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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Heiliges Christfest I, 25.12.2007

Predigt zu Galater 4:4-7, verfasst von Mira Stare

Liebe Glaubende,

jeder von uns hat wahrscheinlich schon einige Sternstunden im Leben erlebt. Das Kennenlernen eines Lebenspartners, die Geburt eines Kindes, das Finden einer entsprechenden Arbeitsstelle, die Heilung von einer schweren Krankheit, die Begegnungen mit der Schönheit der Schöpfung sind nur einige Beispiele solcher Sternstunden.

In der heutigen Lesung aus dem Galaterbrief schreibt Paulus von der Sternstunde schlechthin: „Als aber kam die Fülle der Zeit, sandte Gott seinen Sohn" (Gal 4,4a). Diese Tat Gottes, nämlich die Sendung seines Sohnes, das Kommen Jesu in unsere Welt, bezeichnet Paulus als Fülle bzw. die Erfüllung der Zeit. Warum das Christusereignis die Zeitwende für die Menschheit bedeutet, können wir aus den darauffolgenden Feststellungen des Paulus entnehmen.

Gott sandte seinen Sohn - „... geworden aus einer Frau, geworden unter das Gesetz" (Gal 4,4b)

Mit einem und demselben Verb bringt Paulus das zweifache Werden des von Gott gesandten Sohnes zum Ausdruck: Er ist sowohl aus einer Frau wie auch unter das Gesetz geworden. Das bedeutet, daß der Sohn Gottes bereits in seinem Werden und Kommen solidarisch mit uns Menschen ist. Er kommt nicht als ein Übermensch in unsere Welt, sondern nimmt den menschlichen Werdegang und damit auch die Geburt durch eine Frau auf sich. Ebenso wird er von Gott nicht über das Gesetz gestellt, sondern solidarisch mit Menschen unter das Gesetz. Sein Kommen ist das Kommen eines Menschen.

„... damit er die unter dem Gesetz loskaufe,
damit wir die Annahme an Kindes Statt empfingen." (Gal 4,5)

Der Sohn Gottes ist aus einer Frau und unter das Gesetz geworden nicht nur als Zeichen der Solidarität mit uns Menschen, sondern vor allem um eine wesentliche Wende zu bringen. Sein Anliegen ist das Loskaufen derjenigen, die „unter dem Gesetz" sind. Sein Anliegen ist die Befreiung. Er möchte uns Menschen für eine neue Lebenswirklichkeit befreien. Er möchte uns vom Status eines Sklaven befreien und den Status eines Kindes geben. Er möchte uns in seine Familie hineinnehmen.

„Weil ihr aber Söhne seid,
 sandte Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen,
rufend: Abba, Vater!" (Gal 4,6)

 Die neue Lebenswirklichkeit ist bereits da. Paulus schreibt seinen Adressaten: „Ihr seid Söhne" - Ihr seid bereits Söhne und Töchter Gottes. Was aber dieses Sohn- bzw. die Tochterseins Gottes wesentlich charakterisiert, ist der Geist des Sohnes Gottes. Die Fülle bzw. die Erfüllung der Zeit ist durch eine doppelte Sendung durch Gott erkennbar:  Gott sendet sowohl seinen Sohn als auch den Geist seines Sohnes. Die zweite Sendung, die Sendung des Geistes, ist in der ersten erhalten und vertieft sie. So sendet Gott mit dem Sohn auch seinen Geist. Das Besondere dabei aber ist, daß der Geist des Sohnes in die Herzen der Christen und Christinnen gesandt ist und dort von innen her wirksam ist. Von unseren Herzen, aus unserem Innersten heraus, ruft er: „Abba, Vater!" (Gal 4,6). Das aramäische Wort „Abba" stammt aus der Alltagssprache und ist die Art, wie Kinder aber auch Erwachsene ihren Vater anreden (entsprechend dem deutschen „Papa!"). Die Abba-Anrede ist Ausdruck besonderer Intimität und kindlichen Vertrauens. Es ist die Art, wie Jesus selbst sich an Gott, seinen Vater, vertrauensvoll wendet, auch unmittelbar vor seinem Leidensweg: „Abba, Vater, alles ist dir möglich" (Mk 14,36).

„Daher bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn;
wenn aber Sohn, auch Erbe durch Gott." (Gal 4,7)

Gott sendet seinen Sohn, um uns Menschen innerlich zu befreien und uns durch den Geist seines Sohnes die neue Lebenswirklichkeit zu schenken - die Wirklichkeit des Sohn- bzw. Tochterseins Gottes und damit auch die des Erben Gottes.

Liebe Glaubende, wir feiern am heutigen Christtag die Fülle der Zeit. Wir feiern heute die Sternstunde der Menschheit, die Sternstunde jedes und jeder von uns. Denn Gott sendet seinen Sohn zu uns. Noch mehr, er sendet mit ihm auch den Geist seines Sohnes in unsere Herzen, der uns zu Söhnen und Töchtern Gottes macht. Dieser Geist ruft auch in uns und aus uns heraus unermüdlich zu Gott: „Abba, Vater!"

Wir feiern heute die Sternstunde unserer Befreiung von äußeren und inneren Versklavungen. Denn für Gott ist unser Leben nicht als Leben eines Sklaven gedacht. Er arbeitet an unserer Befreiung kontinuierlich, bis wir uns als seine Söhne und Töchter erkennen und die Stimme des Geistes seines Sohnes in uns rufen hören: „Abba, Vater!" 

Wir feiern heute die Geburtsstunde Jesu Christ, aber auch die Geburtsstunde unserer Zugehörigkeit zu seiner Familie. Wir sind nicht mehr Sklaven, sondern die Söhne und Töchter Gottes!



Dr. Mira Stare
Institut für Bibelwissenschaften und Historische Theologie
Katholisch-Theologische Fakultät
Karl-Rahner Platz 1
A-6020 Innsbruck

E-Mail: mira.stare@uibk.ac.at

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