Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Heiliger Abend, 24.12.2007

Predigt zu Lukas 2:1-14, verfasst von Hanne Drejer

In einem Punkt kann ich hin und wieder die Moslems beneiden - ja, ich meine beneiden -  auch wenn die Moslems sonst keineswegs beneidenswert sind.

             Seit dem 11. September 2001 ist die Kritik am Islam immer roher und schriller geworden, und es ist, als wäre es erlaubt, zu verallgemeinern und alle Moslems über einen Kamm zu scheren. Um diese Situation beneide ich die Moslems natürlich nicht - und bestimmt auch nicht um ihre Gesetzesreligion.

             Aber in einem Punkt kann ich mich dabei ertappen, ein bisschen neidisch zu sein. Nämlich wenn es dem einen moslemischen Priester nach dem andern, den Imamen, gelingt, mit ihrem Freitagsgebet ins Fernsehen zu kommen oder die erste Seite der Zeitungen zu erobern.

             Stell dir vor, die Medien entwickelten dasselbe Interesse für die Predigten der Pastoren, denke ich dann ein wenig neidisch in einem Augenblick der Eitelkeit.

             Ich weiß allerdings sehr wohl, dass das nie geschehen wird. Dann kann es auch egal sein.

             Was nämlich Zeitungen und Fernsehen interessiert, ist ja nicht das, was über Gott, über den Glauben und dergleichen gesagt wird, sondern es ist der politische Kommentar und die Kritik, die in der Rede des Imamen enthalten sind.

             Denn im Islam hängen Glaube und Politik untrennbar zusammen, im Gegensatz zum Christentum, wo wir uns bemühen, Glauben und Politik auseinander zu halten.

             Die Rede, die freitags in der Moschee gehalten wird, soll daher am liebsten auch politisch sein, während eine Predigt in der Kirche am liebsten nicht politisch zu sein hat - jedenfalls nicht parteipolitisch.

             Für einen Moslem soll der Glaube direkte politische Konsequenzen haben - der Glaube der Moslems ist ganz einfach auch Politik. Die richtige Politik ist nur die, die zum Koran passt - und deshalb wird ein Imam in unserem Lande jede Gelegenheit wahrnehmen, um die dänische Gesellschaft und ihre Politik zu kommentieren - vor allem die Immigrationspolitik, selbstverständlich. Und da Immigranten und Integration z.Z. bei uns ein heißes Thema sind, sind die politischen Kommentare der Imame beim Freitagsgebet oft ebenso heißer Stoff für die Medien.

             Die Predigten der Pastoren werden nie genauso interessant für die Medien sein können. Denn in einer christlichen Kirche hat man zwischen Religion und Politik zu trennen.

Denn siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird, verkündete der Engel in der Weihnachtsnacht. Heute ist für euch alle ein Heiland geboren! Für alle!

So ist das Christentum kein politisches Programm zur Verbesserung der Gesellschaft, sondern eine Zusage - ein Wort von Gott an alle - ungeachtet, wie uneinig wir sein mögen, wenn es um alle möglichen andern Dinge im Leben geht, u.a. um Politik und gesellschaftliche Verhältnisse. Wir sollen dennoch gemeinsam in die Kirche gehen können.

             Nun könnte man ja der Meinung sein, dass es tatsächlich eine ausgezeichnete Idee wäre, wenn die christliche Kirche Einspruch erhöbe gegen die Moslems und auch anfinge, politische Predigten zu halten mit einem gediegenen christlichen Gegenspiel.

             Ja! Aber nicht in der Kirche! Der Kampf und das Gegenspiel gegen den Islam, die bestimmt nötig sind - sie mögen gern von jeder Rednertribune in der Gesellschaft aus stattfinden, aber nicht von der Kanzel.

             Es gab einmal eine Zeit, in der die christliche Kirche Glauben und Politik auch gründlich miteinander verquickten. Das geschah im Mittelalter, vor Martin Luther. Seitdem hat jede lutherische Kirche alles daran gesetzt, um zwischen Evangelium und Politik zu unterscheiden.

             Nicht um dem Evangelium die Spitze zu nehmen, sondern um hervorzuheben, dass sowohl das Gericht als auch das Heil eine Botschaft ist, die an uns alle gerichtet ist.

