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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

20. Sonntag nach Trinitatis, 09.10.2016

Predigt zu Matthäus 21:28-44 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Christian Grund Sørensen

Sind wir vielleicht wie der Sohn, der alles hatte, aber nicht hinaus aufs Feld ging? Oder ist der Weinberg Europa, und wir sind die Weingärtner …?

In diesem Text finden wir zwei Geschichten von Jesus.

Die erste Geschichte handelt von den beiden Söhnen: Der eine verspricht alles Mögliche, aber er hält es nicht Der andere weigert sich erst, reißt sich dann aber zusammen. Die zweite Geschichte handelt vom Weingärtner, wo die Angestellten sich erheben und den Erben des Betriebs töten.

Es wäre naheliegend, den Text als eine Kritik Jesu an dem vorherrschenden Gottesverhältnis im damaligen Judentum auszulegen, so wie wir es aus dem Neuen Testament kennen. Die Juden verschrieben sich, wie der erste Sohn, der Gesetzesreligion des alten Bundes mit 365 Verboten und Geboten, verweigerten sich aber, als es darauf ankam. Nun musste der zweite Sohn kommen und das Werk vollenden, vielleicht die Christen? Die Analogie ist noch deutlicher in der Geschichte von den Weingärtnern: Gott ist der Weingärtner, Jesus ist der Sohn und die Angestellten des Weinberges sind die Menschen, die seine Kreuzigung forderten. „Ich wasche meine Hände“, sagte Pilatus, denn die Forderung nach dem Tod Jesu kam aus dem Volke.

Aber will uns Gott heute wirklich dies sagen? Gibt es nicht einen doppelten, dreifachen oder vierfachen Boden in den Worten Jesu? Ist da nicht ein Wort für unsere Zeit, das sich tief in der zeitlosen Botschaft Jesu verbirgt?

Da war ein Sohn, der ein großes Ja sprach. Aber das hatte keinen Bestand. Das kann ein Bild sein für den Geist, der heute in Dänemark, Deutschland und Europa herrscht. Der Runenstein in Jelling erzählt uns, dass König Harald die Dänen zu Christen machte. Und auch wenn es sich sicherlich um eine Übertreibung handelt, weil es schon vorher Christen in Dänemark gab, sicherlich auch recht viele, die auch noch danach an Odin und Thor glaubten, so hatten sich das Land und seine Bevölkerung auf den Weg des Christentums begeben.

So war es in ganz Europa. Auf Zypern, in Paphos, kann man die Säule sehen, wo Paulus der Überlieferung nach gefesselt war und ausgepeitscht wurde, weil er seinen Glauben an Jesus Christus bezeugte. Ein Szenarium, das wir uns heute wohl nur in der arabischen Welt vorstellen können. Aber wir können auch die Ruinen des Hauses des römischen Statthalters Serguis Paulus sehen, wo dieser Beamte den neuen Glauben annahm und Jesus in sein Leben – und, so müssen wir glauben, in sein Herz hineinließ.

Europa war ein christlicher Teil der Welt. Mit dem christlichen Glauben in all seinen Formen. Dem Vatikan und Wittenberg. Der Ostkirche und Konstantinopel, bis das Christentum weiter nach Westen verdrängt wurde.

Europa war der Sohn, der “ja“ sagte, aufs Feld zu gehen und die Saat Gottes zu säen und zu ernten in vielen Generationen. Aber hat Europa daran festgehalten? Ist Europa längst vom Feld zurückgekehrt und will nicht mehr dorthin zurückkehren?

Die christliche Kirche ist hier bedrängt, wo wir einmal „ja“ gesagt haben. Nun sagen sehr viele „nein“, und ein historischer Wandel der Kultur bedroht uns. Denn was kommt nach der umfassenden christlichen Erzählung vom Leben?

Aber die christliche Kirche als solche ist nicht bedroht. Wo der erste Sohn nicht mehr mag, kommt der zweite Sohn. Die Kirche wächst, besonders in Asien und Afrika. Nicht nur als Institution oder Institutionen. Sondern bei Menschen, Individuen, die aufrichtig die frohe Botschaft von Jesus annehmen, die wir auch heute hören.

Das geistliche Leben der Christen Europas ist in vieler Hinsicht ein müder alter Mann geworden, wo eine Dosis Viagra in der Form von Politik, legitimer Sorge um die Umwelt und Philanthropie die erschreckende Tatsache verbirgt, dass Jesus Christus nicht mehr der Erlöser ist, zu dem der durchschnittliche Däne, Schwede, Deutsche oder Europäer aufschaut.

