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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Heiliges Christfest I, 25.12.2007

Predigt zu Galater 4:4-7, verfasst von Stefan Strohm

Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, von

einer Frau geboren, dem Gesetz unterstellt,
so daß er die freikaufe, die dem Gesetz unterstellt sind,
so daß wir Sohnesrecht erlangen.

Weil ihr nun Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in eure Herzen,
der ruft: Abba, Vater.

So bist du nun nicht mehr ein Knecht, sondern Sohn, wenn aber Sohn, dann Erbe-durch Gott.

 

Liebe Gemeinde

Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, von
einer Frau geboren.

Wir sehen das Kind in der Krippe, dahinter Maria und Joseph, zur Seite Ochs und Esel. Wir sehen das Licht der Welt. Der helle Schein geht von dem Kind aus. Das Gesicht von Maria erglänzt darin, das Gesicht von Joseph strahlt wider vom Glanz der beiden Gesichter.

Wir sehen Maria mit dem Kindchen auf ihrem Knie. Sie ist wie das Himmelszelt in ein blauleuchtendes Gewand gehüllt. Das Kind hebt den Arm, seine Hand ist ausge­reckt, segnend wie die Hand eines Priesters, herrscherlich wie die Hand eines Kaisers. Wir hören nichts. So sehr laden die Bilder zur schweigenden Andacht ein. Wir verneh­men kein Wimmern des Kindes. Sein Schreien gellt nicht in unseren Ohren.

Hörten wir das Kind, so verstünden wir vielleicht, wonach es in seiner wortlosen Sprache ruft, vielleicht: Es verlangt nach Luft und nach Milch, es sehnt sich in die Wärme und nach Berührung, es wartet auf Umhüllung und Augen über ihm; es ruft nach der Stimme, die ihm vertraut ist.

Soweit verstünden wir das Kindchen wohl, wenn wir denn hörten, wie es schreit. Verstehen wir auch das Unerhörte, das die Krippenidylle ungehörig stört?

Und zur Frau sprach er [Gott, der Herr]: Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären.

Geburt ist Not, und solange Maria leben wird, wird sie Not haben, ihren Sohn seinen Weg gehen zu sehen, wie jede Mutter neben und in ihrer Freude ihre Not hat.

Und Hiob sprach: Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin, und die Nacht, da man sprach: Ein Knabe kam zur Welt!

Geboren sein ist Not. Und wenige werden davon verschont sein, in ihrer Not und Ge­fahr, in ihrer Enttäuschung und Gewissensangst den Tag ihrer Geburt zu verwünschen, wie Hiob in verwünscht hat.

Jesus fing an, zu dem Volk von Johannes zu reden: Wahrlich, ich sage euch: Unter allen, die von einer Frau geboren sind, ist keiner aufgetreten, der größer ist als Johannes der Täufer; der aber der Kleinste ist im Himmelreich, ist größer als er.

In diese Welt geboren zu sein ist Not: es ist der Schmerz von der Geburt her, es ist die Verstrickung in Nöten - und wer darüber erhaben ist, wie Johannes der Täufer, gekleidet in ein grobes Gewand, ernährt von wildwachsendem Honig, ist noch immer gering gegen jeden, der ein Kind des Himmels ist.

Hören wir dies, wenn ein Kind schreit? Vernehmen wir solchen ahnenden Sinn seiner sprachlosen Worte?

Aber andersherum gefragt erst sind wir wieder beim Weihnachtsbild von Krippe und Stall, Ochs und Esel, Maria und Joseph. Sehen wir in jedem Kind, das in unser Land, in unsere Stadt und Familie geboren wird das Christuskind, das Gotteskind?

Hören wir in jedem Kind, das schreit und wimmert, nur den Ruf nach Wärme und Kleidung, Trinken und Atem? Klingt da noch eine andere Melodie mit? Hören wir sie? Können wir sie benennen, gar verstehen?

Bevor wir das wieder aufnehmen werden, folgen wir der zweiten, genauer gesagt, der parallelen Bestimmung, in der Paulus von Christus spricht:

Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, (von einer Frau geboren,) dem Gesetz unterstellt.

Am achten Tage wurde das Kindlein beschnitten, wie das Gesetz des Mose befiehlt, der erwachsene Mann ließ seine Jünger die Tempelsteuer bezahlen, er selbst lehrte das Gesetz.

