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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

10. Sonntag nach Trinitatis, 31.07.2016

Weder Zufall noch Irrtum, eher ein Höchstgebot
Predigt zu Römer 9:1-8.14-16, verfasst von Manfred Mielke

Liebe Gemeinde,

der Apostel Paulus freut sich seines gewachsenen Glaubens und lässt uns daran teilhaben. Den Glauben zu erweitern kann also zu einer neuen Gewissheit, ja sogar Freude führen. Dazu erinnere ich mich an eine bestimmte Episode. Ein Freund nahm mich mit zu einer Versteigerung für Schmuck und Uhren. Ihm ging es um wertvolle alte Armbanduhren. Ich bewunderte, wieviel Kenntnisse er dazu hatte. Mehrmals sagte er: „So eine Ähnliche habe ich schon!“ - doch Eine ersteigerte er günstig zu seiner Sammlung hinzu. - Paulus hatte allerdings weder eine Armbanduhr noch einen digitalen Bewegungsmelder an seinem Handgelenk, doch beim Aufzählen der Wertsachen seines Glaubens wurde ihm warm ums Herz.

 

In der Mitte des Römerbriefes zählt er sie auf: „Ich bin ja einer der Israeliten. Mit uns allen gehöre ich in die Sohnschaft Gottes, angenommen wie ein Adoptivkind. Auch hat Jahwe unter uns seine Herrlichkeit ausgebreitet und in mehreren Bundesschlüssen dingfest gemacht. Auf dem Sinai schenkte er uns die 10 Lebensweisungen, er ist die Mitte unserer Tempelgottesdienste. Dazu wurden wir Israeliten von Jahwe überaus beschenkt mit Verheißungen, ebenso mit Erzvätern und Erzmüttern unseres mosaischen Glaubens.“ (9,4f)1 „Stopp!“ – sagt sich Paulus an dieser Stelle. Dann holt er tief Luft und tief Mut und fügt zu den Verheißungen und Gründergenerationen noch hinzu: „Und aus uns, den Israeliten, entstammt auch der Christus, der Gesalbte Gottes!“ Danach fügt er ein Gotteslob an, doch das mildert seinen Schmerz nicht, den er vor seinem Staunen so beklagte: Ich sage in Christus die Wahrheit und lüge nicht … Ich bin voll Trauer, unablässig leidet mein Herz. Ja, ich möchte selber verflucht und von Christus getrennt sein…“ - da ich so wenig Gleichgesinnte gewinne! (9,1ff)

 

Liebe Gemeinde,

Paulus ersteigert nicht zu seinen sieben Überzeugungen noch eine Achte hinzu. Vielmehr ist die Einbindung des Christus in seinen Glauben eine Übersteigerung, zu der kaum jemand mitbieten will. Für die meisten seiner Glaubensgenossen ist das eine zerstörerische Radikalisierung. „Mag Paulus seine Zornesblindheit und Heilungstaufe bei sich bewundern, aber er soll uns nicht zwingen, ‚Paulusse‘ zu werden mit der Selbstkränkung, wir seien alle zuvor ‚Saulusse‘ gewesen!“ - so dachten manche.

Paulus wusste, als er seine Romreise plante, dass viele sagten: „Der tickt nicht mehr richtig!“ Dagegen musste er Stellung beziehen in seinem Vorab-Brief. Denn die Gemeinde zu Rom war kunterbunt zusammengesetzt, und der Heilige Geist mag kein mutwilliges Zerreißen seiner Multi-Kulti-Gemeinde. Sollten sich dort etwa die Christen durchsetzen, die vorher Heiden waren, die keine Lust hatten auf innerjüdische Streitigkeiten? Oder die Radikalen, die sagten: „Die Juden haben sich an Christus vergriffen, deren Zeit ist um. Wir bekamen den Zuschlag, nun sind wir das wahre Israel“!? Doch andere hielten dagegen: „Wir verlieren viele Wurzeln, wenn wir die Juden verlieren. Wir werden kein versöhntes Ganzes, wenn wir meinen, dass für jeden Mose-Gläubigen, den wir ausgrenzen, ein neuer Heiden-Christ zu uns käme.“ Ähnliche Parolen, denen zunehmend Taten folgten, musste Paulus entkräften. Nicht durch eigene Argumente, sondern durch eine Glaubensentdeckung. War doch seine eigene Unruhe gestillt worden durch eine tiefgründige Verankerung. War doch seine eigene Selbstverdammung umgedreht worden in Gottes Rechtfertigung durch eben diesen Christus Gottes.

 

Liebe Gemeinde,

und so schreibt Paulus wie in einem öffentlichen Streitgespräch: Es ist aber keineswegs so, dass Gottes Wort hinfällig geworden ist!“ (9,6) „Gottes Bundesschlüsse gereuen ihn nicht! Er bleibt seinem erwählten Volk treu!“ (11, 29) Allerdings ist für Paulus Gottes Volk nun breiter aufgestellt als bisher. „Denn nicht alle, die aus Israel stammen, sind Israel; auch sind nicht alle, weil sie Nachkommen Abrahams sind, deshalb schon seine Kinder!“ (9,7) Die Heidenchristen werden ja nicht durch Vererbung Abrahamskinder, sondern indem sie in die Verheißungen eintreten, die Abraham bekam. Sogar wir sangen in diesem Gottesdienst: „Lobe den Herren, was in mir ist, lobe den Namen! Alles was Odem hat, lobe mit Abrahams Samen!“ (eg 317,5 Joachim Neander 1680) - wobei wir auch die „ökumenische Fassung“ gelesen haben: „Lob ihn mit allen, die seine Verheißung bekamen!“ (eg 316,5)

