„Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König! Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und rühmen miteinander; denn alle Augen werden es sehen, wenn der HERR nach Zion zurückkehrt. Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der HERR hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst. Der HERR hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, daß aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes."
Liebe Gemeinde! Vernehmen wir die Boten des Friedens, von denen Jesaja spricht? Und wenn nein, warum nicht? Hektisch war es und Ist es, bis zur letzten Minute, Aus dem Betrieb kommen wir, aus dem Lärm. Laute Stimmen umgeben uns, Stimmen der Sorge, der Angst, Stimmen von unlösbaren Konflikten, Stimmen, die uns antreiben zur Arbeit: "Du mußt, Du mußt, Du mußt!" Stimmen von Streit und Zwietracht womöglich. Wie sollen, wie können wir da eine Stimme des Friedens vernehmen? Wie soll sie uns erreichen, heute, jetzt, hier? Die Botschaft des 4. Advent heißt seit eh und je, wir haben es vorhin gesungen und gehört in der biblischen Lesung: „Freut Euch! Freut Euch, Gott ist Euch nahe, er kommt, schon kann man die Schritte der Boten hören, die die Freude anzukündigen haben ..."
aber wie sollen wir das glauben? Uns nimmt die Sehnsucht gefangen, die nicht durch einen halben Satz: "Jetzt sollt Ihr Euch freuen!" gestillt werden kann. Es ist Weihnachten, ja! "Ja natürlich ist es Weihnachten", sagen wir, "und wir waren soo fleißig, wir waren soo im Betrieb, daß wir uns jetzt nur noch müde, leer, ausgebrannt fühlen. Wie können wir die Nachricht des Freudenboten glauben, der Frieden ankündigt, Frieden für uns zu allererst, Frieden in uns, Frieden für uns und die Menschen um uns, Frieden für die weite Welt? Wie können wir das glauben? Haben wir nicht viel zu viel Enttäuschung, zerstörte Hoffnung, Ratlosigkeit erlebt, haben wir nicht viel zu viel mit angehört und angesehen von Kriegen, die kein Ende nehmen wollen? was ändert Weihnachten 2007 noch, nachdem sich bislang durch Weihnachten so wenig verändert hat auf dieser Welt?"
Wirklich so wenig? Sind wir so resigniert, daß wir einen solch pessimistischen Satz zu dem unseren machen: „Es geschehen keine Wunder mehr in der Welt!" Wirklich nicht? Als Kindern ist uns das Warten auf den Heiligen Abend mit all seinen Überraschungen und Freuden schneller vergangen, wenn irgend eine gute Seele uns eine Geschichte erzählt hat. Vielleicht ist das auch für uns Erwachsene eine Hilfe: Daß uns die Sehnsucht leichter wird zu tragen, daß wir Wege finden hinein ins Wunder, wenn wir einer Geschichte lauschen, einer Geschichte, die etwas zu sagen weiß, in ihrer Sprache natürlich, vom Frieden, den der Bote anzukündigen hat. Schauen Sie sich aber zuerst unseren Christrosenstrauß auf dem Altar an: Wie kommt es, daß mitten im tiefsten Winter diese Blume erblüht? Wie kommt es, daß mitten in Kälte und Nacht sich das Licht und das Leben Bahn bricht? Selma Lagerlöf hat uns die Legende von der Christrose erzählt, und ich möchte Sie mit dieser Legende ins Weihnachtsfest hineingeleiten:
Es war zur Sommerszeit, hoch im Gebirge im tiefen Wald hauste der Räubervater. Seine Frau, die Räubermutter und ihre 5 Kinder, eines schmutziger als das andere, eines ungezogener als das andere, eines grausamer als das andere, lebten mit ihnen. Wovon sollten sie leben? Von Betteln und Rauben natürlich. Und gnade Gott dem, der der Räubermutter, die bettelnd mit ihren Kindern ins Flachland gezogen kam, nichts gab: Eine Nacht später war dessen Haus angezündet, und die Scheune dazu. Alle hatten sie Angst. Furcht und Grausamkeit regierten den Umgang dieser Menschen miteinander: Die Räuberfamilie war grausam, die Menschen hatten Angst. Deshalb gab man den Räubern, was sie sich erbettelten, aber nicht aus Liebe, sondern aus Angst. Wird es Ihnen auch kalt, wenn Sie das hören?
