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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Karfreitag, 25.03.2016

Versöhnen ist ein erzählendes Geschehen
Predigt zu 2. Korinther 5:19-20, verfasst von Ralf Reuter

Erst im Osterlicht wird das Kreuzesgeschehen erkennbar. Das Kreuz selber ist finster und grausam. In ihm begegnen uns nur Gewalt und Hass. Das Kreuz ist wie die aktuellen Geschichten der Kriege, der Vertreibungen, des Ausbeutens. Auch die unmittelbaren Szenen des Karfreitages mit Judas und seinem ‚Verrat‘, mit Petrus und seinem ‚Verleugnen‘, mit Pilatus und seinen ‚Händen der Unschuld‘, mit den Soldaten und ihrem ‚Würfeln um die Kleider‘ sind schlimme traumatische Ereignisse. Selbst das Begleiten von Maria Magdalena und der Mutter Jesu am Kreuz ergibt nur tiefe Trauer. Und die Worte an die beiden zur Linken und zur Rechten, die mit ihm gekreuzigt werden, dieses eine „Heute wirst du mit mir im Paradies sein“, wird erst glaubbar dem auferstandenen Jesus selber.

Wie von ihm berichtet wird, als er dem ’ungläubigen‘ Thomas seine Wundmale zeigt. Er den beiden Jüngern auf dem Weg nach Emmaus begegnet, mit ihnen das Abendmahl feiert und dann verschwunden ist. Auch die sehr persönliche Begegnung mit Maria Magdalena am Grabe, wo er sie bei ihrem Namen ruft und sie ihn erkennt und er sich doch nicht mehr von ihr umarmen lässt. Auch das Osterevangelium der drei Frauen, die ihn salben wollen, und das Grab leer ist. Wo der ‚Engel‘ zu ihnen spricht „Er ist auferstanden, er ist nicht hier“. Und sie voll von Zittern und Entsetzen aus der Stätte des Todes laufen, ins Leben hinein, zu den Jüngern, wo er sein wird.

Paulus deutet das Kreuzesgeschehen als ein großes Versöhnen Gottes mit den Menschen: „Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.“ Gott ist in den Geschichten des Lebens zu erkennen, als derjenige, der in Jesus von Nazareth anwesend war, mit am Kreuz hing. Und zugleich, der mit ihm durchs Kreuz hindurch ins Leben ging, der ihn auferwecke und in ihm den Menschen neu begegnete und durch diese Begegnung verwandelte. Versöhnen als ein Geschehen Gottes in Jesus und uns Menschen zugleich.

Da müssen wir dann von unseren Geschichten des Lebens erzählen, damit dies glaubbar bleibt, die Glaubwürdigkeit nicht verlorengeht zwischen den Auferstehungsgeschichten von Jesus und unseren eigenen Kreuzeserfahrungen. Im Erzählen und damit im Deuten bleiben, erzählen von den Verraten im Geschäftsleben, wo die Nr.2 die Nr.1 eines Unternehmens anschwärzt, um seinen Posten zu bekommen. Vom Verleugnen der Verwandten im Widerstand in der nationalsozialistischen Herrschaft, beim Flüchten aus dem Osten, alles noch in den Familien weiter transportiert und präsent. Politiker, die ihre Hände in Unschuld waschen und Nein hätten sagen können, doch die Bomben weiter fliegen lassen. So wie wir in der Familie, wenn da Unrecht geschieht, ‚ich habe nichts gesehen‘. All das eine unendliche Spirale der Gewalt und der Tode, wenn es nicht den Glauben an die Chance einer Versöhnung gäbe, wenn wir nicht von Gottes Verzicht auf Rache wüssten, die Geschichten von der Verwandlung des Lebens nicht hätten. Leben mit dem Glauben ist das Hören von einem anderen Weg, dem Weg der Versöhnung.

