Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

10. Sonntag nach Trinitatis, 31.07.2016

Isrealsonntag
Predigt zu Römer 11:25-32, verfasst von Suse Guenther

Paulus schreibt:

Ich will Euch über dieses Geheimnis nicht im Unklaren lassen, damit Ihr Euch nicht selbst für klug haltet.

Einem Teil Israels ist der Zugang zu Christus versperrt worden, solange bis alle anderen Völker zum Heil gelangt sind. Wenn das geschehen ist, wird auch für Israel der Weg wieder frei sein, und sie werden gerettet werden.

So wie es geschrieben steht:

Aus Zion wird der Erlöser kommen, der alle Gottlosigkeit abwenden wird von Jakob. Es wird sich zeigen, wie fest mein Versprechen gilt, wenn ich die Schuld wegnehmen werde von ihnen.

Wenn sie das Evangelium ablehnen, stehen sie zwar abseits und Ihr habt freien Zugang zum Evangelium. Aber nach Gottes verborgener Absicht sind und bleiben sie von ihm geliebt, weil sie Kinder der Väter sind, die Gott erwählt und geliebt hat.

Wenn Gott etwas schenkt, so zieht er es nicht zurück. Wenn er jemanden ruft, so bleibt sein Ruf gültig.

Früher seid Ihr Gott gegenüber verschlossen gewesen und Gott hat Euch doch aufgenommen. Jetzt sind sie verschlossen gegen Gott, weil sie sahen, dass er Euch barmherzig gewesen ist.

Aber am Ende wird Gott auch ihnen barmherzig sein wie Euch, denn Gott hat alle Menschen in den Ungehorsam eingeschlossen und wird sich aller Menschen erbarmen.

 

Gott, gib uns ein Herz für Dein Wort und nun ein Wort für unser Herz. AMEN

 

Liebe Gemeinde!

Es gibt viele Menschen, die jede Religion rundheraus ablehnen. Dies mit der Begründung: Religion führe zu Konkurrenz und Kriegen und sei damit der Anfang allen Übels. Ein Blick in die Welt unserer Gegenwart und Vergangenheit scheint das zu bestätigen: Krieg und Terror im Nahen Osten, Ausnahmezustand in der Türkei, Anschläge in Nizza und Ansbach, zu denen sich Islamisten bekannt haben und die dann wieder Pegida Anhänger auf den Plan rufen. Letztere begründen ihre Aktivität mit dem Erhalt des christlichen Abendlandes: Religion, schon wieder.

Ich behaupte allerdings, dass es nicht die Religion an sich ist, die den Schaden anrichtet. Sondern der religiöse Fanatismus. Fanatiker, ganz gleich welcher Richtung, haben nur noch das eigene Ziel im Blick, fühlen sich dabei im Recht und gehen dabei im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen.

Über alle den genannten drängenden Problemen haben wir etwas anderes völlig aus dem Blick verloren: Eine große Hungersnot in Afrika in der dafür schon bekannten Sahelzone. Einmal mehr. Und einmal mehr hausgemacht. Nicht weil die Afrikaner zu faul wären oder nichts von Landwirtschaft verstünden, sondern weil sich dort die Wüste weiterausbreitet. Dies zum einen aus Gründen der Klimaerwärmung. Zum anderen aber auch weil europäische und amerikanische Konzerne den verarmten Bauern das Land abgekauft haben und Monokulturen errichtet haben, etwa für den Sojaanabau. Damit ist das ökologische Gleichgewicht zerstört. Fanatismus, ganz gleich ob wirtschaftlich, politisch oder religiös, zerstört.

Fanatisch sein: Jesus hätte dafür vielleicht einen anderen Begriff gefunden: Besessen sein. Von einem bösen Geist völlig in Beschlag genommen sein. Nicht mehr klar denken können. In Jesu Nähe ist es Menschen gelungen, sich von solchen bösen Geistern zu befreien. Dann jedenfalls, wenn die Menschen selbst erkannt haben: Ich brauche Hilfe. Ich möchte frei werden, heil werden. Diesen ersten Schritt müssen wir selbst machen. Und den schaffen viele nicht. Einfach weil sie nicht gelernt haben, etwas anderes anzuerkennen als die eigene Denkrichtung.

„Haltet Euch nicht selbst für klug“, dazu ermahnt Paulus im heutigen Predigttext“. Und trifft genau unsere Situation. Er hat es mit religiösen Fanatikern zu tun, von denen jeder nur seine eigene Wahrheit gelten lassen kann. Man merkt dem Predigttext an, wie sehr Paulus sich damit gequält hat, die richtigen Worte zu finden. Man versteht ja kaum, was er eigentlich sagen möchte.

Paulus, der einmal fanatischer Jude war, versucht nun, seine Leute davon zu überzeugen, ebenfalls ihr Heil in Christus zu suchen.

Das ist besonders schwer in einer Zeit, in der Israel von den Römern besetzt ist und für die jüdischen Gläubigen das, was ihnen geblieben ist und Kraft gibt, ihr Glaube ist. Das will Paulus auch gar nicht in Frage stellen und bestätigt: Nach Gottes Absicht bleiben die Juden von Gott geliebt. Sie sind Kinder der Väter, die Gott erwählt und geliebt hat. Nachkommen von Abraham und Sarah, Isaak und Rebecca, Jakob, Lea und Rahel. Und damit Vorfahren von uns Christen.