 

Zwar unterscheidet Paulus zwischen Juden, die mosaische Juden bleiben, und einige wenige, die wie er den Christus Gottes in ihren Glauben integrieren. Und obwohl er sich als Gründer einer Völkerkirche versteht, will Paulus weitere Strategen gewinnen, die wie er „den Juden ein Jude“ (1 Kor 9,20) und den Christen ein Christ und den Heiden ein Missionar und der ganzen Welt ein Kirchenvater sei. Oh pardon, damit habe ich ihn jetzt ein wenig kritisiert. Doch Paulus musste Stellung beziehen zum Vorwurf, Gott habe Israel verworfen und anstelle dessen eine sortenreine Völkerkirche erwählt. Gott ist aber weder umgekippt noch ungerecht (9,14) – vielmehr kommen nach wie vor das Heil und der Heiland „aus den Juden“. Das versucht Paulus neu zu sagen.

 

Auch wir lernen, das neu zu buchstabieren. Paulus beweist, dass aus den Gründerfamilien des Alten Testaments keine Unterwerfung abgeleitet werden kann. Dagegen hatte Martin Luther recht lieblos übersetzt, Gott habe Jakob geliebt, aber Esau gehasst!“ Etwas geschmeidiger übersetzt die „Bibel in gerechter Sprache“: „Jakob hab ich geliebt, Esau aber abgewiesen!“ (9,13) Doch auch diese Zurückhaltung Gottes ist kein Freibrief für Andersgläubige, sich gegen Juden zusammenzurotten. Oder, im Bild gesprochen: Mein Freund hat nicht andere Uhren der Auktion zerdeppert, als er eine davon zu seiner Sammlung hinzu erwarb.

 

Liebe Gemeinde,

gehen wir noch einen Schritt weiter, oder zwei? Der eine Schritt wäre aufgrund einer aktuellen Einladung, in der Rabbiner aus den USA der weltweiten Ökumene schreiben: „…dass das Christentum weder ein Zufall, noch ein Irrtum ist, sondern göttlich gewollt und ein Geschenk an die Völker!“ (3. Dezember 2015)2 Dieser Einladung sind wir ein wenig vorab entgegengekommen, als unsere Landeskirche schon 1980 ihr Verhältnis zu den Juden entkrampfte. Jahre später ließen wir in die Mittelsäule des 9armigen Leuchters in unserer Kirche eingravieren: „Wir bezeugen die Treue Gottes, der an der Erwählung seines Volkes Israel festhält. Mit Israel hoffen wir auf einen neuen Himmel und eine neue Erde.“3

 

Ein weiterer Schritt liegt noch vor uns, intensiver als der Abschied von der Überheblichkeit. Ich veranschauliche ihn anhand der Liedzeile: „Alles was Odem hat, lobe mit Abrahams Samen!“ Welche neue Verwurzelung und neue Kühnheit brauchen wir und die Anderen, bis dieses Lob Gottes sowohl ein Jude wie ein Moslem mitsingen kann? Denn wir drei bekennen uns zu dem einen Gott, von dem wir Odem und Verheißungen bekamen und wir drei bekennen uns zum Gott Abrahams, der sagte: „Ich will dich segnen und Du sollst ein Segen sein!“ (1 Mose 12,2) Wir bekennen selbstverständlich, dass der jüdische Glaube göttlich gewollt ist und ein Zeichen für alle Völker4. Wenn ich aber hinzufüge: „Auch der muslimische Glaube ist weder Zufall noch Irrtum, sondern ebenso ein Geschenk Gottes an alle Völker!“ - dann macht mich mein Mut verlegen.

 

Damals fuhren wir von der Versteigerung nach Hause und mein Freund legte die Uhr, die er durch sein Höchstgebot ersteigert hatte, in die Vitrine zu den anderen Uhren. Genauer gesagt legte er sie in ein Fach, das wöchentlich elektrisch bewegt wird, damit die wertvollen Uhren nicht ihren Dienst einstellen.

 

Paulus freut sich seines gewachsenen Glaubens und lässt uns daran teilhaben. Er entlässt uns auch mit einem Staunen, denn „So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen.“ (9,16) Gottes Barmherzigkeit ist sein Höchstgebot an alle, die seine Verheißung bekamen. Sie bewegt uns, warum sollten wir zu ihr unsere Dienste einstellen? Gottes Erbarmen ist unser Beitrag, damit wir für Juden - und Muslime5 - nicht länger Feinde, sondern unwiderrufliche Partner bei der Artikulierung der wesentlichen moralischen Werte für das Überleben und das Wohl der Menschheit“ sind. Unseren Glauben zu erweitern wird so zu einer neuen Gewissheit, ja sogar Freude führen. Amen

 

 

 

1 eigene Übertragung

2 zitiert nach „Handreichung zum Israelsonntag 2016“ S.48ff bzw im Internet unter CJCUC

3 seit 1996 aufgenommen im Grundartikel I der EKiR

4 vgl die Blogs aus Nes Ammim von Rainer Stuhlmann: „Zwischen den Stühlen“, aussaat 2015

5 Einfügung vom Verfasser

 



Pfarrer Manfred Mielke
51580 Reichshof
E-Mail: Manfred.Mielke@ekir.de

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