Vor einiger Zeit besuchte ich eine philippinische Gemeinde in Schweden. Ich war von einem schwedischen Freund eingeladen, der mit einer philippinischen Frau verheiratet ist. Da begegnete man einem geistlichen Leben, das das alte Europa weitgehend verlassen hat. Da war Freude, Gebet und Lobgesang.

In Schweden werden viele Kirchen geschlossen. Die Leute treten aus der schwedischen Kirche aus – Gläubige wie Ungläubige, natürlich aus unterschiedlichen Gründen.

Aber hier erlebte ich eine echte Freude an Jesus und einen Hunger nach Gott. Nicht die alt-dänische Verfressenheit und krankhafte Sattheit.

Vielleicht ist nun wahr geworden, was in dem Brief an Ephesus in Kapitel der der Offenbarung des Johanne steht: „Aber ich habe wider dich, dass du die erste Liebe verlässt. Gedenke, wovon du gefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke. Wo aber nicht, werde ich über dich kommen und deinen Leuchter wegstoßen von seiner Stätte, wenn du nicht Buße tust“.

Der Leuchter ist nur geliehen. Wenn das Licht, das das Licht der Welt ist, das Licht, das in der Finsternis scheint, das Kind aus Nazareth, nicht in Europa scheint, worum soll der Leuchter hier noch stehen.?

Da war ein Mann, der hatte einen Weinberg. Alles war in guter Ordnung. Die dort wohnten und arbeiteten, hatten ihr gutes Auskommen. Aber sie sollten mehr … Sie wollten das Joch abwerfen und die eigenen Herren sein. Wie 1789 mit der Guillotine musste Blut fließen – man wollte den Sohn loswerden.

Vor 131 Jahren rief der Philosoph Nietzsche den Tod Gottes aus. Seit dem wurde er geisteskrank. Er hatte Recht – und auch Unrecht. Gott ist ewig und bei Menschen auf der ganzen Erde gegenwärtig. Die Kirche wächst – aber in anderen Kulturen. Nein – Gott kann nicht sterben. Aber der Glaube an Gott in einer Kultur, in einem Land, in einem Menschen, kann sterben. Und Nietzsche konnte schon eine beginnende Leichenstarre sehen.

Der französische Autor Michel Houllebecq schrieb vor einigen Jahren den Roman Unterwerfung. Ein französischer Universitätslehrer konvertiert zum Islam, weil dies nun die dominierende Religion in Frankreich ist. Nicht weil er etwas Besonderes glaubt, sondern weil er längst den christlichen Glauben in seinem Herzen verlassen hatte. Nun war es leer – wie in der Erzählung Jesu von den sieben bösen Geistern, die in den Menschen fahren, dessen Herz reingefegt und gesäubert ist und leer, diese Analogie liegt ganz nahe.

Eine der Pointen Houllebecqs ist, dass das Herz Europas leer ist. Deshalb ist Platz für alles. Von hartem Atheismus über Healing bis zu dem Islam, der für immer Christus verworfen hat.

Wir sind der Weinberg Gottes. Sein Sohn kommt immer wieder in unser Leben hinein. Wer sind wir dann? Wollen wir ihn vor die Tür setzen oder ihn weit weg aus unserem Leben wünschen? Denn der Weinberg gehört ja uns. Das sagen uns die Menschenrechte und das Grundbuch.

Aber da war ein Sohn, der in sich ging und seine Meinung änderte. Denn er wusste ja sehr wohl im Innersten, dass er sich seiner Verantwortung stellen musste. Er ging in der Tat hinaus aufs Feld.

Noch steht der Leuchter in Europa. Er ist vielleicht etwas angelaufen, gerostet, aber im Grunde noch gut genug. Das Licht flackert und schwelt, wird durch allerlei fremde Partikel verunreinigt, aber es brennt noch immer, so dass man es leicht sehen kann.

Auch wenn Nietzsche den Tod Gottes verkündete, der Humanismus und der Materialismus Hand in Hand gehen, um die Leere zu verklären, und der Islam uns zurück zu Gedanken führt, die wir in einem finsteren Mittelalter untergegangen wähnten – der Sohn ist noch immer im Weinberg.

Deshalb predigen wir. Deshalb feiern wir Gottesdienst. Deshalb müssen wir uns auf die erste Liebe Europas besinnen und dem 21. Jahrhundert eine neue Perspektive in Jesus Christus geben. In den Kirchen und außerhalb der Kirchen.

Das ist möglich. Selbst für Lazarus kam Jesus nicht zu spät. Und selbst für den Räuber am Kreuz an der Seite Jesu war noch Zeit. Amen.



Pastor phd. Christian Grund Sørensen
DK-9000 Aalborg
E-Mail: cgs(at)km.dk

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