Da geschah es nun, daß die Räubermutter am Kloster von Öved vorbeikam. Warum an die Pforte klopfen, wenn das Hintertürchen offenstand! Ja, es stand offen, denn der Gärtner hatte es bei seinen Gartenarbeiten offengelassen. Er bekam einen nicht geringen Schrecken, als auf einmal die Räubermutter mit ihren 5 Kindern in seinem bzw. seines Abtes kostbarem Pflanzengarten stand. Was würde der Abt dazu sagen? Aber der ließ die seltsame Familie gewähren. Sollen sie sich ruhig alles anschauen. Sie haben gewiß noch kein solches Wunder Gottes wie diesen liebevoll gepflegten Planzengarten gesehen. Aber an diesem Punkt irrte sich der weise Abt Johannes des Mönchsklosters zu Öved doch: "Ich kenne einen Lustgarten", sagt die Räubermutter seltsam nachdenklich, "der 1000mal schöner ist als der Eure!" Abt Johannes stutzt, als er das hört. "Doch", sagt die Räubermutter, "da solltet Ihr sehen, in welch prächtigen Garten sich unser dichter, dunkler, unheimlicher Wald dort oben verwandelt in der Nacht, da der Heiland zur Welt gekommen ist." Abt Johannes, der ein alter, aber neugierig gebliebener Abt ist, wird schnell mit der Räubermutter handelseinig: In einem halben Jahr, zur Heiligen Nacht, sollte sie eines ihrer Kinder zu ihm schicken, damit das ihm den Weg in die Räuberhöhle zeigen könnte. Und dann wollte er kommen, sich das Wunder zu besehen, den Garten, der schöner sein soll als sein eigener.
Schnell vergeht das halbe Jahr. Aber bevor es Heilige Nacht werden darf, müssen wir noch von einem Besuch erzählen, den der ehrwürdige Bischof absalon bei Abt Johannes macht. Bischof Absalon ist als ein gestrenger Herr bekannt, und streng sind denn auch seine Worte, mit denen er sich an Abt Johannes wendet: "Da hat mir doch der Räubervater aus dem Göinger Wald geschrieben", sagt er, "Er bittet mich um einen Freibrief. Er möchte wieder ehrlich werden. Ich soll ihm die Erlaubnis geben, sich im flachen Land anzusiedeln. Er will keinen Menschen mehr schädigen, wenn er die Erlaubnis bekommt, wieder ein normales Leben unter normalen Menschen zu führen und einer geregelten Arbeit nachzugehen. Denkst Du etwa, daß ich dem glaube und seine Bitte erfülle? Nein! So einen Tunichtgut, so einen Rohling auf die Leute loszulassen, das ist unverantwortlich. Dem glaube ich kein Wort." Abt Johannes erzählt von seiner seltsamen Begegnung mit der Räubermutter und von dem Wunder, das sie ihm für die Heilige Nacht angekündigt hat. Aber da fährt der gestrenge Bischof Absalon dazwischen: "Gott soll solche unbegreifliche Barmherzigkeit ausgerechnet diesem Räuberpack zuwenden? Und nicht uns rechtschaffenen, friedliebenden Menschen? Das glaubst Du doch wohl selber nicht!" Johannes: "Meinst Du nicht, wenn Gott seine Barmherzigkeit so unzweifelhaft gerade gegen diese Menschen erweist, daß nicht auch wir barmherzig mit ihnen umgehen sollten? Wovon, bitte, sollen sie leben, wenn ihnen nicht erlaubt ist, ihr Brot mit ihrer Hände Arbeit zu verdienen, wenn sie dazu verdammt sind, friedlos in diesem dunklen, unheimlichen Wald zu hausen! Ist es nicht ein Teufelskreis, der nie ein Ende findet, wenn nicht unser Erbarmen ihm eines bereitet?" "Da bring Du mir erst einmal eine Blume aus dem angeblichen Lustgarten des Räuberpacks an Weihnachten", befiehlt derBischof, "dann schreibe ich den Freibrief für sie. Aber so wenig Du mir eine Blume schicken wirst, so wenig werde ich den Freibrief schreiben, das sage ich dir jetzt schon!"
