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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Himmelfahrt, 05.05.2016

Die den Himmel nicht verloren geben
Predigt zu Lukas 24:50-53, verfasst von Andreas Brummer

Während draußen die ersten Bollerwagen herumziehen bzw. gezogen werden – inzwischen nicht immer nur von reinen Männergruppen –, feiern wir in unseren Kirchen Gottesdienst. Da Vatertag, hier Himmelfahrt. Manche Gemeinden versuchen eine Verbindung zwischen beidem herzustellen, in dem sie Gottesdienste unter freiem Himmel feiern. Das hat durchaus etwas für sich, zumal wenn der Himmel mitspielt und man nicht nass wird. Dennoch bleibt die Spannung zwischen der Vatertagstradition auf der einen und dem kirchlichen Feiertag auf der anderen Seite bestehen. Eine Umfrage, die der christliche Nachrichtendienst idea veröffentlicht hat, bestätigt das: Dort verbinden zwar immerhin 39 % der Befragten den Himmelfahrtstag mit der Auffahrt Jesu in den Himmel, für 48 % aber – also für fast jeden zweiten Deutschen – ist Himmelfahrt jedoch gleichbedeutend mit Vatertag. Und dann gibt es noch 5 %, die dabei an eine Luftfahrtschau denken. Wir müssen zur Kenntnis nehmen: Himmelfahrt ist kein einfaches Fest. Wahlen könnte man damit nicht gewinnen.

 

Doch auch innerkirchlich ist es kein unbefangenes Fest. Man könnte sagen: Himmelfahrt hat zwei Gesichter. Das eine Gesicht zeigen uns etwa unsere Lieder: Gen Himmel aufgefahren ist, halleluja, der Erdenkönig Jesu Christ, halleluja. Himmelfahrt als Freudenfest. Gotteslob und Halleluja. Denn Christus sitzt nun im Regimente. Zur Rechten Gottes. Und uns steht der Himmel offen. So dichtet jedenfalls Philipp Friedrich Hiller über uns Christenleute: …ihnen steht der Himmel offen, welcher über alles Hoffen, über alles Wünschen ist.

 

Himmelfahrt als Freudenfest. Auch der Evangelist Lukas stößt in dieses Horn. Mit einem großen Schlussakkord der Freude lässt er sein Evangelium mit der Himmelfahrt Christi ausklingen: Er aber führte sie hinaus nach Betanien und hob die Hände auf und segnete sie. Und es geschah, als er sie segnete, da schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel. Sie aber beteten ihn an und kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude und waren allezeit im Tempel und priesen Gott. Würde man diese Verse auf einer Bühne inszenieren: Die Ode an die Freude aus Beethovens Neunter wäre dazu passende Hintergrundmusik. Freude schöner Götterfunken. Und so, das ist wohl die Absicht des Lukas, mögen wir es dann auch nehmen. Als Einladung, nun auch in diese große Freude einzustimmen, Choristen dieser Freude zu werden. Jeder in seiner Stimmlage, die Brummbären genauso wie die Amseln unter uns.

 

Doch es gibt noch ein anderes Gesicht von Himmelfahrt. Das ist schwerer. Gedrückter. Wieder ist es Lukas, der davon berichtet. In der Epistel, heute zugleich als Predigttext vorgesehen, haben wir davon gehört. Wieder geht es um die Himmelfahrt Jesu. Aber auf einmal klingt anderes an. Da ist nicht mehr die große Freude bei denen, die zurückbleiben. Da ist nicht Enthusiasmus im Tempel und Lobpreis Gottes. Da ist vielmehr eine Ratlosigkeit. Da stehen die Jünger wie gelähmt und starren Jesus hinterher. Starren hinauf, hinauf zum Himmel, starren und starren, als könnte man das Rad der Geschichte noch einmal zurückdrehen. Und es müssen schon Engel auftreten, um dieses Erstarren zu unterbrechen und um die Blicke wieder auf die Erde zu richten. Dorthin, wo ihr und wo uns aller Leben spielt, wo wir gefordert sind und wo unser Platz ist, wo wir geliebt werden und lieben, wo wir kämpfen und hoffen. „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?“

 

Himmelfahrt ist hier wie ein Schock, eine Überrumpelung. Eine Geschichte vom Verlassenwerden: Einer geht und andere bleiben zurück. Der Eine geht, und die Seinen bleiben zurück. Und so stehen sie dann und spüren, wie ihnen aus der Hand gleitet, was sie nach Ostern so sicher bei sich meinten. Eben dachten sie noch: Jetzt haben wir das Leben fest in der Hand – und plötzlich ist es entschwunden, so ähnlich wie ein Luftballon einem kleinen Kind aus der Hand gleitet und in die Wolken steigt. Und wie das Kind seinem Luftballon hinterher sieht mit einer Mischung aus Staunen und Traurigkeit, so sehen die Jünger in den Himmel. Auch wenn gar nichts mehr zu sehen ist. Aber der Blick bleibt haften. Er sucht nach einem Punkt, der Halt verspricht.

