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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Karsamstag, 26.03.2016

Der Dunkelheit trotzen
Predigt zu 1. Petrus 3:18-22, verfasst von Güntzel Schmidt

Denn auch Christus hat ein für allemal für die Sünden gelitten,

ein Gerechter für Ungerechte,

um euch Zugang zu Gott zu verschaffen.

Körperlich getötet,

wurde er geistlich lebendig gemacht.

Dabei ging er auch zu den Geistern im Gefängnis und verkündigte ihnen, die einst ungehorsam waren, während Gott geduldig abwartete in den Tagen Noahs, als die Arche gebaut wurde, in der wenige, d.h. acht Menschenleben, durch das Wasser hindurch gerettet wurden. Das Wasser der Sintflut ist das Gegenbild zur Taufe, die auch euch heute rettet, nicht, indem sie den körperlichen Schmutz entfernt, sondern indem sie Zusage einer festen Bindung an Gott ist durch die Auferstehung Jesu Christi, der zur Rechten Gottes ist, nachdem er in den Himmel gelangte und ihm Engel und Mächte und Gewalten unterworfen wurden.

(Eigene Übersetzung, vgl. http://offene-bibel.de/wiki/1_Petrus_3)

 

Liebe Schwestern und Brüder,

zwischen Karfreitag und dem Ostermorgen liegt die Zeit, von der wir im Glaubensbekenntnis sagen: „hinabgestiegen in das Reich des Todes“.

Fromme Phantasie hat diesen Abstieg Jesu in die Totenwelt reich ausgeschmückt. Man malte sich aus, wie Jesus die Seelen der Gestorbenen tröstete, oder wie er die Pforten der Unterwelt zerbrach. Wie Feuer dem Wasser nicht standhält, so konnte die Hölle den Sohn Gottes nicht halten, sondern musste ihn wieder hergeben.

I

Fremde, befremdliche Bilder für uns. In der Dunkelheit dieser Nacht aber doch nicht so fremd, wie sie es im hellen Licht des Tages wären. Die nächtlichen Schatten gaukeln uns allerlei vor. Wir trauen der Dunkelheit nicht; unsere Phantasie bevölkert sie mit allerlei Spuk, und wer abends einen Krimi oder Gruselfilm gesehen hat, erschreckt leicht bei einem Geräusch, das in der Stille der Nacht ohnedies überlaut zu hören ist. Viele Menschen haben Angst im Dunkeln. In solcher Angst liegt es nahe, die Finsternis mit all den Schrecken und Gefahren zu bevölkern, die man bei Tageslicht belächeln würde.

Hinabgestiegen in das Reich des Todes“ - was hat dieser Satz überhaupt in unserem Glaubensbekenntnis zu suchen? Man käme besser ohne ihn aus, und das Glaubensbekenntnis wäre um einen Anstoß ärmer. Warum müssen wir uns auch gerade jetzt, im Frühling, wo in der Natur so unwiderstehlich das Leben erwacht, mit dem Tod beschäftigen? Welchen Sinn hat dieser Tag der Grabesruhe, der Karsamstag, dieser leere, unheimliche Tag zwischen Karfreitag und Ostern?

II

Auch Christus hat ein für allemal für die Sünden gelitten,

ein Gerechter für Ungerechte,

um euch Zugang zu Gott zu verschaffen.

Körperlich getötet,

wurde er geistlich lebendig gemacht.“

Der erste Petrusbrief erinnert daran, dass es das Leiden war, durch das Christus die Barriere eingerissen hat, die uns von Gott trennte; dass es sein Tod war, der ihn jetzt unter uns lebendig sein lässt. Ohne sein Leiden und seinen Tod wäre der Himmel noch immer verschlossen, so, wie es die Hölle war, bis Jesus ihre Pforten zerbrach.

Himmel und Hölle sind keine wirklichen Orte - als ließe der liebe Gott irgendwo zwischen Jupiter und Saturn seine Beine baumeln, oder als würde der Teufel tief unter unseren Füßen die Seelen mit seiner spitzen Gabel piesacken.

Himmel und Hölle sind Möglichkeitsräume. Sie öffnen sich unserem Denken, unserem Handeln, unserem Leben. Manchem wird das Leben zur Hölle gemacht - man denkt an die Opfer von Vergewaltigung und Folter, an Menschen, die Krieg, Unterdrückung oder Demütigung nicht entfliehen können.

Und manche, die frisch verliebt ist, wähnt sich im siebten Himmel.

Gequälte, verliebte Menschen sind unter uns, wir können sie ansprechen und anfassen. Zugleich sind sie woanders, in einer Hölle oder einem Himmel, den sie sich nicht einbilden, der schrecklich oder wunderbar wirklich ist. Sie werden wirklich durch das Gute oder Böse, das andere Menschen ihnen tun oder antun.

