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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

10. Sonntag nach Trinitatis, 31.07.2016

Gottes Treue ist groß, Barmherzigkeit ohne Ende
Predigt zu Römer 9:1-8,14-16, verfasst von Kira Busch-Wagner

Liebe Gemeinde,

wahrscheinlich haben Sie das auch schon einmal erlebt: jemand gibt wieder, was Sie gesagt haben und Sie erkennen fast ihre eigene Aussage nicht. Die Worte sind geblieben, nur ein klein wenig hat sich der Ton verschoben, der Kontext verändert, aus einer Frage wurde eine Behauptung, aus einer Überlegung ein Widerspruch, aus einem freundlichen Hinweis eine rüde Korrektur. Und am Ende ist alles ganz anders als ursprünglich gemeint. Und man fragt sich, ob Bosheit dahinter steckt oder einfach nur Missverständnis?

Würde Paulus sich in unseren Luthertexten wiedererkennen? In den Übersetzungen eines Mannes, der natürlich grandios die griechische Sprache des Neuen Testaments beherrschte, seine Übersetzung zugleich ganz seinen Anliegen widmete: Rechtfertigung contra Werkgerechtigkeit?!

Großen Autoren werden die Übersetzungen ihrer Werke durchaus noch einmal vorgelegt vor der Veröffentlichung, um abzugleichen: war alles richtig verstanden?

So für den Urlaub sind sogar rudimentäre Sprachkenntnisse kein Problem. Vor allem , solange es nicht zu einem Konflikt kommt. Dann aber, gar bei einem Konflikt auf Leben und Tod, ist jedes Komma.

Menschen, die bei Asylverfahren oder vor Gericht übersetzen, müssen darum staatlich geprüft und anerkannt sein. Dass sie unabhängig und ehrlich übersetzen, wahrhaftig.

Pfarrerinnen und Pfarrer lernen Hebräisch und Griechisch, die ursprünglichen Sprachen der Bibel, kurz und schwach genug. Und es gibt genügend, die fragen, ob nicht auch das verschwendete Zeit sei. Ob Pfarrer damit nicht eigentlich zu teuer würden – für die Kirchen, für den Staat, für das Bildungssystem.

Ich selbst bin natürlich längst nicht so gut in der Übersetzung des Neuen Testaments wie Luther. Aber ich habe eine Übersetzung gefunden, die ich für noch besser halte als die nach Luther.

Hören wir heute, am Israelsonntag, am Tag des christlichen Gedenkens an die Zerstörungen des biblischen Tempels, am Tag des Gedenkens christlicher Schuld gegenüber den jüdischen Geschwistern, am Sonntag, wo es um die Verbundenheit mit Gottes Volk geht, auf die Übersetzung eines großen Lehrers, Klaus Wengst. Auf die Übersetzung der Verse 1-8 und 14-16 aus dem 9 Kapitel des Briefs an die Gemeinde nach Rom. Paulus schreibt:  

1 Ich sage die Wahrheit im Gesalbten, ich lüge nicht, mein Gewissen legt dabei Zeugnis für mich ab im heiligen Geist: 2 Ich habe großen Schmerz, und mein Herz hat unaufhörlichen Kummer. 3 Ich wünschte nämlich, selbst verflucht und so vom Gesalbten getrennt zu sein zugunsten meiner Geschwister, meiner Landsleute der Herkunft nach. 4 Sie sind ja doch Israeliten, ihnen gehören die Sohnschaft, der Glanz, die Bundesschlüsse, die Gabe der Tora, der Gottesdienst und die Verheißungen, 5 ihnen gehören die Väter, und von ihnen kommt der Gesalbte seiner Herkunft nach. Der über allem ist, Gott: Er sei gesegnet für immer. Amen.