 

Zwei Gesichter von Himmelfahrt. Welches ist Ihnen heute näher?

 

Noch einmal zurück zur idea-Umfrage. Die Koalition von Vatertag und Luftfahrtschau bringt, vielleicht haben Sie vorher schon zusammengezählt, 53% der Stimmen zusammen. Eine stabile Mehrheit also. Manche Parlamente und Bürgerschaften träumen davon. Diese Mehrheit kommt nicht von ungefähr. Denn es spiegelt sich darin etwas davon wieder, was man moderne „Himmelsvergessenheit“ nennen könnte. Der Theologe Eberhard Jüngel hat das einmal so zusammengefasst: „Als Kinder der Aufklärung haben wir inzwischen das Diesseits so lieben gelernt, dass wir …. aus diesseitsblinden ‚Kandidaten des Jenseits‘ zu jenseitsvergessenen ‚Studenten des Diesseits’ geworden sind.“ Das will – etwas schlichter ausgedrückt – heißen: Die Moderne hat Abschied vom Himmel genommen und sich ganz der Erde verschrieben. Doch sie hat dabei das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Sie hat nämlich zugleich das Band zwischen Himmel und Erde zerrissen, das wir doch nötig haben, um aufrecht, getrost und froh zu leben auch in einer zerrissenen Welt. Ein Mensch aber kann nicht auf Erden leben, wenn er nicht in Kopf und Herz ein Stückchen Himmel hat.

 

Auch darum feiern wir Himmelfahrt. Um ein solches Stück Himmel für unsere Erde zurückzugewinnen. Oder genauer: es uns schenken lassen, denn Christus gewinnt es für uns. Gewiss: Das ändert zunächst nicht viel daran, dass so vieles nicht ist gut in unserer Welt. Himmlisch schon gar nicht. Vieles ist zum Himmel schreiend. Wer mitfühlen kann, der kann sich dem nicht entziehen. Himmelschreiend ist das Flüchtlingselend und ebenso himmelschreiend unsere Hilflosigkeit und Ratlosigkeit manchmal auch Trägheit, der Not zu begegnen. Himmelschreiend ist, dass weltweit und auch bei uns die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinandergeht, materiell und ideell, himmelschreiend ist die Gewalt und der Terror, der uns aus Nachrichten entgegenschlägt, himmelschreiend ist oft auch das, was wir selbst anrichten im Kampf um unseren eigenen Stand in dieser Welt, himmelschreiend ist der Raubbau mit unseren Ressourcen und manchmal auch mit unsrer eigenen Gesundheit.

 

Doch gerade weil das so ist, weil so vieles zum Himmel schreit, braucht es Menschen, die weder die Erde noch den Himmel verloren geben. Die den Himmel wieder in den Blick nehmen. Die, wie es einem Gedicht heißt,

mit dem Gesicht

zu Erde und Himmel

mit offenen Augen

zusammen halten

was sich ins Dunkel

entzieht

die in der Nachfolge Christi und in seinem Namen zum Himmel schreien und beten, die den offenen Himmel suchen und die aus dem Himmel ihre Kraft ziehen.

 

Ich weiß nun nicht, welches der beiden Gesichter von Himmelfahrt Ihnen heute näher ist. Das heitere, leichte, oder das erdenschwere. Und wohin die Engel dieser Welt heute Ihren Blick lenken sollten: Eher hin zum Himmel, um von dort her neue Hoffnung und Kraft zu finden oder eher hin zur Erde als dem Ort, an dem alle Freude sich dann auch in Liebe bewähren soll. Eines darf uns dabei aber immer gewiss sein: Wir gehören nicht nur in eine Welt. Himmelfahrt erinnert daran: Wir haben eine doppelte Bürgerschaft. Hier auf Erden und nun auch im Himmel. Die kann uns keiner nehmen. Und der Himmel ist dabei nicht so fern, wie wir glauben. Wir müssen ihn jedenfalls nicht jenseits der Wolken suchen als einen Ort somewhere over the rainbow. Wir dürfen vielmehr damit rechnen, wie Jakob Böhme, der Mystiker aus dem 16. Jh. schreibt: Der rechte Himmel ist allenthalben auch an dem Orte, wo du stehest und gehest. Ob mit Bollerwagen oder ohne. Gott sei Dank.

 

 



Pastor Andreas Brummer
Hannover
E-Mail: andreas.brummer@evlka.de

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