Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres / Volkstrauertag, 13.11.2016

Predigt zu Lukas 17:20-33(dänische Perikopenordnung), verfasst von Poul Joachim Stender

Im Eingang zur Kirche in in Saaby befindet sich ein faszinierendes Fresko. Jesus sitzt auf einem Regenbogen und hält Gericht über die Welt. Unter ihm kommen die Toten aus den Gräbern. Einige werden in die Hölle geschickt. Andere in den Himmel. Zur Rechten Christi kniet Johannes der Täufer. Er ruft sicher: „Richtet das Otterngezücht an Menschen. Sei gerecht, gib ihnen, was sie verdienen“. Zur rechten Jesu steht Maria in einem prächtigen grünen Gewand. Das Gewand hat sie aufgeknöpft und sie zeigt ihre schönen Brüste. Ich habe nie begriffen, wieso die Mutter Gottes in einer anständigen Kirche wie der von Saaby ihre Brüste entblößt. Aber neulich entdeckte ich in der Ilias eine Beschreibung dessen, wie die Mutter Hektors reagierte, ehe der Held in den Kampf ziehen soll: „Auch seine Mutter beschwor ihn mit Weinen und rollenden Tränen, löste die Spange über der Schulter und entblößte ihre Brust vom Gewand, und unter Weinen und Jammer rief sie ihm zu: Hektor, mein Junge, sieh diese meine Brust und erbarme dich über deine Mutter“. Jetzt verstehe ich das Fresko. Die entblößten Brüste. Die Tränen Marias. Ein uralter Ausdruck für Mitleid. Ich kann die tränenerfüllte Stimme mitten im Lärm des jüngsten Tages hören: „Jesus, mein Junge, sieh diese meine Brust und sei barmherzig zu den Menschen, die du richtest. Gib ihnen nicht, was sie verdienen“.

In der modernen Theologie ist das Jüngste Gericht abgeschafft. Während die Gesellschaft die Autoritäten abschaffte, sanierte man auch das Jüngste Gericht. Es ist eine Provokation gegen unser Denken, dass Gott uns dafür richten soll, wie wir unser Leben gelebt haben. Keiner hat das Recht, uns zu richten. Aber der Jüngste Tag ist noch immer eine Realität.

Es gibt viele, die der protestantischen Kirche vorwerfen, zu wenig weiblich geworden zu sein. Nach der Reformation spielt Maria nicht mehr eine so große Rolle wie z.B. in der katholischen Kirche. Aber das stimmt nicht. Wenn wir annehmen, dass Maria, die Frau, für Barmherzigkeit steht, für Liebe, Nachsicht, Vergebung – Dinge, die ich nicht immer mit den Erfahrungen verbinde, die ich mit Frauen habe – dann ist unsere Theologie und Kirche nie mehr weiblich gewesen wie jetzt. Gott ist im Augenblick unglaublich lieb und verständnisvoll. Er schickt uns alle direkt in den Himmel. Die Grenze zwischen der Ewigkeit und der Erde gleicht heute dem Schengen-Abkommen. Keine Passkontrolle.

Es besteht kein Zweifel daran, dass Gott ein gnädiger, barmherziger und vergebender Gott ist. Aber er ist auch etwas anderes. Das, was Johannes der Täufer auf dem Fresko zum Ausdruck bringt in meiner Kirche und was auch eine Seite dieses Mannes ist. Grobheit, Härte, Maskulinität, Strenge. In seinem braunen Kamelhaargewand ruft Johannes der Täufer nach Gericht, Umkehr, Buße, Gerechtigkeit. Gott ist furchtbar. Er ist streng. Er fordert etwas von uns. Auch wenn er uns mit einer wahnsinnigen Liebe liebt, stellt er Forderungen. Sowohl das Feminine als auch das Maskuline, Gnade und Gericht, Vergebung und Verurteilung gehören zu Gott. Aber wir wollen in unserer Zeit nur von der einen Dimension wissen. Nämlich dass er geborgen und warm ist an den schönen Brüsten der Jungfrau Maria.

In der Kirche von Saaby gibt es auch ein Fresko über eine Schriftstelle aus dem letzten Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes. Da steht ein griechisches A – Alpha, und ein griechisches O – Omega. Jesus sagt nämlich: „Ich bin Alpha und Omega“. Das bedeutet, dass der Sohn Gotte Anfang und Ende ist. Er ist zuerst und zuletzt. Dass Gott der Anfang ist, bereitet uns keine Schwierigkeiten. Es wird oft diskutiert, vor allem in den USA, ob die Welt so geschaffen wurde, wie es im Alten Testament beschrieben ist, oder ob es durch den Urknall geschah, the Big Bang. So gesehen kann es egal sein, ob es in der einen oder anderen Weise geschah. Es wirkt ein wenig wie Fast Food, wenn man an die blitzschnelle Schöpfung denkt, mit der die Big-Bang-Theorie arbeitet. Sie passt gut zur Betriebsamkeit unserer Gesellschaft. Alles muss schnell gehen. Ich bevorzuge die Slow-Schöpfung Gottes, wo er sich wenigstens die Zeit nimmt, jeden Tag ein kleines Stück Erde und Himmel zu schaffen. Aber welche Theorie richtig ist, ist ganz gleichgültig. Worum es geht, ist dies, dass Gott derjenige ist, der am Anfang der Welt steht. Er war zuerst – er ist A – Alpha.

Wenn wir gerne vom Anfang sprechen, der Schöpfung der Welt, liegt das daran, dass wir gerne Anfänge mögen. Nicht ohne Grund ist Weihnachten das größte Fest in der dänischen Gesellschaft geworden. Ein Fest des Anfangs. Das Kind ist zur Welt gekommen. Das Sonnenlicht beginnt zurückzukommen. Der Beginn von etwas Neuem. Dagegen mögen wir nicht vom Ende sprechen. Aber Ende ist eine Realität. Alles hat sein Ende. Wir werden sterben. Und natürlich wird die Welt untergehen, wie dies immer wieder in der Bibel gesagt wird. Die Sonne wird untergehen. Die Sterne werden um uns niederfallen. Die Erde wird zickzacken. So rasch wie ein Blitz, der den Himmel zerreißt, können die letzten Zeiten über uns kommen. Nur Gott kennt die Stunde. Aber da ist ein enormer Unterschied zwischen den Untergangsszenarien, von denen wir zu hören pflegen, und den biblischen Erzählungen vom Jüngsten Gericht, dass es nicht der Islamische Staat ist, der dahinter steht, oder eine andere Umweltkatastrophe. Gottes Sohn kommt wieder in all seiner Herrlichkeit. So wie Christus der Anfang ist, Alpha, ist er zum Glück auch das Ende. Omega. Die Liebe übernimmt die Macht, um einen neue Erde und einen neuen Himmel ohne Leiden und Tod zu schaffen. Auch wenn es ein furchtbarer Augenblick ist, handelt es sich nicht nur um Untergang und Gericht über das Leben, das wir gelebt haben. Es ist die Wiederkehr Gottes und deshalb für den Glaubenden ein Tag der Freude. Und es besteht kein Zweifel daran, dass an diesem Tag der Ruf der Maria auf dem Fresko in der Kirche von Saaby nach Gnade, Mitleid, Barmherzigkeit, Vergebung stärkeres Gewicht haben wird als der Ruf Johannes des Täufers nach Gerechtigkeit, den Menschen das zu geben, was sie verdienen. Im Namen Gottes. Amen.

 



Pastor Poul Joachim Stender
DK 4060 Kirke Såby
E-Mail: pjs(a)km.dk

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