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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Karfreitag, 25.03.2016

Predigt zu 2. Korinther 5:18-21, verfasst von Jochen Riepe

I

Ein Wort wie eine ausgestreckte Hand… ‚Bitte … bitte … !‘ ‚Wir bitten euch‘, schreibt Paulus , ‚an Christi statt : Laßt euch versöhnen mit Gott.‘ Ich weiß ,liebe Gemeinde: Bittsteller haben unter uns keinen guten Ruf.

II

Das Kreuz . Das blutige Kreuz von Golgatha … Konfirmanden würden die gewaltige Frage des Hl. Anselm aus dem 11. Jahrhundert sofort verstehen : ‘Warum konnte Gott den Menschen nicht anders retten ?‘* Oder : Wenn er es konnte, warum wollte er es auf diese Weise ? Zumindest für uns selbst mögen wir schon ähnlich -irritiert oder zweifelnd - gefragt haben. Hätte es nicht einen leichteren Weg gegeben ? ‚Ihr beachtet nicht , welches Gewicht die Sünde hat‘, wie es um euch und unter euch steht ,sagt der Hl. Anselm und wie dieses ‚Gewicht‘ zieht, beschwert und lastet . ‚Vergeben ist noch lange nicht Vergessen‘ , ergänzt der Volksmund.

III

Wir bitten euch an Christi statt : Laßt euch versöhnen mit Gott.‘ Das ist ernst zu nehmen, liebe Gemeinde : Gott zwingt nicht. Er fordert nicht. Er überredet auch nicht. Gott bittet. Das Kreuz von Golgatha , dieses Ereignis schierer Gewalt - das ist gleichsam Gottes ausgestreckte Hand … und wir , aus der Ferne oder aus der Nähe , wir wollen mit dem Apostel , mit seinem ‚theologischen Meisterstück‘ , wie man diesen Abschnitt aus dem 2. Korintherbrief genannt hat ** , diese unglaubliche Drehung (oder Ver-drehung ?) , diese Wendung der Dinge nachvollziehen . Versöhnung , sagt Paulus. ‚Frieden mit Gott(Röm5,1) . Das nackte Holz, an dem jedes Wort zerbrach, eröffnete eine neue Sprache. Aus dem Blut, das zur Erde fiel , wuchs neues Leben.

IV

Warum konnte Gott den Menschen nicht anders retten ? Hätten Versöhnung und Frieden zwischen Gott und Mensch und der Menschen untereinander nicht anders , einfacher , eben : unblutig hergestellt werden können ? Wir lieben Worte. Wir haben eine Sprache. Wir können uns zusammen setzen und verhandeln . Kann man nicht über alles sprechen ? ‚Ihr beachtet nicht das Pfund der Sünde‘, sagt der Hl. Anselm. Ihr redet , gewiß, ihr redet viel und gern , aber in allem Gesagten wirkt etwas Ungesagtes , in aller Leichtigkeit der Worte zieht etwas nach unten, was die Worte nicht auffangen. ‚Vergeben‘ , rufen wir und laufen los, ‚aber auch vergessen?‘ und spüren die Schwere in den Beinen. Etwas bleibt immer hängen. Während wir reden , geht die Gewalt weiter. Während wir singen , wird gemordet. Wir suchen Frieden und planen schon den nächsten Zug im Streit. ‚Wo Kyrill draufsteht , ist auch Putin drin‘ stand neulich in der Zeitung***. ‚Und es hilft wenig , wenn einer Brücken baut , die die anderen nicht beschreiten‘.

V

Gott bittet . Gott ist ein Bittsteller , und so merkwürdig das erscheinen mag, diesen Unterschied müssen wir klären . Ein bittender Gott ist mehr und anderes als ein redender Gott . Wie viele wortreiche, auch kluge Reden werden gehalten und man hat währenddessen das Gefühl : Da wird taktiert , geschoben , verheimlicht , verschwiegen oder gelogen . Wir predigen Versöhnung und planen schon den nächsten Zug und der richtige Stratege schon den übernächsten. Meine guten Worte haben also etwas Äußerliches , sie verbergen und verstecken mich , und mein Zuhörer denkt : Meint er auch , was er sagt ? Bei Gott , im Wort vom Kreuz , ist das anders. Gott will selbst das ‚Pfund der Sünde‘, unserer Sünde und Gewalttaten , tragen und soz. von innen her aufbrechen. Er tut das als Mensch , ein Mensch wie wir, und doch anders : Ein bittender Mensch. Leib und Sprache, Sprache und Leib kommen darin zusammen, ungeschützt und vorbehaltlos , auch auf die Gefahr hin , daß die Bitte und der Bittende abgewehrt und abgeschlagen werden. Das Kreuz von Golgatha zeigt : Wir schlugen sie aus. Wir wollten diesen Gott nicht haben. Juden, Römer und Griechen , die ganze Welt tat sich zusammen , den bittenden Gott mundtot zu machen , ihm Sprache und Leben auszutreiben.

