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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

18. Sonntag nach Trinitatis, 25.09.2016

Gesetz oder Evangelium
Predigt zu Römer 14:17-19, verfasst von Reiner Kalmbach

Die Gnade Gottes unseres Vaters, die Liebe Jesu unseres Herrn und die lebensspendende Kraft des Heiligen Geistes seien mit uns allen. Amen.

 

Liebe Gemeinde,

 

Wenn jemand eine Reise tut, dann kann er was erleben...“, wir alle kennen diesen Satz und wir haben es schon an uns selbst erlebt. Und dies gilt nicht nur für Urlaubsreisen, sondern auch, wenn wir andere Gemeinden, oder Kirchen besuchen. Im Laufe eines Jahres komme ich viel herum in unserer Diasporakirche in Argentinien. Viele kleine Gemeinden verstreut über das ganze riesige Land. Da kann es dann schon passieren, dass ich mich frage, wie es denn sein kann, dass diese (oder jene) Gemeinde zur gleichen Kirche gehört. Manchmal könnte man meinen, dass es die Tradition ist, die (noch) alles zusammen hält, dann wieder wird strengstens auf die Buchstabengläubigkeit geachtet. An einem anderen Ort steht die Spiritualität im Mittelpunkt und in den Gottesdiensten geht es in erster Linie um Lobpreis und Anbetung.

Und wie sieht es bei uns aus, in unserer eigenen Gemeinde? Offen ist sie, will sie sein, für alle Menschen. Man könnte sagen, sie ist „missionarisch“. Deshalb wächst sie auch, es geschieht immer öfter, dass ich im Gottesdienst neue Gesichter sehe. Wie schön!, ein Grund zur Dankbarkeit! Aber: es ist auch eine grosse Herausforderung. Jedes neue Gemeindeglied bringt seine eigene Geschichte mit, seine Glaubensvorstellungen, sein Gottesbild, sein Bibelverständnis, seine Tradition..., da stellt sich natürlich die Frage der Integration.

 

In unserem Land gibt es mehrere tausend verschiedene christliche Kirchen, die meisten nennen sich evangelisch. Woher kommt das?, worin unterscheiden sie sich? Im Grunde haben die meisten dieser Kirchen etwas gemeinsam: ihre Gesetzlichkeit. Es geht also immer wieder um die alte, ja „ewige“ Frage: was muss ich tun, um...? Bewusst, oder unbewusst, irgendwie steckt das in uns drin: der Himmel ist nicht kostenlos. Um da hinein zu kommen, bedarf es einiger Anstrengung.

Immer wieder begegne ich Menschen die in der Angst leben, ihr Verhalten, ihre „Verfehlungen“ könnten sie von Gott entfernen. Ihre Glaubenspraxis besteht aus der peinlichen Einhaltung bestimmter Regeln, die sich in der Gemeinde als Traditionen äussern.

Und so verwechseln wir Tradition mit Glaube und setzen, anstelle des Evangeliums, das Gesetz.

Es stimmt, das Gesetz verleiht uns ein Gefühl der Sicherheit, es will uns vor Fehltritten bewahren. Und wo es ein Gesetz gibt, ist die Strafe nicht weit und somit die Angst vor der Strafe, vor dem strafenden Gott.

Das Wort das uns für heute gegeben ist, will uns auf den „richtigen“ Weg bringen. Es geht um die entscheidende Frage: Was ist das Reich Gottes?

 

Textlesung: Römer 14, 17 – 19

 

Was ist das Reich Gottes?

  1. weniger ich – mehr Gott

 

Es ist klar, dass Paulus eine ganz bestimmte Situation im Hinterkopf hat, dass er die Adressaten seines Briefes auf ein Problem aufmerksam machen will. Wir sollten diese Frage auf uns und in uns wirken lassen: was haben unsere Gewohnheiten, unsere Traditionen, unser Bibelverständnis, unsere Art den Gottesdienst zu feiern..., mit dem Reich Gottes zu tun?

Paulus definiert die Antwort in drei Worten: Gerechtigkeit, Friede und Freude...in dem Heiligen Geist. Im Alten Testament lesen wir, dass der Friede die Frucht der Gerechtigkeit ist. Und da beginnen schon die Schwierigkeiten: Frieden hat mit Versöhnung zu tun. Wer einmal versucht hat zwei Menschen, oder zwei zerstrittene Parteien, miteinander zu versöhnen, weiss, wie schwer das ist. Da werden Bedingungen gestellt, neue Verhaltensweisen gefordert, da wird schmutzige Wäsche gewaschen, schon verheilte Verletzungen brechen wieder auf. Warum ist das so?, weil „ich“, und mein „ego“, immer im Zentrum stehen. Ich bin der Ausgangspunkt, an mir und meinem Denken soll alles gemessen werden. Und der andere denkt ebenso..., ein „Teufelskreis“ entsteht, aus dem wir nur schwer ausbrechen können. Und ganz schlimm wird es, wenn andere Menschen durch mein Handeln, Denken, Reden... ausgegrenzt, verletzt, gedemütigt werden.

