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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Karsamstag, 26.03.2016

Predigt zu 1. Petrus 3:18-22, verfasst von Paul Kluge

Liebe Geschwister,

Minderheiten haben es oft schwer, ob sie nun anders aussehen als die anderen, anders sprechen oder sich anders kleiden. Noch schwerer wird es, wenn sie sich anders verhalten. Dann werden sie schnell zu Störenfrieden und man unterstellt ihnen allerlei Schlechtigkeiten. Deshalb würde man sie am liebsten abschieben und in die Wüste schicken.

Auch die Menschen von Ancyra in Galatien denken so. Sie nehmen Anstoß am Verhalten einer kleinen Gruppe von Menschen, die sich regelmäßig in der Stadt treffen. Einige wohnen dort, andere reisen aus umliegenden Orten an. Nur Mitglieder nehmen an ihren Treffen teil. Das nährt natürlich Gerüchte und Spekulationen. Von geheimnisvollen Riten wird gemunkelt und sogar davon, dass diese Leute bei ihren Treffen Menschenfleisch äßen. Solche Menschen meidet man tunlichst und hat mit ihnen nichts zu tun.

Das führt wie von selbst dazu, dass diese Minderheit sich immer enger zusammenschließt, immer fester zusammenhält. Es passiert aber auch, dass manche den Druck nicht aushalten und wegbleiben. Oder gar austreten.

Einer von ihnen, Pavidus genannt, ist so einer. Lange gehört er noch nicht zu dieser Minderheit. Er betreibt ein kleines Geschäft, doch es kommen kaum noch Kunden. Manche Nachbarn verhöhnen ihn deshalb, andere raten ihm, doch wieder „vernünftig“ zu werden. Es so zu halten, wie „alle“ es halten.

So werden seine Besuche der Versammlungen immer seltener. Denn er merkt, dass seine Überlegungen in Richtung Austritt ins Wanken geraten, wenn er an den Versammlungen teilnimmt. Noch ist sein Entschluss nicht reif, denn Pavidus weiß: Mit einem Austritt würde er viel verlieren, was er nirgendwo sonst finden kann, eine Gemeinschaft Gleichgesinnter. Andererseits: Kann er seine Gesinnung nicht auch ohne die anderen behalten? Braucht er diese Gemeinschaft wirklich? Und Geld kostet die auch noch, während sein Einkommen rapide sinkt.

Auch sein Freundeskreis ist recht klein geworden, seit Pavidus sich dem Kreis angeschlossen hat. Und so richtige Freunde hat er da nicht gefunden. Man geht freundlich miteinander um, hilft einander auch, wo nötig. Doch die wöchentlichen Treffen reichen nicht, um Freundschaften zu schließen. Dabei wäre das nötig, weil die alten Freunde keine mehr sind. Die einen kennen ihn nicht mehr, andere beschimpfen und bedrängen ihn. Wenn er über seine Lage nachdenkt, fühlt er sich wie ein Rohr im Wind, mal nach der einen, mal nach der anderen Seite schwankend. Der Wind in Richtung Austritt wird immer stärker.

Als er eines Tages durch die Stadt geht, sieht er einen aus der Gruppe entgegenkommen. Er überlegt, die Straßenseite zu wechseln, doch er überlegt zu lange. Der Andere, ein älterer Herr, hat ihn schon gesehen und ruft ihn mit Namen. Sie begrüßen sich und tauschen die üblichen Floskeln aus. Der andere, Fidus, bedauert, dass sie sich so lange nicht gesehen hätten, und Pavidus geht es genauso. So einen wie Fidus hätte er gern als Vater gehabt. Pavidus kratzt allen Mut zusammen und erzählt von seinen Überlegungen, von seinem Schwanken.

„Das habe ich vermutet“, sagt Fidus schließlich, sagt es ohne Vorwurf, und dass es vielen so ginge. Manche würden durch den Druck von außen richtig krank; und andere wichen ihm aus, indem sie austräten. „Das ist schade. Dabei kann, wer unter Druck gerät, Kraft bekommen, ihm Stand zu halten“, fährt Fidus fort. „Und wie‘?“ will Pavidus wissen. „Lass uns irgendwo was trinken, dann erzähl ich’s dir“, schlägt Fidus vor.

Bald ist ein ruhiger, schattiger Platz gefunden, und Fidus beginnt, von einem Brief zu erzählen, einem Rundschreiben, das kürzlich eingegangen sei. Beim vorigen Treffen hätten sie sich mit einem Abschnitt etwas intensiver gefasst. Darin sei das uralte Bild von der Arche vorgekommen, und das sei sehr treffend.