VI

Es ist gut , an dieser Stelle innezuhalten . Das Kreuz. Das blutige Kreuz. Wir sehen, hören . Aus der Ferne. Aus der Nähe. Verstört , befremdet , abgeschreckt … und eine weitere Frage aus Konfirmandentagen will ihr Recht : Warum hat der Gott sich das gefallen lassen ? Er ist allmächtig und hätte sich wehren können. Er hätte Druck machen können oder mit Gewalt d‘reinschlagen , Gericht halten und strafen können. Warum diese armselige Rolle des Bittstellers ? Wir wollten innehalten , atmen , und spüren vielleicht doch , liebe Gemeinde : Wir kurzatmig gerade diese Fragen sind . Versöhnung , Frieden – mit Macht ? Mit Druck ? Bedingung ? Schon sind Gegenkraft und Gegendruck zur Stelle und … Gewalt ! Das Weltgeschehen belehrt uns täglich darüber : Gewalt mag mitunter disziplinieren , begrenzen, abschrecken und Schlimmeres verhüten , aber Versöhnung und Frieden wachsen aus anderen Wurzeln. ‚Herr , sollen wir Feuer regnen lassen?‘ fragen die Jünger (Lk 9,55f) einmal, wütend und ratlos in einem, und Jesus antwortet : ‚Ich bin nicht gekommen, das Leben zu vernichten , sondern zu erhalten‘ . Paulus schreibt : ‚ Er hat den , der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht‘.

VII

Bitte… bitte…‘ ‚Wir bitten euch an Christi statt : Laßt euch versöhnen mit Gott.‘ Eine Bitte ist der untere Weg , der Weg , auf dem gleichsam Sprache und Leib zusammenkommen und füreinander einstehen. Wer bittet, ist schwach – auch wenn es die deutsche Bundeskanzlerin ist , die in diesen Tagen als Europas Bittstellerin für ihre Flüchtlingspolitik wirbt. Wer bittet, hat sich selbst in dieses Wort , in diese Frage , diesen Blick , dieses Flehen , ja, in diese Kinderhand hineingestellt. Er liegt am Boden und alle Welt darf und wird in un-erbitt-licher Wut und Härte nachtreten. Das Wunder des Kreuzes von Golgatha ist : Gott macht eben dieses Böse gut. Seine Bitte wird gerade in ihrer Schwäche das Leben bewahren und das Zerstörte gut machen : Du wirst immer die Augen dessen erinnern , der dich flehentlich ansah . Das Kreuz des Gottessohnes , Gottes leibhaftig ausgestreckte Hände , es wird erinnert werden , solange die Erde steht. ‚Vater, vergib ihnen , denn sie wissen nicht, was sie tun‘ (Lk 23,34): ‚Bitte , laß uns noch einmal anfangen…laß uns versuchen , zu vergessen , indem wir das Gewicht , das auf uns lastet , mit Gottes Hilfe tragen‘ . Vielleicht darf man dies ja sagen : In der Bitte Gottes und des Menschen hat das Unvergeßliche , das Unverzeihliche einen Ort , ohne daß es uns auf alle Zeiten trennt und jeden Neuanfang von vornherein verunmöglicht.

VIII

Warum konnte Gott den Menschen nicht anders retten , und wenn er es konnte , warum wollte er es auf diese Weise ? Eine gewaltige Frage. Der Verstand sucht Gründe. Der Glaube dankt und lobt Gott . Bittende Liebe zwingt nicht. Sie verkündet auch nicht einfach weise und goldene Worte. Die Liebe Gottes wagt , trägt und setzt sich selbst auf’s Spiel und gewährt eben so – Raum zur Versöhnung , Zeit zur Versöhnung. Die ausgestreckte Hand annehmen. An Familien-,Regierungs- und Verhandlungstischen. In Brüssel, Genf oder Wien oder anderswo. Wo die Versöhnung sich wortleiblich ausbreitet , kann Einsicht kommen , Empathie, Verzicht oder Selbstzurücknahme. Bitte , laßt euch bitten …

 

*Anselm von Canterbury , Cur Deus Homo (lat./deutsch), Darmstadt 1970, S. 37.75

** E. Gräßer, Der Zweite Brief an die Korinther , Kap.1,1 – 7,16 Gütersloh 2002, S. 250

***SZ vom 13.2.16 (S.4: S. Ulrich, Papst, Patriarch ,Putin)



Pfarrer Jochen Riepe
Dortmund
E-Mail: Jochen. Riepe@gmx.net

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