Also nicht die, die wir Christen bekehren müssten. Sondern die, die uns selbst die Grundlage gegeben haben.

Paulus schreibt im Predigttext: „Wenn Gott etwas schenkt, so zieht er es nicht zurück. Wenn er jemanden ruft, so bleibt sein Ruf gültig.“

Damit ist klar: Gott lässt sein erwähltes Volk, die Juden, nicht fallen, nur weil es jetzt Christen gibt. Allerdings werden wir Christen mit in Gottes Volk aufgenommen. Gott erbarmt sich unser aller.

„Warum streitet Ihr also? Jedenfalls nicht, weil Ihr damit Gott einen Gefallen tut. Eure Sache ist längst entschieden“ – so mag sich Paulus gedacht haben.

Ja, warum streiten wir also. Vielleicht genügt es schon, die Blickrichtung zu ändern:

Wir sind beschenkt, deshalb können wir in unserem Leben bestehen. Und nicht: Wir müssen uns abrackern, damit wir etwas erreichen.

Wir Menschen tun uns schwer mit einer solchen Sichtweise. Selbst Martin Luther, der viel Gedankengut von Paulus übernommen hat und immer wieder betont, dass der Glaube allein genüge, stößt hier an Grenzen. Die Juden mag er da nicht mithineindenken. Die haben in seinen Augen nicht das richtige Parteibuch.

Aber Gott hat seinen eigenen Plan, in den lässt er sich auch von einem Martin Luther nicht hineinreden. Es gibt sie bis heute, die Juden und die Christen. Es ist uns bis heute aufgegeben, uns miteinander zu verständigen und gemeinsam den Willen Gottes zu tun, statt den eigenen Kopf durchzusetzen.

Bleibt die Frage, was das ist, der Wille Gottes. Das zu beantworten, wird man nie fertig werden. Immer wieder neue Antworten lassen sich in der Bibel finden. Dies vor allem auch deshalb, weil Gott mit jedem Menschen, ob Christ oder Jude, seinen persönlichen Weg geht. Vielleicht fangen wir mit einer einfachen Antwort an: Was ist der Wille Gottes für einen Juden? Wir lesen es im 5. Buch Mose (6,4ff): Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein. Und Du sollst den Herrn Deinen Gott lieben von ganzem Herzen, mit Deinem ganzen Wesen und mit Deiner ganzen Kraft. Und Du sollst Deinen Kindern davon erzählen.

Was ist der Wille Gottes für einen Christen? Jesus beantwortet das wie folgt: Du sollst Deinen Gott lieben von ganzem Herzen, mit Deinem ganzen Wesen und mit Deiner ganzen Kraft. Und Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst.

Wir können es nicht leugnen: Jesus war Jude. Er lehrt auf der Basis dessen, was er im jüdischen Glauben gelernt hat. Und wenn wir Sonntag für Sonntag unser Vater Unser beten, unser urchristliches Gebet, so ist das eigentlich ein Teil des jüdischen 18 Bitten Gebetes, das Jesus an seine Jünger weitergegeben hat.

Wer nun also ist das erwählte Volk? Jesus denkt nicht in diesen Kategorien. Für ihn gilt jeder einzelne Mensch. Mit jedem einzelnen ist Gott unterwegs. Damit müsste dann jeder Fanatismus beendet sein.

Jedenfalls ist jegliche Art von fanatischer Verehrung nicht das, was Gott gewollt hat:

Sein Wunsch ist etwas anderes: Gott lieben, den Nächsten lieben, sich selbst lieben.

Ob wir das in unserer Welt schaffen? ES scheint mir momentan ferner denn je zu sein. Umso mehr kommt es auf jeden einzelnen an. Umso mehr kommt es darauf an, dass jeder und jede von uns sich von Gott ansprechen und auf den Weg bringen lässt.

Es scheint mir gerade in unseren Tagen wichtiger denn je zu sein, dass wir uns auf unseren Gott und unseren Glauben besinnen. Dass wir uns daran erinnern, dass Gott uns in sein Volk aufgenommen hat und für uns eine Aufgabe hat. Und dass er auch andere in sein Volk aufgenommen hat und eine Aufgabe hat. Es erscheint mir wichtiger denn je, dass wir uns als Christen versammeln, in unserer Bibel lesen, die Nähe Gottes suchen. Und dass wir gemeinsam mit Menschen anderer Religionen auf diese Weise dem Fanatismus entgegentreten. Nicht mit leeren Worthülsen vom christlichen Abendland. Sondern indem wir uns wieder neu darauf besinnen, dass wir mit Gott und anderen unterwegs sind in unserer Welt. Gemeinsam beten für die Befreiung von bösen Geistern. Gemeinsam heil werden. Sich gemeinsam rufen lassen: Gottes Ruf bleibt gültig.AMEN



Pfarrerin Suse Guenther
Zweibrücken
E-Mail: s.guenther@evkhzw.de

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