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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

14. Sonntag nach Trinitatis, 28.08.2016

Predigt zu Römer 8:14-17, verfasst von Christoph Meyns

Röm 8,14 Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. 15 Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! 16 Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind. 17 Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.

 

 

 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

 

Liebe Gemeinde!

 

I. Von Sklaven und Kindern

So ein Smartphone ist schon eine tolle Sache. Man kann nicht nur damit telefonieren, sondern auch seine Mails abrufen und im Internet surfen. Und dann die vielen Apps: Eine informiert über das aktuelle Wetter, eine andere über Staus, man kann Adressen verwalten, einen Kalender führen, Musik hören, Videos anschauen, Reisen planen Fahrkarten buchen, Zeitungen, Zeitschriften und Bücher lesen uvm.

Klar braucht es auch ein bisschen Pflege, man darf es nicht zu rau behandeln, sonst geht es kaputt, es war ja nicht billig. Da muss man schon aufpassen. Aber das Schöne ist, wenn es alt wird oder nicht mehr so funktioniert, wie es soll, tausche ich es eben gegen ein neues Modell.

Für die Menschen der Antike waren Sklaven so etwas wie ein Smartphone. Man konnte sie vielfältig einsetzen: zum Saubermachen, Kochen, Kinderhüten, im Garten, als Sekretär und Buchhalter, als Kurier, Lagerarbeiter und Landwirt, als Sänftenträger und für die Alten- und Krankenpflege. Klar braucht so ein Sklave auch ein bisschen Pflege, man darf ihn nicht zu rau behandeln, sonst geht er kaputt, er war ja nicht billig. Da muss man schon aufpassen. Aber das Schöne ist, wenn er alt wird oder nicht mehr so funktioniert, wie es soll, tausche ich ihn eben gegen ein neues Modell.

Rund ein Viertel der Bevölkerung Roms waren Sklaven. Es ging ihnen materiell nicht schlecht. Aber die Macht ihres Herrn über ihr Leben war absolut. Seine Sklaven konnte man ohne Folgen misshandeln und töten. Das galt als Sachbeschädigung. Entsprechend war das Lebensgefühl, das Sklaven beherrschte, die Furcht. Furcht vor Bestrafung, wenn man die Erwartungen seines Herrn nicht erfüllte, Furcht vor Willkür, Machtmissbrauch, Vernachlässigung und Gewalt. Furcht davor, von anderen Herrn geschlagen oder getötet zu werden.

Wie anders behandelten die Römer ihre Kinder. Ihnen galt ihre ganze Liebe. Sie hüteten sie wie ihren Augapfel, ließen ihnen die beste Erziehung angedeihen. Sicher waren sie auch streng mit ihnen, aber nur zu ihrem eigenen Besten. In jedem Fall würden sie eines Tages alles erben. Wie anders deshalb das Lebensgefühl römischer Kinder wohlhabender Eltern. Es war geprägt von der Gewissheit eigener Würde und Bedeutsamkeit und von rosigen Aussichten auf eine gute Zukunft.

Ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsste, sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen, Abba, lieber Vater“. Mit diesen Worten führte Paulus der Gemeinde in Rom die typische Situation einer Familie seiner Zeit vor Augen: der Hausherr mit seinen Kindern und seinen Sklaven. Das vertraute Familienbild wird zum Gleichnis für das Verhältnis des Menschen zu Gott im Glauben an Jesus Christus. Nicht wie Sklaven, sondern wie Kinder, nicht mit Gewalt beherrscht, sondern mit Liebe beschenkt, nicht in Angst leben müssen, sondern in Vertrauen und Hoffnung leben dürfen.

 

II. Die Stimmen der anderen und die Stimme Gottes

Es ist gut, an diesem Sonntag daran erinnert zu werden, dass wir uns als von Gott zutiefst geliebt und über die Maßen beschenkt verstehen dürfen. Denn wir hören ja durchaus auch andere Stimmen. Manche Kinder hören von ihren Eltern Sätze wie: „Von mir hast du das nicht“, „das kannst du noch nicht“, „wie siehst du wieder aus“, „so blöd kann man doch nicht sein“, „stell dich nicht so an“, „sieh zu, wie du allein damit zurechtkommst“, „du bist uns nicht wichtig“.

