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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

18. Sonntag nach Trinitatis, 25.09.2016

Luft zum Atmen
Predigt zu Römer 14:17-19, verfasst von Eberhard Busch

Die westfälische Liederdichterin Marie Schmalenbach hat ein Gebet verfasst, nach dem wir darum bitten mögen: „dass uns werde klein das Kleine und das Große groß erscheine“. Wie oft geht es umgekehrt bei uns! Da wird uns das Unwichtige riesig wichtig, und das wirklich Wichtige wird uns zur Nebensache, zu einer Quantité négligeable, wie die Franzosen sagen, zu einer Sache, die man vergessen kann. Wo das geschieht, da ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass uns das jeweils Notwendige nicht mehr an der ersten Stelle steht. Da haben wir allen Anlass, darum zu beten, „dass uns werde klein das Kleine und das Große groß erscheine.“ Gewiss, nicht alles angeblich Große ist beachtlich, und nicht alle scheinbaren Kleinigkeiten sind belanglos. Wiederum ist es ein guter Rat, was Jesus gegen Verblendete bemerkt, die „Mücken durchsieben und Kamele verschlucken“ (Mt 23,24), modern gesprochen: die weiße Hemdkragen tragen und Atombomben bauen.

Paulus schreibt: „Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken.“ Das streicht ja nicht durch, was Jesus im Gleichnis vom verlorenen Sohn nach dessen Heimkehr sagt: „Lasset uns essen und fröhlich sein!“ (Lk 15,23). Vielmehr wendet sich der Apostel hier gegen eine Spaltung in der Christengemeinde, in der die Einen alte Speisevorschriften befolgen und Andere nicht. Und er ermahnt nun alle Seiten, deswegen nicht auseinander zu laufen oder gegeneinander zu streiten. Er bittet sie nun eben, dass euch „werde klein das Kleine und das Große groß erscheine.“ Wenn euch das wirklich Wichtige wichtig und groß ist, das worauf es ankommt im Leben und im Sterben, so wird euch das Unwichtige als zu klein erscheinen, um deswegen im Unfrieden zu leben. Dann könnt ihr Rücksicht aufeinander nehmen. Dann wird es euch ein Leichtes sein, den Zartbesaiteten kein Ärgernis zu bereiten.

Was das Evangelium gegen unsere Kleingeisterei, stellt ist das Eine: Freiheit. Im zweiten Korintherbrief steht der Grundsatz: „Wo der Geist des Herrn, da ist Freiheit.“ Wo uns das Große groß ist und das Kleine klein, da sind wir aus verkehrten Bindungen befreit. Da haben wir Luft zum Atmen, Luft zum Aufatmen. Da sind wir beurlaubt sogar von der verlockenden Unfreiheit, von der die Dichterin Marie Ebner-Eschenbach geschrieben hat: „Die glücklichen Sklaven sind die größten Feinde der Freiheit.“ Demgegenüber schrieb der Basler Theologe Karl Barth: Wo der Geist des Herrn weht, da nimmt uns auch sein Gebot nicht die Freiheit, sondern da ist sein Gebot die „Gewährung einer ganz bestimmten Freiheit“. Es „wird den Menschen nicht zwingen, sondern es wird die Tore des Zwangs, unter dem er gelebt, sprengen.“

Die Freiheit, die da lebt, wo „der Geist des Herrn“ weht, ist dabei nicht zu verwechseln mit irgendeiner Willkür und Beliebigkeit. Sie ist keine grenzenlose Freiheit. Sie ist gebunden an den guten Willen dessen, der zu Recht „Herr“ genannt wird. Sie ist daher nicht bloß eine Freiheit von dem, was uns Ketten auferlegt. Sie ist vielmehr eine Freiheit zu einem bestimmten Tun, zu einem Tun im Einklang mit diesem „Herrn“. Der Apostel sagt uns: „Das Reich Gottes ist Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist.“ Um dieses Dreifache zu verstehen, blicken wir eben auf ihn, den da so genannten Herrn. Wer ist er?

Es ist der Heiland, der Meister, der Befreier, der Menschen in seinen Dienst ruft. Es ist der Herr, der selber als ein Diener unter die Menschen getreten ist und noch heute so unter sie tritt. Er ist es, der im Gleichnis von einem Pharisäer und Zöllner uns vor Augen malt, was Gerechtigkeit heißt (Lk 18,9-14). Jener Erstere zählt selbstgerecht auf, was für ein guter Mensch er ist, und der Letztere stand von ferne und schlug an seine Brust: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Doch Jesus erklärt diesen Zöllner für gerechtfertigt, und Jesus kann das tun, weil er am Karfreitag für die Sünder sein Leben eingesetzt hat. Das unterstreicht das Wort, das für heute in den Herrnhuter Losungen steht aus Titus 2: „Unser Heiland Jesus Christus hat sich selbst für uns gegeben, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit.“ Denn „er ist gerecht, ein Helfer wert“, wie es im Liede heißt.

Derselbe hat sich an Ostern den Seinen gezeigt mit einem freundlichen Schalom-Gruß: „Friede sei mit euch.“ Und damit sie es behalten und nicht vergessen, hat er es gleich drei Mal wiederholt (Joh 20,19.21.26). Weil Christen es sich angewöhnt haben, diesen Friedens-Gruß auch so oft zu vergessen oder in Klammern zu setzen, darum müssen sie sich angewöhnen, dagegen anzusingen: „Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende.“ Der diesen Frieden gebracht hat, wird in einem Lied „Friedefürst“ genannt. Sein Friede ist nicht von uns gemacht, aber wir haben der Gültigkeit dessen Respekt zu verschaffen. Sein Friede ist das Gegenteil von Grabesruhe. Er ist das glückliche Leben im Miteinander.

