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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

9. Sonntag nach Trinitatis, 24.07.2016

Predigt zu Lukas 18:1-8 (und 2. Tim. 1,6-11) (dänische Perikopenordnung), verfasst von Anne-Marie Nybo Mehlsen

Liebe Gemeinde! Ich gestehe gleich – mir gefällt das Evangelium dieses Tages nicht! Ich mag nicht, zurechtgewiesen zu werden, als sei ich ein lästiges Kind. Und zugleich werde ich aufgefordert, auszuhalten und Tag und nach in meinem Gebet (und meiner Klage) zu Gott festzuhalten. Aber vielleicht liegt das Evangelium des Tages, die frohe oder Botschaft, gerade darin verborgen – in meinem Widerstand; so wie der Schatz in der Schatzjagd der Kindheit, der oft immer dort verborgen war, wo man nicht hin wollte.

Kinder, die quengeln, bis sie ihren Willen bekommen, sind nicht das schönste, was es gibt – jedenfalls nach meiner persönlichen Erfahrung. Sie können nur nichts dafür. Sie haben gelernt, dass dies eine Taktik ist, die wirkt. Mit quengelnden Kindern ist es nicht anders als mit bettelnden Hunden bei Tisch. Sie haben gelernt, dass es sich lohnt, wenn man ausdauernd weiter insistiert und irritiert. Du kannst fast den jammernden jaulenden Hund hören, der rastlos und aufdringlich sich bei Tische meldet mit bettelnden Augen und ab und zu eine Pfote oder die Schnauze auf dein Bein oder deine Hand legt. Dabei liegt es nicht an den Kindern oder den Hunden. Es sind die verantwortlichen Personen, die ihrer Verantwortung und Aufgabe nicht gerecht werden. Erserfordert nämlich Besonnenheit und Liebe, wenn man mit Kindern und Hunden zu tun hat.

Kinder lernen zu quengeln, weil es etwas nützt. Haben sie es nicht zuhause gelernt, lernen sie es von anderen Kindern, die es zuhause von Erwachsenen gelernt haben, die ein „ja“ und ein „nein“ nicht als das gelten lassen, was es ist. Was die anderen tun, und was die anderen dürfen, das wird ein Argument beim Quengeln – Gruppendynamik.

Geht man der Sache mehr auf den Grund, geht es bei der Quengelei meistens um etwas ganz anderes, nämlich um ein Suchen nach Nähe, Aufmerksamkeit, Kontakt und Anerkennung, das nicht gesehen und erfüllt wurde. Dann suchen wir Ersatz - auch Erwachsene tun das: Sie suchen nach Sekundärgewinn und Ersatz. Man denke nur an das Martyrium – also das häusliche, wo der Tyrann des Hauses (Mann oder Frau) sich konstant „opfern“ muss, um sich dann in Selbstgerechtigkeit zu ergehen, wenn die „Gabe“ nicht tausendfasch mit Anbetung, Dann und Lob anerkannt wird.

Quengelige Erwachsene sind wir alle, glaube ich, hin und wieder. Wenn wir etwas vermissen und uns danach sehnen, gesehen, beachtet und geliebt zu werden als die, die wir sind, und sehr wohl wissen, dass wir nicht anerkannt und geliebt sind. Oder wenn wir nicht daran zu glauben wagen, dass wir geliebt sind. Dann entwickeln wir das Talent zu klagen und zu irritieren, um Sekundärgewinne und Ersatz für das zu erlangen, was wir eigentlich wollten. Ein konkretes Beispiel ist Geborgenheit. Wenn sich Menschen zusammen mit anderen unwohl und unsicher fühlen, werden wir entweder anbiedernd oder distanzierend – je nach Temperament und Situation, aber meist danach, was uns am nützlichsten erscheint.

Das ist Psychologie – und Jesus wusste offenbar einiges über die Psychologie der Menschen, lange bevor Freud und Jung und alle die anderen klugen Leute uns davon erzählten. Wenn du lange genug quengelst, geben die anderen in der Regel nach – nur um ihre Ruhe zu haben. Manchmal sagen wir dann zu denen, die quengeln und irritieren: „Du bekommst Recht, und ich habe meine Ruhe“. Das ist ein Armutszeugnis für die Besonnenheit und die Liebe, wenn wir uns dafür entscheiden, einander in Ruhe zu lassen, anstatt die Bitte des anderen ernst zu nehmen und seriös mit einem „ja“ oder „nein“ zu beantworten.

Der ungerechte und korrupte Richter in dem Gleichnis gibt gegenüber der Witwe nach, weil er seine Ruhe haben will vor der Quengelei. Aus Rücksicht auf sich selbst, und weder aus Rücksicht auf die Gerechtigkeit oder die Witwe. So, sagt Jesus, ist Gott nicht, wenn er seinen Erwählten Recht verschafft und für sie sorgt, wenn sie Tag und Nacht zu ihm rufen!