Wo der Weg des ‚selbst Rächens‘ und ‚selbst Verwirklichens‘ nicht zugerechnet wird, nicht abgestraft wird, weil Jesus selber in einen hineinkriecht und einen aus dem Inneren des Herzens neu erschaffen will. Durch seine Geschichten, die uns begegnen und verwandeln. Durch sein Wort der Versöhnung, das in uns wächst und mächtig wird und unser Handeln zu steuern beginnt. Wer von den Geschichten dieses Jesus gehört hat, der bekommt ein Problem mit dem ‚wie du mir, so ich dir‘, mit dem ‚Aufrechnen‘ über Generationen hinweg, mit der Anwendung von politischer und wirtschaftlicher Gewalt. Aber auch mit seinem ‚ich genüge mir‘, bin mir ‚selbst der Nächste‘, bestimme mein Leben ‚selbst‘. In dieses Selbst setzt sich etwas Göttliches hinein und lebt mit, sieht mit, hört mit, handelt mit. Versöhnung ist ein universales Geschehen, es betrifft alle Bereiche des Lebens und Handelns, das in uns selber zu wachsen beginnt.

„So sind wir nun Botschafter an Christi statt“, schreibt Paulus weiter, „denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott.“ Unsere Kreuzesgeschichten, die im Lichte von Ostern erst lebbar werden, die uns verwandeln und neu ins Leben gehen, sie gehen weiter, werden weiter getragen zu anderen, zu den Menschen, die uns umgeben, die uns hören, die etwas von uns lesen. Und rufen die Kreuzesgeschichten von anderen hervor, ziehen sie ins Licht, verschaffen ihnen Gehör und Wahrnehmung. Wie unsere Geschichten nur möglich werden durch die Geschichten von Jesus Christus, so andere Geschichten im Erzählen und Weitergeben unserer Geschichten. Wir werden zu Botschaftern der Versöhnung, sind in das universale Handeln Gottes in seinem Sohn eingebunden und mitgenommen. Wir werden eigene ‚Player‘ im weltweiten Versöhnen der Menschheit und bitten von unserem Glauben an Christus her: Lasst euch versöhnen mit Gott.

Geht den Weg des Kreuzes im Lichte der Osterbotschaft, werdet versöhnt Lebende. Nicht mehr Anhänger der Gnadenlosigkeit oder der Verfallenheit an den Tod, sondern Botschafter der lebensfördernden Liebe, die diesem Gott entspringt und sich in Jesus zeigt und in uns selber einzieht. Das alles beginnt immer wieder mit den eigenen Geschichten am Grabe, wo Abschied genommen werden muss und man doch verbunden bleibt wie Maria Magdalena mit Jesus, auch wenn sie ihn körperlich nicht mehr umarmen kann. Und im treuen Stehen der Mutter am Kreuz, die im Lichte von Ostern in ihrem tiefsten Schmerz doch darauf vertraut, dass Gott ihren Sohn in seinen Händen trägt und hält, dass auch ein kurzes Leben nicht sinnlos ist wie niemals ein Menschenleben.

Und das geht weiter, im Handeln der Soldaten, die um die Kleider würfeln, eine neue Bewegung durch staatliche Ordnung einzuziehen, die nicht mehr den Angriff, sondern nur die Verteidigung und den Schutz von Menschen erlaubt. Und selbst dem Verbrecher im Gefängnis die Umkehr ermöglicht und schaut, ob schon neue Anfänge gangbar sind oder noch nicht. Versöhnung ist ein wunderbares Wort, wir haben es ja auch mit einer ‚versöhnten Verschiedenheit‘ zwischen Katholiken und Evangelischen versucht und viel erreicht, so doch auch im Blick auf andere Religionen. Wir geben ja dabei nichts auf, wir leben unsere Identität des Glaubens, leben weiter von den Geschichten dieses Jesus Christus, den realistischen Geschichten seines Kreuzes und den Mut machenden Geschichten seiner Auferstehung, als Botschafter der Versöhnung. Immer weiter erzählen wir und lassen uns neu erzählen und erzählen wieder, bis ans Ende der Welt und unserer Tage. Versöhnung ist ein erzählendes Geschehen von Karfreitag zu Ostern, zwischen Menschen, Religionen, Völkern.

 



Pfarrer Ralf Reuter
Göttingen
E-Mail: Ralf.Reuter@evlka.de

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