Das ist die freundliche Seite des Wortes Gesetz, die harmlose. Es ist der religiöse Brauch. Seine Befolgung drückt die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft aus. Die For­mulierung «dem Gesetz unterstellt» wäre dafür schon etwas zuvielsagend.

Das Wort «Gesetz» beschwört noch eine ganz andere Zugehörigkeit herauf, die Zuge­hörigkeit zum Fluch, der auf den Adamskindern ruht:

Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.

Diesem Gesetz der Mühe und Not ist Christus unterstellt; es ist das Gesetz der Sühne und des Todes. Was als Drohung und Fluch im Gesetz steht, wird in diesem Strafspruch ausgesprochen.

Ein jedes Kindlein in seiner Wiege mag schreien und rufen, wir können seine im Wa­chen durchdringende, seine im Schlummer leise Stimme hören, wir mögen sie verstehen und uns liebevoll über es beugen - das Kindlein aber in der Krippe von Bethlehem schreit, wenn es schreit, nicht anders als der Mann am Kreuz rufen wird:

Und zu der neunten Stunde rief Jesus laut: Eli, Eli, lama asabthani? das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Wir werden im Weinen und Greinen unserer Kinder in der Wiege kein solches Schreien hören. Wir werden uns das auch nicht einbilden und einreden lassen. Doch wir sorgen uns, wenn das Kind in der Nacht schreit. Schließlich wissen wir Erwachsene von dem Fluch, in den jeder hineinwächst. Wir wissen davon am tiefsten durch Christi Schrei am Kreuz. Er drückt unser Ahnen in klaren Worten aus.

Wir rufen nur, ein Lebenlang, wie das Kind in der Wiege nach Leben, sofern wir Adamskinder sind. Aber wir wissen nicht, wovon wir reden, wenn wir klagen und stöhnen. Die Tiefe des Adamsfluchs können wir nicht ahnen.

Gleichwohl gilt: Wir tun gut daran, um Christi willen, hinter den Blick auf jedes Kindlein den Goldgrund gelegt zu sehen, vor dem viele Maler den Stall von Bethlehem aufgestellt haben. Wir tun gut daran, in einem jeden Kindlein ein Christenkind zu sehen. Und wir sollten den Lobgesang der Engel über jedem Kind hören. Denn unsere Furcht vor dem Fluch, der über jedem Adamskind liegt, ist in den Schreien des einen Kindleins in völliger Schwärze ausgerufen, in einer Schwärze und Tiefe, die wir gar nicht ergründen sollen und können.

Lassen wir es bei dem ruhigen Bild des Kindleins in der Krippe von Bethlehem, bei dem Licht, das von ihm aus Maria und Joseph erleuchtet, ja selbst Ochs und Esel. So wird nicht nur gezeigt, wie Gottes Sohn zur Welt gekommen ist. Es wird so auch gezeigt, wie er die Welt überwunden hat:

Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, von
einer Frau geboren, dem Gesetz unterstellt,
so daß er die freikaufe, die dem Gesetz unterstellt sind,
so daß wir Sohnesrecht erlangen.

Schauen wir das Kind an, wie es die Maler gesehen haben: Mitten im Fluch ist die Überwindung, mitten im Blick auf den Fluchtod das neue Leben. Mit ihrem Goldgrund und Licht haben die Maler das neue Leben gezeigt. Es ist nicht weniger wirklich als der Fluch.

Liebe Gemeinde

Weil ihr nun Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in
eure Herzen, der ruft: Abba, Vater.

Wir sehen ein Kind unter dem Weihnachtsbaum. Es packt eine Puppe aus. Sagen kann es nichts. So groß ist seine Überraschung. Es wundert sich. Für ein solches Wunder gibt es keine Worte.

Oder vielleicht gibt es doch Worte in Fülle und Überfülle. Sie reden von etwas, das sie überhaupt nicht fassen können und schon gar nicht benennen; sie reden in unnennbaren Seufzern vom Glück und von der Erfüllung eines Wunsches, der nicht einmal bewußt war, der nun aber wirklich geworden ist, über alles Wünschen und Hoffen hinaus.

Bei dem Kind ist etwas angekommen, in Papier gepackt, was in Worte gepackt ein wenig dürr dahergekommen wäre, nämlich, wie es seine Eltern letztlich mit ihm meinen, wie sie es verstehen, manchmal besser, als es sich selbst versteht.

