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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Heiliges Christfest II, 26.12.2007

Predigt zu 2. Korinther 8:9, verfasst von Hans Uwe Hüllweg

Liebe Gemeinde,

nichts von Stall und Krippe, nichts von Engelsang und Hirtenromantik, nichts von Gold, Weihrauch und Myrrhe - die Weihnachtsgeschichte in nur zwei Sätzen. Nichts fürs Gemüt; vielmehr nüchtern, sachlich, unanschaulich, theologisch kondensiert. Der Zweite Weihnachtstag, schon ein Stück weg von der Krippenlegende des Heiligen Abends, konfrontiert uns mit der Botschaft hinter dem idyllischen Weihnachtsgeschehen. Drei Worte, drei Verben sind es im Grunde nur, die hier das Wesentliche des Weihnachtsgeschehens bezeichnen: Sich verschenken, arm werden, reich werden.

„Gottes Abstieg in die Welt der Aufsteiger" (Stuhlmann) - ihn fasst Paulus in seinen Vers. Der verarmte Gott und der reich gemachte Mensch. Die Geschichte Jesu in ökonomischen Begriffen. Dieses „Weihnachtskonzentrat" redet kurz und bündig vom Jesusgeschehen. Er wurde arm. Und tatsächlich: Er fuhr in einem Boot über den See, das einem andern gehörte. Er verteilte Brot und Fische, die andern gehörten. Er feierte in einem Haus, das andern gehörte. Er ritt auf einem Esel in die Stadt, der einem anderen gehörte. Er wurde in ein Grab gelegt, das einem andern gehörte. Leben auf Kredit. Ein armes Leben, erst recht nach unseren heutigen Begriffen.

Damit hat er viele reich gemacht. Die Ehebrecherin, die er vor dem Tode gerettet hat, kann davon erzählen. Der Blinde, dem er die Augen geöffnet hat, sieht das. Der Stumme mit dem bösen Geist kann ein Lied davon singen. Zachäus, der nach der Begegnung mit ihm in seinem Leben aufräumt; die Samariterin am Brunnen mit den vielen Männern; der an Körper und sozialen Beziehungen Gelähmte am Teich Bethesda; der kranke Bettler an der Schönen Pforte des Tempels; Nikodemus, der ihn bei Nacht und Nebel besucht; der eine der Verbrecher am Kreuz - die Reihe ließe sich fortsetzen -, ihnen allen hat er seine Zuwendung geschenkt, sie dadurch reich gemacht, auch noch nach seiner Kreuzigung, durch das Wirken seiner Jünger. Er hat Menschen die Zuwendung Gottes erleben lassen, er hat sie heil gemacht, aus Schuld befreit und ihnen ihre Selbstachtung wiedergegeben.

Seine Begleiter, Freunde und Jüngerinnen haben das hautnah miterlebt; begriffen aber haben sie es erst nach seinem armseligen Ende am Kreuz und nach dem Ostermorgen, als sie seiner Wundmale gewahr wurden.

Als ihnen die Unwahrheit der Realität aufging, die in dem Satz gipfelt „Gott ist tot"; als ihnen die Wahrheit des Glaubens aufging, die in dem Satz gipfelt „Jesus Christus lebt" - da erst wurde es, so paradox es klingt, für sie Weihnachten, da erst begriffen sie, was das Weihnachtslied besingt:

"Er ist auf Erden kommen, arm,
dass er unser sich erbarm
und in dem Himmel mache reich
und seinen lieben Engeln gleich." (eg 15,6)

