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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

11. Sonntag nach Trinitatis, 07.08.2016

Predigt zu Lukas 7:36-50(dänische Perikopenordnung), verfasst von Christian Grund Sørensen

In den letzten Monaten ging ein Sturm durch Europa, der seinen Ursprung in der Welle von Terror hatte, der zufällige Menschen in Deutschland und Frankreich traf.

Wir können merken, wie der Boden unter uns wankt. Der Terror trifft ja nur wenige, aber weil er so bestialisch und willkürlich trifft, schafft er ja gerade Angst und Schrecken und nimmt uns den Optimismus und den Lebensmut. Er kann uns treffen – und noch schlimmer: unsere Lieben.

Mit einem Mal wird deutlich, wie verwundbar unsere offene, westliche, christlich inspirierte Gesellschaft ist. Denn sie beruht auf zwei Grundpfeilern: Erstens ein gewisses Vertrauen zum Mitmenschen, und zweitens eine gewisse Anerkennung dessen, dass wir den Mitmenschen akzeptieren können, auch wenn er bzw. sie andere Haltungen hat und anders lebt.

Nun haben wir auch das Martyrium in Europa erlebt. Einem Priester wurde der Hals durchgeschnitten vor dem Altar in seiner Kirche. Nach den anwesenden Zeugen redeten die Täter dabei über Religion, eine Art Religionsdialog.

Der Priester verlor sein Leben bei einer ganz gewöhnlichen Morgenmesse, wo er nicht auf das Martyrium vorbereitet war. Sie suchten ihn auf, und eigentlich hatte er keine anderen Möglichkeiten als sein Leben für Jesus Christus zu verlieren. Als Glied in einer Reihe wahrer Zeugen. Dietrich Bonhoeffer, Kaj Munk, um nur einige wenige zu nennen. Und die, die weniger bekannt waren und wurden.

Was hat all dies Reden vom Martyrium mit der Frau mit dem Glas Salbe zu tun?‘

Ja, in erster Linie hat es mit Jesus zu tun. In unserer (post)modernen Zeit besteht die Tendenz, dass wir uns mit denen zusammentun, mit denen wir uns einig sind. Veganer mit Veganern, Pokemonspieler mit Pokemonspielern. Die stark Linken kennen andere Linke, die einander darin bestätigen, was die volle Wahrheit ist. Die stark Rechten tun dasselbe. Die Flüchtlingsfreunde schließen sich zusammen – und selten die Kritiker der Immigration. Arbeiter schließen sich mit Arbeitern zusammen und Akademiker mit Akademikern.

Zudem wohnen wir meist auch mit anderen zusammen, deren Leben wir verstehen und mit denen wir uns einig sind. Wir leben in dem, was der deutsche Soziologe Niklas Luhmann als ein Subsystem bezeichnete, wo wir alle über die Werte, die Spielregeln und den Sprachgebrauch einig sind, von denen wir ausgehen. Auch wenn wir uns uneinig sind, so sind wir es auf einer gemeinsamen Grundlage.

Christen schließen sich oft mit anderen Christen zusammen – und am liebsten mit solchen, mit denen wir uns einig sind. Ein Pastorenkollege sagte einmal auf einem Pfarrkonvent: „Macht es überhaupt Sinn, Gemeinschaft mit Kollegen zu haben, mit denen man uneinig ist?“ – Ich denke, allein die Tatsache, dass man eine solche Frage stellen kann, ist ein Zeichen für ungesunde Verwöhntheit.

Jesus dagegen wagte sich zu denen, die ihn nicht verstanden, nicht einig waren, nicht waren wie er.

Jesus war eingeladen zu einem Essen. Gutes Essen und guter Wein. Kein Puritanismus hier wie bei Johannes dem Täufer. Und doch waren es anständige Leute. Moralische Leute, die Gott mehr gaben als nur einen Gedanken.

Jesus saß nicht nur mit seinen Freunden zusammen. Ja, das tat er ja bei der Hochzeit in Kana und bei vielen anderen Gelegenheiten, von denen wir in den Evangelien hören.

Aber hier, eben hier hatte Jesus seine comfort zone verlassen und sich an einen Ort begeben, wo es Kritik hagelte. So wie später von Herodes zu Pilatus.

Jesus sitzt zu Tische mit denen, mit denen er nicht einig ist.

Er wandte auch sein Herz der Frau zu, die vermutlich ihr Geld damit verdient hatte, dass sie ihren Körper verkaufte. Ein Mensch, der in einem anderen Sinn so ganz anders war.

Und dennoch hatte sie, im Gegensatz zu den Wirten, ein Herz für Jesus. Ein blutendes, hingebungsvolles Herz. Verzweifelt suchend nach der Liebe und der Anerkennung, nach der sie sich vielleicht ihr ganzes Leben gesehnt hatte.

Es war der Sohn Gottes. Es war der Mann aus Nazareth.

Und hier müssen wir einhalten und uns fragen: Wann haben wir zuletzt mit jemandem geredet, mit dem wir nichts gemein hatten?

Wann haben wir zuletzt mit einem Atheisten geredet oder einem Moslem – also über die tiefen Fragen des Lebens? Wann haben wir zuletzt mit einem Christen geredet, mit dessen Haltungen wir nicht einig waren?

Das Martyrium liegt nicht darin, dass man mit den Wölfen heult, unter denen man ist. Das Martyrium liegt darin, Licht und Salz in einer Welt zu sein, in der Jesus ein fremder Vogel ist. Das Martyrium liegt in dem Wagnis, voll und ganz zu unserem Glauben zu stehen - und zugleich mit denen zusammen zu sein, mit denen wir politisch, religiös oder im Lebensstil ganz uneinig sind.

Denn die Frau mit dem Glas Salbe war ein Kind Gottes. Das war der Pharisäer Simon, der zum Essen geladen hatte, auch.

Vielleicht Kinder, die wie der verlorene Sohn auf Abwege geraten waren. Oder wie der Sohn, der zuhause blieb. Aber geschaffen für etwas Besonderes.

Das Martyrium trifft uns selten, wenn wir uns als Kirche zu uns selbst halten. Wenn wir kirchliche Treffen mit kirchlichen Leuten haben und die besondere Form der Laissez-faire-Politik betreiben, die in letzter Zeit für die nationalen Kirchen kennzeichnend ist.

Das Martyrium trifft uns – vielleicht – wenn wir unsere Herzen für die anderen öffnen. Das aber tat Jesus.

Die Frau mit dem Glas Salbe war von Gott gesehen. Von Gott erkannt. Und das bist du auch, wenn dein Leben ein schlimmes Chaos ist und du weder ein noch aus weißt. Und Gott ist das nicht gleichgültig.

Der Sturm über Europa sollte nicht dazu führen, dass wir uns um uns selbst einschließen. Das Leben enthält ein Risiko. „Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was Besonderes tut ihr da?“

Wir können nicht so tun, als sei der Sturm über Europa nicht da. Er trifft uns an den wundesten Punkten, dem Vertrauen und der Offenheit für den Nächsten. Und wir dürfen nicht naiv sein und wie ein Strauß den Kopf in die Erde stecken, wenn sich die Gefahr nähert.

Lasst uns einander mit den Augen Jesu sehen: den Pharisäer Simon und die namenlose Fr au mit dem Glas Salbe. Ihr Leben hat sich wohl durch die Begegnung mit Jesus verändert. Amen.



Pastor phd. Christian Grund Sørensen
DK-9000 Aalborg
E-Mail: cgs(at)km.dk

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