Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Heiliges Christfest II, 26.12.2007

Predigt zu 2. Korinther 8:9, verfasst von Luise Stribrny de Estrada

Liebe Schwestern und liebe Brüder!

Was ist Gnade? Erfahren wir, dass jemand, dass Gott uns gnädig anschaut? Leben wir aus diesem Glauben heraus?

"Ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus", behauptet Paulus vollmundig zu Beginn unseres Predigttextes. Ich weiss nicht, ob er Recht hat, und vermute eher, dass wir die Gnade Jesu Christi gar nicht so genau kennen oder jedenfalls oft nicht aus ihr heraus leben.

Jetzt, in diesen Weihnachtstagen, richtet sich unser Blick auf das Kind, das im Stall von Bethlehem geboren worden ist. "Da liegt es auf Heu und auf Stroh", neben ihm die Tiere, die im Stall zuhause sind. Wenn es uns gelingt, hinter die romantische Übermalung zu schauen, sehen wir die Armut dieser Geburt. Ein Stall ist kein geeigneter Ort, um ein Kind zur Welt zu bringen, und sicherlich wäre Maria über eine Wiege und warme Decken für das Neugeborene froh gewesen - aber die hatte sie nicht. Warum konnte das Gotteskind nicht unter anderen Bedingungen zur Welt kommen? Warum wurde Jesus, wenn schon nicht in einem Palast, wenigstens im Hause wohlhabender Leute geboren?

Die ärmliche Geburt im Stall ist kein Versehen, sondern Absicht Gottes. Er macht damit von Anfang an deutlich, dass er sich nichts erspart, sondern wirklich Mensch wird. Er wird einer von uns, kein Reicher, von dem die Schwierigkeiten des Lebens fern gehalten werden, sondern einer von uns, der nicht in Watte gepackt wird. Gott kommt zu denen, die unten sind.

Gott ist mit uns solidarisch. Er scheut sich nicht, seinen Sohn als Kind eines Handwerkers in einem Dorf aufwachsen zu lassen, ihn eine ganz normale Kindheit und Jugend durchleben zu lassen. Jesus ist lange nichts besonderes, sondern einer wie alle anderen. Selbst als er anfängt, die Stimme Gottes zu hören und merkt, dass Gott etwas mit ihm vorhat, ändern sich seine Lebensumstände nur wenig. Er und seine Jünger leben von der Hand in den Mund, nehmen das, was andere ihnen schenken, übernachten auf ihren Wanderungen unter freiem Himmel. Jesus lässt sich auch von den Reichen einladen, aber er wird keiner von ihnen. Am Schluss stirbt er am Kreuz den Tod eines Verachteten wie viele vor und nach ihm. Er ist ganz unten angelangt, tiefer kann man nicht fallen als einer, der gekreuzigt wird. Sogar seine Angehörigen müssen Angst haben, dass andere sie anzeigen, weil sie zu diesem Menschen gehören, mit ihm zu tun hatten.

"Denn ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus: obwohl er reich ist, wurde er doch arm um euretwillen, damit ihr durch seine Armut reich würdet." (2.Kor.8,9) (Predigtvers wird zweimal vorgelesen). So schreibt Paulus an die Gemeinde in Korinth. "Er wurde arm um euretwillen", das haben wir eben bei der Geburt, im Leben und im Sterben Jesu angeschaut. Er will, dass wir durch seine Armut reich werden - wie soll das zugehen?

Aber zuerst noch anders gefragt: Fühlen wir uns arm? Oder reich? Es kommt immer darauf an, mit wem man sich vergleicht, an wem man sich orientiert. Wahrscheinlich finden sich die meisten von uns irgendwo dazwischen wieder, weder arm noch wirklich reich.

