und dafür den Menschen etwas größer, Das ist ein Risiko, ich weiß. Womöglich werde ich’s mir dann mit dem einen oder anderen verderbe. Aber manchmal gibt es Momente, wo man nicht anders kann. Und wo man es mit Luther halten will: Hier stehe ich.

Wer nie gezweifelt hat, der werfe jetzt den ersten Stein.

 

 

Und nun bitte ich Sie, einmal einen Augenblick innezuhalten. Wie stellen Sie sich Versöhnung vor? Können Sie sich ausmalen, dass bei einer solchen Versöhnung nur einer zornig war? Vielleicht ist da noch ein Rest Liebe. Vielleicht ist es auch die Einsicht, dass schon viel zu viel Scherben produziert wurden. Aber können Sie sich vorstellen, dass nur einer gewütet hat? Nur einer Wunden geschlagen? Das womöglich nur einer die Wahl hat?

Zur Versöhnung gehören doch immer zwei.

Das ist der Punkt, der mir in der Theologie des Neuen Testaments immer Unbehagen gemacht hat. Weil Jesus für die Menschen gelitten hat, hat der Mensch keinen Grund zur Klage mehr. Welchen Grund sollten die Erlösten auch haben zu klagen? Sie sind doch von ihrer Sünde befreit.

Aber es ist eben nicht alles nur Sünde. Manches Unglück passiert auch ohne meine Schuld. Und keiner kann mir sagen: Wenn du das und das nicht getan hättest, dann wäre dir das nicht passiert. Dann hättest du nicht Krebs bekommen, dann wäre deine Frau nicht gestorben, dann hättest du nicht deine Arbeit verloren. Dann wäre dein Kind noch am Leben.

Im Alten Testament gab es wenigstens noch den Raum zur Klage gegenüber Gott. Und eben nicht nur über die eigene Sünde. Manche, Hiob zum Beispiel oder Jeremia haben nicht nur vor Gott geklagt: sie haben Gott geradezu angeklagt.

Und das ist nun der Punkt, den ich Paulus entgegenhalten möchte. Natürlich kann er die Menschen zur Versöhnung mit Gott aufrufen. Er hat ja Recht: Es gibt diese Feindschaft. Aber dann kann er die Menschen nicht als die allein Schuldigen behandeln. Dann müsste es eigentlich so etwas wie eine Aussprache geben. Der große Gott und die kleinen Menschen, die nur demütig stammeln können: Vergib uns unsere Schuld; da stimmt etwas nicht. So sieht Versöhnung nach meinem Verständnis nicht aus.

Wie gesagt: das Alte Testament denkt da anders. Da können Menschen durchaus einmal vor Gott klagen über die Feinde oder ihn sogar anklagen.

Vielleicht haben Sie ja auch hin und wieder schon einmal gefragt: „Warum?“ Und weil Sie nicht an ein blindes Schicksal glauben, haben Sie dem einen Namen hinzugefügt: „Warum, Gott? Warum hast du mir den liebsten Menschen genommen, den ich hatte? Warum tust du nichts gegen die Krankheit, an der ich schon so lange leide? Sicher, dann plagt uns oft das schlechte Gewissen. Weil wir ja gelernt haben, dass man alles demütig von Gott hinzunehmen hat und nicht widersprechen soll. Manche schlucken ihre Klage dann einfach herunter. Aber ob das wirklich hilft? Ich glaube nicht.

An dem Punkt fangen wir an zu begreifen, was Versöhnung wirklich ist. Oder zumindest sein könnte. Und dass sie womöglich doch nicht so einseitig ist, wie es uns immer beigebracht wurde.

 

 

Und dann? Dann versagen mir die Begriffe. Fast an jedem Punkt kommt mir da die Dogmatik quer. Vielleicht müsste sie noch einmal neu gedacht werden, wenn sie doch immer mehr zum luftigen Gebilde wird, das nur noch über unseren Köpfen schwebt und nicht mehr mit der Realität verbunden werden kann. Aber das soll jetzt meine Aufgabe nicht sein. Ich kann das Problem besser erzählend lösen. Und dazu müsste ich nun den guten alten Kreuzweg nutzen, der bei uns, den ach so vernünftigen Protestanten, keine Rolle mehr spielt, weil wir uns fast ausschließlich auf den Kopf reduziert haben. An jeder Station würden wir stehenbleiben und uns die Stationen ansehen. Angefangen bei dem Ringen Jesu mit seinem Vater im Garten und den Worten: „Vater, wenn es möglich ist, so lass diesen Kelch an mir vorübergehen.“ Wir würden mit Jesus zurückkehren und die Jünger schlafend vorfinden. Und genauso wie er Trauer darüber empfinden. Weil er ihr Mitgefühl, ihr Mitwachen doch jetzt bräuchte. Wir wären dabei, wenn Judas mit den Soldaten zurückkehrt und ihn mit einem Kuss verrät. Und wir würden uns fragen, was um alles in der Welt den Judas reitet. Ist es wirklich Geldgier? Aber auch 30 Silberstücke sind schnell ausgegeben. Später stünden wir unsichtbar mit dabei, wenn der Hohepriester Kaiphas Jesus verhört. Wir würden das Gespräch des Pilatus mit Jesus anhören und würden seine Feigheit mitbekommen, aus der heraus er Jesus geißeln lässt und ihn schließlich zum Tod am Kreuz verurteilt, obwohl er weiß, dass Jesus unschuldig ist. Wir würden dem Zug der Soldaten und Gefangenen auf dem Weg folgen, wir würden den Spott und die Gehässigkeit der Zuschauer auf diesem Weg mitbekommen und uns fragen, ob Menschen wirklich so niederträchtig sein können, auf einen, der sowieso schon am Boden liegt zu treten. Wir würden zusehen, wie Jesus ans Kreuz geschlagen wird und würden uns fragen, ob Menschen, die so etwas tun, überhaupt noch etwas empfinden können.

Ob wir wohl am Ende, wie der Hauptmann in der Erzählung des Lukas ebenfalls davon überzeugt wären, dass dieser Mensch Gottes Sohn war? Ich weiß es nicht.

 

 

Aber so kann ich das natürlich nicht stehenlassen. Weil das der Punkt ist, auf den sich alles zubewegt. Und an dem sich schließlich entscheidet. Selbst dann, wenn man an das Opfer für unsere Sünden und die ganze komplizierte Theorie, die dahintersteckt, nicht mehr glauben kann. Natürlich muss man auch nicht daran glauben, dass dieser Mensch, der da am Kreuz hing, Gotte Sohn war. Aber daran hängt nun alles. Nicht zuletzt die Frage, ob das, was da am Kreuz geschieht, wirklich Versöhnung ist. Wenn Jesus nicht mehr als ein Mensch war, dann hat der Begriff seinen Sinn verloren. An dem Punkt kann man sich nur entscheiden: Glaube ich, dass Gott in irgendeiner Weise mitgelitten hat? Dass er die grausame Realität, die Menschen nun einmal erfahren, auch erfahren hat? Dann kann ich auch glauben, dass wir unsere Klagen nicht in einen leeren Raum schreien. Dann kann ich auch glauben, dass dieser Gott, so unbegreiflich er auch manchmal sein mag, mich versteht. Und dann kann ich auch die Versöhnung, die er mir anbietet, annehmen.

Nein, in Begriffe bringen kann ich das immer noch nicht. Aber es hilft meinem Herzen.



Bernd Giehl

E-Mail: giehl-bernd@t-online.de

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