Teenagern machen abwertende Botschaften von Freunden oder Klassenkameraden zu schaffen, Witze auf ihre Kosten, blöde Kommentare in sozialen Netzwerken bis hin zu massivem Mobbing. In manchen Partnerschaften sind es nicht Worte der Liebe, die den Alltag beherrschen, sondern gegenseitige Vorwürfe und Streitereien bis hin zu körperlicher Gewalt.

Für die Wirtschaft sind wir Humankapital, zusammen mit Energie, Material, Geld, Maschinen und Immobilien eines der Mittel, die zur Produktion von Gütern nötig sind. Wir sind nicht um unserer selbst willen interessant, sondern aufgrund unseres Wissens, unserer Fertigkeiten, unserer Leistungskraft. Man pflegt uns wie ein gutes Werkzeug, aber man verfügt auch über uns und wenn das, was wir leisten können, nicht zum Unternehmen passt, werden wir entlassen.

Für die Medien zählen nur die Reichen, die Schönen und die Berühmten. Wer sich nach dem richtet, was sie zeigen, kann sich sowieso nur minderwertig fühlen. Und dann sind da noch die Sätze, mit denen wir uns wie ein gnadenloser innerer Kritiker selbst knechten: „Es hat doch sowieso alles keinen Zweck“, „ich werde das nie schaffen“, „ich bin nicht gut genug“, „ich verdiene keine Wertschätzung“.

Abwertenden, knechtenden Botschaften müssen wir entschieden widerstehen, egal ob wir sie noch aus unserer Kindheit mit uns herumschleppen, im beruflichen Umfeld hören, von Partnern und Freunden, in den Medien wahrnehmen oder in uns selbst. Es gilt, sich der einen Stimme zuzuwenden, die zählt: der Stimme Gottes, wie sie uns in Jesus Christus begegnet, nur ihr zu vertrauen und aus ihr heraus zu leben.

 

 

III. In den Widerstand kommen

Das ist nun einfacher gesagt als getan. Psychologen zeigen in Experimenten regelmäßig, wie abhängig wir von der Meinung anderer sind und wie leicht wir uns von anderen durch Gruppenzwang wider besseres Wissen beeinflussen lassen. Es muss schon viel passieren, bevor wir uns gegen Hänseleien von Klassenkameraden wehren. Es fällt schwer, unseren Arbeitsplatz zu riskieren, auch wenn unser Chef sich als Tyrann aufspielt. Es gehört viel Mut dazu, Freunden zu widersprechen, die sich abfällig über uns äußern. Es ist nicht leicht, sich von einem gewalttätigen Partner zu lösen oder von inneren Selbstzweifeln zu befreien.

Der Liederdichter Paul Gerhardt hat darauf eine überraschende Antwort gegeben. Er wurde 1607 geboren. Der Dreißigjährige Krieg bestimmte von seinem 11. Lebensjahr an bis weit ins Erwachsenenleben hinein sein Leben. Seine Heimatstadt wurde zerstört. Als Student erlebte er den Ausbruch der Pest. Wegen des dauernden Unfriedens braucht er bis zum 36. Lebensjahr, um sein Studium zu beenden, und konnte erst 1651 mit 44 Jahren seine erste Stelle als Pfarrer in Mittenwalde antreten. Die Stadt war schwer getroffen. Sie hatte drei Viertel ihrer Einwohnerschaft durch Krieg, Krankheit und Hunger verloren, von 100 Häusern standen noch 23. Die Menschen waren traumatisiert und hungerten.

In dieser Zeit dichtet er: „Geh aus, mein Herz, und suche Freud / in dieser lieben Sommerzeit / an deines Gottes Gaben; / schau an der schönen Gärten Zier / und siehe, wie sie mir und dir / sich ausgeschmücket haben.“ In den folgenden sechs Strophen beschreibt er, wie die Natur gedeiht, die Vögel singen, die Blumen blühen, die Bächlein rauschen, die Bienen summen, das Getreide wächst und das Wild lebt, als ob nichts gewesen wäre.