             Was nämlich immer dann  passiert, wenn der Glaube zur sogenannten richtigen Politik wird, ist dies, dass wir anfangen, von uns und den andern zu sprechen - von uns, die wir die richtige Politik haben, und denjenigen mit der verkehrten.

             Es gibt zwar eine Grenzlinie - aber das ist keine Grenzlinie zwischen den richtigen und den verkehrten Menschen - zwischen denen mit der korrekten politischen Auffassung und denen mit der verkehrten. Die Grenzlinie verläuft nicht zwischen Menschen, sondern zwischen Gott und Menschen. Wenn es gilt, nach Gottes Willen auf Erden zu leben, stehen wir alle am selben Ort - am verkehrten Ort, weil wir nicht nach dem Willen Gottes leben können oder wollen. Wir können das Paradies auf Erden nicht aus eigener Kraft schaffen. Es wird immer von Egoismus, Selbstbehauptung, Machtgier oder einer andern Frucht des Sündenfalls geprägt sein.

             Ist man davon überzeugt, dass die eigene Politik die einzig richtige christliche Politik ist, dann ist man doch auch gezwungen, sie durchzusetzen - notfalls auch durch Zwang gegenüber denen, die eine andere Auffassung haben.

             Und Zwang und Macht gehören nicht mit dem Evangelium zusammen. Hier ist es nur die Liebe und die Barmherzigkeit und die Vergebung, die herrschen können.

             Und die Liebe und die Barmherzigkeit werden immer unterlegen sein und klein werden, wo eine Gesellschaft zu lenken ist.

             Deshalb haben wir in der lutherischen Kirche und in jedem lutherischen Land versucht, der Auffassung Luthers entsprechend zu leben, wonach es zwei Bereiche gibt - den weltlichen und den geistlichen Bereich - und diese Bereiche dürfen nicht miteinander vermengt werden.

             Gott der Allmächtige herrscht begreiflicherweise über den weltlichen und den geistlichen Bereich, aber wir tun klug daran, zu unterscheiden.

             Im weltlichen Bereich - in der Gesellschaft - hat die Kirche und der Glaube nichts Offizielles zu sagen.

             Die Kirche hat also keine Macht. Es ist daher kein Fehler, wenn die Medien sich nicht für die Predigt der Pastoren interessieren, oder es typisch nur dann tun, wenn ein Pastor in seiner Predigt politisch zu kontroversiell wird.

             Die Kirche als Kirche hat auch keine Meinung über die Verhältnisse der Gesellschaft. Oder richtiger: es gibt genauso viele Meinungen, wie es Christen gibt. Denn natürlich hat das Evangelium Folgen für unser Leben, aber diese Konsequenz habe ich selbst zu verantworten. Jeder von uns hat aus der Kirche zu gehen und das zu tun, was das Evangelium mir zu tun auferlegt.

             Regierung und Parlament und kommunale Verwaltung haben deshalb nicht in der Bibel nachzulesen, was sie zu tun haben, sondern sie sollen eine Gesellschaft formen, die die beste für die größtmögliche Anzahl von Menschen ist. Und um die Schwachen gegenüber den Starken und Frechen zu schützen, kann es auch notwendig sein, dass man Macht und Gewalt, Gefängnis und Polizei anwendet. Eine Gesellschaft ist mit Gesetz und Recht zu lenken. Und das ist die Aufgabe der Obrigkeit.

             Die Obrigkeit: Regierungschef - Regierung - Bürgermeister, hat dagegen überhaupt nichts in der Kirche - oder im geistlichen Bereich in unserem Leben - zu sagen. Hier herrscht allein Gottes Wort, die Liebe und die Barmherzigkeit und die Vergebung, und das Wort Gottes zwingt nie. Das Wort Gottes gilt jedem einzelnen von uns - es richtet uns und befreit uns, wenn wir unser Leben im gnädigen Licht des Evangeliums spiegeln dürfen.

Denn siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird, sang der Engel in der Weihnachtsnacht. Heute ist für euch alle ein Heiland geboren!

Diese Freiheit und diese Freude ist das Weihnachtsevangelium, und das ist für alle.

Amen

 



Pastorin Hanne Drejer
Asperup (Dänemark)
E-Mail: hdr(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier



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