6 Keineswegs aber ist es so, als wäre das Wort Gottes hinfällig geworden. Sind denn nicht alle aus Israel eben Israel? 7 Aber es ist nicht so, dass Nachkommenschaft Abrahams alle sind, die er als Kinder hat. Vielmehr: „In Isaak wird die Nachkommenschaft berufen werden“ (Gen 21,12) 8 Das heißt: nicht die leiblichen Kinder sind Kinder Gottes, sondern die verheißenen Kinder werden zur Nachkommenschaft gerechnet. 14 Was sollen wir nun sagen? Gibt es Ungerechtigkeit bei Gott? Keineswegs. 15 Zu Mose sagt er nämlich: „Ich werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarme, und Mitleid haben, mit wem ich Mitleid habe“ (Ex 33,19). 16 Folglich hängt es also nicht von dem ab, der da will oder läuft, sondern vom erbarmenden Gott.

 

Ein großer, ein wichtiger Abschnitt im Brief nach Rom, wenn auch – zumindest auf den ersten Blick - mit anscheinend kaum einer Stelle, um unsere persönlichen Nöte darin verhandelt zu sehen, persönliche Lebensfragen. Aber vielleicht finden sie sich auf den zweiten oder dritten Blick.

Was in unserem Predigtabschnitt nicht wortwörtlich benannt wird, aber im Hintergrund steht und alles bestimmt, ist der knappe Satz und die große Theologie: Gott ist treu.

Gott ist treu, das hat Konsequenzen: Was Gott verspricht, nimmt er nicht zurück. Gott hält sich an sein eigenes Wort. Gott wankt nicht. Gott ist größer als unser wankelmütiges Wesen und Herz.

Gott ist treu. Es gilt sein Segenswort. Es gelten Taufe und. Abendmahl. Es gelten zugesagter Schutz, Auferweckung, Leben in Ewigkeit. Es bleibt alles. Gott wird sich nicht untreu. Gott fällt nicht hinter sich selbst zurück.

Als in der frühen Kirche sich Zweifel einstellten, ob denn die Taufe und damit das ganze zugesagte Heil ungültig sein könnte, wenn der Priester, der die Taufe spendete, sich als unwürdig herausstellt, da gab es die wichtige Entscheidung: Nein! Alles gültig! Die Zusage Gottes bleibt bestehen. Die Verheißung von Heil im Himmel und auf Erden für jeden Einzelnen bleibt gültig. Weil Gott treu bleibt. Auch wenn Menschen untreu werden oder als unwürdig sich erweisen oder widersprüchliches von sich geben oder fehlen.

Mit ihrer Entscheidung konnte sich die Kirche auf die Bibel stützen. Die Schrift spricht von Gottes Treue. Und auch Paulus schreibt im Brief nach Rom: Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen (11, 27). Gott ist treu.

Paulus würde darauf nicht so beharren, wenn es nicht offenbar Menschen gäbe, die tatsächlich das Gegenteil für möglich halten. Damals, als Paulus nach Rom schrieb oder auch heute.

Wenn den Christen damals oder auch uns Christen heute das Volk Israel egal würde, würden wir die Treue Gottes übersehen. Wenn die Christenheit meinte, sie hätte Israel in seiner Gottesbeziehung abgelöst, wenn sie meinte, sie sei an Israels Stelle gesetzt, so würde sie die Treue Gottes bestreiten. Denn ihnen, so Paulus, den Kindern Israel, gehört die Rolle des ersten Sohnes, gehören Gottesdienst und Bundesschlüsse und die Bibel und sogar Jesus, der Gesalbte selbst. Das wird Gott nicht zurücknehmen, denn er ist treu.

So kann man mit Paulus nur sagen: Gott sei Dank. Gott sei gesegnet, sei gepriesen dafür, für immer. Frohe Botschaft für mich, reines Evangelium, das sich zugleich mitteilt, ist doch dies:

Wenn Gott Israel treu ist, dann doch eben auch mir. Dann kann ich mich auf diesen Gott verlassen. Alle Tage. Und über dieses Leben hinaus.

 

Zum dem ersten Satz, „Gott ist treu“ tritt nun ein zweiter laut unserem Predigttext. „Gott ist freundlich“. Gott ist erbarmend. Gott ist freundlich über die Maßen. Von Gottes Freundlichkeit sind Menschen betroffen, die damit überhaupt nicht haben rechnen können. Gott ist so freundlich, dass jemand neidisches sogar meinen könnte, es sei geradezu ungerecht. Muss man schließlich nicht für alles zahlen? Wo wird einem schon etwas geschenkt?

