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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

14. Sonntag nach Trinitatis, 28.08.2016

Wer hineingeht, kommt anders hinaus. Von dem Raum, in dem Gott uns erneuert
Predigt zu Römer 8:12-17, verfasst von Ulrich Kappes

Römerbrief 8, 12–17

12 Wir sind also, Brüder, verpflichtet, nicht für das Fleisch, unter der Macht des Fleisches zu leben. 13 Denn wenn ihr dem Fleisch gemäß lebt, müsst ihr sterben. Tötet ihr aber durch die Kraft des Geistes die Taten des Leibes, werdet ihr leben. 14 Denn welche vom Geist getrieben werden, die sind Söhne Gottes. 15 Ihr habt doch nicht den knechtischen Geist empfangen, (der) wieder in die Furcht (stellt). Vielmehr habt ihr den Geist der Sohnschaft empfangen, in welchem wir rufen: Abba, Vater! Der Geist bezeugt selbst unserem Geist, dass wir Gottes Kinder sind. 17 Wenn jedoch Kinder, dann auch Erben, nämlich Erben Gottes und Miterben Christi, wenn anders wir mitleiden, um auch mit verherrlicht zu werden.

Übersetzung: Ernst Käsemann I1I

 

Das Wort „Geist“, das unseren Predigtext prägt, wird in unserer heutigen Sprache sehr unterschiedlich gebraucht.

Olympischer Geist“ sollte die Spiele in Rio de Janeiro bestimmen, und das hieß, eine Überzeugung und Haltung, die Hinterhältigkeit und Doping verbietet.

Geisteswissenschaften“ sind im Gegensatz zu „Naturwissenschaften“ weniger sachbezogen und rücken das humanistische Wissen in den Vordergrund. In dem Wort „Geisteswissenschaften“ wird gesagt, dass es neben Fakten und Zahlen, neben dem Wägbaren und Messbaren eine Wissenschaft gibt, die zur Universität gehört.

Schließlich sind „Geister“ in Filmen mit Harry Potter u. a. ein unerlässliches Requisit. Ein Geist ist hier ein skurriles, überirdisches Wesen, das als Gespenst erscheint und auf den Gang der Dinge Einfluss nimmt.

Was ist „Geist“ oder „die Kraft des Geistes“ in unserem Predigtabschnitt?

 

Bevor wir eine Antwort auf diese Frage suchen und uns der eigentlichen Auslegung zuwenden, sei ein Vorwort vorausgeschickt.

Im Römerbrief, ebenso im zeitlich vorausgehenden Galaterbrief, erhält das „Leben im Geist“ oder der „Wandel im Geist“ eine herausragende Stellung. Um das zu verstehen, ist ein kurzer Blick in das Alte Testament sinnvoll.

In Psalm 1 ist zu lesen: „Wohl dem, der … nicht sitzt, wo die Spötter sitzen, sondern hat Lust am Gesetz des HERRN, …der ist wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen.“ Hat ein Mensch „Lust am Gesetz des HERRN und lebt in diesem Gesetz, so ist er wie ein Baum am Wasser“.

Wandelt im Geist und ihr werdet das Begehren des Fleisches nicht erfüllen“ I2I, sagt Paulus im Galaterbrief.“ (Gal, 5,16) Heute hören wir: „Tötet in der Kraft des Geists die Taten des Leibes, so werdet ihr leben.“

Was für den frommen Juden das „Leben im Gesetz“ ist, ist nach Paulus für den Christen das „Leben im Geist“. Wie der gläubige Israelit „Lust hat zur Tora des HERRN und redet über der Tora des HERRN Tag und Nacht“, so lebt und wandelt der Christ nunmehr im „Geist“ des Herrn Tag und Nacht. An die Stelle des „Lebens in dem Gesetz“, tritt bei Paulus das „Leben im Geist“.

In theologischer Sprache gesagt: Der Unterschied zwischen Judentum und Christentum ist nicht Gesetz oder Evangelium, sondern Leben im Gesetz oder Leben im Geist.I3I

Der heutige Predigttext führt uns in das Zentrum der Lehre des Apostels.

 

Wenden wir uns nun der Einzelauslegung zu und fragen: Was ist „Leben nach dem Fleisch“ und „Leben im Geist“? Beginnen wir mit dem „Leben nach dem Fleisch“.

 

Leben nach dem Fleisch ist, um Markantes herauszugreifen, Alkoholmissbrauch oder ein Essenskonsum jenseits der ökologischen Zulässigkeit oder eine Sexualität, die, wie in manchen Medien vorgeführt, alles bestimmt und beherrscht.

Ist es das? Ein Aufruf zu einem enthaltsamen Leben?