Sein Gedicht verbreitete sich in Windeseile im ganzen Land. Die Menschen hörten darin nicht einfach nur das Lob der Natur, sondern eine Anweisung, wo in schwerer Zeit Trost und Kraft zu finden sei. Wenn auch sonst fast alles zerstört ist, so verstanden sie es, in der Natur lässt sich etwas von der Liebe Gottes erahnen. In der 9. und 10. Strophe heißt es dazu: „Ach, denk ich, bist du hier so schön und läßt du’s uns so lieblich geh´n auf dieser armen Erden: was will doch wohl nach dieser Welt dort in dem reichen Himmelszelt und güldnen Schlosse werden. Welch hohe Lust, welch heller Schein wird wohl in Christi Garten sein! Wie muss es da wohl klingen, da so viel tausend Seraphim mit unverdrossnem Mund und Stimm´ ihr Halleluja singen.“

Wir dürfen von Paul Gerhardt lernen, wenn uns die Stimme Gottes fern ist und uns andere Stimmen zu knechten drohen, dann gilt es: Nicht in den vier Wänden vergraben, sondern im Gegenteil, raus an die Natur, unter den freien Himmel, in den Garten, in den Park, an die See, auf die Berge, möglichst weit weg von allem, was mit Menschen zu tun hat, die Nase in den Wind, die Füße ins Wasser, die Hände in die Erde und mit allen Sinnen die Natur in uns aufnehmen.

Indem wir uns intensiv auf die Natur einlassen, durchbrechen wir das innere Kreisen um das, was uns belastet. Wir gewinnen Abstand und kommen wieder neu mit uns selbst in Kontakt. Und wir bekommen eine Ahnung von der Größe und Schönheit Gottes. Wie Jesus in der Bergpredigt sagt: „Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?“

 

IV. Andere sehen

Es ist wichtig, sich nicht unterkriegen zu lassen von den Stimmen, die uns knechten wollen. Denn wir Christen werden gebraucht, um die innere Freiheit, die Hoffnung und Zuversicht, von der wir leben, in unsere Welt einzubringen. Der Geist, der Menschen zu Kindern und Erben Gottes macht, gilt ja nicht nur uns, sondern allen Menschen, egal ob jung oder alt, reich oder arm, klug oder dumm, gesund oder krank, erfolgreich oder gescheitert, bei uns in Deutschland oder anderswo.

Mit den Worten des Paulus vom knechtischen Geist kommen die Menschen in den Blick, die als bloßes Material ausgebeutet werden: die Arbeiter aus Osteuropa in Fleischfabriken und andere Opfer von Arbeitsausbeutung bei uns, Zwangsprostituierte aus Osteuropa, Textilarbeiter in Bangladesh, Haushaltssklaven in Indien, Zwangsarbeiter in den Baumwollfeldern in Usbekistan, Kindersoldaten in Afrika.

Wer gelernt hat, sich selbst als Kind Gottes zu begreifen, kann nicht einfach zusehen, wie Millionen von Menschen ihre Menschenwürde genommen wird, ohne etwas daran ändern zu wollen. Vieles ist hier möglich. Als Privatleute können wir uns im Internet darüber informieren, welche Waren fair gehandelt werden, und welche Firmen notorisch mit Kinderarbeit und Ausbeutung in Verbindung gebracht werden. Wir können Brot für die Welt, Miseror, terre de homme und andere Organisationen bei ihren Projekten gegen Kinderarbeit unterstützen. Wir können uns in einem Eine-Welt-Laden engagieren uvm.

Immer wieder höre ich den Einwand: „Ach, was ändert das schon.“ Bei Albert Schweitzer heißt es dazu: „Alles was du tun kannst, wird in Anschauung dessen, was getan werden sollte, immer nur ein Tropfen statt eines Stromes sein; aber es gibt deinem Leben den einzigen Sinn, den es haben kann, und macht es wertvoll.“ Auch sonst lässt sich über den Einsatz für die Kinder Gottes viel von Albert Schweitzer lernen. Sie können das selbst herausfinden, unter der Internetseite http://www.schweitzer.org, z. B. mit Ihrem Smartphone.

 

Amen.



Landesbischof Dr. Christoph Meyns
Wolfenbüttel
E-Mail: landesbischof@lk-bs.de

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