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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres / Friedensdekade, 06.11.2016

„Sich-selbst“ leben oder Christus leben?
Predigt zu Römer 14:7-9, verfasst von Andreas Pawlas

Unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei. (Röm 14, 7-9)

 

Liebe Gemeinde,

Zum ersten Mal hat mich dieses Bibelwort bei einem Todesfall intensiv angerührt. Da war eine 86jährige Frau. So lange hatte unter einem tückischen Krebs gelitten. Und am Ende hatte ihr langes Sterben sie und ihre Angehörigen richtig ausgezehrt. Kein Wunder, dass da so viele Fragen waren, warum diese gute Frau so lange hat leiden müssen. Aber als sich dann die Familie für die Beerdigung genau dieses Wort des Apostels wünschte, da empfand ich es beinahe so wie einen lindernden Balsam, der alle Trauer, der alles Wundsein, der alle Fragen und allen Schmerz einfach heilsam und behutsam einhüllte. Denn wenn man sich trotz aller Qualen und Schmerzen sicher sein konnte, dem Herrn zu leben und dem Herrn zu sterben, was sollte dann noch gefragt werden? Dann war doch dann alles beantwortet. Was für ein Trost! Offenkundig weiss so die frohe Botschaft des Evangeliums in diesem Bibelwort die Last unseres Lebens zu tragen und heilsam aufzuheben.

Aber so tröstlich dieses Wort in der damaligen Situation auch war, und so wichtig Beerdigungen auch sind: wir, die wir heute am Sonntagmorgen zum Gottesdienst zusammengekommen sind, wir wollen und sollen doch leben! Ja, wir Jungen und Alten wir erhoffen uns doch so viel vom Leben! Wir wünschen uns doch, unser Leben mutig anpacken und nach eigenen Ideen, Plänen und Wunschträumen gestalten zu können. Insofern scheint doch Beerdigungsstimmung -- so berechtigt sie an anderem Orte ist -- an diesem Sonntagmorgen völlig fehl am Platze.

Allerdings, vielleicht kann es hier helfen, an dieser Stelle genauer darauf zu schauen, in welchem Zusammenhang der Hl. Apostel Paulus eigentlich diese seine schönen Sätze gesagt hat. Und jetzt kommt etwas ganz Merkwürdiges: Denn er hat diese Sätze gesagt, weil es offenbar um einen Streit ging, ja sogar um einen Streit, den man heutzutage überhaupt nicht mehr nachvollziehen kann, den ich darum auch gar nicht genauer ausführen will. Aber trotzdem so viel in aller Kürze: Es ging damals um den Streit, ob man als Christ das damals auf den Märkten angebotene Götzenopferfleisch essen dürfe. Denn da sagten die einen: Das geht nicht! Denn über diesem Fleisch ist zu heidnischen Göttern gebetet worden. Und deshalb waren sie wohl ängstlich, durch den Genuss solchen Fleisches Gott zu verärgern. Was die anderen sagten, war: Was geht uns das an. Denn Gottes Güte ist so groß und unser Glaube ist so stark, wen interessiert da, ob da jemand irgendwelche falschen Gebete gesprochen hat. Denn „alles wir geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.“ (1. Tim. 4,4f.)

Aber damals waren diese Positionen unversöhnlich. Vielleicht etwa so, wie es heute manche gibt, die sagen: Als Christ kann man nur strikter Vegetarier sein. Das Leiden der Kreatur in den Schlachthöfen ist einfach nicht akzeptabel! Aber dagegen sagen andere: Gott hat alles so auf den Menschen hin erschaffen. Und so es kommt gar nicht darauf an, was wir essen, Hauptsache, es wird in Dankbarkeit und mit Gebet genossen. Aber auf jeden Fall sagt nun da der Hl. Apostel: „Den Schwachen im Glauben nehmt an und streitet nicht über Meinungen.“ (Röm 14,1)

Und warum kann er nun so etwas sagen? Weil er es eben begründen kann mit dem Satz, der schlicht für einen jeden durch die Taufe zu Christus gehörenden gilt: „Unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.“

Für alle, die zu Christus gehören, für alle, deren Leben durch Christus Ewigkeitswert gewonnen hat, da lohnt es sich eben nicht um so Vorläufiges wie irdische Dinge bitter zu streiten. Nicht, dass man nicht miteinander für Probleme Lösungen suchen und unterschiedliche Argumente abwägen sollte, aber von der Perspektive der Ewigkeit her, da lohnt es sich nicht, mit seiner Meinung den Anderen zu bedrücken, sei es wegen irgendwelcher Essenssachen, sei es wegen Atomkraft oder nicht, sei es wegen Stuttgart 21 oder nicht, sei es wegen Partei A oder wegen Partei B.