Doch halt! Es geht in unserem Pauluswort nicht nur um den Reichtum im Himmel, jedenfalls nicht in erster Linie. Das verrät uns ein Blick auf den Zusammenhang. Dieses „Blitztelegramm in Sachen Weihnachtstheologie" (Stuhlmann) fährt mitten in einen Bettelbrief hinein. Paulus redet nämlich im Kapitel 8 massiv vom Geld. Er sammelt in den von ihm gegründeten Gemeinden und hier insbesondere in der reichen Stadt Korinth eine Kollekte für die verarmten Christen in Jerusalem. U/nd er scheut sich nicht, den Christen dort ins Gewissen zu reden: Dass auf der einen Seite des Meeres reiche Christen „im Überfluss", auf der anderen aber bettelarme Christen „im Mangel" leben, das darf nicht so bleiben! Es muss Gleichheit zwischen ihnen hergestellt werden (V.14). Sonst respektiert der Apostel ja die Verschiedenheit der Gaben in der christlichen Gemeinde und tritt leidenschaftlich ein für die Gemeinschaft der Verschiedenen (vgl. 1.Kor 12!). Hier aber kämpft er um so heftiger für den Ausgleich im wirtschaftlich-finanziell-materiellen Bereich.

Paulus will seinen Lesern, und damit ja auch uns, einschärfen, dass Heil und Wohl oder, wie es die Theologen in ihrer Fachsprache ausdrücken würden, „Theologie und Ökonomie" zusammengedacht werden müssen. So gewiss Gottes Gnade sich nicht auf die materielle Situation des Menschen bezieht, so gewiss geht sie aber auch nicht daran vorbei. Das will ja so schwer in den Kopf, noch schwerer ins Herz und am schwersten in die Hand, dass Gott in uns zur Welt kommt, in unseren Worten und Taten. „Dem Hungernden muss Gott in Gestalt von Brot erscheinen", hat Gandhi mal gesagt. Aber Brot fällt nicht vom Himmel; Brot muss gebacken werden!

Die Korinther werden von Paulus bei ihrem Reichtum gepackt. „Ich will Ihr Bestes, Ihr Geld", sagte mal ein Fernsehmoderator bei einer Benefizsendung mit sympathischer Frechheit. So müssen diese Worte des Paulus den Korinthern auch in den Ohren geklungen haben. Gottes Menschwerdung geht nicht am Portemonnaie derer vorbei, die genug zum Leben haben.

Eine alte griechische Sage erzählt vom König Midas auf Kreta: Einer der zahlreichen Götter wollte ihm eine Bitte erfüllen. Ohne groß zu überlegen, wir würden heute sagen „spontan", wünschte sich Midas: „Alles, was ich berühre, soll zu Gold werden." So geschah es, und im Nu funkelte und glitzerte in seiner Umgebung alles, was Midas nur anrührte. Aber die Begeisterung darüber währte nicht lange: Als Midas nämlich hungrig nach einem Stück Brot griff...

Wir verstehen: Grenzenloser Reichtum stillt den Hunger nicht, im Gegenteil: Er lässt einen verhungern. In der alten Sage, aus ferner Vergangenheit, erkennen wir unsere heutige gleißende Goldwelt wieder, die Welt des „Schneller-höher-weiter", nein, nicht im Sport, sondern beim Geldverdienen und beim Geldausgeben. Midas wollte reich sein und verarmte.

Die Botschaft von Weihnachten erzählt uns eine andere Geschichte: Gott wollte arm sein, damit wir reich würden; Gott gab sich die Blöße, ein bloßer Mensch zu werden, damit mit seiner Menschenliebe umkleidet würden.

Ganz sicher ist dies geistlich gemeint, auf den Glauben gemünzt. Aber für Christen kann diese Weihnachtsbotschaft nicht ohne Folgen bleiben bis in den persönlichen und in den politischen Alltag hinein. Wir können zwar keine bessere Welt schaffen, aber wir können in der Welt Lichter anzünden von dem, der das Licht der Welt ist.

Der Pfarrer und Dichter Kurt Marti aus Bern hat, aufgrund unseres Pauluswortes, einmal von der „Gnadenwirtschaft" gesprochen. Gott habe den Himmel „heruntergewirtschaftet". Das klingt anders als die manchmal gnadenlos erscheinenden Bedingungen unserer Wirtschaft, wo es um Preise und Produktivität, Gratifikationen und Gewinn, Mehrarbeit und Mehrwert geht. Gottes Gnadenwirtschaft will nun aus armen Reichen, deren Reichtum nur ihnen selbst hilft, reiche Arme machen, die ihren Reichtum teilen.