III

Christus steigt hinab in das Reich des Todes. Wir dürfen diesen Satz des Glaubensbekenntnisses so verstehen, dass Jesus die tiefsten Tiefen menschlicher Existenz erlebt, durchlitten und dadurch mit uns geteilt hat. Christus ist in die Finsternis der Depression hinabgestiegen und hat dort den "schwarzen Hund" getroffen, wie Winston Churchill die Depression nannte. Christus ist in die Beziehungshölle hinabgestiegen, die Partner einander bereiten können. Und er war in den finsteren Folterkellern, in denen Menschen Wille und Seele zerbrochen werden.

Wenn wir im Glaubensbekenntnis sagen, dass Christus in das Reich des Todes hinabgestiegen ist, sprechen wir offen aus, dass es diese höllischen Räume der Finsternis, des Schreckens, der Verzweiflung, des Hasses in uns, zwischen uns und unter uns gibt. Es gibt sie tatsächlich, die Depression. Es gibt sie tatsächlich, die Hölle, die Menschen einander bereiten. Es gibt die Folterkeller, in denen Menschen gequält werden.

Man möchte nichts davon hören, nicht an einem Abend wie diesem, man möchte das alles auch gar nicht wissen. Aber ohne das Wissen und ohne, dass man diese schrecklichen Dinge beim Namen nennt, gibt es keine Heilung, gibt es keine Veränderung.

Wenn die Folterkeller nicht aufgedeckt und zerstört, die Folterer beim Namen genannt und bestraft werden, werden weiterhin Menschen gequält. Wenn die Höllen nicht benannt werden, in die wir Menschen schicken oder die wir einander bereiten, leiden sie weiter. Wenn eine Depression nicht erkannt und benannt wird, kann sie einen Menschen töten.

IV

Den Himmel gibt es nicht ohne Leiden.

Das Leben gibt es nicht ohne den Tod.

Nicht das Leiden, das Menschen einander zufügen, öffnet uns den Himmel.

Nicht der Tod, den ein Mensch dem anderen wünscht oder bereitet, schenkt uns das Leben.

Es sind Leiden und Tod des Einen allein, der sie stellvertretend für uns auf sich nimmt, weil er uns so sehr liebt. So sehr, dass er nicht will, dass auch nur eine oder einer von uns leiden muss. Mit seinem Opfer macht Christus Leiden und Tod ein Ende, ein für allemal.

Das Zeichen dafür, dass der Tod besiegt ist, ist die Taufe. Die Taufe ist ein symbolischer Tod. Heute, wo Kinder bei der Taufe nur die Haare nass gemacht bekommen, ist davon nichts mehr zu spüren. Aber früher wurden die Säuglinge ganz in kaltem Wasser untergetaucht - und bekamen einen Schock für's Leben. Wie gut, dass dieser Brauch abgeschafft wurde. Aber das Symbol bleibt bestehen: Die Taufe ist ein symbolischer Tod, den der Mensch erleidet, um aus der Taufe zu einem neuen Leben mit Christus aufzuerstehen. Deshalb spricht der erste Petrusbrief von der Sintflut als Gegenbild der Taufe: Durch das todbringende Wasser hindurch wurden Noah und seine Familie gerettet, und das Leben konnte einen neuen Anfang nehmen.

Unsere Taufe vergewissert uns, dass wir neu geboren sind, mit einem Bein noch auf der Erde, mit dem anderen aber schon im Himmel. Wir können, wie Luther sagte, jeden Tag aufs Neue in unsere Taufe zurückkriechen, will sagen: Jeden Tag kann sterben, was uns von Gott oder unseren Mitmenschen trennt, jeden Tag können wir neu anfangen. Wenn Martin Luther ganz unten war, wenn die Angst oder die Dunkelheit zu groß wurden, schrieb er mit Kreide auf den Tisch: „Ich bin getauft“.

Ich bin getauft“, das heißt: Ich bin ein Kind Gottes. Leiden und Tod können mich immer noch treffen, mir immer noch weh tun. Aber sie können mich nicht von Gott trennen, sie können mein Leben nicht entwerten oder ihm den Sinn nehmen. Sie haben keine Macht mehr.

V

Darum gibt es den Tag der Grabesruhe zwischen Karfreitag und Ostern, den stillen Karsamstag. Darum kommen wir heute zusammen: Wir stehen zusammen gegen die Dunkelheit, gegen das Leid und gegen den Tod. Wir stehen zusammen und bieten ihnen gemeinsam die Stirn. Wir haben keine Angst vor der Dunkelheit - weder vor der draußen, noch vor der, in die Menschen einander stürzen. Denn wir sehen auf Christus, das Licht, das in alle Finsternis scheint, und die Finsternis hat es nicht ergriffen. Es ist dieses Licht, das Licht von Ostern, das uns heute erfüllt. Es leuchtet in uns und in allen Dunkelheiten, denen wir begegnen werden. Es lässt uns selbst zu Lichtern werden, die anderen leuchten und ihnen Mut und Hoffnung machen in den Dunkelheiten ihres Lebens. Amen.



Pfarrer Güntzel Schmidt
Meiningen
E-Mail: guentzel.schmidt@gmx.de

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