Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

9. Sonntag nach Trinitatis, 24.07.2016

Predigt zu Matthäus 13:44-46(rev.), verfasst von Erika Reischle-Schedler

Liebe Gemeinde! "Guck doch mal, was ich gefunden habe!" Entweder, wir können uns an unsere eigene Kindheit erinnern, oder wir erleben es, gerade jetzt in der Urlaubszeit, mit Kindern und Enkeln: Was nicht alles läßt sich am Strand aufspüren. Die schönste Muschel der Welt findet sich da! Gar ein Stück echter Bernstein? Sooo ein schöner Schmetterling! Und wie groß ist die Begeisterung! Und wie traurig die Lage, wenn die müden Erwachsenen sich nicht mit freuen können über die stolz gezeigten Schätze!

 

Bleiben wir bei der schönsten Muschel der Welt: Die Freude zuerst. Aber dann relativ schnell eine andere Erkenntnis: Wie sieht die denn aus, die ist ja voller Sand! Da muß ich doch erstmal mit Wasser dran gehen. Und wenn ich sie glücklich gesäubert habe, dann braucht sie einen angemessenen Platz, so, daß sie jeder sehen kann, der vorbeikommt, so, daß sie auch zur Geltung kommt. Ein schönes Kästchen, ein Tuch, auf dem sie besonders hübsch aussieht …..

 

Das ist nur ein kleines Beispiel. Eine Ebene tiefer geht es, wenn es um Talente geht. Wenn es in den Fingern anfängt zu kribbeln: Mein Zeichenlehrer, der kann soo gut zeichnen. Ich spüre, daß ich das auch können möchte, daß ich von mir glaube, daß ich das lernen kann. Und dann kommt die Begeisterung, die Begeisterung für eine Sache, die mich nicht mehr losläßt. Wenn der Lehrer gut ist, wird er Anleitung geben und sich mit freuen, daß da ein junges Talent sich bildet, womöglich eines, das über seine eigenen Fähigkeiten hinauswächst. Und der oder die, die die Passion fürs Zeichnen entdeckt hat, wird merken: Die gebratene Taube fliegt mir nicht in den Mund. Eine Zitrone zeichnet sich eben nicht so einfach, wie man sich das vorstellt. Es braucht Technik, ich muß üben, um die nötigen Handgriffe immer besser zu beherrschen. Ich muß, wenn ich zum Ziel kommen will, alles auf eine Karte setzen und im Zweifelsfall auch mal den Kameraden absagen, wenn die ihre Freizeit gemeinsam genießen. Nein, heute geht das bei mir leider nicht, da ist ein Bild am Entstehen, und das duldet keinen Aufschub. Die Leidenschaft hat mich gepackt, und ich entrinne ihr nicht. Ich muß zwar verzichten, aber das plagt mich nicht wirklich. Ich weiß, wofür ich verzichte. Wohl dem jungen Menschen, der in solchen Phasen des Lebens Erwachsene an seiner Seite hat, die sich mit ihm freuen können und ihn in seinem Bestreben unterstützen.

 

Selbstverständlich können solche Momente des Ergriffenwerdens uns auch als Erwachsene heimsuchen. In der Lebensmitte passiert es besonders häufig, wenn die Frage sich auftut: Was war das bisher, was ich aus meinem Leben gemacht habe? War es das wirklich, was mein Eigentliches ist? Und wenn es das nicht war, was ist mein Eigentliches? Und wenn es gut läuft, kristallisiert sich aus einem solchen Denkprozeß irgendwann womöglich überfallartig eine Erkenntnis heraus: Ja, hier muß es langgehen! Hier und nirgendwoanders hin. Riesenseufzer der Erleichterung! Ich habe gefunden, wonach ich gesucht habe, womöglich Jahre und Jahrzehnte lang. Und dann geht es daran, das Lebensgebäude Schritt für Schritt umzugestalten, mühsam oft genug, schmerzhaft vielleicht. Aber ich weiß ja, warum ich das tue. Ich habe die Vision dessen, was mein Leben wirklich ausmacht, und ich handle nach einer Erkenntnis, die mir als großes Geschenk zuteil geworden ist.

 

Wir haben uns mit diesen Beispielen aus dem Leben unserem Predigttext angenähert, Matth. 13,44-46:

 

Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker.
Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte, und als er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie.

 

Der Mensch sucht, findet unverhofft, freut sich mit unbändiger Freude - und weiß doch zugleich, daß es dabei nicht bleiben kann. Die Freude hat Konsequenzen: Einsatz ist gefragt. Daß er die Perle findet, ist Geschenk, großes, unverhofftes Geschenk. Sie zu besitzen, sich jeden Tag an ihr zu freuen, sie täglich anschauen, bewundern und immer neue kostbare Seiten an ihr entdecken zu können, dazu bedarf es seines Einsatzes. Und nicht irgendeines Einsatzes mit der linken Hand nebenher, sondern seines ganzen Einsatzes. Die Gedanken müssen sich ordnen: Ist mir diese Perle so wertvoll, daß alles andere, was ich besitze, weniger wert ist? Wenn das so ist, dann setze ich alles daran, diese Perle zu besitzen und der Freude teilhaftig zu werden, die es bedeutet, sie immer vor Augen zu haben.

