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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Kantate, 24.04.2016

„Vom Lobgesang der Jünger zur singenden Gemeinde“
Predigt zu Lukas 19:37-40, verfasst von Karsten Matthis

Liebe Gemeinde,

Kantate, singt! Dies tun im Schnitt eine Million Gottesdienstbesucher sonntags quer durch die protestantischen Landeskirchen und evangelischen Gemeinschaften in rund 20.000 Gottesdiensten.

Menschen begeistern sich für Musik, so gibt schätzungsweise sieben Millionen haupt- und ehrenamtliche Musiker in Deutschland. Sie musizieren in Orchestern, in Chören und solo.

Menschen hören gerne Musik und schätzen Gesang: In Leipzig drängen sich allwöchentlich viele Besucher in die Thomaskirche zu den Proben und Auftritten des Thomanerchors. Wenn die Motetten und Bachkantaten erklingen, dann zieht es Menschen in die Kirche, die sonst nicht regelmäßig Gottesdienste besuchen.

Kinderchöre sind populär. Nicht nur der berühmte Thomanerchor aus der sächsischen Metropole mit seiner langen Tradition, sondern die vielen regionalen Kinderchöre erfreuen sich großer Beliebtheit. Bei Verabschiedungen und Einführungen darf ein Ständchen des örtlichen Kinderchores nicht fehlen.

Musik und Gesang bewegen Menschen. Natürlich inspiriert nicht nur geistliche Musik, sondern ungeheuer stark populäre Musik, Popmusik in all ihren Facetten; sie begleitet ungeheuer viele Menschen tagtäglich. Musik nimmt Menschen mit, schafft Stimmungen und bewegt die Hörer durch ihre Texte.

 

Liebe Gemeinde, der Lobpreis der Jünger in Lukas 19, 37-40 steht im Mittelpunkt des heutigen Evangeliums: Jesus hat sich mit seinen Anhängern nach Jerusalem aufgemacht. Beim Anblick der Heiligen Stadt nach dem mühseligen Aufstieg über den Ölberg wurden die Jünger von großer Freude ergriffen. Sie lobten Gott für die geschehenen Wunder. In den Wundern, welche Jesus an vielen Orten Galiläas und Judäas vollbracht hat, sahen sie die Zeichen der kommenden Gottesherrschaft.

 

Bettler und Lahme sahen wir beim Tanz, hörten wie Stumme sprachen, durch tote Fensterhöhlen kam ein Glanz, Strahlen, die die Nacht durchbrachen. Zeichen und Wunder sahen wir geschehen…“ textet Diethard Zils im Lied „Wir haben Gottes Spuren festgestellt“ (eg 648, 3).

 

Diese Zeichen und Wunder haben die Jünger mit Jesus erlebt und können von diesen Erlebnissen nicht schweigen. Jesus hat getröstest, geheilt und Menschen von ihrer Schuld losgesprochen. Die Jünger singen, damit alle hören, wie unglaublich es ist, Jesus nachzufolgen und mit ihm zu leben.

 

Der Lobpreis der Jünger erinnert uns an die lukanische Weihnachtsbotschaft: „Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!“ Jesus wird als der kommende König gesegnet. Er ist der Messias, dem im Himmel bereits der Friede bereitet ist. Im Himmel ist die Gottesherrschaft bereits Wirklichkeit für die Menschen. Die Jünger sind voller Hoffnung, dass vom Berg Zion sich die Gottesherrschaft aus durch ihren Herrn verbreitet und auf Erden Wirklichkeit werden wird.

Die Jünger stimmten in ihrem Lobpreis die Psalm-Worte (118, 26) an und singen sie fröhlich. Es wird nicht ein schöner gleichförmiger Gesang eines professionellen Chores gewesen sein, eher Freudenrufe und spontaner Jubel über den bevorstehenden Einzug Jesu in die Stadt Davids. Aber ihr Gesang wirkt ansteckend, eine große Zahl von Menschen über den engsten Kreis der Jünger hinaus stimmt in den Lobgesang ein.

Die Pharisäer bei der Menge hätten in den Lobpreis der Jünger einfallen können, aber die diese reagieren stattdessen zugeknöpft, ja feindselig. Sie fahren Jesus an, dass seine Anhänger lieber schweigen sollen. Ihnen gefällt es überhaupt nicht, dass einem Mann aus Nazareth auf dem Weg in die Heilige Stadt vor dem Passahfest so viele Menschen zujubeln.

 „Unglaublich“ werden die Pharisäer sich untereinander zugeraunt haben, „ der Mann wagt es, sich als König betiteln zu lassen.“ Empörend klingt es für ihre Ohren, dass Jesus zum lang ersehnten Messias ausgerufen wird. Sie warnen Jesus vor den Folgen, die das Lob der Jünger, welches einer Königsproklamation gleich kommt, haben muss.