Paulus sagt: bei Gott. Gott schenkt in seiner Freundlichkeit. Ob alle etwas geschenkt bekommen, ist eine andere Frage. Aber dass es Menschen gibt, die Gott beschenkt, die Gottes Freundlichkeit einfach erhalten, das ist klar. „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig“, zitiert Paulus seinen Gott, zitiert Paulus aus dem zweiten Buch der Bibel.

Und Paulus findet grade im Stammbaum Israel Beispiele dafür, dass Gott zusätzlich zu Leben und regulärer Erbfolge und zu Nachkommenschaft und Segensworten seine persönliche Verheißung schenkt. Da gibt es Jakob und Esau, und wer ihre Geschichten kennt, weiß, wie gut es beiden geht am Ende ihres Leben. Und dass sie nach einer langen verwickelten und schwierigen Geschwistergeschichte zum Frieden miteinander finden. Darüber hinaus schenkt Gott Jakob seine Verheißung. Wie dem Abraham und dann Isaak und schließlich dessen Sohn jüngerem Sohn Jakob. Nicht alle leiblichen Kinder, weiß Paulus, sind zugleich Kinder der Verheißung. Verheißung ist zusätzliches Geschenk.

Umgekehrt gilt ihm aber dann wunderbarerweise auch, dass Verheißung weiter greifen kann. Noch mehr, noch andere erreicht. Allein aus Freundlichkeit, aus Barmherzigkeit Gottes, allein als Geschenk.

Auf diese Weise kommen auch die Heiden zu Gott, die Völker. Durch Christus nämlich. Geschenk und Freundlichkeit Gottes. So entsteht Kirche. Allein aus Gnaden. Allein aus Freundlichkeit Gottes. Das lässt uns als Heidenchristen bescheiden werden. Und glücklich zugleich. Wir leben, wir leben insbesondere als Christen, aus der Freundlichkeit und aus dem Erbarmen Gottes.

Was Paulus damals, als er den Brief schrieb, schmerzte, das war die Wahrnehmung: nicht alle Juden teilen seine Interpretation der Geschichte, seine Interpretation der Bibel, dass die Verheißung nun auch Heiden erreicht hat. Es war ihm schmerzlich. Aber natürlich überhaupt kein Grund, an Gottes Liebe zu seinem Volk zu zweifeln.

Und heute? Würde ihn nicht viel mehr schmerzen, dass einer wie Luther solche Liebe sich gar nicht mehr vorstellen konnte? Würde ihn nicht viel mehr schmerzen, dass doch Gottes Treue infrage gestellt wird, wenn die Verheißungen an Israel als erledigt gelten. Und wie würde Paulus den Schmerz erleben, dass nicht nur ganze christliche Bibliotheken über das Ende Israels geschrieben wurde, sondern beinahe dem Augapfel Gottes das Ende mitten im christlichen Abendland bereitet worden wäre.

Wir können nur staunen, dass solche Folterschmerzen in großem Umfang vernarbt sind.

Dass es das christlich-jüdische Gespräch gibt. Dass jüdische Gemeinde in Deutschland bestehen und wachsen. Wir können nur staunen, dass junge Israelis sich nach Berlin sehnen, dass ein junger israelischer Komponist eine Auftragsoper schreibt fürs Theater in Karlsruhe.

Wir können beitragen, dass die Narben nicht neu aufgerissen werden. Wenn wir ins Gespräch gehen. Uns der Bibel aussetzen. Lernen und Hören.

Wir leben davon, als Kirche und ganz persönlich, dass Gottes Treue groß ist. Und seine Barmherzigkeit immer noch kein Ende gefunden hat.

 

Der Friede Gottes ist höher als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne im Messias Jesus. Amen.



Pfarrerin Kira Busch-Wagner
Ettlingen
E-Mail: Kira.Busch-Wagner@kbz.ekiba.de

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