Nun geschieht ja schon viel bei uns. Manch einer unter uns hat sich von den Bittbriefen erwärmen lassen, die uns der Briefträger in der Vorweihnachtszeit massenhaft in den Kasten geworfen hat. Viele haben gegeben für „Brot für die Welt" , für die Diakonie, für Unicef, die Partnerstadt Rjasan oder für was auch immer. Frauen und Männer in vielen Gemeinde haben genäht und gestrickt, gebacken und gekocht und unter Einsatz von Zeit und Kraft in Basaren überall im Lande verkauft, um mit dem Reinerlös Gutes zu tun. Viele unter uns wissen nicht nur, sondern praktizieren auch im Stillen, dass Gott uns unseren Reichtum zum Geben gegeben hat.

Unser Reichtum ist fremder Reichtum, der uns nicht gehört. „Nicht der ist reich, der vieles hat, sondern der vieles gibt," schreibt Erich Fromm in seinem Buch „Die Kunst des Liebens". Eine schöne Leitlinie für die viel diskutierten Managergehälter, aber nicht nur für sie... Auch wir scheinen mir in dieser Hinsicht, trotz all dessen, was schon getan wird, noch arm zu sein, arm wie der indische Bettler in der folgenden Geschichte:

In einer indischen Stadt herrschte große Aufregung, denn der Maharadscha wurde erwartet. Ein Bettler machte sich schon früh morgens auf den Weg, um die prächtige Prozession zu sehen. Viele Leute warteten am Rande der Straße, und in ihrer frohen Stimmung warfen sie dem Bettler bereitwillig Hände voll Reis in seinen Bettelkorb. „Sie geben mir Reis", dachte der Bettler bei sich, „der Maharadscha wird mir Gold geben."

Endlich näherte sich der Erwartete, auf einem riesigen Elefanten reitend. „Erbarmt euch meiner", schrie der Bettler, „so schenkt mir doch etwas!" Der Maharadscha beugte sich zu ihm herab. „Gebt mir etwas", so forderte er den Bettler auf. Aber was konnte ein armer Bettler einem solch Reichen schenken? Ärgerlich pickte er ein einziges, winziges Reiskorn aus seinem Korb und reichte es mit einer bösen Miene dem Maharadscha.

Die Prozession war längst vorüber, als der Bettler zufällig in seinen Korb schaute: Statt des Reiskorns lag nun ein einziges, ebenso winziges Körnchen Gold darin. „Ich Narr", schrie der Bettler, „warum gab ich ihm nicht alles, was ich hatte!"

Gott gab uns alles, was er hatte. Weihnachten ist ein schönes Fest. Aber die Menschwerdung Gottes will nicht auf dieses Fest beschränkt sein; dann wäre unser Glaube beschränkt. „Ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus", schreibt Paulus. Ihr wisst Bescheid. Es gibt keine Ausreden. Aber bevor wir irgend etwas tun, hat er schon alles für uns getan.

Was hat er denn für uns getan? Geboren und in der Krippe gelegen? Ja, das auch. Viel wichtiger noch - die Geschichte Gottes mit unserer Welt noch kürzer als in zwei Sätzen, nämlich in drei Worten: Gestorben, begraben und auferstanden. Amen.

 

Verwendete Literatur: Rainer Stuhlmann/Jürgen Dembeck in Predigtstudien VI/1, Stuttgart 1989, S. 61ff; Marianne Seitz in GottesdPraxis, Serie A, VI/1, Gütersloh 1989, S. 47ff; Hermann Vorländer in Deutsches Pfarrerblatt 11/2007, S. 606f; Geschichte von H.L.Gee aus Lore Graf u.a. (Hg.): „Die Blumen des Blinden, Kurze Geschichten zum Nachdenken", München 1983, Nr. 29.



Pfarrer i.R. Hans Uwe Hüllweg
Münster
E-Mail: huh@citykom.net

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