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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Trinitatis, 22.05.2016

Erleichterung, Schrecken und Dank: „Tiefe des Reichtums, der Weisheit und Erkenntnis Gottes“
Predigt zu Römer 11:33-36, verfasst von Kira Busch-Wagner

Geeeee-schafft!

Das können die denken, die vielleicht gestern oder heute abend aus dem Urlaub nach Hause kommen. Kein Unfall, heil angekommen, alle zu Hause. Geschafft! Und: Gott sei Dank! -

Wir werden uns noch manches Mal ins Auto setzen, in die Bahn, doch aufs erste: Geschafft!

 

Geschafft!

Das werden am Sonntag in einer Woche die Organisatoren des Katholikentags denken. Wenn alle Vorbereitungen in gute Veranstaltungen eingemündet sind, in fröhliche Gottesdienste, bewegende Dialoge. Wenn Verständigung gewachsen ist. Wenn keine Unfälle, gar verschuldete, die Tage überschatteten: Geschafft! Und: Gott sei Dank!-

Längst gehen wir in den evangelischen Kirche und auch in der Ökumene auf den Kirchentag im Reformationsjahr 2017 zu, stehen vielen Herausforderungen gegenüber. Doch jetzt dürfen erst einmal die Ergebnisse von Leipzig einfließen ins Gemeindegeschehen. Geschafft!

 

Geschafft!

Eine Prüfung, eine Präsentation, die Bewerbung um eine Arbeitsstelle – was auch immer. Wir können uns alle solche Erleichterung vorstellen. Kennen die Dankbarkeit, die das auslöst.

Solche Stimmung höre ich auch in den Versen aus dem Brief nach Rom, die uns heute in den evangelischen Gottesdiensten aufgetragen sind zur Predigt. Heute am Fest Trinitatis, am Fest mit dem Gedanken an Gottes innerstes Wesen.

Geschafft, kann sich Paulus sagen: immerhin elf Kapitel großes Résumé lebenslangen theologischen Lernens und Lehrens. Elf Kapitel intensive Beschäftigung mit Themen, die die Kirche noch Hunderte von Jahren beschäftigen werden, es tun bis heute: Gedanken zu Gnade und Sühne, Kreuz und Erlösung, Schuld, Verderben und Rettung, Bekenntnis und Gebet. Vor allem aber: Israel und Kirche, Volk Gottes und Leib Christi, Beschneidung und Taufe, Erwählung und Eröffnung.

 

Und jetzt ist der Brief fast fertig. Soviel hat Paulus darin untergebracht, soviel kann er den Boten nach Rom mit auf den Weg geben. Mit großem Ernst, mit Furcht, auch mit Schmerz hat er den Brief begonnen. Mit soviel Freude, soviel Dankbarkeit schließt Paulus einstweilen, bevor er noch eine kleine Runde anhängt, eine Schleife zieht mit Ratschlägen, was sich aus all der Theologie ergeben müsste für das Alltagsleben der einzelnen und der Gemeinde. Verteilung und Würdigung von Aufgaben, Umgang mit den Erwartungen der Umwelt an die Getaufen, Verhältnis zu den römischen Behörden, Umgang untereinander.

Zunächst aber kann Paulus für einen Moment innehalten. Viel hat er geschafft – Paulus könnte sich und seinem Schreiber auf die Schulter klopfen. Könnte sich glücklich schätzen, die Quadratur des Kreises geschafft zu haben, den großen Anspruch Gottes weiterzugeben: „den Juden zuerst, und dann den Heiden“ (wie er schreibt), zugleich aber stets Gottes Willen zur Barmherzigkeit, zur Rettung aller aufrecht erhalten zu haben. Er hat es geschafft. Und Paulus ist jetzt tatsächlich sehr, sehr glücklich. Er freut sich. Und dankt Gott! Er dankt Gott mit einem großen Lobpreis, mit größter Ehrerbietung: Ihm, Gott allein, sei Ehre in Ewigkeit.

 

Wenn man zurückschaut im Brief nach Rom, wenn man die vielen Kapitel, besonders die zum leiblichen Israel und zum Leib Christi noch einmal liest, dann findet man durchaus auch offene Fragen. Da findet man, dass Paulus Aporien eingesteht. Dass er Grenzen eingesteht, sich verständlich zu machen.

Am Ende stellt Paulus das alles Gott anheim, befiehlt all das Offene und Widersprüchliche und Fragwürdige Gott an. Er ist gar nicht verzweifelt oder ärgerlich darüber, vielleicht auch nicht mehr. Jetzt legt er alles Gott in die Hände. Dort eben sieht er: Reichtum an Weisheit, Reichtum an Erkenntnis. Gott: größer als unser Herz, größer als all unser Verstehen.

Damit ist Paulus tatsächlich ein naher Verwandter, ein Bruder des biblischen Hiob, den er in unserem kleinen Abschnitt sogar mit einem Satz zitiert. Paulus ist ein Verwandter der großen Schmerzens- und Glaubensgestalt, weil Hiob am Ende trotz des Widersinns, trotz der fruchtbaren Brüche, die er erlebt, auf eine Ordnung bei Gott vertraut, eine Ordnung des Lebens. So vertraut Paulus seine offenen Fragen Gott an. Vertraut darauf, dass Gott alles Verwickelte, Komplexe, Komplizierte einmünden lässt in Hilfe und Rettung und Heil. In Glück. In Leben.