Und Jesus ist nicht von den Seinen zu seinem himmlischen Vater gegangen, ohne ihnen die schöne Verheißung zu hinterlassen: „Eure Traurigkeit soll in Freude umgewandelt werden“ (Joh 16,20). Gemeint ist nicht die ausgelassene Freude, der wir uns zuweilen hingeben, um all den Stress und das uns Widrige zu vergessen. Gemeint ist die Freude, die stark genug ist, Trauer zu überwinden. Es ist die Freude, in der nicht verdrängt, sondern gesehen ist, was uns Kummer gemacht hat. Es ist die Freude, von dem der Apostel schreibt: „Freut euch in dem Herrn allezeit“ (Phil 4,4), in hellen wie in dunklen Tagen. Es ist die Freude, nach der das letzte Buch der Bibel ausblickt: wenn Gott bei den Seinen wohnen wird und wenn er abwischen wird alle Tränen von ihren Augen (Offb 21,3f.)

Aber wer sind die Seinen, von denen jetzt ein paar Mal die Rede war? Wer gehört denn wohl dazu? Fragen wird besser: Wer gehört etwa nicht dazu? Unser Gott denkt doch nicht so kleinlich und nicht so ausschließlich, wie wir oft dazu geneigt sind. Wie Jesus von ihm gesagt hat, „er lässt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten“ (Mt 5,44). Er liebt die Nahen und liebt die Fernen. Ihm sind unsere Freunde wertvoll und genau so die uns Fremden. Glauben wir an ihn, so können wir nicht trennen zwischen denen, über denen er seine Sonne aufgehen lässt. Da dürfen wir nicht engherzig und beschränkt denken, sondern haben darum zu beten, dass uns die Größe seiner Güte groß erscheine.

Sind sie alle die Seinen: die Nahen und die Fernen, die Bösen und die Guten, so lässt er dabei nicht alle seinem Tun und Wirken bloß zuschauen. Er ruft sie in seine Nachfolge. Er schaut dabei weit über seine damaligen Zeit hinaus, zu den Menschen der anderen Zeiten. Er kann sie alle brauchen. Er kann auch uns brauchen. Ist er, der Hohe und Große, als Diener unter uns getreten und hat er als ein solcher unter uns allen gewirkt, so will er uns in Bewegung setzen, uns ihm anzuschließen. Und daher sagt er es seinen Jüngern und sagt es uns (Mt 20,26-28): So wie er selbst „nicht gekommen ist, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene“, so soll es auch bei ihnen und bei uns sein: „so jemand will unter euch gewaltig sein, der sei euer Diener“.

Was sollen wir denn tun in seinem Dienst? Wir haben ja vorhin von seiner wunderbaren Vorgabe gehört, dass er das Dreifache schon herbeigeführt hat, was der Apostel nennt: Gerechtigkeit, Friede und Freude – Gerechtigkeit für die Sünder, für die er sein Leben gegeben hat, und österlichen Frieden für die desorientierten Jünger, und Hoffnung auf Aufrichtung all der Bekümmerten und Mutlosen. Und nun hören wir, was Paulus ihnen und uns zuruft. Nun folgt ihm nach! Bei eben dem, was er auf diesen drei Linien getan hat, dürfen und sollen wir uns anschließen und Entsprechendes tun. Der Geist dieses Herrn beflügelt uns dabei. So dass wir nicht mehr fragen: „Wie hätte ich es gern?“, sondern vielmehr bekennen: Danke, dass du uns dabei haben willst und dass du uns dazu die Luft zum Atmen gibst!

Paulus schreibt in unserem Predigttext eben von solchen, die Christus „dienen“. Und zwar darum geht es, dass wir ihm dienen in der Verantwortung für Gerechtigkeit, Frieden und Freude. Wir tun nicht das, was Christus vollbracht hat Aber wir dienen ihm dabei. Wir streben dem nach. Und wir richten nicht das Reich Gottes auf, aber wir tragen dabei zur „Besserung“ im Leben der Menschen bei (V19). Und das können wir, bitte, auch tun.

Nämlich dann bemühen wir uns um Förderung von Gerechtigkeit, und zwar so, dass wir bereit sind zum Teilen mit Anderen. Wir geben dabei ab, damit es ihnen zugute kommt. Wir verzichten, damit Bedürftigen geholfen wird. Unsere Hände öffnen sich, damit sich die Hände Armer füllen. Und zugleich bemühen wir uns um Frieden, werden Friedensfreunde sein, und tun das mit dem Ziel, dass ein verträgliches Miteinander entstehe, ein Zusammensein, bei dem wir uns auf unsere Mitmenschen verlassen können und bei dem wir selbst verlässlich sind für die Anderen. Und das alles tun wir mit Freude, sagt uns Paulus, auch wenn wir dabei einiges zu schlucken bekommen. Doch tun wir es nicht mit Seufzen, sondern tun es gerne, teilen gern und sind gern im Frieden beisammen. Darin zeigt sich, dass wir Christus dienen. Er stehe uns dazu bei. Amen.



Prof. Dr. Eberhard Busch
Friedland
E-Mail: ebusch@ gwdg,de

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