Die Menschenkinder rufen. Das Herz ruft nach Frieden, Liebe, Geborgenheit und der Gerechtigkeit, die überhaupt nichts damit zu tun hat, dass jeder sein Maß und seinen Anteil bekommt, so dass niemand zu kurz kommt. Die Gerechtigkeit, nach der wir rufen, besteht nämlich darin, dass wir in der Verantwortung, der Umsicht, der Vorsorge, Nachsicht, Geduld, Vergebung und der konsequenten Liebe der anderen ruhen können, einer Liebe, die auch nein sagen kann, wenn es nötig ist. Die ein „ja“ und ein „nein“ als das gelten lässt, was sie sind, wie sie aus dem Herzen kommen mit einem Willen zur Konsequenz.

Wir nehmen Schaden an unserer Seele, wenn andere ihrer Verantwortung und ihren Aufgaben nicht gerecht werden. Wenn wir einer vagen Antwort begegnen: „Ja, ja, ich tu’s, wenn es nicht anders geht – und deshalb erhältst du meine Discountlösung“, oder die schlappe Antwort: „Nein – aber nur solange ich es aushalte, deinem Drängen zu widerstehen, also kannst du ruhig weiter quengeln“.

Unsere Beziehungen scheitern, wenn wir einander nicht ertragen können und nicht zu unseren „Ja“ und unserem „nein“ stehen – und damit nicht nach unserer schönen Aussage handeln, dass „ich dich liebe“, während wir einander als „Schatz“, „Erwählter“ und „Geliebter“ bezeichnen! Das gilt nicht nur in der Beziehung zwischen Partnern, es gilt mitten in der Familie und tief zwischen Freunden und Nachbarn.

Gott weiß es, und Gott weiß es besser. Er lässt „ja“ und „nein“ gelten, und steht immer für uns ein. Auch wenn wir quengeln und klagen wie jaulende Hunde, weil wir das „ungerecht“ finden und es nicht sehen und verstehen können. Auch wenn wir nicht mehr klagen und nur still werden, gedemütigt von den Bedingungen des Daseins. Auch wenn wir das Beten und Jammern ganz vergessen haben und jubelnd umhertanzen, weil alles in uns Freude und Dank ist. Glauben wir das? Haben wir so großes Vertrauen und Zutrauen zu Gott, dass wir uns von ihm tragen und fallen lassen, wenn es gilt? Das ist eine gute Frage.

Es ist auch eine sehr große Frage, und als die recht bescheidenen und schamhaften Menschen, die wir sind, müssen wir zu einer etwas kleineren Ausgabe der Frage Zuflucht nehmen: Glauben du und ich genug von der Liebe? Vertrauen wir genug auf sie, so dass wir uns von ihr tragen lassen – auch wenn wir in unserem Klagen und Quengeln und unserer Jagd nach Anerkennung und Aufmerksamkeit ganz unerträglich sind?

Wenn die Liebe zwischen uns gelingt, schafft sie alles aus dem Nichts und bringt eine Zukunft aus Ruinen hervor. Die Liebe Gottes erkennt uns an und nimmt uns ernst, indem sie uns zu den klugen Kindern des Lichts zählt, die ihre Verantwortung wahrnehmen können. Kinder, deren Tun etwas für andere Kinder bedeutet. Kinder, die verstehen, dass Liebe nicht in Portionen aufgeteilt werden kann, große und kleine Stücke, als handelte es sich um einen Kuchen, sondern dass sie immer ganz und vollkommen ist, und dass sie unverdient ist. Das ist Gerechtigkeit! Dass man darauf vertraut, dass man im Vertrauen auf Gott ruht, macht einen großen Unterschied in unserem Leben miteinander. In erster Linie befreit es uns von der quälenden Jagd nach Anerkennung. Es befreit uns dazu, einander in Liebe und Besonnenheit zu begegnen, die ein „ja“ und ein „nein“ gelten lassen. Wir können uns ruhig von der Bitte anderer um dies oder jenes bewegen lassen, ihnen unsere volle Aufmerksamkeit und Hingabe gewähren. Glücklich und selbstvergessen können wir sein, weil wir in der Liebe Gottes in guter Obhut sind. Dort sind Friede und Licht, damit wir wachsen können, uns als liebende, besonnene Menschen entfalten können, die nicht zunächst auf ihr eigenes Wohl bedacht sein müssen. Dort müssen wir nicht erst Gerechtigkeit abwägen und erwägen, dort brauchen wir auch nicht in Ruhe gelassen zu werden, sondern können ruhig großzügig sein und uns hingeben.

Vertrauen! Dort ist der Schatz verborgen, an der schwierigsten Stelle. Es geht darum, vertrauensvoll sich darauf zu verlassen, dass die Liebe Gottes uns trägt, dass sie sich nicht korrumpieren, bestechen, verschleißen oder einfordern lässt, obwohl Gott in seiner Liebe zu uns sich ewig von unserem Rufen Tag und Nacht bewegen lässt. Amen.



Pastorin Anne-Marie Nybo Mehlsen
DK-4100 Ringsted
E-Mail: amnm(a)km.dk

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