Wir sehen uns selbst in dem Kind, dem Kind einst unter dem Weihnachtsbaum. Das liegt weit hinter uns. Aber es liegt nicht so weit hinter uns, daß wir nicht mehr wüßten, was ein Kind ist. Zugleich sind wir immer auch Adamskind, auch das in uns erstehende Kind, mit seinem Unglück und seinen Ängsten und Sorgen, in denen es so ganz und gar kein Kind ist, trägt daran, daß es Adamskind ist.

Wir sehen uns selbst in dem Kind unter dem Weihnachtsbaum. Das liegt weit hinter uns, aber nicht so weit, daß wir nicht wüßten, was ein Kind ist, dem wir nun Vater und Mutter sind, so daß wir in der Pflicht sind, es in seinen Wünschen zu verstehen, Wünschen, die wir in einem glücklichen Augenblick ahnen und verstehen. Dann ver­packen wir unser Verstehen und Ahnen in Papier statt in Worte. Wir kehren zurück, ein glückliches, für einen Augenblick glückliches Kind zu sein. Wir schenken dem Kind, dem Adams- und Menschenkind, daß es Kind, einfach Kind, sein kann in Staunen und Wundern, wir verpacken das in buntes Papier. Christus sieht das so:

Wenn nun ihr, die ihr doch böse seid, dennoch euren Kindern gute Gaben geben könnt, wieviel mehr wird euer Vater im Himmel Gutes geben denen, die ihn bitten!

Verstehen wir, was geschieht, wenn wir das namenlose Glück eines Kindes sehen? Wir sind Gleichnis, uns selbst unverständliches Gleichnis für Gottes Vaterschaft.

Fassen wir es, was wir tun mit Puppe und Papier, wenn wir das Herz eines Kindes zum Überfließen und namenlosen Sprechen bringen? Wir sind ein uns selbst ganz unzugängliches Gleichnis für Gottes väterliches Herz.

Zu uns spricht Gottes Sohn in verständlicher Sprache. Gleichwohl spricht uns ein weit überschießender Sinn aus seinen Worten an. Seine Worte verpacken uns selbst so, daß wir darin vor uns selbst offenbar werden, das Verborgene unseres Herzens neu geschaffen wird, und wir etwas sagen, das wir kaum verstehen:

Abba, Vater.

Das ist unser Ruf. Es sind Worte, die wir bilden können, kaum aber ermessen, was sie wirklich aussagen. Und noch weniger ermessen wir, daß dies Wort «Abba, Vater» uns gegeben ist, nachdem Christus an unserer Stelle dies andere gesprochen hat:

Eli, Eli... Mein Gott, mein Gott! Warum hast Du mich verlassen.

Christi Schrei am Kreuz hat uns aus Flucheskindern zu Gotteskindern gerufen, er hat Gott in den Fluch hineingerufen. So hat der Fluch seine Macht verloren. Im Ruf

am Kreuz, im Wort vom Kreuz ist die Gabe des Lebens verpackt, verhüllt und uns zugeeignet.

Nun rufen wir: Abba, mein Gott, Vater, mein Gott, höre doch Du, wie ich Adamskind unter dem Fluch Dich anrufe, weil Du mein Vater bist und ich Dein Kind bin, wie Christus Dein Sohn. In ihm bist Du Leben gegen Deine Verfluchung des Lebens. Nun fange an, auch in mir das neue Leben zu wirken.

Höre Du es, und indem Du es hörst, sprich zu mir in namenlosen Worten, daß ich verstehe, Dein Kind zu sein und immer mehr es zu werden, es ergreife und befreit leben kann.

Liebe Gemeinde

So bist du nun nicht mehr ein Knecht, sondern Sohn, wenn aber Sohn, dann Erbe - durch Gott.

Wir treten hinaus aus der Welt unserer Bilder und Erinnerungen, wir lösen uns von Krippe und Stall und von dem Kind mit der Puppe.

Aber die Krippe tritt jedes Jahr wieder vor uns. Und die Puppe, die Puppe, löst sich nicht aus unserer Erinnerung, und das Papier nicht, in das sie verpackt war.

Sie beide, die Puppe nicht ohne die Krippe und die Krippe nicht ohne die Puppe, sie entbinden in uns das Kind, das wir vielleicht einmal waren, vielleicht auch noch nie so recht.

Und sie beide, das Wort von Christus und der Ruf «Abba, Vater» entbinden in uns das Gotteskind, die wir Adamskinder waren, Kinder des Fluchs, und nun Kinder der Verheißung sind.