Paulus geht darüber hinaus und ruft uns auf: „Tötet in der Kraft des Geistes die Taten des Leibes, so werdet ihr leben.“ Das heißt nun: Der Christ hat nicht allein den überbordenden Neigungen seines „Fleisches“ zu widerstehen. Das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere, diffizilere Seite hängt mit seinem „Leib“ zusammen.

Was ist der Mensch, der als „Leib“ gedacht wird? Hier ist offenbar der Mensch in seiner umfassenden Körperlichkeit gemeint, seine Strebungen und Triebe, die in ihm wohnen.

Der Mensch als Leib strebt nach Herrschaft um der Herrschaft willen. Er kann gar nicht anders, denn sein Leib suggeriert ihm, dass er nur als Sieger überleben kann. Er praktiziert die Gewalt der Tat und des Wortes, die auf Vernichtung des Rivalen zielt.

Der Mensch als Leib ist erfüllt von einem unablässigen Streben nach Sicherheit, so dass er ohne Sorge nicht leben kann. Am meisten aber ist er getrieben, unablässig getrieben, vom Streben nach Ruhm.

 

Der Mensch als Leib ist zudem abhängig von allen Einflüssen und Worten und Handlungen, die auf ihn in seiner Kindheit einwirkten. Hatte er eine übermäßig ängstliche Mutter, so wird, ob er will oder nicht, diese Angst vor Krankheit und Tod in ihm leben und das Leben bestimmen. Der Mensch als Leib gedacht, lebt, so er einen autoritären, selbstherrlichen Vater hat, ein Leben in Unterwürfigkeit. Er schätzt und braucht Autoritäten, denen er folgt.

 

Tötet in der Kraft des Geistes die Taten des Leibes!“ Es geht hier nicht, berücksichtig man das gesamte Schrifttum des Paulus, um „Leibfeindlichkeit“ oder eine Geringschätzung unserer körperlichen Neigungen, die uns der Schöpfergott gab. Sehr verkürzt gesagt: Der Apostel will uns nicht die Freude an einer guten Flasche Wein, den Genuss einer festlichen Mahlzeit oder das Glück in der Sexualität nehmen und diskreditieren. Paulus hat mit „Fleisch“ und „Leib“, die es zu überwinden gilt, vielmehr alles im Auge, was unsere, vom Ursprung her gedacht, gute Natur schädigt und zerstört. Die meisten Menschen haben ein sehr genaues Wissen von sich, was Abwege und schiefe Bahn, ein Leben entgegen einem inneren Kompass für sie bedeuten.

 

Was ist demgegenüber ein „Leben im Geist“?

Geist ist hier mehr als Überzeugung und Ansicht oder etwas, das jenseits von Zahlen und Fakten liegt“. Skurril und unberechenbar ist der „Geist“ ganz und gar nicht. „Geist“ ist für Paulus eine Erscheinungsform Gottes. Wie von dem Himmelskörper „Sonne“ das Licht ausgeht, so der Geist von Gott. Er ist überall. Trete ich in dieses „Fluidum“ Gottes hinein, so erwerbe ich eine Energie, eine Fähigkeit, eine Potenz, eine Kraft, die ich ohne diesen Eintritt in den göttlichen spirituellen Raum nie erlangte.

 

Lebt ein Mensch „im Geist“ Gottes, so gewinnt Gott eine solche Bedeutung und Wertschätzung, dass dieser sein Gott an die vorderste Stelle seines Denkens und Fühlens tritt.

Ich bin jetzt bei Gott“ und „ich will nicht weg von Gott“ und „ich öffne mich ganz für Gott“, bestimmen ihn. Er betet um die Gegenwart des Geistes in seinem Leben wie einen Raum, den er betreten kann.

 

Dieses „Leben im Geist“, dieser Eintritt in die Spiritualität, die von Gott kommt, ist nicht einfach zu haben, wie man sich durch eine Yoga-Übung oder Autogenes Training selbst beeinflussen kann.

Das wird von Paulus mit den Worten herausgestellt, dass ein Eintritt in den göttlichen, geistigen Raum über den Weg der Gemeinschaft mit Christus erfolgt. „Sind wir aber Kinder (Gottes), (so sind wir es nur,) wenn wir mit Christus leiden.“ Ohne Selbsthingabe, ohne eine bewusste Selbstaufgabe, ohne die Teilhabe am gekreuzigten Christus, kommt ein Mensch nicht zur „der Kraft des Geistes“. „Lebt ein Mensch im Geist“, so lebt er mit dem gekreuzigten Christus und kreuzigt sich und seine Neigungen. I4I

 

Tötet in der Kraft des Geistes die Werke des Leibes.“ Und zuvor im Galaterbrief: „Wandelt im Geist und ihr werdet das Begehren des Fleisches nicht erfüllen.“

Diese Worte sind wie eine Selbstverständlichkeit nieder geschrieben. Es klingt auch nicht von ferne an, dass es auch anders gehen kann. Dass eine Christin oder ein Christ das nicht realisieren kann und ganz und gar nicht über sich und seinem Fleisch steht, kommt nicht in den Blick. Es gibt nur Sieger, keine Verlierer.

