Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

17. Sonntag nach Trinitatis, 18.09.2016

Predigt zu Römer 10:9–17, verfasst von Dietz Lange

 

Liebe Gemeinde! Diejenigen unter Ihnen, die Eltern sind, werden sich erinnern können an die Zeit, als Ihre Kinder so um die sieben Jahre alt waren. Damals hörten sie auf, an den Weihnachtsmann und an den Osterhasen zu glauben. Sie kamen in das realistische Lebensalter, wie man das nennen könnte, in das Alter, in dem sie nur noch das glauben, was man sehen und anfassen kann. Bald kann man ihnen dann auch keine Märchen mehr vorlesen, denn das ist ja „Kinderkram“. Eltern nehmen das mit einem lachenden und einem weinenden Auge wahr: Einerseits sehen sie daran, dass das Kind allmählich groß und vernünftig wird. Andererseits ist es auch irgendwie schade, wenn so vieles, was uns an dem kleinen Menschlein Freude gemacht hat, nun unwiderruflich vorbei sein soll.

Nicht wenige Leute sehen den christlichen Glauben auf der gleichen Ebene wie den Glauben an Weihnachtsmann und Osterhasen. Es sind ja schöne Geschichten, die da in der Bibel stehen, sagen sie wohl, und wir möchten sie auch nicht missen. Aber all die vielen Wunder, die sind doch ganz unwahrscheinlich. Das sind eher Märchen für Kinder, die noch keine sieben Jahre alt sind, so meinen sie. Und dann erst die Geschichte, dass Jesus, der am Kreuz gestorben war, plötzlich wieder lebendig geworden sein soll – nein, das kann doch ein erwachsener Mensch nicht glauben, schon gar nicht wenn er das Sterben eines lieben Angehörigen miterlebt hat. Aber dann kommt Paulus und setzt noch eins drauf: Man soll das sogar von ganzem Herzen glauben, schreibt er. Nun ja, das ist eben bald 2000 Jahre her.

Einspruch: Das geht entschieden zu schnell. Natürlich verlangt niemand von uns, dass wir wieder an den Weihnachtsmann glauben sollen. Ebenso wenig brauchen wir uns vorzustellen, dass Gott heute die Natur nach bestimmten Gesetzen regiert, die er dann morgen ganz willkürlich über den Haufen wirft.

Aber hat er nicht genau das getan, wenn er Jesus auferweckte? Das könnte man denken. Doch es müsste uns schon stutzig machen, dass nirgends im Neuen Testament der Vorgang der Auferstehung beschrieben wird. Paulus selbst sagt darüber nur, dass der Auferstandene den Jüngern und ihm selbst erschienen sei. Nichts Näheres. Gemeint ist wohl: Ihm ist ein Licht aufgegangen, dass Jesus von Gott aufgenommen ist. Gott hat sein Lebenswerk bestätigt, er steht zu ihm. Und das bleibt nicht ohne Wirkung. Der auferstandene Christus ist geistig mitten unter uns. Durch ihn haben wir Zugang zu Gott. Sehen können wir Gott nicht, das stimmt. Aber wir sind doch auch keine siebenjährigen Kinder mehr. An Christus, der in der Geschichte wirklich gelebt hat, können wir erkennen, wie Gott uns gegenüber gesinnt ist.

Das ist mehr als bloß an ihn zu denken, mehr auch als ein Gefühl. Dass Christus uns die Tür zu Gott aufschließt, das bewegt uns dazu, uns fest auf diesen barmherzigen Gott zu verlassen, uns ihm restlos anzuvertrauen. Das aber können wir nur so tun, dass wir ihn ansprechen, zu ihm beten. Auch wenn er uns nicht immer unsere Wünsche erfüllt: Er macht uns reich auf seine Weise, indem er uns Lebensmut und Lebenskraft schenkt. So sich beschenken zu lassen, das ist Glauben.

Mit dem Herzen glauben, das heißt also nicht, dass wir den Verstand an der Kirchentür ablegen und nachher unberührt mit nach Hause nehmen sollen. Unser ganzes Vertrauen auf Gott setzen, darauf vertrauen, dass wir durch Jesus Zugang zu Gott selber haben, dafür brauchen wir den Verstand gar nicht abzuschalten. Wir tun das nicht auf blauen Dunst hin, sondern, wie Paulus schreibt: Der Glaube kommt aus dem, was wir hören, aus der christlichen Predigt. Dabei ist nicht der Prediger wichtig. Es muss nicht einmal ein kirchlicher Amtsträger sein, sondern nur ein Mensch, der selber innerlich von Gott ergriffen ist. Der Glaube kommt aus dem Gehörten, und er wird ganz handgreiflich unterstützt durch die gemeinsame Teilnahme am Sakrament, das wir nachher zusammen feiern werden.