Wir müssen eine kleine historische Bemerkung einfügen: Das Wort «Kind», das Wort gar «Sohn», ist ein schwieriges Wort. Wir denken an Unselbständigkeit und Abhän­gigkeit. Dafür steht in unserer Rechtsordnung das Wort «Kind» und nicht nur in der Rechtsordnung, sondern auch in unserer Erfahrung.

Ganz anders in der Antike. Das Wort «Sohn» steht dem Wort «Knecht» entgegen, nicht nur den Eltern, der Sohn ist der Freie, der andere der Abhängige. Der Knecht handelt auf Befehl, der Sohn eigenverantwortlich; der Knecht erhält seinen Lohn, der Sohn schaltet und waltet frei; was seinem Vater gehört, das gehört ihm.

Mit dem Ruf «Abba, Vater», wie immer fast erstickt von dem Schrei «Eli, Eli... Mein Gott, mein Gott», erwachsend aus dem überwundenen Schrei «Eli, Eli... mein Gott, mein Gott», werden wir zu Freien, schütteln die Adamskindschaft und Fluchknecht­schaft ab und fangen, uns als Gotteskinder zu verstehen, Gotteskindschaft zu leben.

Die Puppe - auch ohne die Krippe - macht Kinder, wenn es gut geht, aber nicht Got­teskinder; und die Krippe - nicht ohne die Puppe - macht Gotteskinder. Die Krippe, «nicht ohne die Puppe», haben wir gesagt, darum gesagt, weil es unvorstellbar ist, daß jemand «Abba, Vater» sagt, und daß er nicht dann auf seine Weise, anfängt, den Seinen Vater zu sein, obwohl er nicht nur «arg» ist, sondern es auch bleiben wird. Wer «Abba, Vater» sagt, wird anfangen zu ahnen, was es heißt, Vater zu sein. Und als Sohn ist er der Erbe, auch der Erbe väterlicher Aufgaben: Den andern wie ein Vater zu sein, ja an denen, die das brauchen, wie ein Vater zu werden. Er ist sich übereignet und, was immer ihm vor Augen steht, ist ihm übereignet. Wie sollte er nicht davon Gebrauch machen wollen?

So scheinen wir hinauszutreten aus dem Bild von Krippe und Puppe - hinein in eine Welt, die mit Gottes Krippe gewiß eine andere Welt geworden ist, und gerade so für unsere Puppe Raum hat, immer wieder.

Lassen Sie uns zum Abschluß und statt jeder Erklärung auf einige Zeilen von Matthias Claudius und darin auf die Stimme Gottes in unserem neugeborenen und immer zu erneuernden Herzen hören:

Ich danke Gott, und freue mich
Wie's Kind zur Weihnachtsgabe, Daß ich bin, bin! Und daß ich dich,
Schön menschlich Antlitz! habe; Daß ich die Sonne, Berg und Meer,
Und Laub und Gras kann sehen, Und abends unterm Sternenheer Und lieben Monde gehen;
Und daß mir denn zumute ist,
Als wenn wir Kinder kamen, Und sahen, was der heil'ge Christ
Bescheret hatte, Amen!
Auch ein Gedicht kann Gottes Umschlagpapier sein, ein Gruß kann es sein, ein Blick auf den andern, ein stummer Wink, und all das, was an die Stelle der Puppe treten kann. Die Krippe, in die das neue Gotteskind geboren wird, muß nicht gesucht werden. Sie kommt entgegen, wo einer leer ist. Und wer wäre das nicht.

Amen.

 

Literatur

Martin Luther, In Epistolam Pauli ad Galatas... Commentarius. Leipzig 1519

(WA 2).

Martin Luther, In Epistolam S. Pauli ad Galatas Commentarius, ex praelectione [1531]... [Ed. Georg Rörer]. Wittenberg 1535 (WA 40,1 und 2, Druck und Vorlesungsnachschrieb).

Johannes Brenz, Explicatio Epistolae Pauli ad Galatas. Schwäbisch Hall 1547 (Opera Bd. 7. Tübingen 1587).

Gerhard Ebeling, Die Wahrheit des Evangeliums. Eine Lesehilfe zum Galater-brief. Tübingen 1981.

Hans Dieter Betz, Der Galaterbrief. Ein Kommentar zum Brief des Apostels Paulus an die Gemeinden in Galatien. München 1988.

Francois Vouga, An die Galater. (HNT 10). Tübingen 1998.



Dr. Stefan Strohm
Stuttgart
E-Mail: St.Strohm@t-online.de

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