Zwei Anmerkungen seien dazu gemacht.

Ich denke, Paulus beschreibt mit diesen Worten das Ziel, auf das ein Christ immer von neuem zustrebt. Es ist nicht das, was ist, sondern, das, was erstrebt wird. Es ist die Zukunft, zu der hin sich der Christ aufmacht, nicht einfach seine Gegenwart.

Die Gegenwart ist oft genug vom „Sieg des Fleisches“ geprägt. Wir sind keine Glaubensgiganten. Das ändert nichts daran, immer und immer von neuem das Ziel zu suchen und zu erstreben.

 

Und zum anderen ist es ja in jedem Fall die bessere Pädagogik, voll Zuversicht zu glauben, dass ich es „schaffe“. Sage ich, ich schaffe das ohnehin nicht, wird es nicht gehen. Versuche ich mir aber den Optimismus des Apostels zu Eigen zu machen, wird es – wenigstens hier und da – gelingen. Paulus appelliert an uns, seinen Optimismus in Blick auf das, was wir leisten können, zu teilen. Der Blick auf die Niederlagen hilft nicht weiter.

 

Wichtig zum Verständnis des Predigttextes ist letztlich die Passage, wonach in einem „Leben im Geist“ die Worte „Abba, Vater“ gerufen werden. Sie erinnern daran, dass in der Urgemeinde die Getauften nach der Taufhandlung vor der Gemeinde ausriefen: „Abba, Vater“.I5I Das war ihr Bekenntnis und das hieß: ‚Ich habe nun einen Vater im Himmel. Das bekenne ich laut vor euch als Gemeinde. Ich bekenne, dass ich unverrückbar einen Vater habe, der mir meine Schuld vergibt, wenn ich immer wieder in Schuld gelange.’

Abba, Vater.“ ‚Weil das so ist, will ich immer wieder von neuem beginnen, den Weg des Vaters zu gehen.’

 

Ich versuche das eben Gesagte in einem Bild zusammen zu fassen.

Weil es Wind und Wasser gibt, kann ein Mensch ein Segelboot besteigen. Nur der Wind ist es, der den Lauf des Bootes ermöglicht. Ohne den Wind wird er nie den Hafen erreichen, der für ihn bestimmt ist. Der Wind, von dem alles abhängt, ist Gabe und Geschenk.

 

Das Segeln selbst ist harte Arbeit. Sie beginnt damit, dorthin mit dem Segelschiff und seiner Last zu rudern, wo der Wind steht. Ist diese Position erreicht, muss der Segler alles geben, um im Wind und nicht im Windschatten zu bleiben.

 

Kann ich das? Schaffe ich das? Es gibt keinen Segler, der nicht Missgeschicke erleidet und immer wieder nahe am Kentern ist. Viele Tage sind Tage der Niederlagen. Der Segler sollte sich gegen die Bilder der Niederlagen dann erinnern, dass der, Atem Gottes, der sein Boot treibt und führt, der Atem des barmherzigen Vaters ist. Er will nicht, dass der Segler in den Abgrund hinein fährt, sondern den Hafen, in dem er wartet, erreicht.

Zu unserem Guten ist es, sich dem Geist Gottes hinzugeben wie der Segler dem Wind.

 

ANMERKUNGEN

I1I Ernst Käsemann, An die Römer, Tübingen 1974, S.217.

I2I Übersetzung Heinrich Schlier, Der Brief an die Galater, Leipzig 1967, S. 247.

I3I Im Anschluss an die Theologie Günther Baumbachs. Passim in: Josephus, Jesusbewegung und Judentum. Günter Baumbach. Gesammelte Aufsätze. Festschrift zum 70. Geburtstag, Berlin 2005. Ähnlich, nur zurückhaltender, Otto Michel: „Die alttestamentliche Alternative von Tod und Leben (Dt 30,15 und Jer 21,8) wird von Paulus mit dem Kampf zwischen Fleisch und Geist verknüpft.“ Otto Michel, Der Brief an die Römer, Göttingen 1978, S. 259.

I4I Sehr stark von Ernst Käsemann herausgestellt: „An der Herrlichkeit des Kyrios partizipiert allein, wer irdisch an seiner Passion partizipiert hat. … Überwinden können nur, welche dem Fleisch leidend widerstehen. Wo Christus im Geist präsent wird, kann man sich auf gar keine Weise dem Gekreuzigten entziehen.“ Ernst Käsemann, a. a. O., S. 221.

I5I Nach Wilckens, a. a. O., S. 139 und Michel, a. a. O., S. 263.



Pfarrer em. Ulrich Kappes
Luckenwalde
E-Mail: ulrich.kappes@gmx.de

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