Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

8. Sonntag nach Trinitatis, 17.07.2016

Predigt zu Matthäus 7:22-29(dänische Perikopenordnung), verfasst von Poul Joachim Stender

Das größte Problem unserer Zeit besteht darin, dass wir glauben, wir könnten unser ganzes Leben selbst organisieren. Wir haben einen blinden Glauben daran, dass die Fundamente, die wir herstellen, auch halten. Das macht uns träge und faul. Es ist in Ordnung, dass wir darauf achten, dass Kinder einen Schutzhelm tragen, wenn sie Fahrrad fahren. Das beugt zweifellos vielen Kopfverletzungen vor. Es ist auch in Ordnung, dass wir darauf achten, dass unsere Kinder richtig ernährt werden und dass sie gegen die Krankheiten geimpft werden, gegen die wir sie impfen können. Aber damit haben wir kein festes Fundament für sie geschaffen. Wenn wir uns erlauben, bis zu acht bis zehn Stunden jeden Tag von unseren Kindern weg zu sein, dann muss das daran liegen, dass wir glauben, wir hätten sie für ewig. Ihr Leben ist pilotiert. Aber das stimmt nicht. Ihr Leben hängt an einem dünnen Faden. Wir haben sie nur auf Zeit. Plötzlich kann der Sturm über ihnen hinwegfegen und sie fortreißen, und das einzige, was uns bleibt, sind die Schutzhelme und die Dosen mit den Vitaminpillen und die Impfkarte. Geht auf den Friedhof und lest die Grabsteine. Kinder und Jugendliche sterben noch immer. Es ist nichts anderes als Trägheit und Faulheit, den Kindern nicht das zu geben, was man dann, wenn man sie vielleicht verliert, ihnen vor allem gegeben hätte: seine Zeit.

Vor einigen Jahren geriet ich in Todesangst. Es war eine Zeit, in der ich viele Männer und Frauen in meinem Alter beerdigt hatte. Es war, als klopfte der Tod jeden Abend an die Fenster des Pfarrhauses. Ich begann, Gemüsesaft zu trinken statt des herrlichen Ouzo, den ich in meinem Barschrank habe. Ich aß Kleie und Kichererbsen statt fetter Suppen. Abends ging ich zum Joggen statt fernzusehen. Das dauerte einen Monat. Denn beerdigte ich einen Mann von 50 Jahren, der sin ganzes Leben gesund gelebt hatte, Sport getrieben hatte, keinen Alkohol getrunken hatte und mich beim Joggen überholt hatte. Ich gab mein Gesundheitsprogramm auf und erkannte, dass das Leben auf losem Sand gebaut ist. Ich kann es nicht pilotieren. Auch nicht mit Motion. Plötzlich sind die Stürme über uns, und wir fallen um und liegen überrascht im Krankenhaus und wundern uns darüber, wie zerbrechlich alles ist. Unser Gesundheitswesen, unsere vielen Versicherungen gegen alles Mögliche, unsere Kapitalpension machen uns träge und unaufmerksam. Nichts davon ist ein gesundes Fundament unter unserem Leben. Wir leben, wo die Wolkenbrüche niedergehen, wo die Flüsse ansteigen, wo die Stürme rasen und wo der Tod uns im Nacken sitzt.

Die falschen Propheten, von denen das Evangelium spricht, das muss all das sein, was uns vorgaukelt, dass es Sicherheit in unserem Leben gibt. Es geht um Geborgenheit. Aber Geborgenheit macht uns nicht glücklich. Sie macht uns träge und unaufmerksam, so dass wir vergessen zu leben, gerade weil wir uns auf wackligem Grund bewegen. So ist es auch mit unserem politischen System. Wir sind so glücklich, dass wir in einem demokratischen Lande leben, in dem die Minderheit auch zu Worte kommt. Aber so wie unser Leben auf losem Sand gebaut ist, ist die Demokratie eine Gesellschaftsform, die nicht auf einem festen Fundament steht. Es gehört nicht viel dazu, und unser Gesellschaftssystem bricht zusammen und wird durch Diktatur und Faschismus ersetzt. Demokratie ist für uns zu einer Selbstverständlichkeit geworden, und deshalb sind wir laue Demokraten geworden und durchschauen nicht die falschen Propheten, die unter dem Vorwand, dass sie uns nur gegen Terrorismus oder Raubüberfälle oder andere Übergriffe schützen wollen, allmählich unsere verwundbare Demokratie aushöhlen. Leben heißt, sich der Unsicherheit bewusst zu sein, die unser Leben, unsere Vorstellungen, unsere Gesellschaftsformen und unsere Institutionen prägt. Es funktioniert zurzeit. Aber plötzlich kann das Unwetter über uns kommen. Die Fluten können steigen. Die Stürme fangen an über uns hinwegzufegen.

All diese Unsicherheit ist einfach nicht zu ertragen, wenn es nicht etwas gäbe, an das wir uns klammern können. Und das gibt es gottseidank. Jesus Christus. Der König des Himmels und der Erde. In einer unsicheren Welt haben wir trotz allem einen Felsen, auf dem wir unseren Fuß setzen können: den Sohn Gottes. Wir leben, und er ist da. Wir sterben, und er ist da. Der Boden wankt unter uns, und die Sonne verfinstert sich, und er ist da. Wir verlieren Menschen, die wir lieben. Wir liegen krank darnieder und wissen, dass wir sterben werden, und er ist da. Aber es genügt nicht, dass wir jeder für sich ein festes Vertrauen auf Gott als festen Haltepunkt haben. Wir müssen einander halten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, während wir und wankend auf wackelndem Boden bewegen. Deshalb hat Christus uns mit seinem Leben und seinem Wort einige Beispiele dafür gegeben, was wir tun sollen. Wir sollen einander helfen. Nicht nur durch die hohen Steuern, die wir bezahlen. Sondern von Angesicht zu Angesicht. Wir sollen einander vergeben. Wir sollen unseren Mitmenschen höher stellen als uns selbst. Aber nicht nur das. Wir sollen auch bereit sein, uns helfen und vergeben zu lassen von anderen, was oft viel schwerer ist als selbst zu helfen und zu vergeben. Aber auch nicht durch die Nächstenliebe, auch nicht durch unsere Menschenrechte und all die Gesetze, die uns gegen Übergriffe schützen, können wir uns Sicherheit und Geborgenheit verschaffen. Das Dasein ist wankelmütig. Das Leben ist verletzlich. Alles ist im Fluss. Aber damit kann man leben, wenn man an Christus festhält. Gott befohlen. Amen.

 



Pastor Poul Joachim Stender
DK 4060 Kirke Såby
E-Mail: pjs(a)km.dk

(zurück zum Seitenanfang)