Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

14. Sonntag nach Trinitatis, 28.08.2016

Sklaven erben nichts
Predigt zu Römer 8:(12-13)14-17, verfasst von Wolfgang Schmidt

Liebe Gemeinde,

 

Immer wenn Jessica von der Kirche nach Hause kommt, hat sie ein schlechtes Gewissen. Eigentlich geht sie gerne am Sonntagmorgen aus dem Haus. Sie liebt den Kirchenbau mit seinen hohen Gewölben und den Malereien aus alten Zeiten. Die Liturgie ist ihr lieb geworden mit den bekannten Texten und Liedern. Doch wenn der Pfarrer auf die Kanzel steigt und zu sprechen beginnt, fühlt sie sich mehr und mehr niedergeschlagen. Seine tiefe Stimme erklingt trotz des Alters noch immer voll in den Kirchenraum hinein und je länger er predigt umso häufiger hebt er den mahnenden Zeigefinger. Des Menschen Schuld und die Mahnung zur Buße sind sein großes Thema Sonntag für Sonntag. Und das verfehlt seine Wirkung nicht. Wenn Jessica von der Kirche nach Hause kommt, hat sie ein schlechtes Gewissen. Und nicht nur sie. Den anderen Kirchenbesuchern geht es ähnlich. Und nicht nur an dem einen Sonntag und nicht nur in diesem Monat oder in diesem Jahr. Seit Jahren und Jahrzehnten geht es schon so in diesem Dorf. Der alte Dorfpfarrer hat mit seiner Theologie und mit seinen Predigten eine ganze Generation von Menschen geprägt. Es war eine katholische Ordensschwester, die mir ihren Kummer darüber einmal erzählte. Es ging um ihr Heimatdorf und sie meinte die Auswirkungen dieser Prägung in der ganzen Lebens- und Glaubensweise ihrer ehemaligen Gemeinde nachvollziehen zu können. Ein Gott, der straft hatte sich in den Köpfen der Menschen niedergelassen. Ein Gott, der unbarmherzig mit jedem ins Gericht geht, hatte mit den Jahren die Herzen der Gemeindeglieder erfüllt. Ein Gott, den man fürchten musste, allmächtig auf seinem Thron. Ein strenger Gott. Sehr, sehr streng!

 

So zumindest war das Bild, das der Pfarrer über Jahre seiner Gemeinde vermittelt hatte. Es sind ja Bilder, über die wir kommunizieren. Es sind ja Bilder, die unsere Vorstellungen formen. Wenn ich Eigenschaften Gottes beschreiben sollte, wie würde das klingen? Bei allen Gemeinsamkeiten würde es dennoch recht unterschiedlich klingen, wenn jeder und jede von uns einmal beschreiben würde, wie er oder sie sich Gott vorstellt, welche Eigenschaften, man ihm zudenken möchte und welche keinesfalls. Jeder und jede hat eine eigene Geschichte mit Gott. Und mehr noch: eine eigene Geschichte mit den Menschen, die mir Gott nahe gebracht haben. Die Eltern, wenn sie mich zur Kirche geschickt haben, Oma und Opa, wenn sie mir etwas aus der Bibel erzählt haben, die Religionslehrerin, der Leiter in der Jugendgruppe, die Ehepartnerin. Viele haben Einfluss genommen auf die Bilder, die Gottesbilder, die sich im Laufe meines Lebens in mir herausgebildet haben und verändert haben.

 

Der heutige Bibeltext rechnet aber darüberhinaus nun noch mit einer anderen Einflussmöglichkeit, mit einer anderen Gestaltungskraft, die auf meine Gottesbeziehung Einfluss nimmt. „Welche der Geist Gottes treibt“, so heißt es zu Beginn des heutigen Predigttextes. Der Geist treibt! Ich will ihnen vom vergangenen Sonntag erzählen. Wir hatten einen Ausflug ins Wadi Kelt gemacht, nach En Prat, und waren die Schlucht etwas ostwärts gelaufen bis wir zu einem natürlichen Badebecken kamen, wo wir uns im Schatten eines Felsens niederließen und das herrlich erfrischende Wasser genossen, das gemächlich dem Jordantal entgegenfließt. Auf einmal ergoß sich wie von Geisterhand gelenkt eine riesige Herde schwarzer Ziegen von den gegenüberliegenden Bergen herab auf uns zu. Weit über hundert Tiere rannten vom Durst getrieben in einer großen Staubwolke die Geröllpfade hinab zum Fluss hinunter, wo sie sich am frischen Wasser labten und nach kaum zehn Minuten wie auf Zuruf sich wieder in der Herde zusammenfanden und erneut aufstiegen, wo sie wenig später hinter einer Bergnase wieder verschwanden. Die Geisterhand zeigte sich bald. Der Viehtreiber, ein Ziegenhirte, der auf einem Esel einherzog und die große Herde ohne viel Aufwand sachkundig auf den richtigen Weg brachte. Er hielt die unsichtbaren Fäden in der Hand.

 

Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder! Paulus spricht von einer einflussreichen Kraft, einer Art Geisterhand, einer sehr wirkmächtigen Realität, von einer Dynamik, könnte man sagen, die mit den üblichen menschlichen Kategorien nicht erfassbar ist. Welche der Geist Gottes treibt... Jeder Drucker braucht einen Treiber, jede Computermaus braucht einen Treiber – ein Kommunikationsmittel, das zwischen dem Computer und dem Gerät für den notwendigen Informationsaustausch sorgt, damit geschieht, was ich will: drucken, schreiben, - was auch immer. Der Treiber wird zum Inbegriff der Wirksamkeit, zum Vermittler meines Willens.

