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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Trinitatis, 22.05.2016

Lob des Unbegreiflichen
Predigt zu Römer 11:33-36, verfasst von Sven Keppler

I. Liebe Gemeinde,

was ist es wieder für eine Freude, hier zu predigen und mit Ihnen den Gottesdienst zu feiern! Und das nicht nur wegen des äußeren Rahmens, in dieser wundervollen Kirche samt ihrer Kunst. Sie sind eine so aufmerksame und freundliche Gemeinde, dass ich immer wieder gerne bei Ihnen bin. Und nicht nur ich – anderen Predigern und Predigerinnen geht es ja genau so!

Werden Sie eigentlich gerne gelobt? Sicherlich, denn es schmeichelt der Seele. Kritisiert wird schließlich häufig genug. Und nicht selten hat man ja das Gefühl, seine Sache nicht gut genug gemacht zu haben. Ganz zu schweigen von dem bohrenden Zweifel, ob man eigentlich mit der eigenen Art beim Gegenüber sonderlich viele Sympathien auslöst. Da ist ein Lob schon sehr angenehm: Es beglückt, es stärkt, es kann sogar eine Freundschaft eröffnen.

Aber können Sie ein Lob gut annehmen? Die Manieren erfordern Bescheidenheit, so sind wir erzogen. Auf ein Kompliment für die eigene Gastfreundschaft sagen wir nicht: „Das stimmt, bei mir kann man sich wohlfühlen!“. Es gibt aber auch tiefer gehende Gründe, sich gegen gute Worte zu sperren. Ein Lob schafft Verbindlichkeit. Es ist ein Angebot, die Beziehung mit dem Lobenden zu vertiefen. Aber will man überhaupt die Nähe, die einem da angeboten wird?

Und dann der Verdacht: Ist der Lobende wirklich aufrichtig? Oder schmeichelt er nur? Mit Hintergedanken gar, weil er etwas von mir will? Und wenn er doch aufrichtig ist – werde ich nicht ganz fremden Maßstäben unterworfen? So war es doch schon zur Schulzeit: Gelobt wurde, wer es so gemacht hatte, wie der Lehrer es wollte. Wer als Konfirmand fleißig zur Kirche ging. Und wer im Schulunterricht ein überzeugter Demokrat war – oder, je nach Jahrgang, wer für den Führer glühte.

So geht es uns selbst ja meistens auch: Wir loben, was uns gut gefällt: Wenn jemand besonders schön formuliert hat, was wir selber denken; wenn uns jemand einen Wunsch erfüllt hat; wenn das Essen nach unserem Geschmack geraten ist. Auch Gott loben wir so: für unsere Gesundheit, für den Frieden im Land, für die Hoffnung, die er uns gibt. Das ist ja auch gut so, alles andere wäre undankbar. Auch unser Predigttext ist ein Lob Gottes. Paulus schreibt im 11. Kapitel seines Briefes an die Römer: [Röm 11,33-36].

 

II. Auch Paulus lobt Gott. Aber dieses Lob hat einen anderen Ton, als das sonst üblich ist. Nicht: „O Gott, wie groß bist du, der du unsere Herzen kennst und unsere Sehnsucht erfüllst!“ Sondern: „Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!“ Sind das nicht eigentlich die Worte eines Klagenden? Eines Menschen, der an Gott verzweifelt, weil er ihn nicht begreifen kann. Weil er empfindet, dass Gott sich ihm entzieht, herzlos, grausam. O Gott, mein Mann ist doch nie krank gewesen. Es war doch nur ein harmloser Knochenbruch. Und dann folgte eins aufs andere. Die Lunge entzündete sich, und nun bin ich allein. Wie unbegreiflich ist dein Wille, du harter Gott.

