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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres / Friedensdekade, 06.11.2016

Predigt zu Römer 14:7-9, verfasst von Suse Guenter

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen. AMEN

 

Keiner von uns lebt sich selbst und keiner stirbt sich selbst. Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir also nun leben oder sterben, wir gehören zu Jesus Christus. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.

 

Gott, gib und ein Herz für Dein Wort und nun ein Wort für unser Herz. AMEN

 

Liebe Gemeinde!

„Wohnst Du noch oder lebst Du schon?“ Mit diesen Worten wirbt ein großes Möbelhaus für seine Produkte und unterstellt damit, dass man dann erst richtig zu leben anfängt, wenn man sich mit den Möbeln dieses Hauses einrichtet: Leben auf dieser Welt: So schön, so gemütlich, so praktisch wie möglich. Damit man sich so wohl fühlen kann wie irgend möglich: Leben eben.

Paulus lehnt in unserem Predigttext diese Sichtweise nicht ab. Aber: Es ist  nur eine Seite der Medaille, so sagt er. Oder, um es einmal mehr mit Worten unserer Zeit auszudrücken: Hinterm Horizont geht’s weiter.

Geschrieben hat Paulus seine berühmtgewordenen Worte „leben wir so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir also nun leben oder sterben, wir gehören zu unserem Herrn Jesus Christus“, um der römischen Gemeinde ein klares Wort mit auf den Weg zu geben. Wir haben davon in diesem Jahr schon oft gehört: Die einzelnen Gruppierungen in der Gemeinde hatten sich darüber zerstritten, ob Fleisch, das vorher auf römischen Götzenopferaltären gelegen hatte, billig gekauft und für die christliche Gemeinde weiterverkauft werden dürfe.

Wir wissen es aus dem eigenen Umfeld, wie schnell sich ein solcher Streit, der sich eigentlich an einer Banalität entzündet hat, ausweitet und zu tiefen Verletzungen führt. Wie schnell Vorwürfe auftauchen und Gespräche abgebrochen werden so manches Mal allein aufgrund eines Missverständnisses.

Paulus hat in seinem Brief vorher schon versucht, zu vermitteln. Zu erklären. Und auch das wissen wir aus unserem eigenen Umfeld: Wenn eine Situation mal so richtig verfahren ist, dann helfen Erklärungen oft gar nichts mehr. Machen es manchmal sogar noch schlimmer, weil alles immer weiter zerredet wird.

In unserem heutigen Predigttext spricht Paulus ein Machtwort: Ein für alle Mal:

Leben wir, so leben wir dem Herrn. Sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Unser Leben hier wie dort ist durch unseren Herrn Jesus Christus bestimmt.  Auf ihn warten wir. Zu ihm gehen wir. Zu ihm gehören wir.

Sein Horizont ist größer als unser kleiner, menschlicher Verstand.  Er hält unser Leben hier und das was dann kommen wird, in der Hand. Er kennt unser Innerstes, weiß, was uns bewegt hat bei unseren Entscheidungen.

In solchem Glauben müssten alle Streitigkeiten beendet sein: Es ist nicht mehr wichtig.

Man möchte Paulus um seine Glaubenssicherheit beneiden. Uns bewegen immer einmal wieder andere Gedanken. Immer dann, wenn der Tod in unser Leben einbricht oder wir  mit den eigenen nachlassenden Kräften konfrontiert werden, drängen sich Fragen auf: Was wird kommen, wie kann ich das schaffen, woran kann ich mich halten?

Gut ist es, wenn wir das für uns sagen können: Ich lebe. Jetzt und hier, mit allem, was für mich dazu gehört. Mit  Menschen, die mich unterstützen,  mit einer Umgebung, in der ich mich wohl fühle, mit Lachen und Weinen, Tun und Lassen. Schwer ist es, wenn man am Ende seines Lebens sagen muss: Ich hätte doch so gerne noch, ich konnte doch nie….

Im eigenen Leben zu Hause sein, das ist wichtig.

 

Wohne ich noch oder lebe ich schon? Ist es nicht auch ein großes Stück Leben, wenn wir wohnen dürfen?

Angesichts der vielen Bilder von Menschen auf der Flucht, fallen mir immer wieder die Worte des Dichteres Reiner Kunze ein:

Wir haben ein Dach und Brot im Fach

Und Wasser im Haus, da hält man es aus.

Wir haben es warm und wir haben ein Bett.

Oh Gott, dass doch jeder das alles hätt.

 

Könnte es nicht sein, dass auch wir wieder neu zu leben anfangen, wenn wir sehen lernen, wie reich unser Leben ist? Könnte es nicht sein, dass auch wir unseren Blick  öffnen können für das, was hinter dem Horizont auf uns wartet, wenn das neu sehen lernen, was uns hier schon zuteil wird?

War Paulus in seinem Glauben wirklich so viel sicherer als wir es heute sind? Oder hat er ganz einfach den Blick offen gehalten für die vielen  Zeichen des Lebens, die uns täglich umgeben?

Wir hören die Worte, die Paulus über Tod und Leben gesagt hat, immer wieder auf dem Friedhof. An der unmittelbaren Schwelle zwischen Tod und Leben:

Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir also nun leben oder sterben, wir gehören zu unsrem Herrn Jesus Christus.

Mit diesen Worten wird uns das verbunden was war und das,  was kommt. Das, was wir nicht mehr greifen können und das, was wir noch nicht greifen können. Das eben, was wir nicht fassen können.

Mit diesen Worten werden wir getröstet: Es gibt einen Herrn, der größer ist als unser Begreifen.

Und das bedeutet ja auch: Wir müssen nicht alles verstehen. Und sicher in der Hand halten. Vielleicht ist das, was wir bei Paulus als Glaubenssicherheit bewundern einfach nur Menschlichkeit. Ich stelle mir Paulus vor als Menschen, der seinen Platz in der Welt kannte. Seine Aufgabe gefunden hat und angenommen. Der das, was ihn beunruhigte in größere Hände gelegt hat.

Und der gehofft hat, dass es weitergeht, wenn er nicht mehr weiterwusste. Das hat er vorgelebt und in Briefen weitergegeben. Keine große Sache, nichts, was wir nicht auch könnten:

Es ist ja der Glaube eine Zuversicht auf das, was man hofft, so schreibt der Hebräerbrief (11,1).

Zuversichtlich sein, mit dankbaren Augen das sehen lernen, was einem täglich zuteil wird. Das für möglich halten, was man hofft.

Worauf hoffen wir? Was erhoffen wir? Die alten Worte vom Leben und Sterben und von Gott, der beides verbindet und in der Hand hält, diese alten Worte laden uns ein, darüber nachzudenken, worauf wir hoffen. Und sie laden uns ein, das für möglich zu halten, was wir hoffen.

Wohnst Du noch oder lebst Du schon? Paulus hat nicht gewohnt. Er war immer unterwegs. Aber gelebt hat er. Immer weiter. Bis zum Horizont und darüber hinaus. Und deshalb:

Ausgang und Eingang, Anfang und Ende, liegen bei Dir, Herr, füll Du uns die Hände.AMEN

 

 



Pastorin Suse Guenter
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