Pavidus wird nun sehr aufmerksam. Die Arche hat ihn fasziniert, seit er erstmals davon gehört hat. So viel Geborgenheit liegt darin, Schutz und Sicherheit. Hoffnung auch, dass die Bedrohung einmal aufhört und ein freies Leben möglich wird.

Fidus berichtet weiter, dass er und Pavidus und all die anderen mit der Taufe gleichsam die Eintrittskarte für die Arche bekommen hätten. Nun könnten sie im Geiste Christi leben. „Darin ist Christus lebendig“, betont Fidus, „und das spürst du manchmal bei unseren Treffen.“

Pavidus hat da seine Bedenken und äußert sie auch; Fidus widerspricht nicht. Vielmehr bittet er Pavidus um Geduld – und um häufigere Teilnahme an den Versammlungen. „Je mehr du in unsere Gemeinschaft hineinwächst, umso mehr wirst du spüren, dass Christus in unserer Mitte ist.“

„Moment mal“, unterbricht Pavidus, „zwei Fragen habe ich zwischendurch: Wenn die Taufe sozusagen die Eintrittskarte in die Arche ist, dann wären unsere Verfolger das steigende Wasser. Richtig?“ – „Richtig“, bestätigt Fidus, „und die zweite Frage?“

Pavidus denkt einen Augenblick nach, bevor er gesteht, dass er mit dem Wasser durcheinander käme, dem Wasser der Sintflut und dem Wasser der Taufe. Das sei ganz einfach, erklärt Fidus: Wasser sei einerseits lebenswichtig und darum ein Bild für das Leben. Andererseits könne es auch bedrohlich und lebensgefährlich, ein Bild also für den Tod sein. „In der Taufe symbolisiert es das Leben“, schließt Fidus seine Ausführungen, „und bei der Sintflut den Tod. Die Arche steht für das, was uns schützt und trägt. Darum haben wir unseren Versammlungsraum ja auch ‚Arche‘ genannt. Ich bin mir sicher: Für jede Sintflut gibt Gott uns eine Arche.“

Pavidus nickt und schweigt nachdenklich; Fidus lässt ihm Zeit. „Bisher habe ich“, beginnt Pavidus schließlich wieder, „vor allem auf die Sintflut geachtet, auf die Menschen, die uns meiden und sogar verfolgen. Du hast meinen Blick auf die Arche gerichtet, danke.“ – „Du wirst also wieder öfter kommen?“ fragt Fidus, doch Pavidus beginnt herumzudrucksen, dass ihm das nicht leicht viele; man würde ihm sein Verhalten doch sicherlich verübeln und vorwerfen. Außerdem schäme er sich seines früheren Lebens; als Händler sei er selten mal ehrlich gewesen.

„Das ist bekannt“, antwortet Fidus, „doch wir haben dich aufgenommen, und du hast dich in der Taufe zu Christus als deinem Herrn bekannt. Damit hast du für dich angenommen, dass deine Schuld durch den Tod Jesu vergeben ist. Deshalb brauchst du heute kein schlechtes Gewissen mehr zu haben.“

Pavidus sagt, er verstünde nicht ganz, wie der Tod eines Gerechten den Ungerechten zu Gute kommen könne. „Verstehen kann man das auch nicht“, stimmt Fidus zu, „aber glauben. Du kannst für dich akzeptieren, dass das so ist. Dann drückt dich auch dein Gewissen nicht mehr wegen längst vergangener Taten. Gott hat sie dir vergeben, und darum kannst du sie loslassen. Das geht nicht von heute auf morgen, und das geht auch nicht alleine. Je mehr du mit Menschen zu tun hast, die das glauben und leben, umso leichter wirst du den Weg finden. Und ihn in der Gemeinschaft mit den anderen gehen.“

„Und was ist mit meinem Laden?“ fragt Pavidus und ernüchtert damit seinen Gesprächspartner. Der meint, ein paar Kunden könne er ihm wohl vermitteln, er selbst wolle der Erste sein. Und vielleicht gäbe es ja auch andere Arbeit, von der sich leben ließe. Er will sich umhören. „Doch jetzt muss ich nach Hause, meine Frau wartet bestimmt schon lange auf mich und wird verärgert sein.“ Pavidus bedankt sich für das Gespräch, und als Fidus schnellen Schrittes davon eilt, ruft er ihm lachend hinterher „Für jede Sintflut gibt es eine Arche.“

Amen



Landespfarrer a.D. Paul Kluge
Leer
E-Mail: Paul-Kluge@t-online.de

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