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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

14. Sonntag nach Trinitatis, 28.08.2016

Predigt zu Römer 8:14-17, verfasst von Ulrich Wiesjahn

Liebe Gemeinde!

Zur Zeit beschäftigen mich zwei Beobachtungen sehr stark: Erstens der Aufruhr

verschiedener Religionsgruppen, besonders im Islam, und zweitens die auffällige religiöse

Stille des Christentums.

Bei dem Aufruhr scheint es sich um eine tiefgehende Krise einer Religion zu handeln. Denn

wenn Krieg, Macht, Mord und Selbstmord dominieren, dann ist alle religiöse Substanz

verloren. Gott und sein Geist können nie der Tod sein.

Aber auch die religiöse Stille, diese Windstille des Christentums irritiert mich. Denn hier

wären doch die geistigen und geistlichen Kräfte zu mobilisieren, die Kräfte des Glaubens, der

Liebe und der Hoffnung. Stattdessen verstricken wir uns gerade in Strukturdebatten, in

Finanz- und Personalfragen oder überspielen die Dürftigkeit und die Leerheit der Kirchen mit

Events, Veranstaltungen und anderen Lockmitteln.

Und dazu noch eine dritte Beobachtung: In den Medien und Kommentaren wird der ganze

Bereich des Religiösen höchst oberflächlich behandelt. Mit dem Wort „Religion“ wirft man

alles in einen Topf und rechtfertigt das gern mit dem Begriff „Monotheismus“ oder

„abrahamitische Religionen“. Doch so verliert man die jeweils persönliche Eigenart gänzlich

aus den Augen.

Wenn wir uns heute an Paulus orientieren, dann so, dass wir die religiösen Unterschiede

bemerken, ja die absoluten Gegensätze und die völlig verschiedenen Ebenen sehen, auf denen

sich die so genannten monotheistischen Religionen bewegen.

Nun also zu uns, zu Paulus, zum Christentum! Was hat da Jesus für uns zutage gebracht?

Paulus antwortet: Dass wir Kinder Gottes sind. Und was heißt das? Antwort: Dass wir wie

Jesus beten, wie Jesus handeln, wie Jesus hoffen und wie Jesus fröhlich sind. In seiner

Nachfolge wären wir wirkliche Christen. Und das hieße, dass wir frei wie Jesus wären,

sorglos wie Jesus, vertrauensselig wie Jesus.

Das ist das Christentum in der Auslegung des Apostels Paulus. Mit seinen Worten heißt das:

„Wir sind keine Knechte mehr.“ Doch was soll das jetzt heißen? Nun, für Paulus ist das

Knechtsein ein ganz bestimmtes Glaubensmodell, das er als ehemaliger Pharisäer, mosaischer

Jude, als Vertreter von Gesetz und Buchstabe nur allzu gut kennt.

Doch man kann dieses Modell der Knechtschaft ganz aktuell auch auf uns hier, auf mich

und dich, übertragen, wenn wir an alle festen Bedingungen und Ordnungen denken, in denen

wir leben. Das Leben ist nicht frei, heißt es dann. Das sagen und predigen alle

Wissenschaften. Und das hält uns sogar die eigene Vernunft vor: Das Leben vollzieht sich

nach Gesetzen. Die Dinge stehen fest. „Du bist darin ein Knecht oder ein Rädchen im

Weltgetriebe oder ein statistischer Wert, den man berechnen kann“, so sagt der Verstand.

Und nun endlich zu Paulus und seinen Aussagen, nach denen unser Herz begehrt. Denn das

Herz möchte frei sein, möchte wertvoll sein, einmalig sein, glänzend sein. Hören wir Paulus

noch einmal zu:

 

Lesung Römer 8,14-17.

 

Was könnte uns, was könnte mich an diesen Sätzen interessieren? Ich wende mich drei

Dingen und Aussagen zu: 1. „Ihr müsst euch nicht fürchten“, 2. „Wir sind wie Jesus Gottes

Erben“ und 3. „Wir werden einmal zur Herrlichkeit erhoben“.

 

Diese drei Zusagen muss ich nun für mich selbst durchbuchstabieren, nicht wie ein Lehrer,

der alles bloß erklärt, sondern wie ein Zeuge, der für die Wahrheit persönlich einsteht. Was

heißt also für mich der Satz „Ihr müsst euch nicht fürchten“? Nun, er ist genau auf meine

innere Unruhe gemünzt, die mich gerade beherrscht. In mir ist eine Art Furcht und Unruhe,

die sich nicht einfach stillen lässt. Und nun höre ich, dass Gott diese Unruhe stillt.

Was heißt zweitens für mich der Satz „Wir sind Gottes Erben“? Beim Nachdenken darüber

komme ich zum Ergebnis: Dann ist Gott ganz in der Nähe. Ich muss nur die Nähe Gottes für

mich entdecken. Das Gerede von der Ferne Gottes soll mich nicht beherrschen. Ich muss bei

der Suche ganz bei mir selbst beginnen. Wenn ich ein Kind Gottes bin, dann gehöre ich ja fast

„genetisch“ zu ihm. Deshalb darf und kann ich mich auch selber lieben. Bei mir muss die

Liebe beginnen.

Und dann kommt noch das Wort „Wir werden einmal zur Herrlichkeit erhoben“. Das ist ein

Satz gegen alle Todesangst. Dass die in mir ist, weiß ich. Ich möchte nicht gern sterben.

Warum? Nun, da hält mich etwas hier im Leben ziemlich fest. Und ein schönes Leben ist das

Beste, was ich mir vorstellen kann. Doch wenn Paulus recht hat, dann könnte ich etwas

tapferer, etwas mutigerer sterben, wenn es soweit ist.

Also Paulus hat mir heute durchaus etwas zu sagen. Doch nun wird es schwer, wenn ich es

umsetzen möchte. Wie ist es mit diesem Lebens- und Glaubensmodell des Christentums?

Jetzt, mitten im religiösen Sturm der Einen und in der religiösen Windstille Deutschlands soll

bei mir das neue geistliche Leben beginnen? Ja, es muss beginnen, sagt mir mein Herz, wenn

nicht bei dir, wo denn sonst? Und wenn ich mich da Paulus hilfesuchend zuwende und sage:

Christentum und geistliches Leben dieser Art sind mir doch recht fremd und unbekannt, dann

antwortet er: Keine Bange, in der Nachfolge Jesu liegt Freude und Gewissheit!

Amen.



Ulrich Wiesjahn

E-Mail: ulrich.wiesjahn@web.de

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