Aber Halt! Das alles entspricht doch keinesfalls unserem Lebensgefühl! Denn als moderne Menschen wollen und sollen wir doch unsere eigene Meinung haben. Da wollen wir doch unseren eigenen Geschmack zu haben. Da wollen wir doch unsere eigenen Wege zu gehen. Ja, wir wollen doch, wie jeder andere heutzutage, uns selber leben, und nicht das Leben irgendeines anderen! Und wir wollen auf keinen Fall bevormundet werden. Wir wollen doch gern alles selbst wählen und selbst entscheiden, so etwa, was wir essen, wo wir wohnen, welchen Beruf wir ergreifen oder welchen Partner wir haben. Ja, genau so wollen wir selbst Herr über unser Leben sein und wollen im Grunde keinen anderen Herren über uns dulden. Und bitte, damit erzähle ich doch heutzutage wirklich niemandem etwas Neues - wenn es auch dem völlig widerspricht, was uns der Apostel sagt.

Allerdings, bevor wir noch einmal genauer auf das schauen, was der Apostel sagt, einmal eine kleine Besinnung in Bezug auf unser Alltagsleben: Gelingt es uns denn eigentlich immer und überall, die Dinge so zu bestimmen, wie wir wollen? Gelingt es uns denn immer und überall, Herr über unser Leben sein? Wie ist das z.B. im Blick auf Wohnung und Wohnort? Können wir uns das nach Gutsherrenart leisten, dort zu wohnen, wo es uns gefällt? Oder müssen wir uns nicht meist danach richten, wo eine Wohnung frei und bezahlbar ist, oder wo ein Bauplatz gerade angeboten und für unseren Geldbeutel erschwinglich ist?

Und wie ist das mit der Berufswahl, die Euch Konfirmanden ja demnächst so sehr beschäftigen wird? Kann etwa jeder damit rechnen, seinen Traumberuf zu bekommen? Oh, wir Älteren wissen, wie häufig da Wünsche offen bleiben. So geht es nun einfach nicht, dass etwa jedes junge Mädchen seinen Traumberuf als Balletttänzerin ergreifen kann. Und nicht jeder junge Mann kann Astronaut werden.

Und wie sieht das bei der Partnerwahl aus? Ihr jungen Leute kennt das doch, wie sehr z.B. ein junger Mann sich für ein Mädchen entschieden hat und sie anhimmelt. Aber, und das kennt Ihr doch genauso, dass das doch noch lange nicht heißt, dass sie diese Verehrung auch erwidert. Und wenn so eine Ablehnung für den jungen Mann wie ein richtiger Weltuntergang sein kann, so zeigt das doch ganz eindeutig, dass meist bei der Partnersuche alleinige und einsame Entscheidungen völlig aussichtslos sind.

Und dennoch wollen wir gern trotz allem alleiniger Herr über unser Leben zu sein, dennoch wollen wir gern trotz allem unseren Geschmack und Meinung haben, im Kontrast zu anderen und sind deshalb manches Mal auch bereit, mit ihnen deshalb zu streiten, denn sonst hätten wir doch keinen Charakter.

Aber wenn wir so auf uns und unsere Meinung, guten Geschmack und unseren Selbstbehauptungswillen schauen, was ist da eigentlich unser oberster Wert, unsere wichtigste Orientierung, unser entscheidender Maßstab? Doch eben unsere eigene Meinung, unser eigener guter Geschmack und unser eigener Selbstbehauptungswillen.