Im Denken und Handeln der Pharisäer erscheint alles so festgelegt, da ist kein Platz für die neue gute Nachricht, das Evangelium. Dieser Mann aus Nazareth ist für sie ein religiös Verwirrter, dazu noch ein gefährlicher Prediger, der von Gott als seinem Vater erzählt. Dieser freche Wanderprediger lässt sich als Sohn Davids preisen und bezieht die Schrift auf sich, so lautet ihr Urteil. Pharisäer und andere Schriftgelehrte Israels erkennen Jesus nicht als  ihren Messias an. Noch vor dem Passahfest werden sie ihn festsetzen lassen und den Mann aus Nazareth der Gerichtsbarkeit der Römer überantworten.

Jesus reagiert antwortet schroff auf die Warnung der Pharisäer. Wenn Jünger schwiegen, so würden stattdessen die Steine schreien. (Luk. 19, 40), entgegnet er ihnen. Diese Schroffheit jener dunklen Prophezeiung über die Zerstörung Jerusalems mag uns zunächst befremden. Jesus sieht aber auf das unvermeidlich Kommende. Durch die jubelnde Menge sieht er hindurch. Er weiß um das Schicksal Jerusalems, einst dem Erdboden gleich gemacht zu werden. Der prunkvolle Tempel, Israels Heiligtum, wird völlig zerstört werden. Aus den Ruinen des Trümmerfeldes wird Rauch aufsteigen. Kein fröhliches Singen wird aus der Stadt in 40 Jahren erschallen. Die Steine der Heiligen Stadt werden schreien, mehr als stumme Zeugen sein für die Vertreibung der Juden aus der Stadt Davids.

 

Lukas erzählt im Fortgang über den Schmerz Jesu (Luk. 19, 41-44). Jesus sieht Jerusalem mit den Augen seiner jüdischen Schwestern und Brüder. Es ist auch seine geliebte Stadt, über die er Tränen vergießt. Er weint aber ebenso über die Menschen, die ihn verwerfen und nicht annehmen.

Weder Lobgesang der Jünger, noch wie Matthäus berichtet der Lobgesang der Kinder beim Einzug Jesu in Jerusalem, kann die Herzen seiner Gegner erweichen. Anders als viele Menschen nach Jesu Auferstehung erreicht der Lobgesang ihre Herzen nicht.

Dies ist, Gott sei Dank, bei vielen Menschen weltweit über Jahrhunderte anders gewesen. Viele Menschen bekannten und bekennen Jesus als ihrem König. „Jesus Christus herrscht als König“ (eg 123) singen wir gerne zu Himmelfahrt. Gerade gesungene Predigten bewegen die Herzen der Menschen. Lobgesänge bewirken Aufbrüche im Glauben, bewegen zur Umkehr und tätiger Nächstenliebe.

Alle Kirchen und Glaubensgemeinschaften in der Nachfolge Jesu Christi stützen sich auf ein reiches und vielfältiges Liedgut. Evangelisches Gesangsbuch und Gotteslob wirken in Zeiten der gelebten Ökumene als kirchenverbindend. Viele Liedtexte schaffen Identität und stiften Gemeinsamkeit im Glauben. Das große „Ö“ für ökumenisch in unserem evangelischen Gesangbuch weist darauf hin, wie viele Lieder nicht nur an den hohen Feiertagen uns gemeinsam sind. Psalmen und Lobgesänge vereinen uns auch mit anderen Kirchen und Gemeinschaften.

Der Lobgesang Gottes setzt sich über die Jahrhunderte fort. Er hat sich von nichts und niemanden aufhalten lassen. Melodien und Texte vieler begabter Musiker und Dichter haben sich verändert, aber über die Jahrhunderte und Jahrzehnte haben sie aber eines gemeinsam, dass alle jene Lieder Gott loben und ehren wollen. Viele geistliche Liedtexte und Melodien erreichen Menschen, sei es durch die Passionen Bachs bis hin zu modernen Liedern vom Kirchentagen, die nicht nur Jugendliche ansprechen, sondern längst über die Generationen hinaus populär in den Kirchengemeinden geworden sind.

Viele Liedtexte sind für uns zu immerwährenden Predigten geworden, die uns durch das Kirchenjahr begleiten: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“ (eg 1) bis hin zum letzten Sonntag im Kirchenjahr: „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ (eg 147). Vom ersten Advent bis zum Ewigkeitssonntag begleiten uns Lieder, die uns Halt im Glauben geben.

Guter Gott, lass uns zu deiner singenden Gemeinde werden, die deinen heiligen Namen lobpreist. Verwandle unsere Klagen in fröhliches Singen. So sei es, Herr. Amen

 



Dipl. Theol., Prädikant und Geschäftsführer Stiftung Christlich-Soziale Politik (CSP) Karsten Matthis
Wachtberg
E-Mail: karsten.matthis@gmx.de

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