 

Und Ähnliches meint die Bibel im geistlichen, im theologischen Sinne, wenn sie von Gottes Geist spricht, der einen treibt. Wie kommen Gott und Mensch zusammen? Was treibt uns an, ist unser innerer Antrieb, so oder so zu denken, zu handeln, zu reden, zu leben? Wes Geistes Kind bist du?

 

Offensichtlich kann uns Paulus auf diese Fragen eine Antwort geben. Er meint unterscheiden zu können, welcher der Faktoren, die uns bestimmen nun von Gott herrührt und welcher nicht. Denn die Einwirkung, der wir von Gott her unterliegen, macht uns zu seinen Kindern. Das ist der entscheidende Unterschied zu den anderen Geistern. Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. Und hier kann er nun sehr genau beschreiben, was das heißt, wie sich das zeigt, wie sich das auswirkt. Es ist eben wie mit einem Kind und seinem Vater! Eine Beziehung ohne Angst. Voller Zutrauen! Rundum verlässlich! Erfüllt von Zuneigung, von Liebe. „Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet, sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater!“

 

Zu den schönsten Geschichten der Bibel gehört für mich die Erzählung vom verlorenen Sohn. Sie erinnern sich vielleicht an die beiden Brüder, von denen der eine die Freiheit sucht. Er lässt sich das Erbe ausbezahlen und macht sich zuhause aus dem Staub um das Leben zu suchen. Nach vielen Jahren kehrt er zurück in sein Vaterhaus - als ein Gescheiterter. In den Armen des Vaters findet er die Liebe wieder, die ihm schon immer galt. Keine Vorhaltungen macht ihm der Vater. Kein Zeigefinger, der mit ihm ins Gericht geht. Das Kind kehrt heim zum Vater.

 

Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet, sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater!“

Paulus stellt die Kindesbeziehung der Knechtsbeziehung gegenüber. Das Kind hat einen Vater. Der Knecht hat einen Herrn. Der Knecht ist nach damaligem Verständis der Sklave. Wenn er nichts mehr taugt, verkauft ihn der Herr. Sklaven kauft man und verkauft man, wie einen Tisch oder einen Schrank. Sklaven haben im schlimmsten Fall eine Kette am Fuß, damit sie nicht weglaufen. Freiheit ist ein Fremdwort. Wer nicht gehorcht, bekommt es zu spüren. Die Angst vor dem allmächtigen Herrn und seinen Aufsehern ist dem Sklaven in Fleisch und Blut übergegangen.

 

Ist Gott ein solcher für mich? Muss ich ihn fürchten? Muss ich Angst haben? Schränkt er mich in meiner Freiheit ein und macht sein Wohlwollen von meinem Gehorsam abhängig? Seien Sie gewiss, liebe Gemeinde, wer immer ihnen das eingegeben haben sollte – es war gewiss nicht der Geist Gottes. Viele Geister wirken auf uns ein, auch und gerade in religiösen Dingen. Aber welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder, heißt es. ...die sind frei, wie der verlorene Sohn ihren Weg zu gehen und Fehler zu machen ohne die Liebe des Vaters zu verwirken. Die dürfen vertrauen und ihren Vater im Himmel „Papa“ nennen ohne die Rute fürchten zu müssen. „In der Liebe ist keine Furcht, vollkommene Liebe vertreibt alle Angst!“ So sagt der 1. Johannesbrief (4,18). Der Vater im Himmel ist Liebe.

 

Nun gibt es natürlich auch gute Herren und schlechte Väter. Nichts ist immer eindeutig. Und gewiss möchte ich lieber einem guten Herrn angehören als einem schlechten Vater. Aber der Gedanke der Kindschaft ist ja für Paulus noch wegen einer anderen Sache wichtig. Es geht dabei um die Verbindlichkeit der Beziehung und um ihre Zukunft. Wie gesagt: den Sklaven kauft man und verkauft man. Die Beziehung zu seinem Herrn ist eine unverbindliche. Anders das Kind. Das Kind und sein Vater – diese Beziehung ist unauflöslich – ja, nicht nur im Leben, sondern auch darüber hinaus. „Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben.“ Beim Erben geht es um ein Recht, das der Einzigartigkeit dieses Verwandschaftverhältnisses entspricht: Das Recht der Kinder am Vermächtnis des Vaters. Grundstücke, Häuser, Gold, Aktien, Geld? Der Erbe weiß schon heute, was ihm in der Zukunft zusteht. Heute reden wir von einem solchen Vermächtnis: Gottes Vermächtnis an uns. Und was ist das? Es ist das Leben, liebe Gemeinde! Es ist nicht Geld und Gold, es ist Leben in Ewigkeit! Zur Erbengemeinschaft der Kinder Gottes gehört als erster und berühmteste Erbe Jesus Christus. An ihm kann man sehen, wie es geht mit dem Vermächtnis Gottes für uns. So nämlich: mit ihm leiden und daraufhin mit zur Herrlichkeit erhoben werden. Herrlichkeit ist ein anderer Ausdruck für das ewige Leben. Gottes Kinder erben das ewige Leben! Und Jesus ist so etwas wie das Modell dieses Erbfalls, das für die gesamte Erbengemeinschaft gilt: durch den Tod ins ewige Leben.

 

Lasst euch also treiben vom Geist Gottes, der euch zu Kindern des himmlischen Vaters macht auf dass ihr das ewige Leben erbt! Alle Geister aber, die euch Angst machen und die euch unfrei werden lassen – die weist stets entschieden zurück.



Propst Wolfgang Schmidt
Jerusalem
E-Mail: propst@redeemer-jerusalem.com

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