Wenn Paulus von Armut und Reichtum spricht, geht es ihm nicht nur um die finanziellen Verhältnisse seiner Gemeindemitglieder. Er meint ausserdem den Reichtum eines Lebens, das gelingt und Menschen erfüllt. Er macht seiner Gemeinde deutlich: Gott tut etwas für euch, er hat bei allen seinen Handlungen euch im Blick. Er gibt sich in unsere Hand, er schenkt sich uns und macht uns damit reich. - Jesus stirbt am Kreuz, um unsere Schuld, die uns von Gott trennt, wegzunehmen. Gott wird uns nicht verdammen trotz all unserer Fehler, darauf dürfen wir uns verlassen. Das ist der Reichtum, den Gott uns schenkt. Er nimmt unsere Schuldgefühle und unser schlechtes Gewissen weg und sagt uns: Du bist gut, so wie du bist. Jetzt sind wir dran, dass wir das wirklich hören und annehmen. Und dann aus diesem Ja Gottes zu uns unser Leben gestalten.

Wenn wir aus Gottes Zusage an uns leben, öffnet sich unser Blick auch für das, was uns sonst noch geschenkt wird. Was macht unser Leben reich? Jede und jeder wird selbst darauf eine Antwort suchen und auch finden können. Einiges an "Reichtümern" möchte ich stellvertretend nennen: Es gibt Menschen, die ich liebe und die mich lieben - mein Partner, meine Kinder, Eltern und Geschwister, Freunde. Reich bin ich, weil ich gesund bin und keine bedrohliche Krankheit habe. Mich bereichern Zeiten der Ruhe, manchmal ist es nur eine Viertelstunde mitten im Alltag, in der ich zu mir selbst komme und nach innen schauen kann. Eine Zeit des Innehaltens, des Atemschöpfens, auch des Gebets. Aus dieser Zeit gehe ich gestärkt hervor, mit neuen Kräften.

Was ist Gnade?, hatte ich zu Anfang der Predigt gefragt. Ich glaube, Gnade ist zu wissen, dass ich beschenkt bin. Ich mache nicht alles selbst, sondern Gott legt es mir in den Schoss. Ich bin reich durch ihn. Darauf kann ich mein Leben bauen.

Dabei bleibt es aber nicht. Wer aus der Gnade lebt, möchte das anderen mitteilen und etwas an sie weitergeben. Daher kommen auch die Weihnachtsgeschenke, dass wir aus Freude über das Geschenk, das Gott uns macht, andere glücklich machen wollen. Gut, wenn das nicht nur einmal im Jahr geschieht, aber entscheidend ist, dass wir überhaupt an andere denken und mit ihnen teilen: unsere Freude, unsere Gaben und auch unser Geld.

Der Satz des Paulus über Gnade, Armut und Reichtum fügt sich ein in die Aufforderung an die Korinther, Geld für die Gemeinde in Jerusalem zu spenden. Paulus versteht diese Spende als Ausdruck der Solidarität unter den Gemeinden. Keine steht für sich allein, sondern alle sind durch den gleichen Glauben verbunden und helfen einander aus, wenn es nötig ist. Keine soll Mangel leiden müssen, sondern alle sollen genug zum Leben haben.

Auch unsere Spenden und Kollekten heute haben diesen Zweck: Wir wissen, dass wir reich beschenkt sind durch Gottes Gnade und geben davon etwas an andere weiter. Wir tun das nicht nur, aber auch, indem wir unseren materiellen Reichtum teilen. Andere sollen merken, dass sie nicht vergessen sind. Wir können damit nicht alle Not beseitigen, aber doch ein Zeichen setzen. In diesen Weihnachtstagen sammeln wir für die Opfer der Flutkatastrophe in Tabasco und Chiapas im Süden unseres Landes. Wir lassen uns berühren von dem, was den Menschen dort geschehen ist und zeigen durch unsere Spenden unsere Solidarität. Dabei hoffen wir, dass ihnen geholfen und ihr Leben verändert werden kann, und wir beten dafür.

Gott beschenkt uns - aus diesem Reichtum heraus können wir mit anderen teilen und auch sie spüren lassen, dass Gott uns liebt.

Gott sei Dank.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

 



Pastorin Luise Stribrny de Estrada
Pastorin der evangelischen Gemeinde deutscher Sprache in Mexiko
E-Mail: marclui@prodigy.net.mx

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