Gott handelt ganz anders, Er beendet die Feindschaft mit uns auf ganz andere Weise. Er kommt wehrlos zu uns, ins Lager der Feinde, der Aufrührer. Er allein nimmt jegliches Risiko auf sich. Ganz einseitig beendet er den Konflikt, mag dabei herauskommen, was da will. Und er hält diese Linie bis Karfreitag durch!, unbeirrbar hält er fest an seinem Versöhnungs-und Friedenswillen, ein für allemal! Vorleistungen, Bedingungen von unserer Seite? Nichts! Er lässt uns – die Feinde -, seine Freunde sein. Das ist für uns schwer zu verstehen. Es hat so gar nichts mit unserem Denken zu tun, mit unserer Art Konflikte und Probleme zu lösen.

Aber das ist Gnade! Das ist Evangelium!

Deshalb: das Evangelium predigen kann niemals an Bedingungen geknüpft sein. Das Evangelium steht über den Dingen, über Traditionen und Gewohnheiten, ja sogar über unseren Moralvorstellungen!

 

  1. Gerechtigkeit, Friede und Freude in mir

 

So richtet Gott sein Reich auf, indem er schutzlos auf uns zu kommt. Und so gibt es Leben, so dürfen wir endlich leben, so darf ich leben! Was immer geschehe, es wird ja, es ist schon alles gut! So hat Gott seinen verlorenen Menschen – mich – wiedergewonnen.

Unsere Begegnung zu ihm? NEIN! Seine Begegnung zu uns. So haben wir Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist. Gott lebt und wirkt in uns, in mir. Deshalb sagt Paulus: das Reich Gottes besteht nicht aus Essen und Trinken, aus Fasten oder bestimmten Verhaltensweisen, es besteht überhaupt nicht in menschlichen oder kirchlichen Praktiken, sondern in dem, was unser Gott selbst für uns getan hat, tut und tun wird.

Wenn wir an das Reich Gottes denken, dann wird unser menschliches Tun, unsere Gemeindewachstumsstrategien, die modernen oder traditionellen Liturgien, unser persönlicher Lebensstil, ja sogar unsere politische Einstellung, das alles wird verschwindend klein. Im Klartext: angesichts des Reiches Gottes – das ja auf uns zu kommt -, und in uns Wohnung nehmen will, sollten wir uns, unser Denken und Urteilen nicht mehr so wichtig nehmen..., und so –und nur so!-, wird der Weg frei zur Versöhnung mit dem Nächsten.

Was heisst das denn: Gerechtigkeit, Friede und Freude in dem Heiligen Geist? Gott will in uns – um Christi willen -, keine Sünder sehen: zwischen Gott, dem Richter, und uns/mir steht das Kreuz! Kann ich das so annehmen?

Warum fallen wir immer wieder in das Gesetzesdenken zurück?, weil es uns an Vertrauen in Gottes Handeln in und an uns mangelt. Wir beharren auf unserem Recht, wir rechtfertigen uns selbst, wir vergeben einander nicht, weil wir nicht gelten lassen wollen, dass uns bereits vergeben ist!

Wie könnte sich in unserem Alltag der Krampf, die ganze Verspannung lösen, wenn wir nur noch aus der unverdienten Liebe Gottes lebten!

 

Und damit....

 

  1. Gerechtigkeit, Friede und Freude mit dir...

 

Gottgefällig leben, d.h. doch, aus Gott heraus leben. Luther würde sagen: „aus Gnade“, und das bedeutet, den anderen annehmen, so wie er ist.

Es gibt keine uniformierte Christenheit, es gibt nicht die „eine“ Art zu glauben, sondern nur die jeweils persönliche Art (zu glauben). Gesetzlichkeit zertrennt. Wenn wir den Glauben des anderen in Frage stellen, nur weil er eben anders ist, dann verurteilen wir ihn und stellen uns selbst über ihn.

Es gibt so viele „Christentümer“, wie es Christen gibt, aber es gibt nur einen Christus! Die Unterschiede mögen für uns Menschen ins Gewicht fallen, vor Christus gelten sie nicht. Was uns alle verbindet ist, dass jeder auf seine Weise „dem Herrn“ lebt und das, was er tut, aus der Verbundenheit mit ihm tut. Das Reich Gottes ist Freiheit, keine Angst, keine Dunkelheit, Reich Gottes ist: Gerechtigkeit, Friede und Freude sind möglich.

Nur wer unter dem Gesetz lebt verlangt Gleichförmigkeit. In unsere Gemeinde kommen Menschen aus verschiedenen Traditionen. Gelingt es uns, all diese Verschiedenheiten zu achten?, d.h. die anders Denkenden und Handelnden als Jünger desselben Meisters zu erkennen? Erst dann sind wir Schwestern und Brüder in dem einen Herrn.

 

Die Gemeinde ist das Übungs-und Bewährungsfeld der Liebe. Der bedingungslosen Liebe! Die Liebe hat es leicht, wenn sie weiss, dass Christus den anderen, so wie er ist, geliebt hat, längst ehe ich ihn lieben konnte.

 

Amen.

 



Pfarrer Reiner Kalmbach
8370 San Martin de los Andes, Patagonien – Argentinien –
E-Mail: reiner.kalmbach@gmail.com

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