 

Welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis bei Gott“:

ich denke an das Psalmgebet, wo es heißt: „Aus der Tiefe, Herr, rufe ich zu dir … (130,1)

Solche Tiefe ist dem Psalmbeter schrecklich. Er fürchtet, er könnte gar nicht mehr gehört werden von Gott. „Errette mich, dass mich die Flut nicht ersäuft, die Tiefe nicht verschlingt“ – so heißt es an anderer Stelle (Ps 69,16). Kaum etwas gilt als fruchtbarer, als wenn Gott selbst einen in die Tiefe wirft. Wie den Jona. Oder den Beter des 88. Psalms, dem Tiefe und Tod schon ein und dasselbe sind. Dem biblischen Israel, dem Volk der Steppe, den Hirten, die über die Hügel ziehen und an den Rändern der Wüste nach Weideland suchen, ist die Tiefe, vor allem die Tiefe des Meeres, immer unheimlich geblieben. So ist die Rettung durchs Schilfmeer auf immer Rettung vom Tod. Tatsächlich eine Ostergeschichte.

Ich höre durchaus Furcht vor Tiefe und Tod, höre Ehrfurcht und Gottesfurcht mitschwingen, wenn Paulus bei Gott sieht: „Tiefe des Reichtums“. Doch bei Gott gereicht die Tiefe zum Leben. Gott ist der, der den Rufer aus der Tiefe durchaus hört. Gott ist der, der zum Leben aus der Tiefe herausholt. Den Jona. Den Psalmbeter. Und auch seinen gekreuzigten Messias aus der Tiefe des Grabes. Ja, Paulus bezeugt: bei Gott ist ein unendlicher Reichtum an Weisheit und Wissen und Einsicht, an Rettungswillen und Lebenswillen. Soviel, dass Gott unendlich davon schenken und geben kann.

Niemand … - und Paulus zitiert zur Bestärkung Worte aus der Bibel, gleich aus zwei Teilen, aus Propheten und Schriften, aus den Büchern Jesaja und Hiob - niemand hat Gott etwas voraus, niemand könnte aus dem eigenen Reichtum Gott etwas abgeben, was Gott nicht schon hätte, weder Geistiges noch Materielles. Niemand kann ihm raten, also seinem Rat etwas dazutun, und niemand kann Gott etwas schenken.

Auch wenn es unheimlich sein mag, erschreckend, ehrfurchtgebietend - für Paulus ist es frohe Botschaft, das reine Glück: alles bei Gott zu finden. Den ganzen Reichtum. Von ihm sind alle Dinge. Durch ihn auch noch. Und für ihn ohnehin. Bei ihm ist das Leben.

 

Wir, die wir heute dem Paulus über die Schulter schauen und den Brief an die römischen Gemeindeglieder mitlesen, können schon bestätigen: Paulus hat recht, wenn ihm Gottes Wissen auch unheimlich, vielleicht gar furchterregend blieb.

Wir wissen heute, was Paulus nicht wissen konnte: sein Ziel Spanien jenseits von Rom hat er nicht mehr erreicht. Nach Rom kommt er nicht als freier Missionar, sondern als Gefangener römischer Behörden. Und er stirbt als Glaubenszeuge, als Märtyrer, wie so viele andere in Rom. Ihm begegnet der Tod. In der Hoffnung auf Auferweckung.

Wir heute wissen auch, was Paulus nicht ahnte: seine mahnenden, aber doch immer lebensfreundlichen Worte, ausgerichtet an der Erfahrung Kreuz und Auferweckung, wurden einseitig ausgelegt. Paulus hat Ostern verstanden als Freiheit: dass die Heiden ab sofort, gleich, jetzt, zum Gott Israels kommen können. Und nicht erst am Ende der Tage. .

Doch drei Jahrhunderte später werden Christen die heidnische Philosophin und Naturwissenschaftlerin Hypathia grausam ermorden. Die paulinische Freude am Denken war vom Neid vergiftet. Die paulinische Freiheit, die paulinische Einladung zum Leben hatte sich in tödliche Nötigung verwandelt.

Und mit der Umkehr der Mehrheits- und Machtverhältnisse von Christen und Juden im römischen Reich kommen Juden durch Christen in oft tödliche Bedrängnis, die sich über Verfolgungen und Pogrome in den folgenden Jahrhunderten steigert bis zur geplanten und fast erreichten Vernichtung.

Welch ein Schmerz hätte Paulus ereilt, wenn er davon gewusst hätte. Welch ein Schmerz muss Gott befallen haben, wenn er in der Tiefe seiner Erkenntnis um den Missbrauch paulinischer Gedanken wusste, um das Vergessen der paulinischen Mahnung: die Wurzel Israel trägt dich (11,18): dich, die Christenheit aus den Völkern.

So trägt Gott selbst Schmerz und Trauer und Elend. Wie Hiob, wie Paulus. Wie Jesus.

Wie unbegreiflich seine Wege, seine Gestalt von Gericht, dass Gott dem allem zum Trotz daran festhält, zu retten und nicht zu vernichten. Dass er dran festhält, Leben und Auferweckung zu schenken, zu wollen, zu verheißen und den Tod in Schranken zu weisen. Unbegreiflich. Dass und wenn von ihm und durch ihn und zu ihm alle Dinge sind. Dafür sei ihm Ehre in Ewigkeit. Amen.

 



Pfarrerin Kira Busch-Wagner
Ettlingen
E-Mail: Kira.Busch-Wagner@kbz.ekiba.de

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