Was bringt Paulus dazu, Gott für das zu loben, was ansonsten ein Grund zur Klage ist? Sonst lobt Paulus Gott doch gerade dafür, dass er sich uns in Christus geoffenbart hat, anstatt verborgen zu sein. Richtet sich unsere Hoffnung nicht gerade darauf, dass Gottes Wege nicht mehr unerforschlich sind, sondern dass wir auf seine Gnade vertrauen dürfen? Aber nun das Lob des verborgenen Gottes: „Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!“

III. Paulus bekräftigt sein ungewöhnliches Lob mit zwei Zitaten aus dem Alten Testament. Das eine stammt aus einer Fassung des Hiobbuches, die von unserer etwas abweicht: „Wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm vergelten müßte?“ Die Frage ist rhetorisch. Es gibt nur eine mögliche Antwort: Niemand. Niemand kann Gott von sich aus etwas geben. Deshalb gibt es auch niemanden, dem Gott etwas schuldig wäre. Niemanden, der Gott auf ein bestimmtes Handeln verpflichten könnte. Niemanden, der Anspruch darauf hätte, Gottes unergründliche Wege zu erkennen und sie sogar zu beeinflussen.

Genau diese Erfahrung hatte Hiob machen müssen. Denn wenn es jemanden gegeben hätte, der sich einen Anspruch auf Gottes Wohlwollen erworben hätte, dann wäre es Hiob gewesen. „Es war ein Mann im Lande Uz, der hieß Hiob. Der war fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und mied das Böse.“ Gott selbst sagt über ihn: „Es ist seinesgleichen nicht auf Erden.“ Aber es hilft ihm nichts.

Nach den Schlägen, die Hiob erdulden muss, lobt er Gott jedoch nicht, sondern er klagt: „Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin, und die Nacht, da man sprach: Ein Knabe kam zur Welt! Warum bin ich nicht gestorben bei meiner Geburt? Warum gibt Gott das Licht dem Mühseligen und das Leben den Betrübten? Denn was ich gefürchtet habe, ist über mich gekommen, und wovor mir graute, hat mich getroffen.“

Liebe Gemeinde, wer so im Leben leiden muss, der darf klagen vor Gott. Wer sein Leid nicht beklagen darf, geht daran zugrunde. Der Verlust eines Kindes kann ein ganzes Leben verändern. Auch Hiob, der Gerechte, klagte. Seine Freunde wollten ihn davon abhalten. Sie wollten ihm klar machen, dass auch der frömmste Mensch nicht makellos ist. Und dass es deshalb nur eine gerechte Strafe Gottes sei, wenn man ins Unglück gerät.

Das klingt vielleicht richtig, aber es ist grundfalsch. Denn wer so redet, rechnet gerade nicht damit, dass Gottes Wege unergründlich sind. Er macht stattdessen eine einfache Rechnung auf: Wenn es uns schlecht geht, haben wir es uns selbst zuzuschreiben. Gott wäre dann bloß darauf festgelegt, für diese harte Gerechtigkeit zu sorgen. Gottes berechenbare Aufgabe wäre es, eine unbarmherzige moralische Ordnung aufrecht zu erhalten.

Am Ende gab Gott dem klagenden Hiob Recht und seinen Freunden Unrecht. Für Hiob wurde es zu einem Trost, dass er die Ursache für sein Leiden nicht noch bei sich selbst suchen musste. Warum er tief ins Unglück gestürzt und schließlich aus ihm errettet wurde, blieb ihm verborgen. Aber er musste sich nicht auch noch selbst dafür die Schuld geben. Dass Gottes Wege unbegreiflich sind, kann uns entlasten: Wir müssen nicht jeden Schicksalsschlag begreifen. Wir müssen nicht die Verantwortung für jedes Unheil übernehmen. Dafür sei Gott gelobt.

