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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres / Friedensdekade, 06.11.2016

Predigt zu Matthäus 5:1-12, verfasst von Rainer Stahl

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus,

die Liebe Gottes

und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

sei mit Euch allen!“

 

 

Liebe Leserin und lieber Leser!

Liebe Schwestern und Brüder!

 

1) Wie ist das mit dem Frieden? Groß geworden in der Schule der früheren DDR bin ich mit dem Slogan, dass der Friede bewaffnet sein müsse, und mit dem Bild vom Igel, der in der Lage ist, sich mit seinen Stacheln zu verteidigen.

 

Dann aber wurde im Juni 1978 in der damaligen BRD das Motto „Frieden schaffen ohne Waffen“ vom baden-württembergischen Landesverband der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) formuliert. Ab 1980 wurden Friedenswochen in der gesamten BRD unter dieses Motto gestellt. Und in den Achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde es zum Inbegriff der großen Friedensbewegung

(vgl. bawue.dfg-vk.de/fileadmin/user_upload/Frieden_schaffen_ohne_Waffen_1.pdf; Zugriff am 23.10.2016).

 

Aber auch in der damaligen DDR hat der Slogan „Frieden schaffen ohne Waffen“ gewirkt. Im Januar 1982 haben Robert Havemann und Rainer Eppelmann den „Berliner Appell“ verfasst. Vieles ist natürlich auf die damalige Situation bezogen. Aber These 5 möchte ich doch in Erinnerung rufen: „Frieden schaffen ohne Waffen – das bedeutet nicht nur: Sicherheit zu schaffen für unser eigenes Überleben. Es bedeutet auch das Ende der sinnlosen Verschwendung von Arbeitskraft und Reichtum unseres Volkes für die Produktion von Kriegswerkzeug und die Aufrüstung riesiger Armeen junger Menschen, die dadurch der produktiven Arbeit entzogen werden. Sollten wir nicht lieber den Hungernden in aller Welt helfen, statt fortzufahren, unseren Tod vorzubereiten?“ Und sie fügten die dritte Seligpreisung aus dem Neuen Testament an: „Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen (Jesus von Nazareth in der Bergpredigt)“

(vgl. bildungsserver.berlin-brandenburg.de/fileadmin/.../1982_berliner_appell.pdf; Zugriff am 23.10.2016).

 

Mit diesen Protesten gegen Staatsdoktrinen im damaligen Ost und West wurde ein starker Impuls „von unten“ entwickelt, der nicht in Vergessenheit geraten sollte.

 

Inzwischen haben wir alle aber begriffen, dass wir als Kirche auch Verantwortung für die Frauen und Männer haben, die im Militär Dienst tun. Meine persönliche Erstbegegnung mit diesem Dienst war im Januar 1993 ein Gespräch mit der Militärpfarrerin in der Kaserne in Linköping (Schweden), die mir deutlich machte, wie wichtig ihr Dienst bei Auslandseinsätzen zur Friedenssicherung ist – damals, 1992 / 1993, für schwedische Soldaten auf Zypern!

 

Und wir erleben täglich, dass die Situation der Welt in ganz neuer Weise kompliziert und erschreckend geworden ist. Ich kann jetzt keine Gesellschaftsanalyse für unseren Raum und für die verschiedenen Konflikträume auf unserer Erde bieten. Ist wirklich überall die Absage an militärische Bewaffnung und militärische Gewalt der Königsweg? Was bedeutet die Konfrontation mit dem sogenannten „Islamischen Staat“, der auf seiner schwarzen Fahne – ich weiß nicht, ob Ihnen, liebe Schwestern und Brüder, das schon einmal aufgefallen ist – das Glaubensbekenntnis des Islam stehen hat:

Es gibt keinen Gott außer Gott. Muhammad ist der Gesandte Gottes“ – der erste Satz von rechts nach links geschrieben, wie das im Arabischen selbstverständlich ist, aber der zweite von unten nach oben, sodass „Gott“ über diesem Satz steht!

 


IS-Flagge
(Vgl. Wikipedia: Islamischer_Staat_(Organisation); Zugriff am 23.10.2016).

 

Hat Gewaltfreiheit gegenüber solchen Fanatikern eine Chance? Was würden wir sagen, wenn es in unserer Religion Gewalttätige gäbe, die einen Satz oder Begriff aus unserem christlichen Glaubensbekenntnis zu ihrem Motto und Kennzeichen machen würden?

 

2) Trotz dieser Fragen halte ich die Aktivitäten „von unten“ für wichtig, Aktivitäten ohne staatliche Bestärkung, ohne offizielle Unterstützung, ohne direkten Halt in der Gesellschaft. Und genau diesen Weg „von unten“ bestärkt unser Evangelium, das in langer Tradition in unserer Kirche Bibeltext für das Gebet um Frieden ist. Es zeigt damit, dass dieser „Weg von unten“ der typisch und unverwechselbar christliche ist:

 

Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. / Selig die Gewaltlosen – sie werden das Land erben.

Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. / Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit – sie werden gesättigt werden.

[...]

Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen. / Selig, die Frieden stiften – sie werden Söhne und Töchter Gottes genannt werden.

Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich. / Selig, die verfolgt sind um der Gerechtigkeit willen – ihnen gehört das Himmelreich“

(Matthäus 5,5.6.9.10 – parallel nach der „Lutherübersetzung 2017“ und der Übersetzung der „Zürcher Bibel 2007“).

 

3.1) Das Mitwirken in gesellschaftlichen und staatlichen Strukturen und Machtgefügen ist uns Christen nicht verboten. Wir haben da wichtige Aufgaben. So dachte ich oft – damals, in der längst vergangenen DDR-Zeit – und denke noch heute: Gute Christen müssten eigentlich auch bereit sein, Polizisten zu werden. Denn es ist doch ganz wichtig, in den Ausnahmesituationen, mit denen Polizisten viel zu tun haben, immer die andere Person, die Täterin, den Täter, als Menschen wahrzunehmen – denn diese Person hat Gott als Menschen gewollt, nicht als Täterin oder Täter!

 

3.2) Aber mit seinen Seligpreisungen schaut Christus auf diejenigen, die allein da stehen, die schwach sind, die keine Stimme haben, die sich ganz auf Gott verlassen. Sie brauchen den Zuspruch durch Christus. Und sie bekommen diesen Zuspruch.

 

4) Wie ist dieses „sie werden...“ / „denn sie sollen...“ zu verstehen? Ich denke, dass sich die da benannten Folgen gelegentlich schon für unser Leben bewahrheiten sollen:

 

4.1) Viele Hoffnungen der Friedensaktiven in der damaligen DDR haben sich im Fortgang der gesellschaftlichen und politischen Veränderungen verwirklicht. Wie unser Bundespräsident im Juni dieses Jahres in Lutherstadt Wittenberg gegenüber den Mitgliedern des Rates des Lutherischen Weltbundes richtig festgestellt hat:

 

[...] auch für das »Priestertum aller Gläubigen«, das ich als Schritt zur Teilhabe, zur Mitbestimmung, ja bis hin zu der demokratischen Bürgergesellschaft deuten will, in der wir heute leben dürfen. Eine Errungenschaft der Reformation, die mir persönlich viel bedeutet, denn sie wurzelt zugleich in der Entdeckung der Würde des Individuums vor Gott, was zu großer innerer Freiheit führt. [...] eine Tradition übrigens, die hier auf dem Gebiet der ehemaligen DDR eine besondere Relevanz entfaltet hat. Ich weiß, dass sie das auch an anderen Stellen tut. [...] Und noch einmal zurück zu 1989, als auf dem Gebiet der ehemaligen DDR eine Bewegung entstand, die später zu einer Friedlichen Revolution wurde. Da waren es vor allem protestantische Christen, die im ganzen Land aktiv wurden [...]“

(Joachim Gauck: Grußwort zur Eröffnung, in: »Befreit durch Gottes Gnade«. Lutherischer Weltbund: Pilgerstation und Ratstagung in Wittenberg, 14.-21. Juni 2016, epd-Dokumentation 39, 27. September 2016, S. 15).

 

4.2) Aber die Selig-Gesprochenen, wir (? / !), wurden und werden immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt: Was also ist Friedenszeugnis in einer Welt, die von Terror gezeichnet ist?

 

Ich denke, dass hier der Einstieg in das Nachdenken und gemeinsame Beraten mit der Einsicht Martin Luthers in das wirklich Christliche beginnen muss, nämlich mit seiner Einsicht in die Bereitschaft zu leiden:

 

Nun siehe: Diese Leute [die zum Reich Gottes gehören] brauchen kein weltliches Schwert und Gesetz. [...] Sie haben ja den Heiligen Geist im Herzen, der lehrt sie und bewirkt, daß sie niemandem Unrecht tun, einen jeden lieben, von jedem gern und fröhlich Unrecht leiden und sogar den Tod. Wo es nichts als Unrecht-Leiden und Recht-Tun gibt, ist kein Zank, Streit, Gericht, gerichtliche Bestrafung, Gesetz und Schwert nötig“

(Martin Luther: Die weltliche Obrigkeit und die Grenzen des Gehorsams, 1522 / 1523, nach: Martin Luther, Taschenausgabe, hg. von Horst Beintker, Helmar Junghans und Hubert Kirchner, Band 5: Christ und Gesellschaft, bearb. von Hubert Kirchner, Berlin 1982, S. 114).

 

5) Gerade, wenn wir die Dinges so entschieden und – ich will das einmal so sagen – „fundamentalistisch“ wahrnehmen, werden wir vor einen Horizont gestellt, der unser irdisches Leben grundlegend übersteigt. Unser Einsatz für den Frieden in unserer Welt reicht weit über diese, unsere Welt hinaus.

 

Daraus erkennen wir, dass dieses „sie werden...“ / „denn sie sollen...“ – „wir werden...“ / „wir sollen...“ auch und vor allem für die letzte Erfüllung im Reich Christi gilt, dass uns diese Seligpreisungen Hoffnung über unseren Tod hinaus geben:

 

Uns um der Gerechtigkeit willen Verfolgten „gehört das Himmelreich“!

Amen.

 

 

Und der Friede Gottes,

der höher ist als unsere Vernunft,

bewahre Eure Herzen und Sinne bei Christus Jesus, unserem Herrn!“



Pfarrer i.R. Dr. Rainer Stahl
Erlangen
E-Mail: rainer.stahl.1@gmx.de

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