Freilich macht Paulus sich dann gleich selbst einen Einwand. „Nicht alle haben auf das Evangelium gehört.“ Schon der Prophet Jesaja hatte geklagt: „Herr, wer glaubt denn unserem Predigen?“ Das ist also nichts Neues. Paulus hat damals wohl vor allem an seine jüdischen Landsleute gedacht. Die konnten sich zum großen Teil nicht vorstellen, dass dieser einfache Wanderprediger Jesus tatsächlich im Auftrag Gottes zu ihnen sprach. Heute ist Jesus für viele Menschen so weit in die Vergangenheit entrückt, dass er mit unserer modernen Welt scheinbar gar nichts mehr zu tun hat. Wir haben uns schon fast daran gewöhnt, dass immer weniger Menschen unsere Glaubensüberzeugung teilen. Ist die Zeit des Christentums vorbei? Sollen die Ratten das sinkende Schiff verlassen?

Nein, zur Panik besteht kein Anlass. Einmal ist es so, dass in anderen Teilen der Welt die Zahl der Christen wächst, zum Teil sogar rasant. Zweitens hängt Gottes Wahrheit nun wirklich nicht an der Zahl der Menschen, die sie glauben. Wie viele Leute glauben den Unsinn, den manche Parteien im Wahlkampf verbreiten – werden deren Parolen dadurch wahr? Und wie viele Menschen glauben an irgendwelche finsteren Verschwörungstheorien – sollen wir ihnen die abkaufen, bloß weil sie so viele sind? Man kann sogar fragen, ob es denn überhaupt eine Zeit in der Geschichte gegeben hat, die man als durch und durch christlich bezeichnen kann. Zeiten, in denen die ganze Bevölkerung eines Landes zur Kirche gehört hat, ja, die gab es, aber wir wissen nicht, wie viel davon auch nur Konvention gewesen ist.

Auf alle Fälle ergreift Gott durch Jesus auch heute die Herzen von Menschen, so dass sie „von Herzen glauben“, wie Paulus das genannt hat. Und ich denke, wir möchten uns dazurechnen. Natürlich haben wir auch unsere Fragen. Als erwachsene Menschen sind wir gewohnt zu prüfen, bevor wir uns auf etwas wirklich einlassen. Und wenn uns das Leben arg mitspielt, dann ist auf einmal nichts mehr selbstverständlich, dann steht alles noch einmal auf dem Prüfstand. Das ist normal. Und doch verlangt der Glaube auch dann keine unnatürlichen Klimmzüge von uns. Gott ist uns nahe, selbst wenn wir meinen, er sei weit weg und vielleicht überhaupt nicht mehr da. Er schenkt neue Gewissheit, auch wenn es manchmal eine ganze Weile dauert.

Und noch ein letzter Punkt. Paulus schreibt, dass zum Glauben mit dem Herzen auch das Bekennen mit dem Mund gehört. Das zu akzeptieren fällt vermutlich vielen von uns nicht leicht. In unserer Kultur ist Religion, der Glaube, weithin zur Privatsache geworden. Darüber zu sprechen ist auch vielen sehr bewussten Christen ausgesprochen peinlich. Es erscheint uns einfach zu intim. Soll doch jeder nach seiner Fasson selig werden, wie der Alte Fritz schon vor zweieinhalb Jahrhunderten gesagt hat. Das war mit Sicherheit zur Zeit des Paulus ganz anders. Auch damals gab es schon wie heute viele Religionen, und die Christen waren entschieden in der Minderheit. Aber über Religion zu sprechen war damals natürlich. Allerdings für die Christen war es gefährlich. Zwar wurden sie in dieser frühen Zeit noch nicht verfolgt. Aber Schikanen und Mobbing waren sie durchaus schon ausgesetzt. Also wo wir an Peinlichkeit denken, da mussten die Menschen damals wirklich ungemütliche Situationen befürchten. Trotzdem schreibt Paulus: Ohne Bekennen mit dem Mund kann man kein Christ sein.

Mancher denkt vielleicht trotzdem: Ich lasse das lieber bleiben, weil ich doch gar nicht weiß, wie man sich da korrekt ausdrückt. Aber was heißt „korrekt“? Wir haben keinen Papst, der uns da Vorschriften macht. Wir haben die Bibel, in der viele Christen auf ganz unterschiedliche Weise beschreiben, was Christus für sie bedeutet. Und wir sind eine Gemeinde, in der wir uns austauschen können. Wir alle geben uns redliche Mühe, für unseren Glauben angemessenen Ausdruck zu finden. Aber niemand von uns ist da perfekt, auch der gelehrteste Theologe nicht. Darauf kommt es auch gar nicht an. Sie kennen alle das Sprichwort: Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Was heißt Sprichwort? Jesus hat das einmal gesagt! Man kann einen Menschen, der an ihn glaubt, mit jemandem vergleichen, der verliebt ist. Zuerst möchte er das vielleicht als Geheimnis für sich behalten. Aber auf Dauer gelingt ihm das nicht. Irgendwann drängt es ihn, anderen von seinem Glück zu erzählen. Gewiss geht die Gemeinsamkeit von da an auch durch ihre Höhen und Tiefen. So ist das mit dem Glauben auch. Aber er bricht auch wieder durch. Und dann gibt es keinen überzeugenden Grund, den Mund zu halten.

Amen.



Prof. Dr. Dietz Lange
37083 Göttingen
E-Mail: dietzclange@online.de

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