 

IV. Liebe Gemeinde, das ist ein erster Hinweis, wie wir das seltsame Gotteslob des Paulus begreifen können. Ein zweiter Hinweis kommt aus dem anderen Vers, den Paulus aus dem Alten Testament zitiert. „Wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen.“ Hier redet der zweite Jesaja, dessen Stimme wir vom 40. Kapitel des Jesajabuches an vernehmen. Er blickt zurück auf ein Leiden, das das Unglück von Hiob noch weit übersteigt. Denn er blickt zurück auf die babylonische Gefangenschaft ganz Israels. Auf die Zerstörung des Heiligen Landes nach mehreren verlorenen Kriegen.

Was Hiob durchmachte, haben Hunderttausende erlitten. Die aus dem Land vertriebenen Juden. Ebenso wie später die vertriebenen Polen, Russen und Deutschen. Wie die heimatlosen Palästinenser. Wie die von Krieg und Bürgerkrieg geplagten Völker im Irak und in Syrien. Doch Israel machte damals eine Erfahrung, auf die viele Flüchtlinge heute noch warten: Es gab einen Neuanfang. „Tröstet, tröstet mein Volk!“ So beginnt der zweite Jesaja. „Redet mit Jerusalem freundlich und prediget ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat.“

Es war der Auftrag des Propheten, neue Hoffnung zu verbreiten. Krieg und Vertreibung hatten lange genug gedauert. In all den Niederlagen hatte es geschienen, als hätte Gott sich abgewendet. Anders als beim unschuldigen Hiob war Israel zu der Überzeugung gekommen, selbst Schuld an seinem Untergang gewesen zu sein. Zu vielen anderen Göttern hatten sie neben dem Einen Raum gegeben.

Aber wieder hatte Gott sich als größer erwiesen. Er gab auch denen eine neue Chance, die zuvor mit ihm gebrochen hatten. Auch das sind Gottes unbegreifliche Wege: Dass er Menschen nicht sich selbst überlässt. Dass wir nicht einem ehernen, unveränderlich seinen Gang gehenden Schicksal ausgeliefert sind. Ganz unerwartet kann er sich zeigen als der großherzige, der gnädige, der liebende Gott. Als derjenige, der immer wieder neues Leben eröffnet. Wer das erfahren hat, der kann wirklich voller Dankbarkeit sagen: „Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!“

 

V. Die Bibel ist voll von solchen Geschichten des Untergangs, an deren Ende ein neuer Anfang steht. Joseph muss in die Grube, muss hinab nach Ägypten verkauft werden. Erst am Ende zeigt sich, dass er nur deshalb die Seinen retten konnte, als diese vom Hunger nach Ägypten getrieben wurden. Schon sein Vater Jakob musste vor Esau in die Ferne fliehen, um von dort als schwer Gesegneter zurückzukehren. Und Jesus, der Gottessohn selbst, musste für drei Tage in das Reich des Todes. Erst so konnte er den Tod besiegen und auferstehen. Nur der sterbende Gottessohn konnte uns eine Hoffnung eröffnen, die weiter reicht als alles Unglück auf dieser Erde.

Das sind die unerforschlichen Wege Gottes, von denen Paulus spricht. Wege, die für uns oft mit Leiden verbunden sind. Unglück, das wir beklagen müssen und auch dürfen. Aber wir müssen uns nicht selbst an allem die Schuld geben. Dafür steht Hiob. Und wir dürfen hoffen, dass Gott uns nicht ewig auf unsere Fehler und Versäumnisse festlegt. Das können wir vom Evangelium des zweiten Jesaja lernen. Und von Paulus, der immer wieder genau daran erinnert. Ja, wir dürfen sogar hoffen, dass wir manches im Rückblick besser verstehen. Dass es ein nötiger Umweg zum Ziel war, so wie Josephs Weg nach Ägypten.

Diesem guten, gnädigen Gott dürfen wir vertrauen. Wir dürfen ihn loben und ihm danken, hier im Gottesdienst in dieser schönen Kirche. „Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Lob und Ehre in Ewigkeit. Amen.“



Pfarrer Dr. Sven Keppler
Versmold
E-Mail: sven.keppler@kk-ekvw.de

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