Aber wenn das genau so stimmt, dann muss an dieser Stelle etwas ganz Unbequemes kommen, etwas, das uns gar nicht gefällt, das wir vielleicht auch gar nicht richtig annehmen können, etwas, mit dem wir vielleicht bis an unser Lebensende hadern.

Was das ist? Bitte, dabei kein grundsätzliches Wort gegen eigene Meinung, eigenen Geschmack und Selbstbehauptungswillen und gegen deren Bedeutung für die Ausbildung einer reifen Persönlichkeit –. Aber Hand aufs Herz! - Gehört das alles zu den Dingen von Ewigkeitswert? Hat das alles mit Glaube, Liebe, Hoffnung zu tun, von denen wir ja wissen, dass sie allein bleiben bis in alle Ewigkeit, von denen wir ja wissen, dass sie den erfüllen, der zu Christus gehört, und dessen Leben durch Christus Ewigkeitswert gewonnen hat? Genau deshalb gilt ja umgekehrt, dass ein Christenmensch niemals sein Herz an etwas auf dieser Welt hängen darf und soll, was vergänglich ist, und sei es profilierteste Meinung, bester Geschmack und extremster Selbstbehauptungswillen, weil das alles eben schlicht vergeblich ist!

Und dennoch ist es so: Das gefällt uns nicht! Wirklich nicht!

Allerdings, wenn wir hier wirklich einsichtig wären, wenn wir uns wirklich vom Blick auf die Dimensionen unserer Wirklichkeit leiten ließen, die Ewigkeitswert haben, dann könnten wir anders miteinander leben: in Partnerschaft, Familie oder Beruf - im freundlichen Abgleich unserer unterschiedlichen Meinungen, im verständnisvollen Aufeinanderzugehen.

Dabei wäre das keinesfalls ein nur erträumtes und von vielem Nebensächlichen befreites Leben, sondern ein ganz realistisches Leben. Denn es ist nun einmal ganz realistisch, dass keiner sich selbst gemacht hat. Und als Christen dürfen wir ja bekennen, dass es eben unser Gott war, der uns aus seiner Ewigkeit unser ganzes Leben geschenkt hat. Und genauso weiss die Christenheit, dass unser ganzes Leben, wenn es echt ist, nicht von all den in der Welt begehrten glitzernden Vergänglichkeiten bestimmt ist, sondern aus Quellen lebt, die allein von Gott kommen, eben aus Glaube, Liebe, Hoffnung. Nur dadurch gewinnt in Christus ein Leben Ewigkeitswert.

Eben das ist in erster Linie die Bedeutung des: „Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.“ Und das ist dann auch für unser Alltagsleben Evangelium, also frohe, erleichternde und befreiende Botschaft. Denn dieses Wort macht uns gewiss, dass man sich wirklich eingebettet fühlen darf in das, was aus Gottes Ewigkeit kommt und wieder in sie eingeht, eben in Glaube, Liebe, Hoffnung. Und dann kann man es auch ganz selbstverständlich fühlen, wie es aus dieser Perspektive der Ewigkeit viel wichtiger ist, in Nächstenliebe mit seinem Nächsten Verständigung und Verbindung zu suchen, als ihn mit der eigenen Meinung zu erschlagen. Dann kann man sich ganz sicher sein, dass es aus dieser Perspektive der Ewigkeit viel wichtiger ist, selbst mit seiner Schwiegermutter, selbst mit seinem mackigen Chef, selbst mit lästigen Nachbarn geduldig den Ausgleich zu suchen und Frieden zu stiften, als durch pointierte eigene Meinung Konflikte hoch kochen zu lassen.

Wer sich so darauf verlässt, als zu Christus gehörend aus der Perspektive der Ewigkeit zu leben, und sich so für seine Nächsten einsetzt, der wird dabei erfahren, wie Gott beschützt und tröstet, vom Anfang bis zum Ende, vielleicht nicht immer gleich erkennbar, aber doch von jetzt bis in alle Ewigkeit. Und genau diese wunderbare Erfahrung schenke der barmherzige Gott uns allen. Amen.



Pfarrer Andreas Pawlas
D-25365 Kl. Offenseth-Sparrieshoop
E-Mail: Andreas.Pawlas@web.de

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