Da war es für den Abt Johannes ein doppelter Grund: Nun mußte er in der nächsten Heiligen Nacht in den Göinger Wald reiten, koste es ihn, was es wolle. Die Blume, die wollte er dem Bischof schon schicken. Sein Herz schlug unüberhörbar für das Räuberpack. Und so machte er sich denn auf, begleitet nur von seinem Gärtnergehilfen. Nicht ohne 1000 Wenns und Abers von seinen Mitbrüdern: "Das ist gefährlich, was Du da machst, mit denen ist der Teufel im Bund!" Aber Abt Johannes wußte, was er wollte. Und das war gut. Denn es war ein endloser Ritt. Anfangs ging es noch durch Dörfer und an Höfen vorbei, und überall hörte und sah man, wie sich die Familien auf Weihnachten vorbereiteten, wie gescheuert, gekocht, gebacken wurde, wie den Menschen die Vorfreude auf das Fest abzuspüren war. Aber dann wurde der Weg immer beschwerlicher, immer steiler, immer dichter, zum Schluß ging es über Wiesen und durch Sümpfe, und es begann mit Gewalt zu dunkeln. Unheimlich war es. Nichts ließ einen Lustgarten zur Weihnacht ahnen. Der Gärtnergehilfe verfiel in unaufhörliches Jammern: "Laßt uns umkehren, wir werden hier nur in einen Hinterhalt gelockt und müssen sterben!" Aber Abt Johannes wußte es besser, und da waren sie auch schon vor einem nackten Felsen angekommen, in den eine Holztür hineinführte. Es war die Räuberhöhle. Aber da war nichts von Weihnachtsvorfreude zu spüren. Alles, was man sah, war schmutzig. Kein gutes Festessen dampfte im Kessel, niemand hatte für Geschenke für die Kinder gesorgt. Alles war armselig, nackt, kahl, erschütternd. Daß so Menschen leben können, leben müssen, dachte Abt Johannes, ehe er einfach, vollständig übermüdet nach dem langen Weg, einschlief.
Als er erwachte, hörte er schon die unverwechselbar rauhe Stimme der Räubermutter: "Nun beeilt Euch, sonst verschlaft Ihr noch die Heilige Nacht! Schon fängt es zu läuten an". Aber wie sie alle draußen sind, sogar der Räubervater geht mit - da will kein Glockenton an Abt Johannes' Ohr dringen. Ah doch, von weit her irgendwo hat der Südwind ein zartes Geläut hergetragen. Aber wie soll das den Wald bewegen! Doch was wird abt Johannes da in seinen alten Tagen gewahr? Der Schnee schmilzt unter seinem Schuh, um ihn her beginnt es zu grünen, die Nacht wird licht wie der Tag, warm wird es um ihn her, Vögel erwachen aus ihrem Schlaf und beginnen zu singen, prächtige Blüten erheben sich überall, - nein, allerdings, da hatte die Räubermutter recht, gegen diese Blüten ist sein Garten ein armseliges Stückwerk. Soll er dem Bischof schon eine Pflücken? Ach nein, denkt er, da kommt noch Herrlicheres, noch Wunderbareres! Ich warte noch ein Weilchen. Und wie er die Pracht um sich bestaunt, wie da immer kostbarere Blüten, immer edlere Früchte, immer lieblicherer Gesang Auge und Ohr ergreift, da denkt er beinahe, daß er im Himmel wäre. Jetzt ist alle irdische Schönheit offenbar geworden, denkt er, jetzt kann nur noch die Herrlichkeit des Himmels sich uns nahen. Und da hört er auch schon den wundersamen Gesang der Engel, in nie gehörten, süßen Melodien. Er gerät in Verzückung. Daß ihm das vergönnt ist, zu vernehmen, zu schauen, zu fühlen und in sich aufzunehmen ....
Auch der Gärtnergehilfe hört, was Abt Johannes hört, und sieht was der sieht, aber er fühlt etwas anderes: Er sagt sich: "Das kann doch nicht sein, daß dieser Räuberbande hier ein solches Wunder zuteil werden soll! Warum soll ausgerechnet diesem Gesindel etwas geschenkt werden, worum ich mich mein ganzes Leben lang vergeblich mühen werde, so viel ich mich auch anstrengen mag ...?! Nein, da hier kann nichts Himmlisches sein, das ist etwas Teuflisches, das uns in einen unwiederbringlichen Abgrund locken soll! Ausgerechnet in der Nacht der Geburt unseres Heilandes sind die bösen Geister mehr als sonst am Werk." Und wie sich ein Vögelchen auf seine Schulter setzen und sein Köpfchen an seinen Kopf schmiegen will, da ruft er mit lauter Stimme, sodaß der Wald das Echo wiedergibt: "Flieg zur Hölle, wo Du hergekommen bist!"