 

Sie merken, daß Bilder nicht zu pressen sind. Der mann muß natürlich noch leben können. Es geht hier nicht um Phantasterei. Wohl aber geht es um die Frage, was im Leben eines Menschen den ersten und wichtigsten Platz einnimmt. Ein bißchen haben wir diese Frage vorhin schon am Beispiel des jungen Zeichentalentes bedacht. Wenn ich gespürt habe, wohin meine Berufung geht, rückt vieles andere auf den 2. Und 3. Platz. Und genau hier kommt der Glaube ins Spiel: Genau so, wie ein Kind unbändige Freude empfindet, wenn es etwas Schönes gefunden hat, oder wie ein junger Mensch sich unbändig freut, wenn er sein wirkliches und eigentliches Talent entdeckt, genauso freut sich der Mensch, wenn er in Christus dem "Himmelreich" begegnet. Glaube an Christus ist Freude, zu allererst! Nicht Spaß und nicht Vergnügen, sondern Freude. Da tritt eine Dimension ins Leben, die jenseits aller Sorgen, Fragen und Ängste steht. Jesus hat in ungezählten Bildern dieses Grundvertrauen in Gott gemalt: Was sorgt Ihr Euch, Gott kleidet die Lilien, wie sollte er nicht für Euch sorgen! Was sorgt Ihr Euch: Das Unkraut wächst zusammen mit dem Weizen. Aber wir wollen kein Unkraut ausreißen, das dem Weizen gar zu sehr ähnelt, damit wir nicht riskieren, den Weizen mit auszureißen. Habt Geduld, der Weizen wird sich durchsetzen gegen das Unkraut. Beliebige Beispiele nur, dem Evangelium entnommen. Glaube an Christus, das ist zu Allererst Freude, Ich weiß, auf welchem Grund mein Leben gebaut ist. Ich weiß, nach welchen Maßstäben ich zu handeln habe. Ich tappe nicht im Dunkel eines existentiellen Niemandslandes. Ich weiß um das Ziel auf das ich zugehe. Das alles schenkt mir Christus. Ich muß das Geschenk nur wahrnehmen.

 

Und dann freilich geht es auch mit dem Glauben wie überall: Wenn ich wirklich Christus einlassen will in mein Leben, dann rücken andere Dinge an zweite und dritte Stelle. Die erste Stelle gehört ihm. Und genau hier scheint mir der Knackpunkt zu liegen: Wir leben heutzutage zum großen Teil ein Leben, in dem der Glaube an Christus vorkommt. Aber er steht nicht an erster Stelle, er steht neben ganz vielem anderen, das unser Leben auch bestimmt. Und ganz oft eher in den hinteren Rängen unserer Lebenswerte. Und dann wundert es nicht, wenn die Freude nicht von Dauer ist, und es wundert auch nicht, wenn solches Christentum wenig Ausstrahlung mehr in diese Welt hat. Und ich kann Muslime gut verstehen, die eine solche laue Religiosität letztlich ohne Konsequenzen sich nicht aufoktroieren lassen wollen. Es gibt schließlich andere Werte als amerikanischen Turbokapitalismus, der ganzen Welt aufgedrängt, unter der Fahne des Christentums. Daß Menschen darüber so in Verzweiflung geraten, daß sie zu Waffen greifen - ich kann es nachvollzhiehen. Hier aber schauen unsere Politiker systematisch weg: Sie bekämpfen die Symptome: Hast Du mehr Waffen als ich, muß ich aufrüsten. Nach Ursachen zu fragen, kommt ihnen nicht in den Sinn. Die Wurzel unserer heillos verfahrenen Weltlage wird, soweit ich sehe, nicht in den Blick genommen.

 

Freude des Glaubens bleibt da, wo Christus die erste Stelle im Lebensgebäude gehört. Was nützt uns der kostbarste Besitz, wenn wir keine Zeit und keine Energie mehr aufbringen, ihn zu genießen? Die Perle will betrachtet sein, immer wieder neu. Und je mehr ich mich in sie hinein versenke, umso Kostbareres entdecke ich und umso intensiver wird die Freude, die mich trägt durchs Leben, egal, was da kommen mag.

 

"Grundton D" heißt eine Konzertreihe des Deutschlandfunks zugunsten des Denkmalschutzes.

"Grundton F" heißt unser Motto heute: Grundton Freude. Das ist, was Glaube bedeutet. Eines der Gedichte zum Thema Freude, die mich lebenslang Nachhaltig beeindruckt haben, stammt von Gerhard Fritzsche, einem Dichter aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Sprache mag nicht mehr ganz die Unsere sein. Der Inhalt ist aber dazu angetan, uns zu ermutigen im Blick auf unsere eigenen Fragen und im Blick auf die Fragen, die uns im Angesicht des Weltgeschehens bewegen:

 

"Trost und Trotz der Christenheit, Freude, die das schwerste Leid trägt, ohn' zu klagen, die ums neue Tagen weiß nach allem Erdenstreit, Trost und Trotz der Christenheit. Offen steht das Himmelstor. Freude führet stark empor aus Gott entsprungen, und mit neuen Zungen singt der Mensch, der sich verlor: Offen steht das Himmelstor. Gott ist aller Freude Grund. Ihm zu dienen, jauchzt der Mund trotz Not und Qualen, und die Tränenschalen füllt mit Freude Gottes Stund. Gott ist aller Freude Grund". Amen.

 

Liedvorschläge:

446,1-6

386,1,2,10

398

359

446,7-9

 

Lesung Phil. 3,7-11 (neue Genfer Übersetzung)

 



Erika Reischle-Schedler
Göttingen
E-Mail: e.reischle-schedler@t-online.de

(zurück zum Seitenanfang)