Abt Johannes hatte den Gesang der Engel ganz nahe an seinem Ohr vernommen. Augenblicklich verstummte er. Augenblicklich krochen die Vögel zurück in ihre Schlupflöcher, schrumpften die Blüten ein, versanken die Früchte der Bäume in tiefem Schnee, der alsbald den kalten, gefrorenen Boden überzog. Abt Johannes überkommt der Schrecken: Die Blume! Er muß doch dem Bischof die Blume schicken, sonst bekommt der Räubervater seinen Freibrief nicht. Er versucht mit der bloßen Hand, den gefrorenen Boden zu bearbeiten, aber vergeblich. Unsagbar traurig ist er. Warum durften ihm die Engel Weihnachtslieder singen und mußten von einem Menschen so brüsk vertrieben werden? Er war so unsagbar traurig, daß er nicht mehr vermochte, sich vom Schnee zu erheben.
In der tiefen Dunkelheit waren die Räuber und der Gärtnergehilfe zur Räuberhöhle zurückgetappt, aber sie vermißten Abt Johannes. Mit notdürftigen Lampen versehen begaben sie sich auf die Suche und fanden ihn tot im Schnee liegen. Als sie ihn aber in die Räuberhöhle getragen hatten, erkannten sie, daß seine Hände etwas umklammert hielten. Vorsichtig lösten sie es aus seinen Händen. Und es waren ein paar weiße Wurzelknollen. Der Gärtnergehilfe nahm sie mit. Natürlich hatte er längst gemerkt, wie fatal sein Irrtum gewesen war. Daheim im Kloster pflanzte er die Knollen im Andenken an seinen einstigen Abt. Es verwunderte ihn, daß sie weder im Frühling noch im Sommer zu grünen begannen. Im Herbst hatte er sie beinahe vergessen. Aber am Heiligen Abend mußte er plötzlich wieder so intensiv an Johannes denken, daß er in seinen Garten ging, um in Trauer und Reue seiner zu gedenken. Und da erblickte er die Blüten, die aus den geheimnisvollen Wurzeln entstanden waren. Sie blühten zur Heiligen Nacht. Sie waren aus dem Lustgarten der Engel hinübergerettet. Als Bischof Absalon die Blüte in Händen hielt, mußte er sein Versprechen wahr machen und dem Räubervater die Erlaubnis geben, wieder unter Menschen zu wohnen und zu arbeiten und ein ehrlicher, ordentlicher Mensch zu werden. Er hatte sein Wort gegeben, er wollte und mußte es halten. Freilich: Der wundervolle Garten war in keiner Heiligen Nacht mehr je wieder zu sehen. Menschliche Angst, Härte und Bosheit hatte die Engel unwiederbringlich von der Erde vertrieben. Aber die Christrose blüht bis heute als Zeichen dafür, daß es den himmlischen Garten gab, daß es ihn gab gerade für die, die bei den Menschen verachtet waren, und als Zeichen dafür, daß Gnade mächtiger ist als Bosheit und Angst, daß Gottes Erbarmen Licht bringt auch in die tiefste Dunkelheit eines Menschenlebens.
Vernehmen wir die Boten des Friedens, von denen Jesaja spricht? Und wenn nein, warum nicht? Das eigene Herz in seiner Angst und seiner Verhärtung kann dem Frieden im Wege sein, das lehrt uns die Legende. Wir sind es selbst, oft genug, die keine Augen und keine Ohren mehr haben für Licht und Liebe. Wir vermuten hinter dem Guten, das zu uns kommen will, Böses, Schlimmes, Abgründiges! Gottes Erbarmen ist ohne jedes Maß. Es kommt zu allen Menschen, auch zu uns. Aber auch zum andern, zu dem, von dem wir meinen, er sei Gottes nicht würdig. Friede kann werden, wo wir uns selber nicht länger gram sind. Und wo wir andern das gleiche Licht gönnen, das wir für uns erbitten und ersehnen. Und wo wir Licht nicht für uns behalten, sondern es weiter tragen. Die Christrose möge uns für all dies Zeichen sein und uns in die Weihnacht hineingeleiten. Amen.
Ep. Phil. 4,4-7 EG19 EG9 EG359 EG13